Die Insel der Tausend Leuchttürme

  • Roman
  • von Walter Moers
  • der Hörverlag, September 2023   www.hoerverlag.de
  • Vollständige Lesung  von Andreas Fröhlich
  • 3mp3-CDs
  • in Pappklapp-Schuber
  • Gesamtlaufzeit: ca. 21 Stunden, 22 Minuten
  • 42,00 € (D), 43,20 € (A), 54,90 sFr.
  • ISBN 978-3-8445-2971-5

Die Insel der Tausend Leuchttuerme von Walter Moers

D O N N E R K I E L  &  W O L K E N B R U C H
oder: FEUERWERK  DER  PHANTASIE

Hörbuchbegeisterung von Ulrike Sokul ©

Vorwort zur Rezension:

Wer mit den Besonderheiten des zamonischen Kontinents und dem Werdegang von Hildegunst von Mythenmetz noch nicht vertraut ist, möge sich bitte unter den nach-folgenden Links in Hinblick auf diesen eigenwilligen, wunderbar-phantastischen literarischen Kosmos kundig lesen:
„Die 13½ Leben des Käpt’n Blaubär“ Die 13½ Leben des Käpt’n Blaubär
„Ensel & Krete“ Ensel & Krete
„Der Bücherdrache“ Der Bücherdrache

Denn die Erlebnisfülle des aktuellen Romans bzw. Hörbuchs beansprucht schon mehr als genug Raum, selbst für die von mir für diese Rezension nur streiflichternd zusammenge-faßten inhaltlichen und stilistischen Orientierungspunkte.

Rezension:

Hildegunst von Mythenmetz ist ein bekannter Dichter von der Lindwurmfeste, der Heimat der zamonischen Spezies der aufrecht gehenden Lindwürmer bzw. Bergsaurier, und er hat neben recht genüßlichen, sehr literarischen und bibliophilen auch ausge- prägte hypochondrische Neigungen. Seine Leidenschaft für alte Bücher (siehe „Die Stadt der träumenden Bücher“ https://www.penguin.de/Buch/Die-Stadt-der-Traeumenden-Buecher/Walter-Moers/Penguin/e565202.rhd) wird von einer lästigen Allergie gegen Bücherstaub beeinträchtigt, und auf Anraten seines Hausarztes reist er nach Eydernorn, um seine Beschwerden nicht zu verschleppen, sondern endlich auszukurieren.

Eydernorn ist eine Insel im zamonischen Ozean, und sie hat wegen ihrer vielen Leucht-türme den ruhmreichen Beinamen „Die Insel der Tausend Leuchttürme“. Die Insel ist bekannt für ihre besonders gute, heilsame und salzhaltige Luft, aber auch berüchtigt für rauhes, extrem windiges Wetter und eine nicht ungefährliche Fauna und Flora. Die eydernornische Bevölkerung verfügt über eine weit überdurchschnittliche Lebens- erwartung und ein vorbildliches Gesundheitssystem, mit einer Spezialisierung auf die Heilung von Atemwegs- und Lungenerkrankungen.

Hildegunst versieht sich vor der Überfahrt nach Eydernorn mit diversen Mitteln gegen die von ihm befürchtete Seekrankheit und betritt mit mulmigen Gefühlen das Fährschiff „Quoped“, das ihn zur Insel der Tausend Leuchttürme bringen wird. Bereits diese Über-fahrt wird zu einem unerwarteten Abenteuer, denn das Schiff gerät in einen Jahrhun- dertsturm; alle Passagiere und sogar die Besatzung sind ebenso der Seekrankheit ausge- liefert wie dem Wüten des Sturmes. Nur Hildegunst steht felsen- nein, seefest an der Reling und entdeckt schließlich als Erster das Lichtspektakel der Leuchttürme von Eydernorn. Dies reanimiert nun auch die Seeleute zu neuer Tatkraft, und das sturmzerzauste Fährschiff erreicht schließlich den rettenden Hafen.

Nun kann der mythenmetzsche Kururlaub endlich beginnen. Um potenzielle Berührungspunkte mit gefährlichen Bakterien und Viren zu minimieren, bezieht Hildegunst kein Zimmer im Sanatorium, sondern in einem Hotel, so daß er nur für ärztliche Untersuchungen und Therapieanwendungen das auf einem Hügel gelegene Therapiezentrum für Atemwegserkrankungen aufsuchen muß.

Mit seinem Hotelzimmer trifft es Hildegunst sehr gut. Neben behaglicher Einrichtung, üppigem spirituösem Komfort (Rumbuddel) und nützlichen Schreibutensilien (Hotel-Briefpapier, wasserfeste Seemannstinte) befindet sich auf seinem Zimmer auch ein Terrarium mit einem Hummdudel. Hummdudel sind eine amphibische Spezies, die von Myhtenmetz als „Mischung aus Riesenschnecke, Nautilusmuschel, Seestern, Oktopus und Seeanemone“ beschrieben wird. Sie geben ein rhythmisches Hummen, Summen und Brummen von sich, das je nach Tonhöhe angeblich trockenes oder nasses Wetter vorherhummdudelt.

Hummdudel können mehrmals täglich ihr Geschlecht wechseln, und sie haben eine enorme Reproduktionsrate – eine von den harmloseren Forschungs-Erfahrungen, die Hildegunst im späteren  Verlauf der Geschichte noch machen wird, nachdem er ein Hummdudel, das ihm als Nachtisch serviert wird, selbstverständlich nicht verspeist, sondern adoptiert und zu seinem Hotelhummdudel ins Terrarium setzt. Diese harm- losen, musikalischen Geschöpfchen werden übrigens noch eine gewisse tragende Rolle spielen, die zu erlesen oder zu erhören ich gerne dem geneigten Publikum überlasse. Denn ich schweife gerade zu sehr ab ins Detail, was bei mir stets eine Folge oder eine sekundärliterarische Ansteckung mit der Lektüre und Auditüre von mythenmoers- metzschen Romanen ist.

Hildegunst hat sich vorgenommen, neben seinen Kuranwendungen die Insel zu erkunden und möglichst viele Leuchttürme zu besichtigen. Von seinem Arzt Doktor Tefrint De Bong, einem Molchling mit vier Armen, bekommt er außer Algen- und Dünenschlammwickeln, Gruppengurgeln mit Kampfersud, Hals-Nasen-Duschen mit Meerwasser sowie Taschentuchgymnastik noch den traditionellen Inselsport des Kraakenfiekens verordnet – das ist eine Art Strandgolf mit sehr speziellen Regeln.

Die Leuchtturmwärter auf Eydernorn haben nicht zu Unrecht den Ruf verschrobener, eigenbrötlerischer Verschlossenheit und kommunikativer Zurückhaltung. Es kostet Hildegunst durchaus Mühe und Frustrationstoleranz, bis er einige der Leuchttürme betreten darf und mit ihren Wärtern sprechen kann. Doch wenn die Kontaktaufnahme gelingt, erfährt Hildegunst bemerkenswerte Dinge über die Leuchtturmwärter, ihren persönlichen Lebensweg, ihre Erfindungsfindigkeit, die eydernorner Kulturgeschichte und ihr pragmatisches Verhältnis zu den extremen insularen Wetterbedingungen.

Ein Leuchtturmwärter hat beispielsweise zu einer liegenden Acht gefaltete, hallu- zinogene Landkarten mit hypnotischen Strukturen und Schnörkeln, optischen Illusionsillustrationen und poetischen Suggestionen erfunden, die imaginäre Trancereisen in beliebige Gegenden Zamoniens ermöglichen. Hildegunst macht mit einer solchen Karte die atemberaubende ebenso schöne wie schreckliche Erfahrung einer Reise in die Eydernormer Tiefsee und vergißt dabei fast das vereinbarte Reißleinen-Codewort, das ihn wieder aus der Trancereise zurückholt. Diese Szene ist wahrlich geeignet, den Hörer höchstselbst mit auf diese imaginative kartografische Reise zu nehmen.

Im Museum für Eydernornische Kultur erfährt Hildgunst – mehr als ihm lieb ist – von äußerst gefährlichen Meereslebewesen, die teilweise auch an Land kommen können, um Unheil zu verbreiten. Zwar sind viele dieser Meeresmonster und Giftfische inzwischen ausgestorben, aber eben nicht alle. Auch die ausführliche historische Dokumentation unglaublicher, ja lebensbedrohlicher Wetterphänomene trägt nicht zu seiner Beruhigung bei. Denn Hildegunst waren schon kurz nach seiner Ankunft auf Eydernorn die seltsamen Wolkenformation am Eydernorner Himmel aufgefallen. Die Wolken wirken bedrohlich-gestaltwandlerisch und erscheinen ihm fast wie lebendige Wesen.

Der intellektuelle Schöngeist Hildeguns ist keineswegs ein sportlicher Typ. Doch während seines Aufenthaltes auf Eydernorn ändert sich dies zu seinem eigenen Erstaunen. Der alltägliche spaziergängerische Umgang mit Wind und Wetter, der häufige Genuß des stärkenden „Orkanbrotes“ und die gute meersalzhaltige Luft verwandeln ihn in einen wesentlich zäheren und widerstandsfähigeren Lindwurm. Zu seiner nicht geringen Überraschung entpuppt er sich sogar als sensationelles Naturtalent im Kraakenfieken.

Während seiner touristischen Erkundungen beispielsweise bei der Besichtigung eines baufälligen Leuchtturmes oder eines Besuches der geheimnisvollen „Stadt ohne Türen“, die bei Flut unter Wasser steht, gerät Hildegunst immer wieder in äußerst dramatische Gefahren, aus denen er sich manchmal selbst retten kann, manchmal aber auch von anderen Wesen gerettet wird.

Nach und nach, je mehr die Leuchtturmwärter Hildegunst in ihre Geheimnisse und ihre wahre Aufgabe für Eydernorn einweihen, begreift er, daß seine Anwesenheit auf der Insel der Tausend Leuchttürme offenbar kein Zufall ist, sondern Bestimmung. Langsam dämmert ihn auch, warum grundsätzlich alle eydernorner Uhren auf fünf vor zwölf stehen geblieben sind und warum seine Messungen mit dem Nachtigallerschen Erdfieberthermometer stets steigende Temperaturen anzeigen. Habe ich eigentlich schon erwähnt, daß Eydernorn eine Vulkaninsel ist?

Walter Moers‘ unerschöpfliche Phantasie beschert uns wieder und wieder ein über- quellendes Panoptikum interessanter, eigenwilliger Figuren, Lebensformen und Landschaften, und sein dramaturgisches Organisationstalent verbindet all diese minutiösen Details zu einer spannenden, stimmig zusammenhängenden Erzählung, die zudem oft ganz köstlich humorvolle Saiten hat. Auch diverse anagrammüsante Namens- rätsel buchstabiert er uns wieder vor. Rätseln Sie mal spaßeshalber – ohne im Internet in eine Anagrammaufschlüsselungsliste zu linsen – die Namensanagramme „Yahudir Odenvather“ und „Dr. Albirich Stohbenhocker“ auf.

Zählen wir nur einmal Hildegunsts Begleitpersonal auf: Da wären die arbeitsamen moosbärtigen Küstengnome, die sich mit lebenden Tätowierungen schmücken, die vier-händigen Molchlinge, die wegen ihrer Vierhändigkeit besonders geschickte Chirurgen und Handwerker sind und die bei Verlegenheit nicht erröten, sondern ergrünen, Frosch- linge, Schweinlinge, Grünwaldzwerge, Nattifftoffen, Lurchleute, Unkeriche, Salaman- dinen und Schildkröter. Hinzuzuzählen sind die unter Naturschutz stehenden flugun- willigen, aufdringlichen und gefräßigen Vögel namens Strandlöper sowie der geheim- nisvolle Meeresdämon Quaquappa. Die eydernorner Botanik schmückt sich mit maritimen Gewächsen wie Korallenmoos, Muschelmimose und Salzkaktee, und auf den Muschelbänken wachsen Padparadschamuscheln, in denen anstelle von Perlen kostbare Saphire wachsen.

Hildegunsts Restaurantbesuch im „Fackelfisch“, dem Stammlokal der Leuchtturm- wärter, serviert eine solche Fülle an stimmungsvollen, meeresdekorativen Details und buchstäblichen kulinarischen Tiefseefischabenteuern, daß man alleine schon angesichts der originellen Speisekarte aus dem ebenso bewundernden wie belustigten Staunen für den maritimen, requisitatorischen Ideenreichtum des Autors nicht mehr herauskommt.

Dieses Stammlokal der Leuchtturmwärter ist mit einem geräuschdämpfenden, see- stern- und muschelgemusterten Teppich ausgelegt, die Wände zieren schimmernde Fischschuppentapeten und gerahmte alte Seekarten, und begleitet von dezenter Salzluftorgelmusik wird dort ein einmaliger Dünenwein serviert, der zuvor „jahrzehnte- lang in einer Meeresgrotte gelagert“ worden ist.

Wahrlich, ich bewundere die epische Präzision, dramaturgische Präsenz und das Feuerwerk der Phantasie, die hier bis ins winzigste Detail wortgewandt und stilvoll inszeniert werden!

Die abenteuerlichen Ereignisse auf der Insel der Tausend Leuchttürme werden vom Autor mit lebhaften hildegünstlichen, hypochondrischen Be- findlichkeiten und schriftstellerischer Selbstironie begleitet. Walter Moers entfaltet auch im 10. Zamonienroman unermüdlich seine geistreiche Fabulierlust, kreative Ausgelassenheit und feinsinnig-literarische Wortverspieltheit.

Maestro Moers-Mythenmetz verfügt über eine phantastische schrift- stellerische Darstellungskraft, deren evokative Sogwirkung sich mit dem imaginativen Magnetismus der halluzinogenen Kartografie durchaus messen kann. Ich empfehle bei zu großer Spannung und zu tiefem Leselauscheintauchen das Codewort „Hummdudel“, um wieder in die profane Wirklichkeit zurückzufinden.

Der Vorleser Andreas Fröhlich gibt allen Charakteren mit abwechslungs- reicher Tonlage und feinjustierter Variationsbreite stimmliche und emotionale Gestalt. Seine beachtlichen leseschauspielerischen Klang- schattierungen und Sprechmelodien meistern ebenso das joviale Plattdeutsch der eydernornischen Einheimischen wie das hochsprachliche Filigran des Hildegunst von Mythenmetz, und selbst gelegentlichem Atemwegsröcheln nebst Niesanfällen haucht er echtes Leben ein.

Hier entlang zum Hörbuch und zur Hörprobe auf der Verlagswebseite:
https://www.penguin.de/Hoerbuch-MP3/Die-Insel-der-Tausend-Leuchttuerme/Walter-Moers/der-Hoerverlag/e505916.rhd

Hier entlang zur Buchausgabe:
https://www.penguin.de/Buch/Die-Insel-der-Tausend-Leuchttuerme/Walter-Moers/Penguin/e504439.rhd
Hier entlang zur Zamonienabteilung auf der Verlagswebseite:
https://www.zamonien.de/aktuelles.php
Hier entlang zu einem Interview mit Walter Moers zur Entstehung des Romans.
https://www.zamonien.de/aktuelles.php Dort findet sich auch die illustre Zeichnung eines Hummdudels.

