Zwitschernde Fische

  • von Andreas Séché
  • Roman
  • ars vivendi verlag  2012   www.arsvivendi.com
  • gebunden
  • mit Schutzumschlag
  • 168 Seiten
  • 16,90 € (D), 17,40 € (A)
  • ISBN 978-3-86913-106-1

ZWISCHEN  DEN  ZEILEN

Buchbesprechung von Ulrike Sokul ©

Bereits das Wort LekTÜRE enthält eine Türe, gewissermaßen eine Portalüberschrift, die den aufmerksamen Betrachter darauf hinweist, daß Lesen buchstäblich in eine Geschichte – oder bei Sachbüchern in ein Wissensgebiet – hineinführt.

Buchhändler empfehlen und verkaufen ihren Kunden demnach ein papiernes Mischwesen aus Dauereintrittskarte und Tür, und das Lesen ist dabei der Universalschlüssel; eine Vorstellung, die mir als Buchhändlerin schon immer sehr gefallen hat.

„Zwitschernde Fische“ ist ein federleichtes und herzenstiefes Buch, das wach macht für die Wegweiser der Inspiration, die, wenn man aufgeschlossen dafür ist und gerne hinter die Dinge schaut, sogar im Alltag wohnen und auf Entdeckung und Würdigung warten.

Yannis, unser Romanheld, ist ein junger Mann, der Bücher und Buchhandlungen liebt und für den jeder neue Buchkauf ein Festakt ist, den er zunächst gebührend mit einem guten Frühstück beginnt: „ … Lesen ist ja nichts anderes als Essen mit den Augen.“
(Seite 9)

Buchhandlungen und Stadtparks, findet Yannis, bieten eine ideale Kulisse, um der Traumfrau zu begegnen. Er hat einige wunderschöne, ebenso romantische wie verwegene Gesprächseröffnungsideen (die übrigens ausgesprochen unwiderstehlich- empfehlenswert sind) in seiner Sehnsuchtsvorratskammer gestapelt, aber er ist bisher zu schüchtern gewesen, um seine Worte und Gesten auch in die Tat umzusetzen.

Auf dem Weg zum Buchladen macht er Rast auf seiner Lieblingsparkbank im Athener Stadtpark und denkt darüber nach, ob die Kellnerin aus seinem Lieblingscafé, in die er still, leise und heimlich verliebt ist, ihn aus Zuneigung oder aus professioneller Grund-haltung stets so freundlich anlächele. Diese Frage bleibt unbeantwortet, und Yannis macht sich gedankenversunken wieder auf den Weg.

Doch er verläuft sich und findet sich plötzlich vor einem altmodischen Buchladen mit beinahe undurchsichtigem Schaufenster wieder, in einer Gasse, die seltsam aus der Zeit gefallen scheint. Yannis kommt es fast vor, als sei diese Buchhandlung ein Überbleibsel aus dem Athener Buchhändlerviertel, das vor zweittausendfünfhundert Jahren existiert hat.

Neugierig berührt Yannis den silbernen Drehknauf der verwitterten, hölzernen Eingangstür, die daraufhin langsam und bedächtig aufschwingt. „Es sind schon Kinder durch Türen gegangen und als Erwachsene zurückgekehrt. Hinter Türen können Narren zu Weisen werden, Ziellose zu Menschen mit einer Bestimmung und Ungläubige zu Gläubigen.“ (Seite 17)

Yannis begegnet in den Räumen hinter dieser Türe der geheimnisvollen und sehr attraktiven Lio, und in Verbindung mit Lio kommt es zu zauberhaften neuen Lebens-weichenstellungen…  „Die Haut um ihre Augen offenbarte ein gelachtes Leben und einen Menschen, der sich wenig um die feinen Falten der Erkenntnis scherte.“ (Seite 27)

Der Roman „Zwitschernde Fische“ handelt davon, wie das Leben in Geschichten einfließt und wie gelesene Geschichten das Leben beeinflussen, ja, wie für den inspirations-empfänglichen Menschen in der Tat alles miteinander in geheimnisvoller Korrespondenz steht.

Neben seinem eigenen Geschichtenverlauf weckt dieser Roman beiläufig Leselust auf zahlreiche weitere Bücher. Die angeregten Gespräche, die Lio und Yannis über Klassiker der Weltliteratur führen, die Betrachtungen interessanter bis krimineller schriftstellerischer Hintergrundgeschichten sowie die berühmten Anfangssätze, die sie sich wechselseitig vorlesen, machen abwechslungsreich Appetit auf mehr. „Geschichten sind das Gewürz der Wirklichkeit.“ (Seite 168)

Andreas Séchés Sprache hat einen besonderen melodischen Klang, eine zärtlich-atmende, lebendige Anziehungskraft, die den geneigten Leser sogleich in die Geschichte hineinverführt. Die dramaturgisch geschickt eingewobenen, schimmernd-changierenden Schnittstellen und Reflexionen zwischen Fiktion und Wirklichkeit sowie leibhaftige literarische Anspielungen bewirken – den Musen sei Dank – eine außergewöhnlich traumwandlerische LekTÜRE.

 

Hier entlang zum Buch auf der Verlagswebseite:
https://arsvivendi.com/Buch/Search/9783869131061-Zwitschernde-Fische

 

Wer gerne die wunderbaren Gesprächseröffnungsideen nachlesen möchte, schaue bitte unter folgendem Link nach, dort auf CHRINOLOS Webseite habe ich mich nämlich auf den ersten Leseblick in dieses Buch verguckt: https://seelenglimmern.com/2018/02/11/hier-konnte-in-einsamkeit-zweisamkeit-erbluehen/

 

Hier entlang zum Buchtrailer:

 

Der Autor:

»Andreas Séché, geboren 1968, schrieb als Journalist für Tageszeitungen und war zwölf Jahre lang Redakteur bei einer Zeitschrift in München, bevor er in seine Heimat, das Rheinland, zurückkehrte. Heute lebt er als Schriftsteller am Niederrhein. Bei ars vivendi sind bisher seine Romane Namiko und das Flüstern (2011), Zwitschernde Fische (2012) und Zeit der Zikaden (2013) erschienen.« http://andreas-seche.de

 