Der Autor:

Der Lindwurm Hildegunst von Mythenmetz ist der bedeutendste Großschriftsteller Zamoniens. Sein Schöpfer Walter Moers hat sich mit den Romanen rund um Mythenmetz und den phantastischen Kontinent Zamonien weit über die Grenzen des deutschen Sprachraums hinaus in die Herzen der Leser und Kritiker geschrieben. Alle seine Romane wie „Die 13 ½ Leben des Käpt’n Blaubär“, „Die Stadt der Träumenden Bücher“, „Der Schrecksenmeister“, „Prinzessin Insomnia und der alptraumfarbene Nachtmahr“, „Weihnachten auf der Lindwurmfeste“ und „Der Bücherdrache“ waren Bestseller.«

Der Vorleser:

»Andreas Fröhlich wurde 1965 geboren und hatte bereits mit sechs Jahren seinen ersten Hörspielauftritt. Seine wohl bekannteste Rolle ist die des Bob Andrews für die Hörspielserie »Die drei Fragezeichen«. Andreas Fröhlich lebt in Berlin und arbeitet als Schauspieler, Synchron- und Hörspielsprecher, Synchronregisseur sowie Dialogbuchautor.«

Querverweis:

Hier entlang zu meinen vorhergehenden Moers-Mythenmetz Rezensionshuldigungen:
1. ZAMONIEN-Roman: Die 13½ Leben des Käpt’n Blaubär Die 13½ Leben des Käpt’n Blaubär
2. ZAMONIEN-Roman: Ensel & Krete Ensel & Krete
3. ZAMONIEN-Roman: RUMO RUMO
7. ZAMONIEN-Roman: Prinzessin Insomnia und der alptraumfarbene Nachtmahr
Prinzessin Insomnia und der alptraumfarbene Nachtmahr
8. ZAMONIEN-Roman: Weihnachten auf der Lindwurmfeste
Weihnachten auf der Lindwurmfeste
9. ZAMONIEN-Roman: Der Bücherdrache Der Bücherdrache

Dunkelsprung

  • Vielleicht kein Märchen
  • von Leonie Swann
  • Hörbuch
  • vollständige Lesung
  • gelesen von Andrea Sawatzki
  • Der Hörverlag, 2014 www.hoerverlag.de
  • 1 mp3CD
  • in Pappklappschuber
  • Laufzeit ca. 11 Stunden, 26 Minuten
  • 9,99 € (D), 10,30 € (A), 14,50 sFr.
  • ISBN 978-3-8445-1732-3

Dunkelsprung 2 Hörbuch

DIE  MÖGLICHKEITEN  DES  UNMÖGLICHEN

Hörbuchrezension von Ulrike Sokul ©

Leonie Swanns schriftstellerische Spezialität ist es, sehr einfühlsam tierische Charaktere in menschliche Romanhandlungen einzufügen. Diesmal wirkt ein ganzer Flohzirkus mit sowie ein lebhaftes Panoptikum leibhaftiger Fabel- und Märchenmischwesen, mit unter-schiedlich ausgeformter Anpassungsfähigkeit an heutige Daseinsbedingungen.

Julius Birdwell betätigt sich schon seit seiner Kindheit als Flohdompteur. Er benutzt keine Tricks und keine Golddrähte zum Lenken, sondern kommuniziert auf tele-pathischem Wege mit seinen kleinen Artisten.

Julius entstammt einer Familie von Gaunern, und er kann Schlösser knacken und das von seinem Großvater überlieferte Prä-Einbruchsprotokoll („Observation, Dokumen- tation, Aktion“) befolgen, aber er hat nicht die Nervenstärke für eine kriminelle Karriere. Seine Angst bezieht sich nicht nur auf die verständliche Befürchtung  erwischt und bestraft zu werden, sondern auf eine tiefer liegende, irrationale Angst vor einer Bedrohung aus der Dunkelheit.

Seine Begeisterung für den Flohzirkus veranlaßte ihn dazu, statt einer Schlosserlehre eine Goldschmiedelehre zu absolvieren. Denn mit dieser feinen Schmiedekunst kann er passende Requisiten für seine Flohartisten und ihre Kunststücke anfertigen. Und mit seiner beiläufigen Spezialisierung auf Juwelenentfluchung hat er sich zudem einen einträglichen goldschmiederischen Geheimtip-Ruf erworben.

Julius schätzt Ordnung, Licht, Ruhe, Schönheit, grünen Tee und seine Flöhe. Die Flöhe tragen alle eigene Namen und werden von Julius sehr einfühlsam behandelt, was sie wiederum mit ganz besonders feinen artistischen Leistungen honorieren.

Von seiner Goldschmiedekunst kann Julius gut leben, doch leider lauern ihm immer wieder alte Gaunerkumpels seines verstorbenen Großvaters auf, die ihn zur Mitwirkung an ihrer „Arbeit“ überreden wollen. 

Nach einer solchen unerfreulichen Unterredung ist der furchtsame Julius so konfus und panisch, daß er beim Aufschließen seiner Wohnungstür seinen transportablen Floh- palast draußen stehen läßt. Der Nachtfrost bekommt den Flöhen gar nicht gut, und Julius stolpert nach diesem Mißgeschick gleich ins nächste Verhängnis und fällt von einer Brücke in die Themse.

Eine verführerische Nixe rettet ihn vor dem Ertrinken und nimmt ihm dafür das Ver-sprechen ab, ihre Schwester aus der Gefangenschaft eines geheimnisvollen alten Magiers zu befreien. Nun führt das Irrationale, eigentlich Unmögliche Regie in Julius‘ Leben, und das gefällt ihm zunächst gar nicht. Bei seinen widerwilligen, aber dennoch systematischen Recherchen findet er heraus, daß der Magier unter dem Namen Professor Isaac Fawkes außergewöhnliche Wunderkammervorstellungen anbietet, die man nur als geladener Gast besuchen kann.

Vor Fawkes Wohnungstür will Julius ordnungsgemäß das Prä-Einbruchprotokoll durch-führen, doch schon im Treppenhaus trifft er Elizabeth Thorn, die ihn eindringlich davor warnt, diese Tür zu öffnen.

Elizabeth ist sehr schön und sehr schnell, aber auch etwas unheimlich. Sie weiß viel über Isaac Fawkes und erklärt Julius, daß er diverse magische Wesen gefangen halte, sie ihm einst entkommen sei, und sie nun die Absicht habe, alle zu befreien. Nachdem Julius ihr gestanden hat, daß er eine Nixe befreien muß, faßt sie Vertrauen zu Julius und zeigt ihm ihre zuvor unter einer Wollmütze verborgenen gewundenen Hörner und reanimiert seine Flöhe.  

»Elizabeth marschierte in bester Fabelwesenfeldwebelmanier neben dem Sofa auf und ab. Sie hatte einen Kirschblütenzweig in der Hand und bewegte ihn beim Sprechen wie einen Dirigentenstab.« (Seite 219)

Nun sind sie schon zwei Verbündetet mit vierundreißig springlebendigen Flöhen, und es kommen weitere Mitstreiter hinzu. Da wäre noch Rose Dawn erwähnenswert, eine ältere Dame mit einer Schwanenfeder hinter dem Ohr und mit Zugang zu einem laby- rinthischen Wald, in dem sich ein Refugium für magische Wesen verbirgt. Außerdem schließt sich ihnen Frank Green an, ein messergewandter Privatdetektiv mit gespal- tener Persönlichkeit und dementsprechenden Konzentrationsstörungen, aber dafür mit einer sympathischen Aufgeschlossenheit für alles mögliche Unmögliche, wie beispiels–weise einen grünfelligen, gefräßigen Drachenschlüpfling, der sich ihm zutraulich anschließt.

Zwischen dem Jagen und Gejagdwerden bleibt tatsächlich noch Zeit für einige schöne Flohzirkusdarbietungen und sogar für heldenhaftes Flohverhalten im Kampf. Ermutigt von seinen Flöhen verliert auch Julius seine Angst und verwandelt sich im Verlauf der Geschichte ganz erstaunlich …

»Niemand ist einfach nur, was er ist, und niemand ist vollkommen das, was andere in ihm sehen. Wir sind alle etwas dazwischen.«  (Seite 71)

Die Autorin lädt den Leser bzw. Hörer in einen sehr atmosphärisch-geheimnisvollen Erzählraum ein, die stimmungssatten Szenerien wechseln zwischen Stadtkulisse, Wunderkammerspielen, Wildnisfluchten, Blätterflüstern und Blütenlächeln, Traum- phasen, köstlich selbstironischen Therapiesitzungen und durchaus charmanten Begegnungen. Der erzählerische Perspektivwechsel zwischen Menschen und Flöhen eröfftet eine interessante und erstaunlich reizvolle tierliche Wahrnehmungsebene.

Differenziert ausgearbeitete originelle Charaktere, abwechslungsreiche Szenenwechsel und Zeitsprünge, wortwitzig-schlagfertige düstere bis amüsante Dialoge und Betrach-tungen sowie unzählige phantasie- und humorvolle Einzelheiten verflechten sich zu einem komplexen, unterhaltsam-spannenden Textgewebe mit einer raffiniert durch- dachten dramaturgischen Choreografie und einer sehr großzügigen Portion Magie.

Die Vorleserin Andrea Sawatzki verschafft uns eine sehr angenehme Auditüre. Sie leseschauspielt virtuos alle Charaktere, Dialoge und Beschreibungen mit feinen Nuancen und unaufdringlicher Emotionalität.

Hier entlang zum Hörbuch und zur Hörprobe auf der Verlagswebseite:
https://www.penguin.de/Hoerbuch-MP3/Dunkelsprung/Leonie-Swann/der-Hoerverlag/e473508.rhd
Hier entlang zur Buchausgabe und Leseprobe auf der Verlagswebseite:
https://www.penguin.de/Taschenbuch/Dunkelsprung/Leonie-Swann/Goldmann/e502907.rhd
Hier entlang zu einem interessanten Interview mit der Autorin:
https://www.penguin.de/Leonie-Swann-im-Interview-zu-ihrem-neuen-Roman-Dunkelsprung/aid55131.rhd

Die Autorin:

»Leonie Swann wurde 1975 in der Nähe von München geboren. Sie studierte Philosophie, Psychologie und Englische Literaturwissenschaft in München und Berlin. Mit ihren ersten beiden Romanen »Glennkill« und »Garou« gelang ihr auf Anhieb ein sensationeller Erfolg: Beide Bücher standen monatelang ganz oben auf den Bestsellerlisten und wurden bisher in 25 Sprachen übersetzt. Leonie Swann lebt heute umzingelt von Efeu und Blauregen in England.«

Die Vorleserin:

»Die vielseitige Schauspielerin Andrea Sawatzki kam 1963 in Kochelsee/ Bayern zur Welt. Sie wurde in München an der Neuen Münchner Schauspielschule ausgebildet und hatte Engagements an verschiedenen Theatern, bevor sie in den 90er Jahren in TV- und Kino-produktionen mitspielte. In Mehrteilern und Serien, vorwiegend Krimis, ist sie seither auf dem Bildschirm präsent. 2002-2010 ermittelte sie als Charlotte Sänger für den „Tatort” in Frankfurt. Für den Tatort „Herzversagen” hat sie 2005 den Grimme-Preis erhalten. Seit ihrer erfolgreichen Lesung von Leonie Swanns Bestseller „Glennkill” gehört sie auch zu den beliebtesten Hörbuchsprecherinnen.«

Das Antiquariat der Träume

  • von Lars Simon
  • Roman
  • DTV Verlag, Mai 2020  www.dtv.de
  • gebunden
  • 320 Seiten
  • 12,00 € (D), 12,40 € (A)
  • ISBN 978-3-423-21931-0

LITERARISCHE  HALLUZINATIONEN

Buchbesprechung  von Ulrike Sokul ©

Im „Antiquariat der Träume“ geht es um wahre Liebe, unsterbliche Hoffnung und um die zeitlose Magie von Büchern und Geschichten sowie um die Einwirkungskraft von Büchern auf die Wahrnehmung und Gestaltung von Welt und Wirklichkeit.

Der Stockholmer Verleger Johan Andersson hat bei einem durch einen Orkan verursach-ten Schiffsunglück in der Ostsee die große Liebe seines Lebens verloren. Lina hatte Johan, der ein Liebhaber der Klassiker ist, kurz zuvor ein ganz besonderes Geschenk überreicht: eine handsignierte Erstausgabe der „Singoalla“ von 1864, die sie bei einem geheimnisvollen und schrulligen Antiquar erworben hatte. Dieser Roman von Viktor Rydberg ist ein berühmtes Werk der schwedischen Spätromantik. Kurz nach der Geschenkübergabe verlor Johan im panischen Durcheinander des leckgeschlagenen Schiffs Lina aus den Augen und das Buch aus der Hand.

Für Johan ist Linas Verlust Grund genug, in seinem Leben als Überlebender nun andere Schwerpunkte zu setzen. Er verkauft seine Anteile am Verlag, zieht sich aufs Land zurück und eröffnet im kleinen Örtchen Hedekas ein Antiquariat mit angeschlossenem Literaturcafé.

Er freundet sich mit dem örtlichen Pfarrer an, und Agnes, die früh verwitwete Schwester des Pfarrers, backt für Johans Café köstliche Kuchen und Torten mit wechselnden litera-rischen Motti, und sie hilft auch beim Bedienen aus. Eine gewisse freundschaftliche Ver-trautheit und Zuverlässigkeit bieten diese zwischenmenschlichen Kontakte; dennoch pocht die schmerzliche Leerstelle in Johans Herzen auch vier Jahre nach dem Verlust Linas weiter.

Immer wieder hatte Johan versucht, Angehörige von Lina zu finden, aber sie scheint nicht nur ertrunken zu sein, sondern auch nirgendwo hingehört zu haben. Seine Nach-forschungen zu Linas Identität führen jedoch zu keinem Ergebnis. So rätselt er weiterhin herum, hadert mit dem Schicksal und kann seine Sehnsucht nicht loslassen.

Trost und auch Inspiration bieten indes die Gespräche, die er mit den Figuren aus seinen Lieblingsbüchern führt. Diese Figuren erscheinen ihm leibhaftig, und sie stehen Johan – stets gemäß ihrem fiktiven Charakter – mit klugem Rat und anteilnehmender Reflexion zur Seite. So spricht er ebenso mit William von Baskerville aus „Der Name der Rose“ wie mit Pippi Langstrumpf oder dem weißen Kaninchen aus „Alice im Wunderland“. Und auch Harry Haller aus „Der Steppenwolf“, Gregor Samsa, Doktor Dolittle und Sherlock Holmes sowie Cyrano de Bergerac erscheinen in passenden und gelegentlich auch unpassenden Situationen und geben ihren Betrachtungen des echten Lebens und Einschätzungen zu Problemlösungen lebhaften Ausdruck.

Manchmal, wenn zufällige Ohrenzeugen Johan bei seinen „Selbstgesprächen“ mit in deren Augen unsichtbaren Dialogpartnern ertappen, gerät Johan in den Verdacht geistiger Verwirrung. Doch Johan genießt diese buchstäblichen Literaturgespräche und empfindet sie als Bereicherung. Den von seinen Freunden gelegentlich angeratenen professionellen psychologischen Beistand lehnt er ab. 

Eines Tages trifft Johan beim Einkaufsbummel für sein Antiquariat auf einen alten Antiquar, der ihn in ein interessantes Gespräch verwickelt und der ihm erklärt, daß er wichtige Bücher nur an jene Menschen verkaufe, die sie auch verdienten. Schließlich verkauft er Johan ein verpacktes Buch, das seiner Ansicht nach zu ihm gehöre – allerdings unter der Bedingung, daß auch Johan dieses Buch innerhalb einer bestimmt- en Frist weiterverkaufen solle – ebenfalls ausdrücklich nur an eine Person, bei der dieses Buch in den richtigen Händen sei.

Fasziniert und verwundert läßt sich Johan auf diesen eigenwilligen Handel ein, und als er zu Hause das Buch auspackt, ist es exakt die Ausgabe der „Singoalla“, die er einst von Lina bekommen hatte …

Wie sich nun daraus ein klassisches Happy-End entwickelt, werde ich hier selbstver- ständlich nicht verraten. Die lange offen bleibende Frage nach Linas Verbleib und Herkunft ist spannend, zumal man nicht umhinkommt, diverse eigene Vermutungen zu ihrer realen oder vielleicht doch fiktiven Existenz anzustellen.

Der größte Reiz dieses Romans geht jedoch nicht so sehr von der Liebes- geschichte, sondern viel mehr von den Gesprächen zwischen Johan und seinen literarischen Lieblingsfiguren aus. Es ist sehr amüsant, wie diese jeweils im Habitus und in der sprachlichen Tonlage ihres fiktiven Charakters in Johans Leben treten und ihn beraten, mit ihm philosophieren und ihn auch ein wenig in die richtige Richtung lenken, ohne ihm dabei das eigene Denken, Erkennen, Suchen und Finden abzunehmen. 

 

»Alte Bücher sind die Essenz des Lebens, der Quell aller Freude und manchmal sogar der Ursprung revolutionärer Strömungen. Sie konservieren Gedanken und Emotionen, und setzt man sie in Bezug zur Zeit ihrer Entstehung und hat den Mut, sich darauf einzu- lassen, so wird man genau das bei sich selbst erleben, was derjenige beabsichtigte, der das Werk einst verfasst hat,  ganz gleich wie viele Jahre später man es zur Hand nimmt. Eine gute Geschichte, eine brillante Idee und ein tiefempfundenes Gefühl haben immer-währende Gültigkeit, sie verlieren nichts, sie sind wie exquisiter Wein und werden mit der Zeit immer reifer und wertvoller, allerdings – und das ist der Unter- schied zu gutem Wein – erst sobald man sie genossen hat. Sie reifen im Herzen und nicht in Fass und Weinkeller, wenn Sie verstehen.«  (Seite 239/240)

Hier entlang zum Buch und zur LESEPROBE auf der Verlagswebseite:
https://www.dtv.de/buch/lars-simon-das-antiquariat-der-traeume-21931/

Der Autor:

»Lars Simon, Jahrgang 1968, hat nach seinem Studium lange Jahre in der IT-Branche gearbeitet, bevor er mit seiner Familie nach Schweden zog, wo er als Handwerker tätig war. Heute lebt und schreibt der gebürtige Hesse wieder in der Nähe von Frankfurt am Main. Bisher sind von ihm bei dtv eine dreibändige Comedy-Reihe, das Weihnachtsbuch ›Gustafssons Jul‹ sowie die Urban-Fantasy-Reihe um Zauberlehrling Lennart Malmkvist und seinen sprechenden Mops Bölthorn erschienen. Lars Simon ist ein Pseudonym.«

Querverweis:

Hier entlang zu Lars Simons zauberlehrlingsmagischer Trilogie über Lennart Malmkvist, seinen geerbten Zauberzubehörladen und seinen sprechenden Mops.

Band 1: Lennart Malmkvist und der ziemlich seltsame Mops des Buri Bolmen
https://leselebenszeichen.wordpress.com/2017/05/31/lennart-malmkvist-und-der-ziemlich-seltsame-mops-des-buri-bolmen/
Band 2: Lennart Malmkvist und der ganz und gar wunderliche Gast aus Trindemossen
https://leselebenszeichen.wordpress.com/2017/11/28/lennart-malmkvist-und-der-ganz-und-gar-wunderliche-gast-aus-trindemossen/
Band 3: Lennart Malmkvist und der überraschend perfide Plan des Olav Tryggvason

Lennart Malmkvist und der überraschend perfide Plan des Olav Tryggvason

 

Leselebenszeichen-Datenschutzerklärung: https://leselebenszeichen.wordpress.com/datenschutzerklaerung/

Die Glocke von Whitechapel

  • Band 7 der übersinnlichen Peter-Grant-Reihe
  • von Ben Aaronovitch
  • Originaltitel: »Lies Sleeping«
  • Übersetzung ins Deutsche von Christine Blum
  • DTV Verlag Mai 2019  www.dtv.de
  • Taschenbuch
  • 416 Seiten
  • 10,95 € (D), 11,30 € (A)
  • ISBN 978-3-423-21766-8

DAS  GEWISSE  MAGISCHE  ETWAS  NR. 7

Buchbesprechung von Ulrike Sokul ©

Die Erweiterung der alltäglichen Wirklichkeit um eine magische Dimension macht den faszinierenden Reiz dieser phantasievollen Krimi-Serie aus. So wie hier die menschlichen Ermittler der Spezialabteilung der Metropolitan Police von London über magische Fähig-keiten und zauberhafte Kompetenzen verfügen, so tragen die vielfältigen magischen Charaktere durchaus menschliche Züge nebst entsprechend mehr oder weniger liebens-werten Schwächen, und das wiederum läßt die magischen Wesen trotz ihrer übersinn-lichen Überlegenheit fast normal erscheinen.

Für diejenigen, die hier zum ersten Male von Police Constable Peter Grant lesen, erlaube ich mir einen freundlichen Hinweis auf meine ausführliche Besprechung des ersten Bandes: https://leselebenszeichen.wordpress.com/2013/08/14/die-flusse-von-london/

Im siebten Band hat Peter Grants Karriere bei der Metropolitan Police von London Fort-schritte gemacht; er ist nun staatlich geprüfter Police Detective. Die geheime Sonderab-teilung, für die er dank seiner natürlichen magischen Begabung arbeitet, wird inzwischen auch vom „normalen“ Polizeibetrieb mit Respekt betrachtet, zumal sich die realen Gefahren magieverdächtiger Kriminalfälle nicht mehr ignorieren lassen.

Peter Grants unmittelbarer Vorgesetzter und Meister ist der elegante Detective Chief Inspector Thomas Nightingale, der Peter und einige weitere Magiebegabte in prak- tischer und theoretischer Magie und magischer Kampfkunst sowie übersinnlicher Wahrnehmung ausbildet.

Neben dem ernsthaften Studium der Magie und alter Sprachen gehören lebhafte Kon- takte zu allerlei magischen und halbmagischen Wesen, der sogenannten Demimonde, sowie zu diversen Naturgöttern und -Göttinnen zum Alltag von Peter Grant und Thomas Nightingale.

Peter ist mit einer sehr attraktiven Flußgöttin, Beverly Brook, liiert, die ihrerseits die jüngere Schwester der Flußgöttin Lady Tyburn ist, die wiederum Peter einst im dritten Band (»Ein Wispern unter Baker Street«) das Leben gerettet hat. Diese unsterblichen Fluß- göttinnen haben ganz und gar menschliche und sehr attraktive Gestalt, aber durchaus elementare magische Fähigkeiten, die man keinesfalls unterschätzen sollte. Und wenn sie einem das Leben gerettet haben, schuldet man ihnen einen Gefallen als Ausgleich.

Erzfeind ist seit dem ersten Band der sogenannte „Gesichtslose“, ein ethisch fragwürdi-ger Magier, der – beiläufig – im vierten Band (»Der Böse Ort«) die einstige Kollegin Peters, Lesley May, auf seine Seite der Macht gezogen hat – ein Verrat und Verlust, der Peter schwer getroffen hat.

Im vorhergehenden sechsten Band („Der Galgen von Tyborn“) konnten die Identität und die üppigen finanzmächtigen Verstrickungen des „Gesichtslosen“ aufgedeckt werden. Leider konnten der „Gesichtlose“ Martin Chorley und seine Komplizin Lesley May der Polizei jedoch entkommen. Immerhin sind nun wenigstens einige Verbündete Martin Chorleys bekannt, und diese werden nun ebenso akribisch wie diskret beobachtet.

Die einvernehmliche Einschätzung, daß Martin Chorley seine unerfreulichen Macht- pläne weiterhin verfolgt, findet im Zusammenhang mit einem magisch-ferngesteuerten Mord und dem gehäuften Diebstahl archäologischer Fundstücke (Ziegel von ehemaligen römischen Kultstätten, die sich auf Londoner Stadtgebiet befanden) Bestätigung.

Die Spuren führen zu einer Glockengießerei, der vom Mordopfer eine Spezialanfertigung in Auftrag gegeben wurde. Bei der Untersuchung erkennt Peter Grant, daß diese Glocke eindeutig „Vestigia“ ausstrahlt. Magische Handlungen und magische Wesen hinterlassen nämlich sogenannte „Vestigia“, magische Spuren, die sich in Materialien, Gegenständen und Gebäuden speichern und von zauberkundig Eingeweihten abgelesen bzw. abgespürt werden können.

Will Martin Chorley etwa ein neues Zeitalter einläuten? Und welche weiteren Machtzu-taten muß er sich dafür beschaffen? Dies herauszufinden und zu verhindern erweist sich als komplex und schwierig. Die magischen Hintergrundrecherchen erfordern die nicht ganz ungefährliche, aber lohnende Kontaktaufnahme mit einigen magischen Wesen, die sich – mehr oder weniger kapriziös – kooperativ verhalten und Peter anschauliche Einblicke in die Stadtgeschichte Londons gewähren.

Singende Schwerter, eine malerisch-musische Fae namens Fingerhut, sprechende Füchse, blutige, rituelle Opferungen, eine Dose Vampirkonfekt und alte Bekannte, wie Mr. Punch, der mörderische Geist des Aufruhrs und der Rebellion, und eine widersprüch- lich taktierende Lesley May sowie eine rätselhafte Prophezeiung machen ihre Aufwartung und halten Peter Grant und seine Kollegen auf Trab.

Vor der vom Autor stets lakonisch, sozioarchitektonisch illustrierten Stadtkulisse Londons erlesen wir rasante Verfolgungsjagden mit dramatischen zauberkampfkünst- lichen Duellen, bei denen sich zeigt, daß Peter in angewandter Magie deutliche Fort- schritte gemacht hat, auch wenn im Vergleich zu Thomas Nightingales langlebiger Zauberbeherrschung immer noch Luft nach oben ist.

„Die Glocke von Whitechapel“ bietet reichlich mitreißende Dramaturgie, lebhafte, kontrastierende Charaktere, phantasievoll-raffinierte Details, amüsante Dialoge, einige köstliche Prisen Genreselbstironie und außergewöhnliches Londoner Lokalkolorit.

Ben Aaronovitch serviert mit dem siebten Peter-Grant-Band eine spannende, quecksilbrige, magische Mischung, in der sich Überraschungs-, Gänsehaut- und Schmunzeleffekte schwungvoll und unterhaltsam abwechseln.

Hier entlang zum Buch und zur LESEPROBE auf der Verlagswebseite:
https://www.dtv.de/buch/ben-aaronovitch-die-glocke-von-whitechapel-21766/

Hier entlang zur interessanten und informativen DTV-Webseite zur Peter-Grant-Serie:
https://www.dtv.de/special-ben-aaronovitch-urban-fantasy/startseite/c-184

Der Autor:

»Ben Aaronovitch wuchs in einer politisch engagierten, diskussionsfreudigen Familie in Nordlondon auf. Er hat Drehbücher für viele TV-Serien, darunter „Doctor Who“, ge- schrieben und als Buchhändler gearbeitet. Seine Urban-Fantasy-Serie um Peter Grant ist nicht nur in Großbritannien, sondern auch in Deutschland sensationell erfolgreich und führt regelmäßig die Bestsellerlisten an. Inzwischen widmet sich Ben Aaronovitch ganz dem Schreiben, zur Freude seiner zahlreichen Fans. Er lebt nach wie vor in London.«

Hier entlang zu den Vorgängerbänden:

Band 1: DIE FLÜSSE VON LONDON Die Flüsse von London
Band 2: SCHWARZER MOND ÜBER SOHO Schwarzer Mond über Soho
Band 3: EIN WISPERN UNTER BAKER STREET Ein Wispern unter Baker Street
Band 4: DER BÖSE ORT Der böse Ort
Band 5: FINGERHUT-SOMMER Fingerhut-Sommer
Band 6: DER GALGEN VON TYBORN Der Galgen von Tyburn
Band 8: EIN WEISSER SCHWAN IN TABERNACLE STREET Ein weißer Schwan in Tabernacle Street
Band 9: DIE SILBERKAMMER IN DER CHANCERY LANE Die Silberkammer in der Chancery Lane

Hier entlang zu einer kurzen Peter-Grant-Geschichte, etwas außerhalb der Reihe:
GEISTER AUF DER METROPOLITAN LINE/Eine Peter-Grant-Story
Geister auf der Metropolitan Line
Hier entlang zu Ben Aaronovitchs Schreibausflug in deutsche Gefilde:
DER OKTOBERMANN/Eine Tobi-Winter-Story Der Oktobermann
Hier entlang zu einer Peter-Grant-Kurzgeschichten-Sammlung: 
DER GEIST IN DER BRITISH LIBRARY UND ANDERE GESCHICHTEN AUS DEM FOLLY 
Der Geist in der British Library
Hier entlang zu einer Abzweigungsgeschichte mit Peter Grants magisch hochbegabter Cousine Abigail und vielen sprechenden Füchsen:
DIE FÜCHSE VON HAMPSTEAD HEATH/Eine Abigail-Kamara-Story
Die Füchse von Hampstead Heath

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Der Bücherdrache

  • von Walter Moers
  • Ein Roman aus Zamonien von
  • Hildegunst von Mythenmetz
  • Aus dem Zamonischen übertragen
  • und illustriert von Walter Moers
  • PENGUIN Verlag März 2019 www.penguin-verlag.de
  • gebunden mit Schutzumschlag
  • Format: 17 x 24 cm
  • 192 Seiten
  • mit LESEBÄNDCHEN
  • ISBN 978-3-328-600064-0
  • 20,00 € (D), 20,60 (A), 28,90 sFr.

VON BUCHLINGEN, ORMLINGEN UND DRACHEN

Buchbesprechung von Ulrike Sokul ©

Um auch den noch nicht mit der faszinierenden Welt Zamoniens vertrauten Lesern das Verständnis dieser Buchbesprechung zu erleichtern, erkläre ich zunächst einige zamo-nische Spezialitäten.

Zamonien zeichnet sich durch vielschichtig-abwechslungsreiche ober- und unterirdische Lebenswelten und noch vielfältigere botanische, zoologische und märchenhafte Daseinsformen aus. Einige dieser Daseinsformen sind der Literatur in besonderer Weise zugeneigt, und zwar die Lindwürmer, zu denen Hildegunst von Mythenmetz gehört, und die Buchlinge, die in den Katakomben von Buchhaim leben.

Hildegunst stammt von der Lindwurmfeste und lernt bei einem Besuch der Katakomben unter der Stadt Buchhaim unfreiwillig einen Teil der zamonischen Untenwelt kennen – dies wird im vierten Zamonien-Roman „Die Stadt der träumenden Bücher“ ausführlich ausgemalt.

Die Buchlinge sind kleine, kluge, kultivierte und friedliebende Zyklopen, die in einem gut verborgenen Teil der Katakomben von Buchhaim, in der Ledernen Grotte, zu Hause sind. Sie leben buchstäblich vom Lesen und brauchen ansonsten nur noch Wasser, sauerstoff-arme Luft und Kerzenlicht. Jeder Buchling sucht sich einen lebenden oder toten Schrift-steller aus, lernt dessen Werke auswendig und nimmt unwillkürlich auch ein wenig die Charakterzüge des von ihm verinnerlichten Schriftstellers an.

Als Hildegunst von Mythenmetz einst in den Katakomben unterwegs war, fand er bei den freundlichen Buchlingen Zuflucht und Gastfreundschaft. Eines Tages präsentierten sie ihm einen kleinen Nachwuchsbuchling, der gerne Hildegunstens Werke auswendig lernen wollte – ein Angebot, das Hildegunst zutiefst anrührte, zumal er zu diesem Zeit- punkt noch garkein Buch geschrieben hatte, aber die Buchlinge waren damals schon von seinem Schreibtalent überzeugt.

„Der Bücherdrache“ handelt nun von einem Abenteuer, welches dem Buchling, Hilde- gunst Zwei, in seiner Jugend widerfahren ist. In der Buchlingsschule wurde Hildegunst Zwei während der Katakombenmythologiestunde über die Legende von Nathaviel, dem Bücherdrachen, unterrichtet. Nathaviel, der in anagrammischer Variation auch Eliva- than, Thanaviel, Levanthia oder Ilathevan genannt wird, solle seit Jahrhunderten im Ormsumpf hausen.

Im Ormsumpf sind durch den Untenweltfluß Magmoss unzählige alte, wertvolle Bücher gestrandet bzw. versumpft. Der riesige Drache, der einst auf der Flucht vor drachen-jagenden Rittern Schutz im Ormsumpf gefunden hatte, legte sich zum Schlafen also unvermeidlich auf einen Untergrund aus Büchern, und diese blieben nach und nach in seiner Schuppenhaut hängen und wuchsen dort fest.

Zunächst vergrößerte diese ganzkörperliche Bücherverschalung nur Umfang und Gewicht des Drachens, doch im Laufe der Jahre drangen die Sprache, das Wissen, der Geist und das Orm (das Orm ist ein zamonischer Fachbegriff für die substanzielle Inspirationsqualität eines literarischen Werkes) dieser Bücher in den Blutkreislauf des Drachen, und er konnte plötzlich denken und lesen.