Querverweis:

Wechselwirkungen zwischen Literatur und Leben sind ein unermüdliches und spannendes Thema für Romane. Von einer solchen literarischen Spurensuche, ihren heiter bis wolkigen zwischenmenschlichen Verstrickungen, nebst schelmischen Bezügen zu verlegerischen Buchvermarktungsstrategien, handelt auch „Das geheime Leben des Monsieur Pick“ von David Foenkinos: https://leselebenszeichen.wordpress.com/2017/05/01/das-geheime-leben-des-monsieur-pick/

 

Leselebenszeichen-Datenschutzerklärung: https://leselebenszeichen.wordpress.com/datenschutzerklaerung/

Leben und Ansichten von Tristram Shandy, Gentleman BUCHAUSGABE

  • von Laurence Sterne 
  • Roman
  • Originaltitel: »The Life and Opinions of Tristram Shandy, Gentleman«
  • Aus dem Englischen übersetzt und kommentiert von
  • Michael Walter
  • Mit einer Dokumentation zur Entstehung des Romans,
  • einem Nachwort und einer Bibliographie
  • von Wolfgang Hörner
  • Verlag Galiani Berlin    September 2015   https://galiani.de
  • 848 Seiten, Klappenbroschur
  • 24,99 € (D) 25,70 € (A)
  • ISBN 978-3-86971-119-5

BIOGRAPHISCHE  SCHNIPSELJAGD

Zum 250. Todestag von Laurence Sterne am 18. März 2018

Buchbesprechung von Ulrike Sokul ©

„Schriftstellerei – so sie denn recht betrieben – ist nur eine andere Bezeichnung für Konversation.“

Obiges Zitat taucht uns sogleich nachhaltig in Laurence Sternes Tinte und bereitet uns auf die nachfolgende ausschweifende, anekdotisch-biographische Schnitzeljagd und digressive Eloquenz vor.

Wenn man bedenkt, daß es der Ich-Erzähler von „Leben und Ansichten von Tristram Shandy, Gentleman“, in Anbetracht seiner umständlichen – gleichwohl ausgesprochen unterhaltsamen – Abschweifungen, inhaltlich und chrono(un)logisch kaum über die Beschreibung seiner Empfängnis, Geburt und frühen Kindheit hinaus schafft, nimmt es Wunder, daß wir heutigen Lesezeitgenossen dennoch solch regen Anteil an seinem eigenwilligen Lebensweg nehmen.

Diese Anziehungskraft geht vom ebenso unkonventionellen wie vorwitzigen Erzählstil aus, obwohl es Sterne durch raffinierte Handlungsunterbrechungen, Klippenhänger und pikante Andeutungen durchaus auch gelingt, die inhaltliche Spannung auf den Fortgang seines schwierigen Lebenslaufes munter wachzuhalten. Er macht uns dank seiner differenzierten Charakterisierungen mit seinen Familienmitgliedern innig vertraut und überrascht uns dennoch unentwegt mit unverhofften Abzweigungen und Schicksals- schlägen.

Der Held und Ich-Erzähler Tristram Shandy lebt und schreibt im 18. Jahrhundert und unternimmt den vergeblichen Versuch, uns sein Leben zu erzählen. Zwar beginnt er recht folgerichtig und – angesichts der Epoche (der erste Band erblickte im Jahre 1759 das Licht der Öffentlichkeit) – unbefangen ausführlich mit der Schilderung seiner Zeugung. Doch im Anschluß daran folgen umfängliche Exkurse in die shandysche Familiengeschichte und diverse ehevertragliche Segnungen, Abschweifungen zu Ballistik, Medizin, Philosophie, Theologie, dem Nutzen von Hilfsverben, zur Züchtigkeit und Unzüchtigkeit von Knopf- und Schlüssellöchern, quietschenden Türen, Abzweigun- gen zur herausragend-eindeutigen Zweideutigkeit von Nasen und zum nicht zu unter- schätzenden schicksalhaft-charakterformenden Einfluß, den Namen unweigerlich auf die Lebensgestaltung haben – ganz zu schweigen von der pränatalen Bedeutung regelmäßig aufgezogener Standuhren.

Ergänzt wird dieses Panoptikum um liebevoll-lebhafte Charakterstudien von Mutter und Vater sowie Onkel Toby und seinem Korporal Trim, nebst dazugehörigen Anekdoten und Gedankensprüngen. Auch die Beziehungsdynamik zwischen Herr und Diener und allerlei ehetrauliche Petitessen und Regelmäßigkeiten werden mit ausschweifender Eloquenz ausgewalzt, bis man den ursprünglichen Erzählfaden längst aus den Augen verloren hat.

Das ist aber nicht weiter schlimm, sondern tatsächlich durchaus unterhaltsam und sehr ereignisreich, insbesondere weil der Autor häufig metafiktiv ins Geschehen eingreift und beispielsweise eine Figur lauschend an der Tür stehen läßt, um uns wieder irgendeine Vorgeschichte oder einen Zusammenhang zu erklären, und erst viel später wieder zur Ausgangsszene zurückkehrt, um sich in direkter Ansprache an den Leser dafür zu entschuldigen, daß es etwas länger gedauert habe.

Laurence Sternes Roman ist kurios, lustig und nachdenklich, insbesondere ist er jedoch ungewöhnlich freidenkerisch. Mit großer sprach- und wortspielerischer Lust serviert er eine vielschichtige Kombination aus charmanter Courtoisie, Corpus Delikati, skurrilen Psychogrammen und herzhaft-abgeklärter Zwischenmenschlichkeit, die dem gegen-wärtigen Leser – trotz unwiderstehlich-altmodischer Formulierungen – erstaunlich modern erscheint.

Sternes unkonventioneller Schreibstil spielt mit metafiktiven Hinweisen, ja, beinahe sogar mit Regieanweisungen. Er fragt den Leser unmittelbar nach seiner Meinung, entschuldigt sich bei der Leserin für eindeutige Zweideutigkeiten und beteuert seine Unschuld angesichts möglicher pikanter Mißverständnisse.