Nathaviel verwandelte sich vom instinktgesteuerten Tier zu einem literarisch, philo-sophisch und wissenschaftlich hochgebildeten, polyglotten, weisen und gütigen Drachen, der keine sprechenden Lebewesen mehr fraß und auf jede Frage ein Antwort wußte. Zwar neigte er dazu, diese Fragen auf etwas kryptisch-orakelhafte Weise zu beantworten, doch dies mehrte nur seinen Ruhm bei den zahlreichen Ratsuchenden.

Der Lehrer weist seine Buchlingsschüler schließlich darauf hin, daß der Bücherdrache selbstverständlich nur eine Metapher für den Wunsch sei, alles Wissen ohne die Mühen des Lernens, wiederholten Übens, Memorierens und Schlußfolgerns zu erlangen. Als Hausaufgabe gibt er den Buchlingen gleichwohl auf, sich eine gute Frage für den Bücherdrachen auszudenken.

Hildegunst Zwei unterhält sich nach dem Unterricht mit einigen älteren Mitschülern, der sogenannten „Klassikerbande“, denn diese sechs Buchlinge tragen die Namen antiker Klassiker: Estrakos, Arkaneon, Eliastrotes, Eideprius, Steraphasion und Klosophes.

Beiläufig erwähnt Hildegunst Zwei, daß er eine gute Frage für den Bücherdrachen wisse. Estrakos hört sich aufmerksam diese Frage an und ist beeindruckt, und auch die anderen Klassiker bescheinigen Hildegunst Zwei eine erstaunliche Geistesreife. Deshalb weihen sie ihn in ihren Geheimbund der „Ormlinge“ ein und erzählen ihm, daß es den Bücherdrachen wirklich gebe und daß sie ihn selbst schon gesehen hätten.

Als Aufnahmeprüfung in den Bund der „Ormlinge“ soll Hildegunst Zwei den Bücherdra-chen im Ormsumpf aufsuchen, ihm seine Frage stellen und eines der ormgetränkten Schuppenbücher mitbringen. Sie geben ihm noch eine vage Wegbeschreibung mit, und dann überlassen sie den zukünftigen Ormling seinem Schicksal.

Als Leser merkt man selbstverständlich, daß die Klassiker den naiv-unerfahrenen Hildegunst Zwei veräppeln, aber jeder Buchling muß seine eigenen Erfahrungen machen – da können wir als Lesezeugen dem Jungbuchling nur die Daumen drücken.

Hildegunst Zwei macht sich tapfer auf den Weg in den Ormsumpf, und alleine dieses Bio-bibliotop mit seinem morastigen Boden, seinen seltsamen Gewächsen, seinen Bücher-blätterkompostschichten, gefräßigen Bücherwürmern und vielbeinigen größeren und kleineren Insekten und seinem die Weitsicht begrenzenden Bodennebel bietet mehr als genug Gefahren und Fallen für wenig wehrhafte Geschöpfe, wie Buchlinge es von ihrer schöngeistigen Wesensart her sind.

Nach einer stundenlangen mühsamen und zähflüssigen Wanderung, kurz bevor Hilde-gunst Zwei in Erwägung zieht, besser den Rückweg anzutreten, trifft er auf den Bücher-drachen Nathaviel. Dieser beginnt die launige Konversation mit dem unerwarteten Besucher zunächst einmal mit einem Diskurs zur Abstammung der Drachen von Vögeln.

Hildegunst empfindet angesichts des Bücherdrachens tatsächlich mehr Respekt als Angst, und das Gespräch zwischen Buchling und Drachen entwickelt sich recht ange- nehm. Der Bücherdrache ist wirklich enorm groß: Walter Moers verteilt die anschau- liche Illustration des langen Drachenleibes auf dreizehn Buchseiten hintereinander (Seite 93 – 106)!

Nathaviel erzählt Hildegunst Zwei bereitwillig seine Lebensgeschichte und reichert sie mit spannenden Details und amüsanten, persönlichen Drachenbefindlichkeiten an. Wir erfahren von der Verehrung und Verfolgung, die ihm wechselweise im Verlauf der zamonischen Historie widerfahren sind, sowie von den durchaus verständlichen Gründen für seine drastischen Selbstverteidigungsmaßnahmen gegen Bücherschuppen- räuber und seinem sich daran anschließenden Rückzug ins ungestörte – aber auch einsame – Reich der Legende.

Er beantwortet sehr weise und selbsterkenntnisfördernd die Frage des Buchlings, warum er selber kein Buch schreibe, und schwadroniert eloquent über die mühselige Arbeit, ängstliche Besorgnisse und inspirationsbedingte Schlafstörungen des Schrift- stellerdaseins im Vergleich zum unbeschwerten, freudig-gemütlichen Genuß des Lesers. Die Liebe des Bücherdrachens zur Sprache und zu kostbaren Wortschätzen ist dem Buchling (und der Rezensentin) höchst sympathisch und vertraut.

Doch nun weiß unser kleiner Buchling zuviel über die Stärken und Schwächen des Bücherdrachens, und Nathaviel kündigt an – nicht ohne ehrliches Bedauern –, Hildegunst Zwei leider töten zu müssen, denn er könne nicht riskieren, wieder von Scharen von Bücher- und Drachenjägern belästigt zu werden, wenn sich herumspräche, daß es den Ormdrachen wirklich gäbe.

Eine kurze Gnadenfrist bleibt Hildegunst Zwei, weil der Bücherdrache zunächst dringend ein Nickerchen machen muß. Damit der Buchling nicht fliehen kann, sperrt der Drache ihn einfach in seinem großen Maul ein. Er legt den Kopf auf den Boden, damit Hildegunst Zwei nicht in den Drachenmagen herabrutscht, und zieht die Lefzen hoch, damit der kleine Gefangene Luft bekommt.

Da sitzt also Hildegunst Zwei hinter einem Zahngitter, während der Drache seelenruhig und selbstgewiß seinem Drachenschlaf frönt. Indes, Rettung naht, denn die Klassiker-bande hat sich nach dem Verschwinden von Hildegunst Zwei fürsorglich und mit Gewissensbissen auf die Suche nach ihrem Klassenkameraden gemacht.

Wie und ob und mit welchen Folgen es den kleinen Helden gelingt, dem Bücherdrachen und dem Ormsumpf zu entkommen, werde ich jedoch nicht verraten …

Hildegunst von Mythenmetz beschert uns mit „Der Bücherdrache“ einen sprachverlieb- ten, spannenden, phantasievollen, geistreich-unterhaltsamen Roman, mit sehr leben- digen Charakteren, wohldurchkomponierter Handlungsdramaturgie und meisterhafter Dialogroutine. Schelmische literarische Anspielungen und selbstreferenzielle Zitate aus vorhergehenden Zamonienromanen zeigen Hildegunst von Mythenmetz ganz auf der Höhe seines ebenso ruhmreichen wie einfallsreichen und bücherliebhaberischen Könnens.

Dank Maestro Moers‘/Mythemetz‘ Doppelbegabung als Schriftsteller und Zeichner ist dieses Buch mit vielen filigranen, detailreichen Schwarz-weiß-Zeichnungen geschmückt. Jeder Kapitelanfang wird von einer feinen Initiale eingeleitet und mit einer Vignette abgeschlossen. Die Vorsatzblätter wimmeln vor vielgemusterten Bücherschuppen, daß dem Betrachter die Augen flimmern, und die ersten zehn Seiten des Romans sind als Graphik-Novelle gestaltet, sozusagen als Geschichte in der Geschichte, die nur ein Traum in einem Traum oder ein Buch in einem Buch ist …

Köstlich sind auch wieder die von Moers formulierten Anagramme berühmter Schrift-steller. Während sich die Mitglieder der Klassikerbande leicht entschlüsseln lassen: Estrakos ist Sokrates, Arkaneon ist Anakreon, Eliastrotes ist Aristoteles, Eideprius ist Euripides, Steraphasion ist Aristophanes und Klosophes ist Sophokles, verlangt die Buchstabenrekombinatorik angesichts einiger anderer erwähnter Schriftsteller etwas mehr Tüftelei. Oder wissen Sie auf Anhieb, wer sich hinter „Dölerich Hirnfiedler“, Ojann Golgo van Fontheweg“ und „Perla La Gadeon“ verbirgt ???

ACHTUNG!!! Jetzt gibt es hier ein GEWINNSPIEL:

Also, welche berühmten Schriftsteller verbergen sich hinter „Dölerich Hirnfiedler“, „Ojann Golgo van Fontheweg“ und „Perla La Gadeon“ ??? Wer diese drei Anagramme oder wenigstens eines davon löst, kann seine Gripsfindigkeit gerne in der Kommentarsektion kundtun und dabei sogar etwas gewinnen. Leider kann ich keine Bücherdrachenschuppen zur Belohnung verteilen, aber der PENGUIN Verlag war so großzügig, mir ein Verlosungsexemplar des „Bücherdrachens“ sowie drei Buchlings-Broschen zur Verfügung zu stellen. Wem es also gelingt, alle drei Anagramme zu lösen, der bekommt den Roman, und wer nur eine Anagrammlösung schafft, bekommt als Trostpreis eine Buchlings-Brosche. Bei mehreren richtigen Antworten, werde ich unter ormonös-notarieller Aufsicht, die Gewinner auslosen.

Ich werde die korrekte Lösung 48 Stunden nach der Publizierung meiner Rezension bekannt geben.

Nun ist es soweit und die richtige Lösung lautet:

  • Dölerich Hirnfiedler ist Friedrich Hölderlin
  • Ojann Golgo van Fontheweg ist Johann Wolfgang von Goethe
  • Perla La Gadeon ist Edgar Allen Poe

Die glückliche Gewinnerin wurde durch unbestechliches Auslosen ermittelt, und ich werde sie auf dem Kommentarwege benachrichtigen.

»Eine gute Frage erkennt man daran, dass sie das Rätsel erkannt hat, welches einer befriedigenden Erklärung bedarf.« (Seite 27)

Möge das Orm mit Ihnen sein!

 

Hier entlang zum Buch und zum Buchtrailer auf der Verlagswebseite:
https://www.randomhouse.de/Buch/Der-Buecherdrache/Walter-Moers/Penguin/e541770.rhd

 

„Der Bücherdrache“ empfiehlt sich auch vorzüglich als Auditüre! Der Sprecher Andreas Fröhlich erweist sich auch im Ormsumpf als virtuoser Interpret von Hildegunst von Mythenmetz und verstimmlicht den kleinen Buchling Hildegunst Zwei, die Mitglieder der Klassikerbande und den belesenen und kommunikativen Bücherdrachen mit ebenso viel spielerischem Tiefsinn wie mit einfühlsamen und feinsinnig-schelmischen Klangnuancen einschließlich ausgesprochen überzeugender drachenspezifischer Atemakustik.

Der Bücherdrache
von Walter Moers
Gelesen von Andras Fröhlich
Produktion: Der Hörverlag März 2019 http://www.hoerverlag.de
Vollständige Lesung
Laufzeit: 4 Stunden, 25 Min.
4 CDs im Pappklappschachtel
ISBN 987-3-8445-3323-1
20,00 € (D), 20,60 € (A), 28,90 sFr.

Hier entlang zum Hörbuch und zur HÖRPROBE auf der Verlagswebseite:
https://www.randomhouse.de/Hoerbuch/Der-Buecherdrache/Walter-Moers/der-Hoerverlag/e553301.rhd

 

Hier entlang zur Zamonien-Webseite: http://www.zamonien.de/

 

Der Autor:

»Der Lindwurm Hildegunst von Mythenmetz ist der bedeutendste Großschriftsteller Zamoniens. Berühmt wurde er durch seine 25-bändige Autobiographie «Reiseerinnerungen eines sentimentalen Dinosauriers», ein literarischer Bericht über seine Abenteuer in ganz Zamonien und vor allem in der Bücherstadt Buchhaim.
Sein Schöpfer Walter Moers hat sich mit seinen phantastischen Romanen weit über die Grenzen des deutschen Sprachraums hinaus in die Herzen der Leser und Kritiker geschrieben. Alle seine Romane wie «Die 13 ½ Leben des Käpt’n Blaubär», «Die Stadt der Träumenden Bücher», «Der Schrecksenmeister» und zuletzt «Prinzessin Insomnia und der alptraumfarbene Nachtmahr» sowie «Weihnachten auf der Lindwurmfeste» waren Bestseller.«

 

Der Vorleser:

»Andreas Fröhlich wurde 1965 geboren und hatte bereits mit sechs Jahren seinen ersten Hörspielauftritt. Seine wohl bekannteste Rolle ist die des Bob Andrews für die Hörspiel-serie „Die drei Fragezeichen“. Andreas Fröhlich lebt in Berlin und arbeitet als Schau-spieler, Synchron- und Hörspielsprecher, Synchronregisseur sowie Dialogbuchautor.«

 

Querverweis:

Hier entlang zu meinen vorhergehenden Moers-Mythenmetz Rezensionshuldigungen:

Zum ersten Zamonien-Roman: Die 13½ Leben des Käpt’n Blaubär
https://leselebenszeichen.wordpress.com/2013/12/25/die-13½-leben-des-kaptn-blaubar/
zum zweiten: Ensel & Krete
https://leselebenszeichen.wordpress.com/2014/02/05/ensel-und-krete/
zum dritten: RUMO
https://leselebenszeichen.wordpress.com/2014/05/28/rumo/
sowie zum siebten Streich: Prinzessin Insomnia und der alptraumfarbene Nachtmahr
https://leselebenszeichen.wordpress.com/2017/11/01/prinzessin-insomnia-der-alptraumfarbene-nachtmahr/
zum achten Lesehäppchen: Weihnachten auf der Lindwurmfeste

Weihnachten auf der Lindwurmfeste

 

Leselebenszeichen-Datenschutzerklärung: https://leselebenszeichen.wordpress.com/datenschutzerklaerung/

Weihnachten auf der Lindwurmfeste

  • oder
  • Warum ich Hamoulimepp hasse
  • von Hildegunst von Mythenmetz
  • Aus dem Zamonischen übertragen von Walter Moers
  • Illustriert von Walter Moers und Lydia Rode
  • PENGUIN Verlag  November 2018  www.penguin-verlag.de
  • gebunden mit Schutzumschlag
  • 112 Seiten
  • Format: 17 x 24 cm
  • durchgehend vierfarbig illustriert
  • LESEBÄNDCHEN
  • 15,00 € (D), 15,50 € (A), 21,90 sFr.
  • ISBN 978-3-328-60071-8

M Y T H E N M E T Z S C H E S   I N T E R M E Z Z O

Buchbesprechung von Ulrike Sokul ©

Da ich nicht voraussetzen darf, daß alle meine geneigten Leserinnen und Leser lese-lückenlos in Walter Moers‘ Zamonien-Welt zu Hause sind, möchte ich gerne einige auf-klärende Informationen vorausschicken, die das Verständnis des hier besprochenen Werkes erleichtern mögen.

Der fiktive Kontinent Zamonien zeichnet sich durch seine faszinierende, märchenhafte und phantasievolle Daseinsformenvielfalt aus. Zu einer dieser Daseinsformen gehören die Lindwürmer, die auf der Lindwurmfeste, einer kegelförmigen Felsformation im Westen Zamoniens, zu Hause sind. Die Lindwürmer sind aufrechtgehende, zweibeinige, intelligente Echsen, die von den Dinosauriern abstammen und in Zamonien ein sehr zivilisiertes und kultiviertes Leben führen. Sie haben eine Lebenserwartung von 1000 Jahren sowie eine starke Neigung zu Literatur und Schriftstellerei. Deshalb bekommt jedes Kind einen Dichtpaten zur Seite, der über literarische Bildung, poetische Inspirationstalente und anfängliche Schreibversuche der kleinen Lindwürmchen wacht.

Hildegunst von Mythenmetz ist der wohl berühmteste und literarisch produktivste Lindwurm der Lindwurmfeste; sein Dichtpate war Danzelot von Silbendrechsler, der Hildegunst von seinem Sterbebett aus gewissermaßen testamentarisch in sein erstes großes Abenteuer schickt, welchselbiges man in seinem Roman „Die Stadt der träumenden Bücher“ nacherlesen kann.

Die Artenvielfalt Zamoniens führt zu einer Vielzahl von speziesspezifischen Feier- und Festtagen. So feiern die Holzgnome das Borkenfest, die Gurkenzwerge das Essigfest, die Nebelheimer den Trompaunenvollmond, die Venedigermännlein eine Mandolinen- woche, die Buchlinge ihr Silvester-Ormen … – und die Lindwürmer feiern alle Jahre wieder Hamoulimepp.

Das vorliegende, für mythenmetzsche Verhältnisse kurze Buch, streng genommen ist es ein ausführlicher Brief an seinen Freund, den dreigehirnigen Eydeeten Hachmed Ben Kibitzer aus der Bücherstadt Buchhaim, ist Mythenmetz‘ Abrechnung mit dem zamonischen Fest Hamoulimepp. Dieses dreitägige Fest wird auschließlich von den Lindwürmern gefeiert und hat seltsame Ähnlichkeiten, aber auch Unähnlichkeiten mit unserem Weihnachtsfest.

Neben zahlreichen Belagerungen, die die Bewohner der Lindwurmfeste im Verlaufe ihrer Geschichte schon erleiden mußten, gibt es den alljährlichen, festlichen Ausnahmezustand „Hamoulimepp“. Mit diesem Fest sind einige Bräuche und Zeremonien verbunden, denen Mythenmetz ausdrücklich kritisch bis ablehnend gegenübersteht.

Es gibt eine das Fest legitimierende Legende mit mehr oder weniger glaubwürdigen Haupt- und Nebenfiguren, dazu Geschenkestreß und Dekozwang, umweltschädlichen Verpackungswahn, unglaubliche Materialverschwendung durch die bemalten Hamouli- meppbäume, welche in Ermangelung von Nadelbäumen aus tannbaumförmigen Felsen- spitzen der Lindwurmfestesubstanz bestehen, und eine musikalische Beschallrieselung, für die das Wort Musik eigentlich nicht erfunden worden ist.

Ja, auch die Lindwürmer lassen ihre Kinder anscheinend von einem mythischen Wesen beschenken, selbstverständlich nur, wenn die Kleinen das ganze Jahr über brav waren und immer auf ihren Dichtpaten gehört haben. Im unwahrscheinlichen Falle der Unfolg-samkeit drohen Schläge mit der Hamoulirute, die aus gebündelten Brenndisteln besteht – eine „pädagogische Einschüchterungsmethode“, die Mythenmetz nicht ganz zu Unrecht in Frage stellt.

Hinzu kommt, daß man den Lindwurm-Kindern erst den Glauben an märchenhafte Wesen wie den Hamouli, den Mepp und die Hamoulimeppwurmzwerge eintrichtert, nur um sie dann ab einem gewissen Alter aufklärerisch damit zu desillusionieren, daß es diese Figuren garnicht gibt. Dieser brutale Verlust der kindlichen Unschuld und des märchenhaften Vertrauens ist ein Trauma, das Hildegunst von Mythenmetz seinen Erziehungsberechtigten niemals verzeihen konnte.

Mythenmetz läßt kaum ein gutes Haar an den Hamoulimepp-Feierlichkeiten und zählt nur vier Aspekte auf, die ihm zusagen:

  1. Die Lindwurmfesteschneckengedichte: Dabei werden anläßlich des Festes die Gehäuse der Lindwurmfesteschnecken mit Gedichten beschrieben, die man dank der langsamen Bewegungsweise gemächlich mitlesen kann, wenn man einer solch poetisierten Schnecke über den Weg läuft. Außerdem stehen solcherart beschrif- tete Schnecken unter Artenschutz, was der Vermehrungsrate dieser zamonischen Delikatesse wohlbekommt.
  2. Der Bücher-Räumaus: Hier stellt jeder Bewohner der Lindwurmfeste seine aussortierten Bücher wettergeschützt vor die Türe, damit die Passanten sich nach Leselust und -Laune gänzlich unkommerziell davon bedienen dürfen.
  3. Das Festessen: Nun, das Essen ist auf der Lindwurmfeste schon sehr zamonisch-speziell, ich nenne hier nur stellvertretend die Trilobitensuppe; indes ist die Wirkung gemeinsamen, üppigen, mehrgängigen Schlemmens und die damit verbundene gemütliche, gedankenlähmende, bewegungsverlangsamende Trägheit ein universelles Phänomen, das keiner weiteren Erklärung bedarf.
  4. Das Feuerlose Feuerwerk: Dieses Spektakel erfreut einerseits durch seinen leisen, explosionsfreien Auftritt und anderseits mit seiner wunderbaren Farbenpracht. Es wird aus Lindwurmschuppenmehl hergestellt, welches aus den leuchtendsten Farbpigmenten besteht, die Sie und ich leider noch nie gesehen haben.

Einige Abschweifungen zu zamonischen Pflansekten, Edelsteinen, Rostigen Gnomen, Türen, Tellergerichten usw. werden an passenden Stellen sowohl im Fließtext unter- gebracht als auch im Anhang auf den sechzehn Taxonomischen Tafelns farbenfroh illustrativ dargestellt.

„Weihnachten auf der Lindwurmfeste“ ist ein vergnüglich-bissiger Lesehappen für zwischendurch, die Textmenge ist überschaubar und die graphische Gestaltung sehr attraktiv. Der Fließtext erscheint auf pergamentfarbenen Briefbögen, die kontrast- effektiv auf fast, aber nicht gänzlich schwarzem Seitenhintergrund aufliegen. Die großformatige, bordeauxrote Texttypographie mutet handschriftlich an, ist dabei jedoch erfreulich klar und lesefreundlich.

Die anhängenden Taxonomischen Tafeln sind kunterbunt illustriert und geben einen anschaulichen und amüsanten Einblick in die exotisch-skurrile, phantastische Gedanken- und Lebenswelt der zamonischen Lindwürmer.

Schutzumschlag und Einband üben mit ihrem feingerillten Papier einen haptischen Reiz aus, ein Lesebändchen rundet die sorgfältige Buchausstattung vorzüglich ab.

Das Buch enthält zudem eine achtseitige Leseprobe des für Frühjahr 2019 zu erwarten-den Romans „Der Bücherdrache“. Dies stimmt mich vorsichtig lesevorfreudig; vorsichtig deshalb, weil Moers alias Mythenmetz schon des öfteren die Geduld seiner Lesege- treuen mit verheißungsvollen Romanankündigungen auf eine harte und ausdauernde Warteprobe gestellt hat. Ich sage dazu nur (für die bezüglich der Buchling-Tradition Leseeingeweihten): „Möge er prangen!“

 

Hier entlang zur Buchausgabe und LESEPROBE auf der Verlagswebseite:
https://www.randomhouse.de/Buch/Weihnachten-auf-der-Lindwurmfeste/Walter-Moers/Penguin/e546137.rhd

 

Zum dazugehörigen Hörbuch:

Weihnachten auf der Lindwurmfeste
von Walter Moers
Hörbuch

ungekürzte Lesung von Andreas Fröhlich
erschienen im Hörverlag November 2018 www.hoerverlag.de
1 CD
Laufzeit: 1 Stunde und 8 Minuten
Pappklapphülle mit Begleitheft und 16 taxonomischen Tafeln
14,99 € (D), 16,90 € (A), 21,90 sFr.
ISBN 978-3-8445-3061-2

„Weihnachten auf der Lindwurmfeste“ kann ich auch zum Belauschen sehr empfehlen!
Andreas Fröhlich erweist sich auch bei dieser Brieflesung als virtuoser Interpret des dramaturgisch-eloquenten, köstlich-selbstherrlichen und phantasieempfindsamen Hildegunst von Mythenmetz. Subtil, sonor, nuancenreich, pointiert und schelmisch gibt er ihm lebhafte, akustische Gestalt.

Hier entlang zum Hörbuch und zur HÖRPROBE auf der Verlagswebseite:
https://www.randomhouse.de/Hoerbuch/Weihnachten-auf-der-Lindwurmfeste/Walter-Moers/der-Hoerverlag/e546249.rhd

 

Der Autor:

»Der Lindwurm Hildegunst von Mythenmetz ist der bedeutendste Großschriftsteller Zamoniens. Berühmt wurde er durch seine 25-bändige Autobiographie «Reiseerinnerungen eines sentimentalen Dinosauriers», ein literarischer Bericht über seine Abenteuer in ganz Zamonien und vor allem in der Bücherstadt Buchhaim.

Sein Schöpfer Walter Moers hat sich mit seinen phantastischen Romanen, weit über die Grenzen des deutschen Sprachraums hinaus, in die Herzen der Leser und Kritiker geschrieben. Alle seine Romane wie «Die 13 ½ Leben des Käpt’n Blaubär», »Ensel & Krete«, «Die Stadt der träumenden Bücher», «Der Schrecksenmeister» und zuletzt «Prinzessin Insomnia und der alptraumfarbene Nachtmahr» waren Bestseller.«

Die offizielle Zamonien-Website mit weiteren Infos www.zamonien.de

Die Mitillustratorin:

»Lydia Rode lebt, malt und zeichnet in Berlin. Ihre Aquarelle für „Prinzessin Insomnia & der alptraumfarbene Nachtmahr“ sind ihre ersten veröffentlichten Illustrationen.«

Der Vorleser:

»Andreas Fröhlich wurde 1965 geboren und hatte bereits mit sechs Jahren seinen ersten Hörspielauftritt. Seine wohl bekannteste Rolle ist die des Bob Andrews für die Hörspielserie „Die drei Fragezeichen“. Andreas Fröhlich lebt in Berlin und arbeitet als Schauspieler, Synchron- und Hörspielsprecher, Synchronregisseur sowie Dialogbuchautor.«

 

Hier entlang zu meinen Rezensionshuldigungen einiger Vorgängerwerke Walter Moers‘ alias Hildegunst von Mythenmetz:

Zum ersten Zamonien-Roman: Die 13½ Leben des Käpt’n Blaubär

https://leselebenszeichen.wordpress.com/2013/12/25/die-13½-leben-des-kaptn-blaubar/
zum zweiten: Ensel & Krete
https://leselebenszeichen.wordpress.com/2014/02/05/ensel-und-krete/
zum dritten: RUMO
https://leselebenszeichen.wordpress.com/2014/05/28/rumo/
sowie zum siebten Streich: Prinzessin Insomnia und der alptraumfarbene Nachtmahr

Prinzessin Insomnia & der alptraumfarbene Nachtmahr


und zum neunten Zamonien-Roman: Der Bücherdrache

Der Bücherdrache

 

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Prinzessin Insomnia & der alptraumfarbene Nachtmahr

  • Ein somnambules Märchen aus Zamonien
  • von Hildegunst von Mythenmetz
  • Aus dem Zamonischen übertragen von Walter Moers
  • und illustriert von Lydia Rode
  • Roman
  • Knaus Verlag August 2017        www.knaus-verlag.de
  • gebunden, mit Schutzumschlag
  • mit hellviolettem Kopfschnitt und LESEBÄNDCHEN
  • Format: 17,0 x 24,0 cm
  • 344 Seiten
  • 24,99 € (D), 25,70 € (A), 33,90 sFr.
  • ISBN 978-3-8135-0785-0

TRAUMWANDLERISCHE  TRAUMTRUNKENHEIT

Buchbesprechung  von Ulrike Sokul ©

 

 

»Wenn die Minuten durch die Jahre rufen
Erhebt sich der ewige Träumer
Über seine irdische Last
Und reist mitten hinein
Ins dunkle Herz der Nacht«

Anonym

 

„Prinzessin Insomnia & der alptraumfarbene Nachtmahr“ fabuliert eine kuriose Exkursion in eine schlaflose Nacht mit hellwachen Träumen – abenteuerlustig, humorvoll, spannend, phantasiegesättigt, gedankenbunt, wortverspielt und sprachverliebt und sogar ein bißchen romantisch und wehmütig.

Prinzessin Dylia, die unter chronischer, periodischer Schlaflosigkeit leidet, bezeichnet sich selbstironisch als Prinzessin Insomnia. Sie stellt sich tapfer ihrer Krankheit nebst deren unangenehmen Begleiterscheinungen und kultiviert eine ebenso selbstreflexive wie phantasievolle philosophische Perspektive. Langeweile ist ein Fremdwort für ihren regen Geist, sie ist empfindsam, kapriziös, neugierig, musikalisch, sprachbegabt, synästhetisch, tagträumerisch, wißbegierig, aber auch Weltmeisterin im Verdrängen unangenehmer Erfahrungen und Gedanken.

Ihre Strategien, sich von der Schlaflosigkeit abzulenken, sind höchst kreativ. So denkt sie sich beispielsweise neue Traumfarben von A bis Z aus,  sie nimmt ausgiebige Mondlichtbäder, die ihr Mondlichtekstasen bescheren, und sie entspannt sich durch ridikülisierendes Anagrammieren – so wird aus Blutdruck Drutbluck und aus Zuckerspiegel Spuckerziegel …

Jeden Morgen wählt Dylia aus dem Zamonischen Wörterbuch dreizehn neue Lieblings-wörter aus, die sogenannten Pfauenwörter, und sie macht es sich zur Aufgabe, diese schillernden Vokabeln im Verlaufe des Tages sinnvoll unterzubringen. Versuchen Sie einmal nach achtzehn schlaflosen Nächten Worte wie „Amygdala, Hoyotojokomeshi, Linguamundivagant, Mamihlapinatapaai, Niemalsweh, Quoggonophobie, Pisanzapra“ usw. sinnvoll in einen Tagesablauf zu integrieren – das schafft nur Prinzessin Dylia.

Eines Nachts wird ihre kreative Nichtschlafroutine durch einen überraschenden Besucher unterbrochen: Havarius Opal, ein versierter Nachtmahr, stellt sich unverblümt-selbstgefällig vor und erklärt ihr nonchalant, daß er gekommen sei, um sie in den Wahnsinn zu treiben.

Dylia vermutet zunächst einen Scherz des Hofnarren oder einen neuen Therapieversuch des Hofalchemisten, aber der kleinwüchsige Gnom mit der vielfarbig-changierenden Mosaikschuppenhaut ist echt und auch kein Traum, wie er ihr greifbar-handgreiflich versichert.

Gönnerhaft bietet er Prinzessin Dylia jedoch an, zuvor mit ihr eine Reise nach Amygdala, ins dunkle Herz der Nacht, zu unternehmen. Das ist eine Versuchung, der die entdecker-freudige Dylia nicht widerstehen kann, und so reisen die beiden nach Innen, in Dylias Gehirn.

Der Weg führt von der Großhirnrinde in der Höhe des Scheitellappens über den Cortex cerebri zum Thalamus, von dort geht es von der Stria terminalis über den Nucleus accumbens bis nach Amygdala. Das klingt jetzt etwas neurologisch, aber keine Angst, es wird wirklich abenteuerlustig, und diversen Ängsten werden wir auch unvermeidlich begegnen.

In den Gehirnwindungen wimmelt es von unglaublichen Lebens- und Gedankenformen: seifenblasenzarthäutige Geistgeister und Zwielichtzwerge, Ideenschmetterlinge, Zweifelspfützen, Gehirnschnecken, bürokratische Egozetten und systematische Thalamiten, Gedankenblitze, Gedankenfalten, Gedankenfäden, Gedankensplitter, Grillos, Ideennebel, rationale und irrationale Geome, Irrschatten und nicht zu vergessen die vielgestaltigen, verfressenen Zergesser und der Subconsciounelle Sumpf, in den abzustürzen weniger empfehlenswert ist.

Gedankenendlosschleifen und kognitive Teufelskreise sind noch das Harmloseste, was einem im eigenen Gehirn passieren kann – da ist beispielsweise der hypnotische Zwangsoptimismus viel bedrohlicher.