Der Ich-Erzähler bemüht sich nach Kräften, sein Leben mitzuschreiben, indes kommt er einfach nicht mit, und selbst nach neun vollendeten Bänden findet er keineswegs zum Ende, da er sich selbst ununterbrochen ins Wort fällt, sich in allerlei Spitzfindigkeiten und kapriziösen Aufzählungen ergeht und von Abschweifung zu Abschweifung schwadroniert.

En passant beklagt sich der Autor sogar selbst lebhaft darüber, daß sein noch so eifrig-eilendes Schreibbemühen seinen turbulenten Lebenslauf einfach nicht einholen kann, wofür er seine Leser und Rezensenten ausdrücklich um Geduld und Nachsicht bittet.

Der Vater, Walter Shandy, ist ein wohlhabender Gutsbesitzer und Kaufmann, lebens- und reiseerfahren, naturwissenschaftlich und philosophisch durchaus gelehrt und sehr belesen in antiken Klassikern, aber auch auf Lesedu mit Cervantes, Montaigne, Swift, Rabelais usw. In praktischen Dingen ist er allerdings alltagsuntauglich und schafft es nicht einmal, ein jämmerlich quietschendes Türscharnier ölen zu lassen, ganz zu schweigen von seinem erziehungstheoretischen Meisterwerk, seiner Tristra-Paedia, die er so langsam verfaßt, daß sie gar nicht ernsthaft zur Anwendung kommen kann.

Onkel Toby ist ein zartfühlender, gutmütiger, geradezu unschuldslammhafter Haupt-mann, der bei der Belagerung von Namur eine „Blessur an der Schamleiste empfing“ und nach langer Genesungszeit und ausgiebigen theoretischen Ballistik- und Festungsbaustudien seinen militärischen Eifer nun bei nachgestellten Modellbau- belagerungen im Garten auf einem Boselplatz – auf einem Steckenpferd reitend – austobt, zusammen mit seinem ehemaligen Burschen Korporal Trim, der inzwischen sein aktueller Kammerdiener, Modellbaumeister, Materialbeschaffer und Spielgefährte beim Steckenpferdreiten  ist.

Als Onkel Toby, der nicht den blassesten Schimmer hat, wo „das richtige oder falsche Ende einer Frau“ sei, sich in die benachbarte Witwe Wadman verliebt hat und um sie wirbt, ist seine Blessur an der Schamleiste Anlaß für unaussprechliche weibliche Spekulationen und Neubegierden bezüglich gewisser ungehöriger Einzelheiten der familienplanerischen Art …

Vorgeschichten von Vorgeschichten, umständliche Umstände, innere Befindlichkeiten und äußere Gegebenheiten, kuriose Zufälle und dramatische Mißgeschicke, emotionale und ideelle Über- und Unterempfindlichkeiten, Mißverständnisse und Verlegenheiten, Hinderlichkeiten, verfluchenswerte Verknotungen, Weis- und Albernheiten, assoziative Überleitungen, literarische Anspielungen sowie vielfache Zweideutigkeiten führen uns auf neue Erzählwege und vor allem Nebenwege – nur eine chronologische, gerade Linie liefert uns Laurence Sternes Textgespinst nicht. Doch gerade diese Unberechenbarkeit ist reizvoll und spannend, man errät nie, was als nächstes geschieht.

Laurence Sterne überschreitet gekonnt, galant-pikant und heiter-freizügig die üblichen Grenzen geschriebener Prosa. Selbstironische Fußnoten, eine gänzlich schwarzeinge-färbte Buchseite als Ausdruck von Trauer, ein Kapitel über Kapitel, unbeschriebene Seiten, lateinische, altgriechische, echte sowie erfundene Zitate, Kreuz- und Querver-weise, verheißungsvolle Vorankündigungen und erklärende Nachreichungen, Reflexionen auf Reflexionen, ein Alphabet der Liebe – literarische Experimentierfreude und übermütige Verspieltheit, wo man hinliest.

„Leben und Ansichten von Tristram Shandy, Gentleman“ ist ein Lesestoff, der nach konzentrierter Aufmerksamkeit verlangt; die verzweigungsreiche, assoziative Erzähl-weise, die Satzbaulabyrinthe mit ihrer eigenwilligen rhythmischen Satzzeichenpartitur, die possierliche Detailkrämerei, die umständlichen Wortgefechte, die unzähligen Neben-sachen, die sich dramatisch auf die Hauptfiguren auswirken usw., wollen ja im Geiste des Lesers in memorabler Balance gehalten werden.

Die im Anhang befindlichen ausführlichen Anmerkungen des Übersetzers zu zeitspezi-fischen Bezügen und Begriffen  sowie den dokumentarischen Anhang mit einigen Briefen Laurence Sternes sollte man tunlichst zu Rate ziehen, um den historischen Anspielungen angemessen folgen zu können.

Das informative Nachwort von Wolfgang Hörner eröffnet dem Leser zudem einen Einblick in die literatur-revolutionäre Kraft und Inspiration, die von diesem Werke ausging.

Fürwahr, der Autor reüssierte als admirabler Schelm und hatte und hat gewißlich zeitlosen Erfolg und Einfluß damit.

Daß sich hier und dort in meine Buchbesprechung altertümliche Wendungen hinein-ranken, läßt sich nach über 700 Seiten intensiver sternescher Leseerfahrung und vielen Lektürestunden auf Shandy-Hall und Umgebung mitnichten verhindern; zudem ist dies schon eine vorköstliche Probe aufs Original, wovon der hinkünftige Leser ergo profitiert. Also bitt‘ ich das geneigte Lesepublikum um empfängliche Aufgeschlossenheit für die erlesenen Umgangsförmlichkeiten, die wohlproportioniert auf mich abgefärbt haben.

Wie meinen? Ich solle mich kürzer fassen? Ja, mit Verlaub, Euer Gnaden, ist es denn überhaupt möglich, diesen Klassiker kurzzufassen? Nun, will ich es am Ende gerne tapfer wagen:

„Leben und Ansichten von Tristram Shandy, Gentleman“ ist ein famos-vergnügliches, geistreich-irrlichterndes, amouröses Meisterwerk, in welchem sich kultivierter Stil und sprachspielerische Lust vorzüglich paaren und amüsante Kurzweil zeugen.