Auch den hirnjuristischen Verwaltungsapparat sollte man nicht unterschätzen. Havarius Opal und Prinzessin Dylia müssen einiges an amtsbürokratischer Willkür-Logik ertragen, als sie im Großraumbüro des Thalamus eine Durchreisegenehmigung zur Amygdala nebst Eigenrisikobescheinigung beantragen und von einer gnadenlos-sachlichen Egozette einer Befragung unterzogen werden. So etwas Nervenaufreibendes haben Sie noch nie zuvor erlesen …

Walter Moers beginnt dieses Märchen zunächst gemächlich mit der ausführlichen, detailreichen Ausmalung von Prinzessin Dylias Charakter und ihren Lebensumständen. Mit dem Erscheinen des täuschend-trügerischen, seltsam-sympathischen, launisch-unberechenbaren Nachtmahrs Havarius Opal bekommt Dylias beschauliches Leben aufregenden Gegenwind. Havarius Opal ist ein ambivalenter Mentor, ein unterhalt- samer Reisebegleiter, ein irritierend-irisierender Schelm und Meister traumhafter Täuschungsmanöver. Er funktioniert gewissermaßen „spiegelverkehrt und gegen den Uhrzeigersinn …“ (Seite 212)

Der Autor verbindet die neckische Beziehungsdynamik des ungleichen Paares, ihre gehirngeographischen Erkundungen und traumphilo- sophischen Diskussionen, die erlesenen Gedankenspiele und die phantasievollen Requisiten zu einer raffinierten epischen Dramaturgie, die uns ein traumsinniges Lesevergnügen bereitet.

Der ausgeprägte Sinn für geistreich-sprachspielerischen Humor, der alle Werke Walter Moers‘ aus- und kennzeichnet, kommt besonders in der Figur Prinzessin Dylias zu Wort. Diesmal wortschöpft Moers wahrlich aus dem vollen und erfindet solch köstliche Pfauenwörter, daß ich es kaum erwarten kann, wenigstens ein paar davon in den Duden einwandern zu sehen. Er ist einfach unübertrefflich „linguamundivagant“ …

Die zahlreichen Bilder, die den Text stimmungsvoll schmücken, stammen diesmal nicht vom Autor selbst, sondern von Lydia Rode. Ihre bunten Aquarellzeichnungen illustrieren das märchenhaft-neurologisch-zamonische Panoptikum ganz vortrefflich und bereichern die Geschichte um lebhaften Formenreichtum und feminine Farbenfreude.

In einer Nachbemerkung berichtet Walter Moers, wie Lydia Rode, die von der Krankheit Chronisches Fatiguesyndrom (CFS) betroffen ist, brieflich in Kontakt zu ihm aufnahm und ihn wissen ließ, wie sehr ihr seine Zamonienromane beim Ertragen ihrer Schlaf- losigkeitsphasen geholfen hätten. Aus der gemeinsamen Korrespondenz entstand die Idee zu einer zamonischen Erzählung, die Lydia Rode gerne illustrieren wollte. Dieser Inspirationskeim wuchs sich dann zu vorliegendem traumiversellen Roman aus.

Mit dem siebten Zamonien-Roman beschert uns Maestro Moers von Mythenmetz also nicht die Fortsetzung von „Das Labyrinth der Träumenden Bücher“, sondern ein originäres zamonisches Märchen: eine regenbogen- bunte Traumreise mit neuen eigenwilligen, unvergeßlichen Charakteren und mit einer Gebrauchsanweisung für Nachtmahre, die Sie sich nicht hätten träumen lassen.

Ich bin absolut begeistgeistert!

 

Hier entlang zum Buch und zur Leseprobe auf der Verlagswebseite:
https://www.randomhouse.de/Buch/Prinzessin-Insomnia-&-der-alptraumfarbene-Nachtmahr/Walter-Moers/Knaus/e529505.rhd

 

Der Autor:

»Walter Moers ist der Schöpfer vieler erfolgreicher Welten und Charaktere. Von ihm stammen unter anderem die Comicwelten um „Das kleine Arschloch“ und dem „Alten Sack“, „Adolf, die Nazisau“ und die Figur des Käpt`n Blaubär. Seit fast 20 Jahren schreibt er fantastische Romane, die auf dem Kontinent Zamonien spielen. Dazu gehören unter anderem die internationalen Bestseller „Die 13 ½ Leben des Käpt`n Blaubär“, „Die Stadt der Träumenden Bücher“ und zuletzt „Das Labyrinth der Träumenden Bücher“. „Prinzessin Insomnia“ ist der siebte Zamonienroman.«
http://www.zamonien.de/

Die Illustratorin:

»Lydia Rode lebt, malt und zeichnet in Berlin. Ihre Aquarelle für „Prinzessin Insomnia & der alptraumfarbene Nachtmahr“ sind ihre ersten veröffentlichten Illustrationen.«

 

Zum dazugehörigen Hörbuch:

„Prinzessin Insomnia  & der alptraumfarbene Nachtmahr“ gibt es auch kongenial vertont in vollständiger szenischer Vorlesung von Andreas Fröhlich.

 

Prinzessin Insomnia und der alptraumfarbene Nachtmahr
von Walter Moers
Gelesen von Andreas Fröhlich
Produktion: der Hörverlag  August 2017 www.hoerverlag.de
1mp3-Cd
Laufzeit: ca. 11 Stunden, 23 Minuten
Pappschuber
Begleitheft mit Romantextschnipseln
und Zeichnungen von Lydia Rode
ISBN: 978-3-8445-2809-1
24,99 € (D), 28,10 € (A), 35,50 sFr.

 

Andreas Fröhlich erweist sich erneut als virtuoser Vorleser der moeresken Vielstimmigkeit und verleiht den Charakteren munter und nuancenreich mit einfühlsamer Dramaturgie akustische und emotionale Gestalt. Er spricht fließend Anagrammisch, Bürokratisch, Drehsilbisch, Nachtmarisch und Prinzessisch sowie Traumtrunkisch.

Summa summarum: Eine Hörgelegenheit, die Sie nicht verträumen sollten!

 

Hier entlang zum Hörbuch und zur Hörprobe auf der Verlagswebseite:
https://www.randomhouse.de/Hoerbuch-MP3/Prinzessin-Insomnia-&-der-alptraumfarbene-Nachtmahr/Walter-Moers/der-Hoerverlag/e530083.rhd

Der Sprecher:

»Andreas Fröhlich, geboren 1965, wurde im Alter von sieben Jahren im Kinderchor des SFB entdeckt. Mittlerweile ist er als „Hörspieler“ Interpret unzähliger Hörbücher und erhielt 2010 nach drei Nominierungen den Deutschen Hörbuchpreis als bester Interpret für den Titel „Doppler“, der in seiner eigenen Hörbuchreihe „Edition Handverlesen“ erschien. Für den Hörverlag übernahm er unter anderem Rollen in den Hörspielen von Alexandre Dumas „Die drei Musketiere“, den „Wallander“-Hörspielen, der „Otherland“-Saga, sowie „Das Geheimnis der Großen Schwerter“ von Tad Williams. Darüber hinaus liest er den Bestseller „Das Labyrinth der Träumenden Bücher“ von Walter Moers. Andreas Fröhlich zählt zu den bekanntesten Synchronsprechern Deutschlands und leiht u.a. John Cusack und Edward Norton seine Stimme. Zudem ist er als Dialogbuchautor und Dialogregisseur tätig und u.a. für die deutsche Synchronfassung der „Herr der Ringe“-Trilogie verantwortlich, in der er auch die Rolle des Gollum übernahm.«

Hier gibt es noch ein amüsantes Interview mit Andreas Fröhlich zur Hörbucharbeit an „Prinzessin Insomnia & der alptraumfarbene Nachtmahr“:
https://www.randomhouse.de/Interview-mit-Hoerbuch-Sprecher-Andreas-Froehlich-Hoerverlag/Das-Interview/aid76953_14612.rhd

Querverweis:

Hier entlang zum ersten Zamonien-Rroman: Die 13½ Leben des Käpt’n Blaubär
https://leselebenszeichen.wordpress.com/2013/12/25/die-13½-leben-des-kaptn-blaubar/
und zum zweiten: Ensel & Krete
https://leselebenszeichen.wordpress.com/2014/02/05/ensel-und-krete/
sowie zum dritten: RUMO
https://leselebenszeichen.wordpress.com/2014/05/28/rumo/
zum achten Zamonien-Intermezzo: Weihnachten auf der Lindwurmfeste
https://leselebenszeichen.wordpress.com/2018/12/22/weihnachten-auf-der-lindwurmfeste/
und zum neunten Zamonien-Roman: Der Bücherdrache
https://leselebenszeichen.wordpress.com/2019/04/10/der-buecherdrache/

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Lennart Malmkvist und der ziemlich seltsame Mops des Buri Bolmen

  • von Lars Simon
  • Originalausgabe
  • Roman
  • 1. Band der Lennart-Malmkvist-Reihe
  • DTV Verlag,  Oktober 2016    http://www.dtv.de
  • Taschenbuch
  • 432 Seiten
  • 9,95 € (D), 10,30 € (A)
  • ISBN 978-3-423-21651-7

MÖGE  DER  MOPS  MIT  DIR  SEIN

Buchbesprechung von Ulrike Sokul ©

Für die Schnelleser vorab: Ein junger, erfolgreicher Unternehmensberater mit Liebesallergie erleidet einen dramatischen Karriereknick und befindet sich unverhofft in der Umschulung zum Magier.

Hinter dem etwas sperrigen Titel „Lennart Malmkvist und der ziemlich seltsame Mops des Buri Bolmen“ verbirgt sich ein komplex angelegter Roman mit kriminellen, kulinarischen und magischen Elementen sowie eigenwilligen, geheimnisvollen und kapriziösen Charakteren. Der Erzähl- fluß ist ausführlich und gemächlich sowie auf unterhaltsame Weise spannend. Phantasievolle Details, filmreife Situationskomik und überraschende Wendungen runden die Lektüre vergnüglich ab.

Und nun für alle, die es etwas genauer wissen wollen, die minutiöse Version: Lennart Malmkvist lebt im hohen Norden und steht auf der Sonnenseite des Lebens. Er bewohnt eine Mietwohnung in einem luxussanierten Altbau in der Västra Hamngatan, in einem der begehrtesten Stadtviertel Göteborgs. Beruflich ist er als erfolgreichster Unter- nehmensberater für die Investmentfirma HIC AB tätig, die mit Firmen aus der Medien- und Kommunikationsbranche handelt. Lennart bereitet gerade eine Präsentation für eine weitere lukrative Firmenbeteiligung vor, auf die Harald Hadding, der charismatische Herrscher der HIC AB, besonderen Wert legt.

Einen bitteren Wermutstropfen gibt es allerdings schon in Lennarts Leben. Er hat eine Liebesallergie, d.h. sobald er nach einer amourösen Begegnung auch nur den Gedanken an eine weitergehende Beziehung hegt, befällt ihn ein unerträglich juckender, pusteliger Ausschlag. Das bringt ihn stets in die Verlegenheit, sich auf keine Frau wirklich einlassen zu können.

Lennart denkt mit Vergnügen an die vergangene Nacht, die er mit seiner Kollegin Emma verbracht hat, aber seine Vorfreude, sie bald darüber aufzuklären zu müssen, daß sich nichts Bindendes aus dieser Liebeslustnacht ergeben wird, hält sich in Grenzen.

Doch jetzt ist erst einmal Wochenende, und Lennart macht sich auf den Weg einige Einkäufe (Zimtkringel, Zeitung) zu erledigen. Im Treppenhaus wird er von seiner mollig-mütterlichen Nachbarin, Maria Calvino, abgefangen, die ihn bittet, Buri Bolmen, dem Nachbarn im Parterre, einige Kostproben ihrer italienischen Kochkunst abzuliefern.

Buri Bolmen führt im Erdgeschoß des Hauses ein Geschäft für Zauber- und Scherzartikel. Nicht zum ersten Mal wundert sich Lennart, wovon Buri Bolmen eigentlich lebt, denn Kunden haben in seinem mit Kuriositäten vollgestopften Laden größeren Seltenheits- wert als die Ware. Der Inhaber von „Bolmens Skämt- & Förtrollningsgrotta“ ist schon recht betagt,  schrullig-verschmitzt und erinnert mit seinem langen weißen Bart wirklich an einen Zauberer. Er lebt mit Bölthorn, seinem mürrischen Mops, zusammen. Gegenüber Lennart ist Buri Bolmen sehr warmherzig und beinahe großväterlich-zugewandt, und Lennart hat den alten Kauz auch ziemlich gern.

In der nächsten Woche sieht und hört Lennart auf dem Weg zur Arbeit wieder einmal diesen unheimlichen, rotbefrackten Leierkastenmann, der ihn in der letzten Zeit sogar bis in seine Träume verfolgt. Im Traum hatte der Leierkastenmann Lennart nachdrück-lich darauf hingewiesen, daß er sein Schicksal annehmen müsse. Lennart ist irritiert, aber er muß sich auf seine bevorstehende und äußerst karriererelevante Präsentation konzentrieren.

Kaum eine Stunde später steht Lennart fristlos entlassen auf der Straße. Eine plötzliche unerklärliche Sprachstörung Lennarts machte die sorgfältig vorbereitete Präsentation und die zu erwartenden Firmenfusionen zunichte.

Zu Hause blockieren blinkende Polizeiwagen die Straße, und die ermittelnden Beamten informieren Lennart darüber, daß sein Nachbar Buri Bolmen ermordet wurde. Lennart wird von Kommissar Hendrik Nilsson und Kommissarin Maja Tysja vernommen, und schließlich muß er auch noch den Mops bei sich aufnehmen, da das Tier sonst im Tier- heim landen würde.

Lennart ist nicht amüsiert und der Mops offensichtlich auch nicht, aber man arrangiert sich. Maria Calvino kann den Mops, obwohl sie ihn sehr mag, leider nicht nehmen, da sie eine Hundehaarallergie hat. Sie besticht Lennart mit Gaben ihrer unermüdlichen Koch- kunst, und Lennart versucht, erst einmal zur Besinnung zu kommen.

Am nächsten Tag erhält Lennart handschriftliche Post von Advokat Cornelius Isaksson und erfährt, daß Buri Bolmen ihm sein Geschäft und die dazugehörige Immobilie vermacht habe – allerdings unter der Bedingung, daß er sich ein Jahr lang um den Laden und um den Mops kümmere. Lennart ist sprachlos, und Mops Bölthorn beginnt zu sprechen …

Für Lennart öffnet sich eine neue Welt, und er braucht eine ganze Weile, bis er die Erweiterung seiner gewohnten Wirklichkeit um eine magische Dimension akzeptiert. Unter Bölthorns kundiger Anleitung lernt er alltägliche Dinge von magisch aufge- ladenen zu unterscheiden, und so entpuppt sich der Zauberladen als perfekte Tarnung für echte Magie.

„Magie selbst ist, bis auf wenige Ausnahmen, unsichtbar. Nur ihre Auswirkung erkennt man, verstehst du?“ (Seite 252)

Die erste kleine Zauberübung besteht darin, das Zauberlehrlingsbuch aus seiner Tarnung hervorzuzaubern, was Lennart gut gelingt. Und dann wird geübt, geübt, geübt, und Bölthorn klärt Lennart beiläufig darüber auf, das er nun einer der „vier Wächter der Dunklen Pergamente“ sei und Bölthorn sein Adlatus.

Vor beinahe tausend Jahren bannten vier Magier den bösen Geist von Olav Krähenbein in ein steinernes Amulett und seine dunkle Magie in ein Pergament aus der Haut eines schwarzen Wolfes. Das Amulett wurde entzweigebrochen und an weit voneinander entfernten Orten tief vergraben. Das Pergament wurde gevierteilt und von den Magiern ebenfalls an getrennten Orten aufbewahrt und beschützt, damit dieser böse Geist niemals mehr die Möglichkeit hätte, an die Macht zu kommen.

Leider ist nicht alles harmlos, was Archäologen ans Tageslicht befördern, und so geschah es, daß die Amuletthälften wieder zusammengefügt wurden. Nun ist der Schattengeist Olav Krähenbein auf der Suche nach den Pergamenten …

So weit – so klassisch, aber die Zeit drängt, denn der Mord an Buri Bolmen dürfte mit dieser sagenhaften Schattenfigur in Zusammenhang stehen. Außerdem ist Lennarts Kollegin Emma plötzlich verschwunden, und jemand ist in den Zauberladen einge- brochen und hat ihn gründlich durchsucht; das Schwarze Pergament befindet sich nicht mehr in seinem üblichen Versteck.

Lennarts bester Freund, Frederik Sandberg, ist Computerspezialist, Hacker und Star-Wars-Liebhaber. Auf Lennarts Bitte hin recherchiert er illegal nach Emmas Personalakte im System der HIC AB und stellt fest, daß man sich erstaunlich viel Mühe damit gegeben habe, diese ansonsten gänzlich unauffällige Akte zu verstecken.

Wie hängt das alles zusammen? Wer ist Freund und wer ist Feind? Gibt es Gnome und Feen und woran erkennt man sie?  Wer oder was ist der Leierkastenmann? Wer ist der Mörder?

Die strenge, unterkühlt-attraktive Kommissarin Maja Tysja findet indes Lennart ver- dächtig, da er mit dem wertvollen Haus in der Västra Hamngatan ein nicht unbeträcht- liches Erbe von Buri Bolmen erhalten hat. Komplikationen über Komplikationen; wenigstens gibt es regelmäßig köstliches, italienisches Essen bei Maria Calvino, sonst wären Lennart und Bölthorn längst entkräftet.

Wie diese zauberhaft-gefährliche Geschichte tatsächlich ausgeht, verrate ich natürlich nicht, nur, daß dieses vorläufige Ende schon den Anfang der nächsten Geschichte einleitet; es bleiben genug lose Fäden und ungeklärte Andeutungen, die reichlich magieverdächtigen Stoff und zwischenmenschliche Verstrickungen für eine Fortsetzung bieten. Außerdem muß Lennart unbedingt noch viel besser zaubern lernen …

Lars Simons Schreibstil ist atmosphärisch, spannend und abwechslungs- reich sowie bisweilen feinsinnig-nachdenklich, seine Figurenzeichnung ist lebhaft und sinnlich-anschaulich, er läßt sich Zeit, die Charaktere auszumalen, seine phantasievollen magischen Details sind amüsant und dramaturgisch raffiniert, wie beispielsweise das Keksdosenorakel, das nur auf gereimte Fragen antwortet und dabei einen hohen Anspruch an die Reimqualität des Fragenstellers pflegt – ein Garant für heitere Wortduelle zwischen zwei sehr ungleichen Sprachkünstlern.

Besonders gelungen ist die Beziehungsdynamik zwischen Lennart und Bölthorn. Anfänglich distanziert-kritisch entwickelt sie sich zu einer sehr kooperativ-zugeneigten Gemeinschaft. Als magischer Profi muß Bölthorn angesichts von Lennarts magischem Analphabetismus zwar noch oft mit den Mopsaugen rollen, doch langsam wächst Lennart mit „Mut, Entschlossenheit und Vertrauen“ in seine neue Heldenrolle hinein.

Das läßt vorfreudig darauf hoffen, daß es mit Lennart und Bölthorn im Folgeband zauberhaft weitergehen wird.

 

PS:
Ich empfehle die Lektüre ausdrücklich nur mit vollem Magen, denn die überaus leckeren italienischen Unendlichkeitsmenüs, die Lennarts Nachbarin Maria Calvino serviert, kann man sonst nur schwer aushalten. 😉

Hier entlang zum Buch und zur Leseprobe auf der Verlagswebseite:
https://www.dtv.de/buch/lars-simon-lennart-malmkvist-und-der-ziemlich-seltsame-mops-des-buri-bolmen-21651/

Hier entlang zur verlagseigenen Webseite zum Buch mit Übersichtskarte und Fotos von Romanschauplätzen, Autoreninterview mit zauberhaften Hinweisen auf die Fortsetzung der Lennart-Malmkvist-Mops-Reihe und einem leckeren Nachtischrezept … 
https://www.dtv.de/special-lars-simon-lennart-malmkvist-und-der-ziemlich-seltsame-mops-des-buri-bolmen/start/c-1067

Hier entlang zum zweiten Band: Lennart Malmkvist und der ganz und gar wunderliche Gast aus Trindemossen: https://leselebenszeichen.wordpress.com/2017/11/28/lennart-malmkvist-und-der-ganz-und-gar-wunderliche-gast-aus-trindemossen/
Hier entlang zum dritten, mopsfidelen Band: Lennart Malmkvist und der überraschend perfide Plan des Olav Tryggvason:

Lennart Malmkvist und der überraschend perfide Plan des Olav Tryggvason

 

Der Autor:

»Lars Simon, Jahrgang 1968, hat nach seinem Studium lange Jahre in der IT-Branche gearbeitet, bevor er mit seiner Familie nach Schweden zog, wo er als Handwerker tätig war. Heute lebt und schreibt der gebürtige Hesse wieder in der Nähe von Frankfurt am Main. Bisher sind von ihm bei dtv die Comedy-Romane ›Elchscheiße‹, ›Kaimankacke‹ und ›Rentierköttel‹ sowie der Urban-Fantasy-Roman ›Lennart Malmkvist und der ziemlich seltsame Mops des Buri Bolmen‹ erschienen. Lars Simon ist ein Pseudonym.«

 

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Der Ozean am Ende der Straße

  • von Neil Gaiman
  • Übersetzung aus dem Englischen
  • von Hannes Riffel
  • mit Schwarz-weiß-Illustrationen von Jürgen Speh
  • Eichborn Verlag 2014   http://www.eichborn.de
  • gebunden, mit Schutzumschlag
  • 238 Seiten
  • 18,00 € (D), 18,50 € (A)
  • ISBN 978-3-8479-0579-0
    Gaiman_Der_Ozean.indd

ELASTISCHE  WIRKLICHKEITEN

Buchbesprechung von Ulrike Sokul ©

Wer undurchsichtige, rätselhafte und leicht schaurige Geschichten mag, ist beim „Ozean am Ende der Straße“ an der richtigen Adresse.

Der Ich-Erzähler, dessen Namen wir nie erfahren, besucht nach langer Abwesenheit den Wohnort seiner Kindheit, im ländlichen England in der Nähe der Stadt Sussex. Er fährt ihm noch vage vertraute Straßen entlang, registriert bauliche Veränderungen sowie Modernisierungen, und eher traumwandlerisch als bewußt folgt er einer alten Land- straße, die noch so aussieht wie in seiner Kindheit. Diese von wilden Hecken gesäumte und nicht asphaltierte Straße führt zu einem alten Backsteingebäude, dem Gehöft der Hempstocks.

Neugierig, ob die Hempstocks noch immer dort leben, klopft er an die Türe und wird von einer älteren Frau freundlich empfangen und tatsächlich als einstiger Spielgefährte ihrer Tochter Lettie wiedererkannt und zum Tee eingeladen.

Der Mann bittet um Erlaubnis, zuvor den Garten und den Ententeich, der hinter dem Haus liegt, besichtigen zu dürfen. Langsam keimen immer mehr Erinnerungen in ihm auf, und als er schließlich am Teichufer steht, fällt ihm wieder ein, daß seine kindliche Spielgefährtin stets behauptet habe, der Teich sei „der Ozean“.

Durch die nun folgende Rückblende erfahren wir, daß der Mann ein einsames, ver- träumtes Kind gewesen ist, mehr vertraut mit Büchern, als mit echten Freunden. Doch das ändert sich, als er Lettie Hempstock von der Hempstock Farm kennenlernt. Lettie ist mit ihren elf Jahren zwar fünf Jahre älter als der Junge, aber sie nimmt sich sehr herzlich seiner an.

In der Familie Hempstock herrscht ein geheimnisvoll-herzhaftes Matriarchat von Großmutter, Mutter und Tochter. Sie verfügen über magische Macht und magisches Wissen und machen dem Jungen gegenüber auch kein Geheimnis aus ihrem mehr- dimensionalen Repertoire. Vordergründig bewirtschaften sie einen Bauernhof, sie kochen und backen vorzüglich, und der Junge futtert sich glücklich an den einfachen, aber köstlichen Speisen, die er bei seinen Besuchen von den Hempstocks serviert bekommt.

Nach einen gefährlichen Ausflug in eine Art Nebenwelt, bei dem Lettie eine dunkle Gefahr zu bannen versucht, begreift der Junge, daß die normalen Grenzen von Raum und Zeit für die Hempstock-Frauen nicht gelten. Als er Lettie fragt, wie lange sie schon elf Jahre alt ist, lächelt sie nur unergründlich.

Im Verlauf der sich schnell dramatisch zuspitzenden, überaus spannenden Handlung erweist sich Lettie als seine größte Beschützerin und sogar Lebensretterin. Aber der Junge muß sich auch selbst tapfer wehren und lernt so manche Lektion über Angst, Mut, Verlust, Vertrauen, Verletzlichkeit und Lebenswillen.

In diesem Roman spielen die unterschiedlichen Wahrnehmungsproportionen von Kindern und Erwachsenen eine große Rolle, aber auch die unwillkürliche Variabilität des Erinnerns und Vergessens.

Die seltsame mehrdimensionale Durchdringung und Vorausschau, über welche die Hempstock-Frauen verfügen, spiegelt sich in der Romanstruktur wider. Man liest gebannt und gespannt. Obwohl die Geschichte endet, bleibt sie offen: Wirklichkeiten verwischen, Erinnerungen werden vergessen, Vergessenes wird wieder erinnert. Aber ist die Erinnerung wirklich wahr oder nur eine weitere Spielart des Vergessens? Manchmal kann das Nichtwissen heilsamer sein als das Wissen.

Wie Mrs. Hempstock zu sagen pflegt: Du kannst nicht alles wissen.(Seite 218)
Aber lesen können Sie alles. Wie Sie es deuten, bleibt Ihnen und Ihrer Phantasie überlassen.

Und wenn ein Ozean in einen Eimer paßt, dann paßt er erst recht in einen Ententeich – nicht wahr?

 
Eine schöne Zugabe zum Text sind die Schwarz-weiß-Illustrationen (Vektorgraphiken) von Jürgen Speh, die an 1960er-Comics erinnern und die Atmosphäre der Geschichte ausdrucksvoll untermalen.

Illustration OZEAN Seite 56

Illustration Jürgen Speh © Eichborn Verlag 2014

 

PS:

Die gebundene Ausgabe ist inzwischen vergriffen!

Hier entlang zum Taschenbuch und zur LESEPROBE auf der Verlagswebseite:
https://www.luebbe.de/bastei-luebbe/buecher/sonstige-belletristik/der-ozean-am-ende-der-strasse/id_5453710

Der Autor:

»Neil Gaiman hat über 20 Bücher geschrieben (darunter American Gods, Sternwanderer und Niemalsland) und ist mit jedem großen Preis ausgezeichnet worden, der in der englischen und amerikanischen Buch- und Comicszene existiert. Geboren und aufgewachsen ist er in England. Inzwischen lebt er in Cambridge, Massachusetts, und träumt von einer unendlichen Bibliothek.
Besuchen Sie den Autor unter: http://www.neilgaiman.com «

Querverweis:

Und hier folgt der Wink mit dem Link zu einem weiteren lesenswerten Werk von
Neil Gaiman: Das Graveyard Buch
https://leselebenszeichen.wordpress.com/2013/02/20/das-graveyard-buch/

Im Graveyard Buch“ gibt es übrigens eine zauberhexenhafte Figur namens „Liza Hempstock“ – wahrscheinlich eine Ahnin oder Geistesverwandte  von Lettie Hempstock aus Der Ozean am Ende der Straße“…

 

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RUMO

  • & Die Wunder im Dunkeln
  • von Walter Moers
  • gelesen von Dirk Bach
  • Produktion Hessischer Rundfunk
  • Hörbuch Hamburg Verlag, 2008  https://hoerbuch-hamburg.de
  • ungekürzte Lesung, Dauer: 1500 Minuten
  • 16 CDs
  • 59,95 € (D), 67,30 € (A)
  • ISBN 978-3-89903-800-2
    moers-rumo-hoerbuch-9783899038002

DAS    WIRD     SIE     UMHAUEN!

oder:  EINE  HELDENREISE, WIE  SIE  IM  BUCHE  STEHT

Hörbuchbesprechung von Ulrike Sokul ©

„Rumo & Die Wunder im Dunkeln“, der dritte ZAMONIEN-Roman von Walter Moers, ist eine weitverzweigte, sehr spannende und betont kämpferische Heldengeschichte. Es fließt sehr viel Blut, gemildert durch eine schöne Prise Liebesromantik und moers- typischen Humor sowie wort – und gedankenspielerische Wendigkeit. Ich habe jedenfalls gezittert und gebangt, gestaunt und geschmunzelt, mitgelitten und mich mitgefreut und viel Schlaf geopfert, da ich die vielen Klippenhänger kaum aushalten konnte.

Walter Moers scheut sich nicht, wirklich fies-böse Charaktere darzustellen, gewisser- maßen das Kontrastmittel des Bösen dramaturgisch und auch kathartisch einzusetzen. Der Autor wagt zudem den paradoxen Perspektivwechsel und läßt auch die Ereignis- bewertung der sogenannten Bösen zu Wort kommen, die, als sie von den sogenannten Guten bekämpft werden, nicht begreifen, wieso und weshalb ihnen so böse mitgespielt werden kann.

Der erste Teil der Geschichte spielt in der „Obenwelt“, also im oberirdischen Zamonien, der zweite Teil in der „Untenwelt“, tief, tief in unterirdischen, düsteren Gefilden unter- halb der zamonischen Oberfläche. Die graphische Gestaltung der CDs greift diese Färbung des Handlungsverlaufes durch die jeweilige weiß- bzw. schwarzhintergründige CD-Etikettierung auf.

Da der Held, Rumo, ein Wolpertinger ist, werde ich hier zunächst ein bißchen Wolpertinger-Kunde betreiben:

Einer beliebten Legende nach, entstammt die zamonische Daseinsform der Wolpertinger der Liebesverbindung von Prinzessin Silbermilch und Prinz Kaltbluth. Prinzessin Silber- milch war von einer bösen Hexe in ein Reh verwandelt worden und Prinz Kaltbluth in einen Wolf. Im Großen Wald rettete der Wolf-Prinz der Reh-Prinzessin mehrfach das Leben, die beiden verliebten sich und bekamen Nachwuchs: den ersten Wolpertinger.

Wolpertinger sehen aus wie Hunde, und sie tragen auf dem Kopf zwei kleine Hörner. Sie unterscheiden sich individuell je nach der Hunderasse, die sich in ihnen ausprägt, die Spannbreite umfaßt die ganze Hundevielfalt vom kleinen Rehpinscher bis zur Deutschen Dogge, manchmal kommen auch Dachse, Füchse und Wölfe vor.

Außerdem teilen sie sich in eine wilde und in eine zivilisierte Kategorie. Die Wilden bleiben Vierbeiner, während die Zivilisierten sich zu Zweibeinern aufrichten und sprechen lernen. Zivilisierte Wolpertinger tragen Kleidung, und viele von ihnen leben in der Stadt Wolperting, die auf bemerkenswert gemeinwohlartige Weise sozial organisiert ist und zudem ein vorzügliches Bildungssystem eingerichtet hat.

Da sie das Erbe von Jäger und Gejagtem in sich vereinen, verfügen Wolpertinger über sehr feine Instinkte und Reflexe und extrem hochentwickelte Sinnesorgane, die syn- ästhetische Wahrnehmungen ermöglichen, z.B. das Sehen von Gerüchen und Geräuschen. Sie sind überdurch-schnittlich schnell und stark, und sie haben ein perfekt gewachsenes Präzisionsgebiß, das als natürliche Waffe die sonstigen Waffenkünste der Wolpertinger ergänzt.

Zu Beginn ist unser Held noch ganz klein, ein niedlicher Wolpertinger-Welpe, der ent- führt wird und bei den Teufelsfelszyklopen in der Speisekammer-Grotte landet. Die Teufelsfelszyklopen bevorzugen frische Nahrung, um genau zu sein: lebendige, zappelnde, schreiende … näher möchte ich mich zu diesem Kapitel nicht äußern – ich bin nämlich Vegetarierin.