Mit verbindlicher Empfehlung und wohlaffektionierten Grüßen
Euer Belesenheit
Ulrike Sokul von Leselebenszeichen

Die obig gezeigte Romanausgabe als Klappenbroschur gibt es inzwischen nicht mehr. Stattdessen können Sie sich an einer hochwertigen gebundenen Neuausgabe zu 38,00 € ergötzen. Hier entlang zum Buch auf der Verlagswebseite:
https://www.galiani.de/buch/laurence-sterne-leben-und-ansichten-von-tristram-shandy-gentleman-9783869711683

Querverweise:

Eine weitere Rezension finden Sie unter nachfolgendem Link: https://www.bonaventura.blog/2006/das-witzigste-buch-der-welt/

Hier entlang zu meiner entzückt-entzückenden Hörbuchbesprechung selbigen Werkes: https://leselebenszeichen.wordpress.com/2016/02/17/leben-und-ansichten-von-tristram-shandy-gentleman/

Anläßlich des 250. Todestages von Laurence Sterne bringt der Verlag Galiani Berlin in edel-bibliophiler Ausstattung die erste deutsche Werkausgabe zum Preis von 98 € (D) auf den Buchmarkt:

»Mit zahlreichen Erst- und Neuübersetzungen; komplett übersetzt vom vielfach preisgekrönten Michael Walter; drei Bände im Schuber, mit einem biographischen Beiheft von Wolfgang Hörner; prächtig ausgestattet, Fadenheftung, Lesebändchen, farbige Marbled Page.«

Hier entlang zur Werkausgabe auf der Verlagswebseite:
https://www.galiani.de/buch/laurence-sterne-werkausgabe-9783869711577

Der Autor:

»Laurence Sterne (1713-1768) schrieb nur zwei literarische Bücher. Beide aber machten weltweit Furore wie kaum je andere: Leben und Ansichten von Tristram Shandy, Gentleman (1759-1767) und Eine empfindsame Reise durch Frankreich und Italien. Von Mr. Yorick (1768). Er gilt (zu Recht) als Urvater des modernen Romans, seine Verehrer sind zahllos (um nur einige nicht-britische zu nennen: Lessing, Wieland, Diderot, Goethe, Jean Paul, Thomas Mann, Sigmund Freud, Nabokov, Arno Schmidt, Italo Calvino, Javier Marias). Seine Bücher sind seit Erscheinen Grundbestand jedes guten Bücherschranks.«

Der Übersetzer:

»Michael Walter lebt und arbeitet in München. In den über 30 Jahren seiner beruflichen Tätigkeit als freier Übersetzer hat er über 60 Werke nahezu aller literarischen Genres übersetzt, u.a. von Lewis Carroll, George Orwell, Julian Barnes, Henry James, Herman Melville. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Johann-Heinrich-Voss-Preis und 2018 den Europäischen Übersetzerpreis.«

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Sartana – noch warm und schon Sand drauf

  • von und mit Bela B und Rainer Brandt
  • Hörspiel nach der Synchronfassung des gleichnamigen Films von Rainer Brandt,
  • bearbeitet und ergänzt von Leonhard Koppelmann, Roland Slawik und Christian Keßler
  • Produktion: Westdeutscher Rundfunk Köln 2016
  • der Hörverlag  November 2016   http://www.hoerverlag.de
  • Regie: Leonhard Koppelmann
  • Sprecher: Bela B, Peta Devlin,
  • Oliver Rohrbeck, Stefan Kaminski, Rainer Brandt u.a.
  • Musik: Bela B, Peta Devlin, Smokestack Lightnin‘
  • 2 CDs
  • mit Infobeilage und Leporello-Comic von Robert Schlunze
  • Laufzeit: ca. 1 Stunde 32 Minuten
  • 16,99 € (D), 16,99 € (A), 24,50 € sFr.
  • ISBN 978-3-8445-2475-8
    Sartana noch warm und schon Sand drauf von

SCHARFZÜNGIG  UND  SCHIESSGESCHWIND

Hörspielbesprechung von Ulrike Sokul ©

Räusperräusperhüstel – so langsam legen sich Wüstenstaub, Feuerwerksqualm und Pulverdunst, und ich kann meine Tastatur wiedererkennen. Das Echo twangiger Gitarrenklänge hallt mir noch in den Lauschlöffelchen, da will ich doch mal ein bißchen Rezensionsblut – ähm – Tinte vergießen.

Da hat sich ein illustres Ensemble zusammengefunden, um einen Spaghetti-Western in ein Hörspiel zu transformieren: Bela B, Peta Devlin und die Band Smokestack Lightnin‘ von der musikalischen Fraktion sowie Stefan Kaminski, Oliver Rohrbeck und die Synchronlegende Rainer Brandt (die deutsche Synchronstimme von Elvis, Tony Curtis, Jean Paul Belmondo…) von der schauspielerischen Fraktion. Regie führt Leonhard Koppelmann, dessen Hörspielinszenierung „Paul Temple und der Fall Gregory“ https://leselebenszeichen.wordpress.com/2015/05/13/paul-temple-und-der-fall-gregory/  ich vor einiger Zeit bereits enthusiastisch besprochen habe.

Umrahmt wird die schießwütige Handlung von metafiktiven Kommentaren, flapsigen Wortspielen und Italo-Western-Fachsimpeleien der beteiligten Hörspielsprecher. Das testosterongeschwängerte Genre wird durch die Einwände und selbstironisch-genderge-krösigen Verbesserungsvorschläge der einzigen weiblichen Mitspielerin und Sängerin (Peta Devlin) amüsant bereichert.

Sartana, der einsame Rächer und Scharfschütze der Kugel und des Wortes, reitet mit seinem 1-PS-Gaul Theophil durch die „staubstaubige Staubwüste“ bis in das Städtchen Indian Creek. Dort und in der näheren Umgebungswildwestnis fegt er einen großen Haufen Halunken ins Jenseits und verfügt dabei sogar über die Güte, die von ihm erledigten Schurken anständig und beblümt beerdigen zu lassen. O-Ton: „Ich arbeite nämlich mit eigenem Friedhof.“

Stets ist er seinen Widersachern mindestens eine Revolverlänge voraus, und auch sonst ist er nicht aufs Köpfchen gefallen und wirft eloquent-schnodderig mit coolen Sprüchen um sich. Er spekuliert mit sandigen, goldverdächtigen Grundstücken, legt sich gewagt mit Falschspielern an und liefert sich mit dem chinesischen Spielsalon-Boß Lee Tse Tung schlagfertige Zitatduelle. Beiläufig vernascht Sartana die attraktive Luderlady Jasemine, was jedoch auf triebhaft-berechnender Gegenseitigkeit beruht.

Ein böser Banker, ein korrupter Sheriff, eine zwielichtige Spelunkenchefin, eine lange Ahnengalerie von Gangstern und ein Totengräber im Akkordmodus runden den munteren Charakterköpfchen-Reigen sowie die explosive Dramaturgie treffsicher ab.

Doch was fasel ich Ihnen von Inhalten und Figurenschablonen – der Stil ist es, der hier den Ton angibt, und die wunderbare musikalische Kulisse, für die sich Smokestack Lightnin‘, Bela B und Peta Devlin mächtig ins Zaumzeug legen.

Alle Sprecher sind stimmkünstlerisch genial und professionell wortgewandt, und als Zugabe hört man ihnen auch die Spielfreude glaubhaft an.

Ich weiß nicht, was mir besser gefällt, die musikalischen Ennio-Morricone-Anspielungen, die schrägen Liedchen, das Western-Klischeegeklimper, die Wortspiele oder die markigen Sprüche, etwa:

„Es wird Zeit für Dich, sich zu subtrahieren!“

„Dem aufmerksamen Lauscher klingt das wie eine Drohung.“

„So, nun zeigt mal Papa, wie groß ihr seid. Hände schön in die Höh‘!“

„Ich glaub‘, mein Tintenfisch kleckert.“

„Übrigens, schöne Tapete haben Sie da an, Meister Chang! Selbst gemalt?“

„Ist das Asthma oder Leidenschaft?“

„Bleib senkrecht, Junge!“

Jetzt habe ich mich so auf den Italo-Western-Jargon eingeschossen, daß ich noch stundenlang aus dem kugelsicheren Westentäschlein plaudern könnte. Doch was schreib‘ ich mir hier Schwielen an die zarten Bücherfeenpfötchen: Hopp, Amigos, schwingt Euch aufs Pferd und trabt mal an – klickediklack – zur Verlagswebseite und genehmigt Euch ‘ne saftige Prise vom Hörspielpröbchen…
https://www.randomhouse.de/Hoerbuch/Sartana-noch-warm-und-schon-Sand-drauf/der-Hoerverlag/e512474.rhd#info

Hier entlangtraben zum informativen Werbefilm über die Sartana-Tournee:
https://www.youtube.com/watch?v=FLzS-7DFjZA
Na, schon süchtig, Campañeros? Hier noch ein Leseprobenhäppchen sowie ein Interview mit Bela B, Oliver Rohrbeck & Stefan Kaminski: https://www.youtube.com/watch?v=3vgzXT7sTOg

Dieses höllisch-vergnügliche Hörspiel ist seit dem 3.12.2016 auch auf Tournee zu erlauschleben. Tourdaten unter: http://www.bela-b.de
sartana-tourneedatenplakat
ACHTUNG, die Tourdaten haben sich geändert! Nachfolgend die aktualisierten Daten:

BELA B Featuring PETA DEVLIN, STEFAN KAMINSKI 
& SMOKESTACK LIGHTNIN´ (live on stage!)
Di., 28. Februar, Berlin, Theater am Kurfürstendamm (ausverkauft)
(special guest: Oliver Rohrbeck) 
Mi., 01. März, Berlin, Theater am Kurfürstendamm (ausverkauft)
(special guest: Oliver Rohrbeck)
Fr., 03. März, Hannover, Theater am Aegi
(special guest: Oliver Rohrbeck)
Sa., 04. März, Braunschweig, Staatstheater Braunschweig
(special guest: Oliver Rohrbeck)
So., 05. März, Erfurt, Alte Oper
Di., 07. März, Stuttgart, Theaterhaus
Fr., 24. März, Stade (Hamburg), Stadeum
Sa., 25. März, Münster Congress-Saal (Halle Münsterland)
So., 26. März, Bochum, Schauspielhaus (ausverkauft)
Di., 28. März, Bremen, Musical Theater
Mi, 29. März, Paderborn, Paderhalle
(special guest: Oliver Rohrbeck)
Do., 30. März, Köln, Klaus-von-Bismarck-Saal
(special guest: Oliver Rohrbeck)

 

Die Mitwirkenden:

»Bela B ist Schlagzeuger, Komponist, Sänger, Schauspieler und Synchronsprecher. Als Mitglied der Band Die Ärzte ist er in Deutschland eine bekannte Größe. Doch auch mit seinen Soloalben und diversen anderen Projekten konnte er große Erfolge verzeichnen. Neben der Musik widmet sich Bela B seinen vielseitigen Interessen und Hobbys. So leitete er zeitweise einen eigenen Comic-Verlag und betätigte sich als Autor und Schauspieler. Sein künstlerisches Interesse gilt nicht zuletzt dem Erzählen von Geschichten. Er verleiht dem Blechmann aus dem Zauberer von Oz in der Version der Augsburger Puppenkiste mit seiner Stimme Leben und wirkt an zahlreichen Hörbuchprojekten mit.«

»Oliver Rohrbeck, geboren 1965, sammelte schon als Kind bei der Sesamstraße erste Fernseh- und Schauspielerfahrungen. Seit seiner Kindheit ist er als Synchronsprecher tätig und leiht regelmäßig Ben Stiller seine Stimme. Einer großen Hörerschaft ist er als Justus Jonas durch die Hörspielreihe Die drei ???  bekannt. Außerdem arbeitet er als Sychronregisseur und ist der Chef und die kreative Kopf der Lauscherlounge.«