Und falls Sie der Ansicht sind, das Teufelsfelszyklopen, moralisch betrachtet, das Aller- letzte sind, so kann ich Sie nur warnend darauf hinweisen, daß im weiteren Verlauf der Geschichte noch viel gemeinere und irrsinnig-bösartigere Wesen auftreten werden. Denn noch befinden wir uns in der vergleichsweise harmlosen Obenwelt.

Während seines unfreiwilligen Aufenthaltes bei den Teufelsfelszyklopen freundet sich Rumo mit einem anderen Gefangenen an. Für Smeik, eine lebenserfahrene Haifisch- made, ist der kleine Rumo eine willkommene Ablenkung von der ständigen Todesangst, und er bringt Rumo das Sprechen und die theoretische Seite des Kämpfens bei, indem er ihm zahlreiche Kampf- und Duellgeschichten erzählt. So erfährt Rumo Wissenswertes von der sagenhaften Schlacht im Nurnenwald, bei der sich zwei Söldnerheere aus Blut- schinken, Dämonenkriegern, Werwölfen und Yetis bis zum bitteren Ende bekämpften, und wie – aus alchemistischem Übermut – die gefürchteten Kupfernen Kerle und ihr Anführer General Ticktack entstanden sind. Smeik berichtet von diversen Belagerungen der Lindwurmfeste und den Verteidigungsmethoden ihrer Bewohner.

Rumo wächst sehr schnell heran, wie das bei Wolpertingern üblich ist; Smeik trichtert ihm einen waghalsigen Fluchtplan ein und erklärt ihm einen strategisch wichtigen Schwachpunkt der Teufelsfelszyklopen. Als Rumo groß und stark sowie appetitlich genug geworden ist und bei einem barbarischen Festmahl der Teufelszyklopen als Rohkostleckerbissen auf den Tisch kommt, greift und beißt er gnadenlos zu und setzt Smeiks Zyklopenvernichtungsplan erfolgreich in die blutige, aber befreiende Tat um. Rumos erste Heldentat ist vollbracht, aber verglichen mit seinen späteren Taten ist diese nur eine Fingerübung.

Rumo und Smeik wandern eine Weile gemeinsam durch Zamonien und meistern kleinere Herausforderungen. Sie begegnen dem freundlichen Eydeeten Dr. Oztafan Kolibril, und Smeik macht eine hochinteressante, simulierte Entdeckungsreise durch Kolibrils Gehirnwindungen. Kolibril verfügt zwar nur über vier Gehirne und beklagt sich darüber, daß er keine sieben Gehirne hat wie sein Lehrer Dr. Abdul Nachtigaller, aber für mein ein und einzigstes Gehirn waren die dargebotenen phantastischen, wissen- schaftlichen Entdeckungen und Erkenntnisse vollkommen ausreichend.

Kolibril macht sich sodann auf den Weg nach Nebelheim, um mit Hilfe einer aurakarto-graphischen Aufnahme dem eigentlichen Wesen des nebulösen Nebelheimer Nebels auf die Spur zu kommen.

Auch Rumo und Smeiks Wege trennen sich vorläufig. Smeik folgt, nach einer erschüt- ternden Weinprobe, seinem neuen Freund Kolibril nach Nebelheim, um diverse mikro- und makrokosmische Fragen und Zusammenhänge zu klären. Rumo folgt der Witterung des „silbernen Fadens“, der ihn nach Wolperting führt.

Der „silberne Faden“ ist eine Liebesfährte, welche die weiblichen Wolpertinger auslegen, um ihre Lebensgefährten anzuziehen, aber das weiß unser Held noch nicht, er weiß nur, daß er einer unbestimmten Sehnsucht folgt.

In der Stadt Wolperting muß Rumo zur Schule gehen, er lernt Lesen, Schreiben, Rech- nen, Schachspielen, Heldenkunde und Zahnpflege, und natürlich werden verschiedene Kampfkünste zur Selbstverteidigung trainiert. Er wird geschult in waffenlosem und in bewaffnetem Kampf, er bekommt sehr differenzierten Beißunterricht, er lernt Bogen- schießen, Fechten, Messerwerfen und Schattenboxen, und er verfeinert seine Körperbeherrschung.

Rumo hat eine besondere Begabung für das Kämpfen und für das Schreinerhandwerk, aber in Liebesdingen ist er ein hilflos-naiver Tollpatsch. Schon am ersten Schultag erkennt er, daß seine Mitschülerin, Rala, für ihn die Quelle des silbernen Fadens ist, aber das stürzt ihn nur in Verwirrung und pubertäre Sprachlosigkeit.

Da Rumo lieber Taten als Worte sprechen läßt, beschließt er, auf den Rat seines Schreinermeisters zu hören und für seine heimliche Liebste einen „Liebesfetisch“ zu schnitzen, eine kleine Schatulle aus dem besten Holz, das es in Zamonien gibt: aus dem Holz der Nurnenwaldeiche.

Kleiner Heldenhaken an der Holzbeschaffung ist die Lebensgefahr, in die er sich begeben muß, um an den bösartigen Nurnen vorbei bis zur Eiche vorzudringen, doch das steigert nur die romantische Überzeugungskraft der Liebesgabe. Nurnen sind eine fleischfressende, halbpflanzliche, halbinsektische Daseinsform, mit acht hölzernen Beinen und grünen Fangranken und einem von blutroten Blättern bedeckten Leib.

Rumo macht sich unverzüglich auf den Weg, nur begleitet von seinem Schwert, mit dem er in telepathischer Verbindung steht. In die Legierung seiner Schwertklinge sind Seelen- anteile eines friedlich-musisch veranlagten Stollentrolls namens Löwenzahn und eines SEHR kriegerisch-blutrünstigen Dämonenkriegers namens Grinzold eingeschmolzen.

Nachdem Rumo erfolgreich die Begegnung mit einer Nurne zu seinen Gunsten ent- schieden hat und ihr sogar ein rotes Blatt als Trophäe abschneiden konnte, erreicht er die Nurnenwaldeiche und bespricht mit ihr sein romantisches Anliegen. Die riesige Eiche bedient sich der Tiere, die in ihrem Umkreis leben, als Sprechorgan, und so entsteht ein vielstimmiges und informatives Gespräch zwischen Rumo und dem eloquenten Baum. Schließlich genehmigt die Eiche Rumo einen passenden Ast für seinen Holzbedarf und bedankt sich für die Unterbrechung ihrer Einsamkeit. Sie bekommt – nurnenbedingt – nicht allzu oft Besuch zum Plaudern.

Rumo verläßt ohne weitere Zwischenfälle den Nurnenwald, rastet am Waldrand und beginnt sogleich mit den Schnitzarbeiten. Löwenzahn ist begeistert, und Grinzold ist empört über die friemelige, künstlerische Nutzung der Schwertklinge. Die Streitge- spräche zwischen Grinzold und Löwenzahn sind stets sehr amüsant, nicht unbedingt für Rumo, aber für uns Zuhörer bzw. Leser. Dennoch halten die beiden Streitklingen treu – abgesehen von gelegentlichen Ohnmachtsanfällen Löwenzahns – zu ihm und unter- stützen Rumos Heldentaten mit ihren jeweiligen blutigen und unblutigen Kenntnissen und Talenten.

Als Rumo nach Wolperting zurückkehrt, findet er eine verlassene Stadt vor. Alle Bewohner sind verschwunden. Nun beginnt Rumos Abstieg nach Untenwelt. Die Finsternisse, Gefahren und Schrecken, die dort lauern, dürfen sie gerne ohne meine vorbereitende Hilfe aushalten; ein bißchen Heldenmut müssen Sie schon mitbringen.

Nur soviel: In Untenwelt herrscht der Wahnsinn, es ist die HÖLLE. In der Untenweltstadt Hel ist sogar die Architektur grausam, ganz zu schweigen von den grausigen Inszenie- rungen und Kämpfen im „Theater der schönen Tode“ und den völlig durchgeknallten Tyrannentypen wie General Ticktack oder Gaunab dem Neunundneuzigsten, Herrscher von Hel. Der krankhafte Größenwahn wird sehr anschaulich dargestellt und zugleich entlarvend lächerlich gemacht, z.B. verpaßt der Autor König Gaunab einen silbenver- drehenden Sprachfehler. Die lieböseste Beschäftigung dieses sinnwahnigen Nigskö ist das Tentö; nur keine Sorge: Nach einer kleinen Eingewöhnungszeit in diese Sprechun- gewohnheiten kommt man ausdurch hindater.

Walter Moers entfaltet ein grandioses Panoptikum von Charakteren, Emotionen, Geisteszuständen, Szenerien, Dingen und Lebewesen. Er erschreibschafft monströse Monster, Ameisenzähler, Mondlichtschatten, Krankheiten und Heilmittel, Elme (putzige Felltierchen mit Schnabel, die Rumo vor dem Erfrieren bewahren), kreuz- und quer- denkende Eydeeten, selbstironisch-untote Yetis, schmerzlose Narben, Auragraphen, Einhörnchen, Elfenjade, Forschgeister, Fünkelzwerge, Schubladenorakel … die Liste ließe sich noch lange, lange verlängern.

Dirk Bach als Vorleser oder besser: Mitspieler wird ihnen allen mit seiner panakustischen Vielgestaltigkeit gerecht, ja – er kann sogar mädchenhaft klingen und auch märchenhaft, exaltiert und bescheiden, alt und jung, ernst und lustig, schelmisch und verschlagen, charmant und schüchtern, mecha- nisch und tierisch, müde und munter, erregt und gelassen, donnernd und flüsterleise, wirr und weise; und en passant spricht er auch noch fließend Drehsilbisch.

Manchmal meinte ich sogar, die Mimik hören zu können, aber das liegt vielleicht daran, daß ich Synästhetin bin.

Walter Moers umschnörkelt Rumos Abenteuer mit Ausflügen in den Mikrokosmos der „unvorhandenen Winzlinge“, mit scheinbaren Nebenhandlungen, bizarren wissen- schaftlichen Experimenten und mit biographischen Erinnerungsrückblenden verschiedener Protagonisten, die sich jedoch nach und nach absolut sinnvoll in den Gesamtzusammenhang fügen.

Wahrlich, ich bewundere die epische Präzision, die hier bis ins winzigste Detail inszeniert wird!

Ein weiterer Grund zum Schwärmen sind die literarischen Anspielungen, z.B. die herrlichen Mantel- und Degen-Reminiszenzen bei der Beschreibung des idealen Fechtgartens à la Uschan De Lucca, dem Fechtlehrer von Wolperting.

Wenn ich mir etwas aus dem Buch, zur Manifestation in meiner Wirklichkeit, wünschen dürfte, könnte ich mich gar nicht entscheiden, was ich lieber besäße:

Ein Otztaskop, um mich mikrokosmischen Betrachtungen hinzugeben?

Einen Baldachin aus geräuschverdauender Seide, der traumhafte Stille garantiert ?

Oder doch lieber ein telepathisches Schwert zur unterhaltsamen Selbstverteidigung?

Vielleicht bescheide ich mich zunächst mit dem nächsten ZAMONIEN-Roman.

Seit Juli 2015 gibt es eine SONDERAUSGABE dieses Hörbuches zu 29,99 € (D), 33,70 € (A) auf 4 mp3-CDs (Laufzeit 1512 Min.). ISBN 978-3-86952-279-1
Hier entlang zum Hörbuch und zur Hörprobe auf der Verlagswebseite: https://www.hoerbuch-hamburg.de/hoerbuecher/moers-rumo-3328/

Inzwischen – seit Januar 2023 – gibt es das Hörbuch nur noch als Hörbuchdatei zum Herunterladen beim PENGUIN Verlag für 35,95 €: https://www.penguin.de/Hoerbuch-Download/Rumo-und-Die-Wunder-im-Dunkeln/Walter-Moers/der-Hoerverlag/e616213.rhd

Die Taschenbuchausgabe von „Rumo“ erscheint am 23. November 2020 neu in Penguin Verlag.

  • RUMO                                                                 
  • & die Wunder im Dunkeln    
  • von Walter Moers
  • Taschenbuch
  • Broschur
  • 13,5 x 20,6 cm
  • Format: 13,5 x 20,6 cm
  • 704 Seiten
  • mit zahlreichen Illustrationen von Walter Moers
  • 16,– € (D), 16,50 € (A), 22,90 sFr.
  • ISBN: 978-3-328-10752-1

Hier entlang zum Taschenbuch und zur Leseprobe auf der Verlagswebseite:
https://www.randomhouse.de/Taschenbuch/Rumo-und-die-Wunder-im-Dunkeln/Walter-Moers/Penguin/e587361.rhd

Zur gebundenen Buchausgabe für 32,00 € (D), 32,90 € (A), 43,90 sFr. geht es hier entlang: https://www.randomhouse.de/Buch/Rumo-und-die-Wunder-im-Dunkeln/Walter-Moers/Knaus/e533869.rhd


PS:

Können Sie das Rätsel, das Smeik Rumo aufgibt, lösen:

„Was wird immer kürzer je länger es wird?“

Meine Hörbuchbesprechung ist es nicht, denn die ist im Vergleich zur 704-seitigen Buchausgabe fast unvorhanden kurz.

Der Autor:

»Walter Moers, 1957 in Mönchengladbach geboren, ist der Erfinder des »Käpt’n Blaubär« und hatte auch große Erfolge mit den Büchern um »Das kleine Arschloch« und der Comic-Figur »Adolf«. 1999 stürmte der Roman »Die 13 1/2 Leben des Käpt’n Blaubär« die Bestsellerlisten. Dem folgten inzwischen mehrere sehr erfolgreiche Romane nach, die ebenfalls auf dem phantastischen Kontinent Zamonien spielen.«

Der Sprecher:

»Dirk Bach (1961-2012) war Schauspieler, Moderator, Hörbuch- und Synchronsprecher und zählte im deutschen Fernsehen wie auf der Bühne zu den populärsten Komikern.
Nach ersten Erfahrungen auf Studentenbühnen wurde er 1992 festes Ensemblemitglied des Kölner Schauspielhauses. Einem breiteren Publikum wurde er 1992 mit der „Dirk Bach Show“ (RTL und Super RTL) bekannt. Es folgten die Serien „Lukas“ (1996-2001, ZDF) und „Der kleine Mönch“ (2002, ZDF). Seit 2004 führte er zusammen mit Sonja Zietlow durch die RTL-Sendung „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“. In der „Schillerstraße“ (Sat.1) wirkte Dirk Bach 2004 und 2005 als Freund von Cordula Stratmann mit und kehrte 2009 als Kurier und Freund von Jürgen Vogel dorthin zurück. 2009 moderierte er die Sendung „Einfach Bach“ bei Sat.1. Im Sommer 2010 gehörte er zum Ensemble der Wormser Nibelungen-Festspiele.
Zu seinen Auszeichnungen zählen: 1996 ‚Telestar‘, 1999 und 2007 ‚Deutscher Comedypreis‘ und 2001 die ‚Goldene Kamera‘. Für seinen sozialen Einsatz hat er im Jahr 2000 den ‚Humanitary Award‘ erhalten.«

Hier entlang zu meinen weiteren Moers-Mythenmetz Rezensionshuldigungen:

Zum ersten Zamonien-Roman: Die 13½ Leben des Käpt’n Blaubär
https://leselebenszeichen.wordpress.com/2013/12/25/die-13½-leben-des-kaptn-blaubar/
und zum zweiten Zamonien-Roman: Ensel & Krete
https://leselebenszeichen.wordpress.com/2014/02/05/ensel-und-krete/
sowie
zum siebten Streich: Prinzessin Insomnia und der alptraumfarbene Nachtmahr
https://leselebenszeichen.wordpress.com/2017/11/01/prinzessin-insomnia-der-alptraumfarbene-nachtmahr/
zum achten Lesehäppchen: Weihnachten auf der Lindwurmfeste
https://leselebenszeichen.wordpress.com/2018/12/22/weihnachten-auf-der-lindwurmfeste/
und zum neunten Zamonien-Roman: Der Bücherdrache
https://leselebenszeichen.wordpress.com/2019/04/10/der-buecherdrache/

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