»Stefan Kaminski, geboren 1974, wollte eigentlich immer Meeresbiologe werden, hat dann aber Mikrofone, Kassetten und Geräusche für sich entdeckt – und seine Stimme, die aus vielem zu bestehen schien! Sein professioneller Weg begann 1996 beim Hörfunk, es folgte ein Schauspielstudium an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch. Lange spielte er am Deutschen Theater Berlin, wo er 2005 das Live-Hörspielformat Kaminski ON AIR entstand. Seine Stimme ist in vielen Produktionen von Radio, Fernsehen und Hörbuchverlagen zu hören. Er wurde vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Deutschen Hörbuchpreis und dem Preis der Deutschen Schallplattenkritik.«

»Peta Devlin ist Musikerin sowie Musik- und Hörpsielproduzentin. In den 90er Jahren zog sie von England nach Hamburg. Sie war Bassistin mehrerer Bands, arbeitete an Bela Bs Album Bye mit und ist seit 2013 u.a. auch mit Bela B und Smokestack Lightnin‘ auf Tour.«

»Smokestack Lightnin‘ ist eine Americana-Rootsrock-Band aus Nürnberg. Sie arbeiteten bereits mit Bela B für sein Album Bye zusammen. Für Sartana steuern sie zusammen mit Bela B und Peta Devlin den Sountrack bei, der sich durch seine geniale Mischung aus Rockabilly, Country, Soul, Folk und twangigen Gitarren dem Western-Genre nähert.«

»Rainer Brandt, geboren 1936, ist Synchronsprecher. Synchronregisseur und Dialogbuchautor. Bereits während seiner Schauspielausbildung begann er mit der Tätigkeit als Synchronsprecher. Er lieh seine Stimme u.a. Elvis Presley, Tony Curtis, Jean-Paul Belmondo. Die von ihm verfassten Dialoge kennt man in erster Linie aus zahlreichen Filmen mit Bud Spencer und Terrence Hill oder auch aus US-Sitcoms wie Seinfeld und Frasier

 

Musikalisches Postskriptum:

Am 17.2. 2017 (man beachte die feine Zahlenkombination) ist das neue Soloalbum von Bela B erschienen:

bela-b-cd-bastard

Bela B

bastard

Label: B-Sploitation

Label Code: 33231

Vertrieb: Rough Trade

Formate: CD im Digipak, 12“-Vinyl, Download

 

Da ich es noch nicht vollständig selbst belauschlöffeln konnte, zitiere ich mal frech-gelassen aus der Pressemitteilung:

»Ein Schuss. Ein Held. Ein Album.
Bela B hat sein viertes Solo-Album im Ärmel und zum zweiten Mal schüttelt er es, gemeinsam mit seinem musischen Retro-Mob bestehend aus der wundervollen Peta Devlin und den unrasierten Smokestack Lightnin’, aufs Lässigste heraus.
bastard ist eine Hommage an die Un- wie Liebenswürdigkeiten, die der Western im Allgemeinen und der Spaghettiwestern im Speziellen zu bieten hat: einen ranzigen, imposanten, phrasen-preschenden Helden, eine kleine Stadt mit Casino und ohne Moral, mit diversen Duellen, einem vollzeitbeschäftigten Leichenbestatter sowie die eine bezaubernde Lady, die dir dein Herz mit gezücktem Peacemaker stiehlt.«

Also LOS Leute, schwingt Eure Lassos und fangt Euch das Hörspiel und/oder die neue Musik-CD oder eine Eintrittskarte.
Eine herrliche KOSTPROBE (nebst Augsburger-Puppenkisten-Animation 😉 ) kann man unter nachfolgendem Link betrachten und erhören: 
https://www.youtube.com/watch?v=zQNwlBiY754

 

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Die Katze, der Hund, Rotkäppchen, die explodierenden Eier, der Wolf und Omas Kleiderschrank

  • Bilderbuch
  • von Diane und Christyan Fox
  • Originaltitel:
  • »The Cat, the Dog, Little Red, the Exploding Eggs, the Wolf and Grandma’s Wardrobe«
  • Aus dem Englischen von Alexandra Ernst
  • Verlag Freies Geistesleben Februar 2016  http://www.geistesleben.com
  • gebunden. Fadenheftung
  • 32 Seiten
  • Format: 24,5 x 28 cm
  • 15,90 € (D), 16,40 € (A)
  • ISBN 978-3-7725-2791-3
  • ab 5 Jahren
    9783772527913

S U P E R R O T K Ä P P C H E N

Bilderbuchbesprechung von Ulrike Sokul ©

Es war einmal, eine Katze, die einem Hund das Märchen vom Rotkäppchen vorlesen wollte. Der Hund war zwar ganz Ohr, aber auch ziemlich vorlaut, und unterbrach die Märchenstunde immer wieder, um Zwischenfragen zur Handlung zu stellen, die Charaktereigenschaften der Märchenfiguren zu kommentieren und eigene Ideen in die Geschichte zu schmuggeln.

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Illustration & Text von Diane und Christyan Fox © Verlag Freies Geistesleben 2016

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Illustration & Text von Diane und Christyan Fox © Verlag Freies Geistesleben 2016

 

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Illustration & Text von Diane und Christyan Fox © Verlag Freies Geistesleben 2016

 

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Illustration & Text von Diane und Christyan Fox © Verlag Freies Geistesleben 2016

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Illustration & Text von Diane und Christyan Fox © Verlag Freies Geistesleben 2016

Satz für Satz mußte die Katze die Unwissenheit, den abenteuerlichen Übermut und die eigenwilligen Interpretationen des Hundes korrigieren. So wußte der Hund nicht einmal, was Zuckerwerk sei; er unterstellte dem Rotkäppchen einerseits allerlei Superkräfte, wie beispielsweise einen „Laser der Liebenswürdigkeit“, und andererseits hielt er es für ein bißchen dumm, da es den Wolf nicht als Wolf erkannte, nur weil er die Kleidung der Großmutter angezogen hatte. Schließlich bekam der Hund sogar Mitleid mit dem bösen Wolf und fragte ernsthaft, ob sich die Katze sicher wäre, daß dies ein Kinderbuch sei.

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Illustration & Text von Diane und Christyan Fox © Verlag Freies Geistesleben 2016

 

Die Katze wurde von Unterbrechung zu Unterbrechung, von Mißverständnis zu Mißverständnis und von Zwischenfrage zu Zwischenfrage immer ungehaltener und pfefferte dem Hund schließlich das Märchenbuch an den Kopf; sollte er sich doch selbst ein Buch zum Lesen aussuchen …

Hier wird das gute alte Rotkäppchen mal so richtig aufgemischt, skeptischer Hinterfragung und den Einflüssen einer eigenwillig, action-betonten Perspektive ausgesetzt. Das Ergebnis ist ein witziges, originelles Bilderbuch, in dem die Beziehungsdynamik zwischen Hund und Katze, bzw. zwischen Vorlesegeber und Vorlesenehmer die Hauptrolle spielt.

Das sprachliche Niveau ist, abgesehen von den Märchenzitaten, flapsig-umgangssprachlich und dient wohl kaum der Verfeinerung des kindlichen Sprachvermögens. Gleichwohl dient diese Umgangssprachlichkeit als sprachspielerisches Kontrastmittel durchaus der Unterhaltsamkeit des Textes.

Die comicartigen Zeichnungen und die temperamentvolle Dialogstruktur des Textes bieten ein amüsant-skurriles Vorlesevergnügen mit lustigen, metafiktiven Details, die nebenbei bemerkt, sogar schon auf den Vorsatzblattseiten beginnen. Dort nämlich tauchen Hund und Katze bereits auf, und die Katze erklärt dem Hund, was das Vorsatzpapier sei.

Schließlich kann man gar nicht früh genug vermitteln, daß Lesen bildet; und wenn das, wie im vorliegenden Bilderbuch, auch noch mit Spaß und unmittelbarer Anschaulichkeit verbunden ist, umso besser.

Und wenn Sie nicht andauernd unterbrochen werden, so vorlesen Sie noch heute …

 

Hier entlang zum Buch und zur LESEPROBE auf der Verlagswebseite:
https://www.geistesleben.de/Buecher-die-mitwachsen/Bilderbuch/Die-Katze-der-Hund-Rotkaeppchen-die-explodierenden-Eier-der-Wolf-und-Omas-Kleiderschrank.html

 

Die Autoren und Illustratoren:

»Diane und Christyan Fox haben in den vergangenen 26 Jahren schon mehr als 40 Kinderbücher gemeinsam gestaltet. Christyan hat darüber hinaus noch 37 weitere Bücher verschiedener Autoren illustriert. Nach ihrem gemeinsamen Graphic Design-Studium an der Universität Middlesex verfolgte zunächst jeder für sich seine Karriere, bis sie herausfanden, wie gut sie zusammenarbeiteten. Sie leben mit ihren drei Kindern in der Nähe von London.«

Querverweise:

Hier findet sich noch eine weitere – leicht ernährungslehrhafte – Rotkäppchenvariation:
https://leselebenszeichen.wordpress.com/2014/03/26/der-liebste-wolf-der-welt/

Und hier ein sehr unkonventionelles und ausgesprochen ungezogenesRotkäppchen:
https://leselebenszeichen.wordpress.com/2016/10/30/rotkaeppchen-hat-keine-lust/

 

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Ensel und Krete

  • Ein Märchen aus Zamonien
  • von Walter Moers
  • ungekürzte Lesung von Dirk Bach
  • 1 mp3-CD,  Laufzeit: 7 Stunden, 20 Minuten
  • der Hörverlag, November 2013     www.HOERVERLAG.DE
  • ISBN  978-3-8445-1353-0
  • 19,99 € (D), 22,50 € (A), 28,50 sFr.
    Ensel und Krete HÖRBUCH

Sprecher: Dirk Bach
Regie: Thomas Krüger
Buchvorlage: Knaus Verlag
Produktion: Hessischer Rundfunk 2002

HEXENHUTPILZE  IM  CHLOROPHYLLIDYLL

Hörbuchbesprechung von Ulrike Sokul ©

Der zweite ZAMONIEN-Roman von Walter Moers knüpft gekonnt an das verheißungsvolle Ende des ersten an – siehe meine genüßliche und kennerische Besprechung vom Dezember 2013: „Die 13 ½  Leben des Käpt’n Blaubär“: https://leselebenszeichen.wordpress.com/2013/12/25/die-13½-leben-des-kaptn-blaubar/

Ich sollte vielleicht noch erwähnen, daß Walter Moers nicht der wirkliche Autor des vorliegenden Werkes ist, sondern der Übersetzer des wahren Schriftstellers, Hildegunst von Mythenmetz. Walter Moers nimmt die spielerische Mühe auf sich, uns das aus- ufernde Werk dieses Schreibosauriers aus dem Zamonischen ins Deutsche zu über- tragen. Dank und Orm-Segen sind ihm für diese literarische Meisterleistung gewiß!

Nachdem Käpt’n Blaubär und seine Buntbärenartgenossen wieder im Großen Wald eingezogen sind, herrschen eitel Sonnenschein und strenge Chlorophylleuphorie im wiederbesiedelten Forst.

Wir folgen Dirk Bachs lesespielfreudiger Stimme in ein erstaunliches Waldparadies:
Die Buntbären haben den Großen Wald weitgehend  kultiviert und zivilisiert (aber nicht weitgehend genug – da müßte jetzt ein schadenfrohes Stollentroll-„Kähähä“  ertönen). Sie bewirtschaften und pflegen den Wald nachhaltig, sie betätigen sich als fleißige Imker und Blaubeerenwinzer, und sie haben für jeden Touristengeschmack die passende Wald- pension nebst graduell abgestimmtem, wohldosiertem Verwilderungsangebot.

Bauming, so der neue Name des Großen Waldes, hat sich in ein attraktives, zamonisches Traumurlaubsziel verwandelt. Die Besucher können wandern, picknicken, Waldlehr- pfaden folgen, ihre Kinder botanisch-pädagisch betreuen lassen, Forellen räuchern und beruhigt schlafen, gut bewacht von den allgegenwärtigen „Brandwächtern“ und „Waldhütern“.

Dieser grüne Himmel auf Erden enthält jedoch sehr viele Verbotsschilder, die ausdrücklich davor warnen, den wirklich wilden Bereich des Waldes zu betreten. Das sollte uns zu denken geben, schließlich gibt es kein Licht ohne Schatten …

Die kleinen Heldchen in dieser Geschichte heißen Ensel und Krete und gehören zur Daseinsform der freundlich-friedlichen und niedlichen Fhernhachenzwerge. Ensel und Krete sind Zwillinge und achteinviertel Jahre jung, und sie verbringen ihren Urlaub in Bauming.

Während Krete ganz zufrieden mit dem Kinderprogramm ist, langweilt sich ihr Bruder, der sich, inspiriert von seiner ausgiebigen „Prinz-Kaltbluth-Romane“-Lektüre, nach verbotenen Abenteuern jenseits der vorgeschriebenen Touristenpfade sehnt. Beim vorschriftsmäßigen Himbeerensammeln überredet Ensel seine Schwester dazu, einmal etwas UnerLAUBtes zu tun:

Sie verlassen den erLAUBten, befestigten Wanderweg und gehen richtig in den Wald hinein. Ensel will eine Eiche erklettern oder wenigstens einen verborgenen Schatz finden. Um sich nicht zu verlaufen, legen die beiden eine Spur aus gepflückten Himbeeren, die leider hinter ihrem Rücken von einem Erdgnömchen freudig entdeckt und eingesammelt werden.

Natürlich finden die beiden Herzchen nicht mehr zurück und verirren sich immer tiefer im unbewohnten, finsteren Teil des Waldes…

Walter Moers, alias Hildegunst von Mythenmetz, unterbricht die weitere Erzählung mit diversen „Mythenmetzschen Abschweifungen“, in denen er die eigene Geschichte kommentiert und gesellschaftskritische und literaturkritikerkritische Anmerkungen macht. Einmal gibt er aus purer künstlerischer Freiheit sowie launischer Willkür einige Seiten lang nur „Brummli, Brummli, Brummli“ von sich. Diese Passage abwechslungsreich zu lesen ist Dirk Bach  –  Hexenhut ab  –   wirklich gelungen.

Hildegunst erweist uns die Gunst und lädt uns in seine Schreibwerkstatt ein: Er öffnet seine Inspirationsduftschubladen, schwadroniert gönnerhaft über gute und schlechte Bücher, über das Orm (eine Art mystischer, dichterischer Inspirationsgabe, ein unfaß- bares poetisches Fluidum),  klärt uns über die „Sieben Grundtugenden des Dichters“ auf und verabreicht uns Regelsätze wie z.B. „Alle gute Literatur lügt. Gute Literatur lügt gut, schlechte Literatur lügt schlecht.“

Kurz: Er zählt auf und rechnet ab, zieht literarische Bilanz, doziert über seine poetischen Auffassungen und übt Kollegenschelte, zudem schweift er auch noch ab zu Fragen des zamonischen Steuerrechts, zu Feinschmeckerrezepten, zu seinen hypochondrischen Befindlichkeiten und so weiter und so weiter … wobei er sich ununterbrochen in geistreicher Selbstgefälligkeit die Ehre gibt.

Diese metafikitiven, mythenmetzschen Ausschweifungen sind höchst unterhaltsam und charakterisieren eine Figur, die in den Romanen  „Die Stadt der Träumenden Bücher“ und  „Das Labyrinth der Träumenden Bücher“ die Hauptrolle übernehmen wird. Doch da sind wir jetzt noch nicht  –  kehren wir zurück zu den armen verirrten Zwergenkindern.

Ensel und Krete begegnen der dunklen, verdrängten, ungezähmten Seite des Waldes, und sie werden beinahe von einem Laubwolf verspeist. Sie müssen hungern, da ihre botanischen Kenntnisse nicht ausreichen, um die seltsamen und teilweise makaber-unnatürlichen Gewächse, die ihren strapaziösen Weg säumen, als giftig oder ungiftig einzuordnen.

Auf der Suche nach Wasser tritt Ensel in einen Tümpel aus schwarzer, zäher Flüssigkeit und schließt so Bekanntschaft mit einem geschmolzenen Meteor. Dieser vermittelt ihm eine telepathisch übertragene, meteorschweifige Reise durchs Weltall;  außerdem erfährt Ensel, wie die böse Waldspinnenhexe einst im Großen Wald  ankam.

Der Wald wird immer bedrohlicher, unheimlicher und verhexter. Ensel und Krete werden vom Stollentroll getäuscht und von Sternenstaunern enttäuscht.

Krete ertrinkt fast im Treibgras und wird von einer kapriziösen Orchidee mit sehr, sehr langer Pflanzenzunge gerettet. Zum diplomatischen Dank graben sie die ausgesprochen kommunikative Pflanzendiva aus und versprechen, sie zu einem behaglicheren Waldstandort zu transportieren.

Ganz klassisch finden Ensel und Krete auf einer Waldlichtung ein kleines Häuschen. Zögernd treten sie ein, auf dem Herd steht ein Topf, gefüllt mit verführerisch duftenden Knödeln (leckere alte Bekannte aus „Die13 ½  Leben des Käpt’n Blaubär“). Ahnungslos und ausgehungert verschlingen die Kinder die köstlichen Knödel, die leider, leider, leider ein ganz fieser, fieser Hexenköder sind …

An dieser Stelle lasse ich Sie jetzt ganz und gar und gnadenlos im Ungewissen über den Ausgang des Märchens.

Und bevor es feministische Schelte wegen der bösen Hexe gibt: Hildegunst von Mythenmetz läßt es sich nicht nehmen, in einer seiner Abschweifungen eine herzhafte Hexenapologie zu formulieren und den Begriff der bösen Hexe nur für bedauerliche seltene und böse Ausnahmen gelten zu lassen.

Mit „Ensel und Krete“ gelingt Walter Moers neben einer spannenden Märchenneu- erzählung eine sehr einfühlsame Darstellung kindlicher Charaktere. Die Figuren- zeichnung, Beziehungsdynamik und das Erfahrungswachstum der Geschwister Ensel und Krete zeugen von psychologischem Feinsinn und erfreulich kindlichem Gemüt.

Walter Moers‘ Sprachstil ist amüsant, anspielungsreich, erfinderisch, geistreich, genüß- lich, sinnlich, vieldeutig und wortspielerisch. Dirk Bach, als Vorleser, wird allen Facetten der moers-mythenmetzschen Eloquenz AUSGESPROCHEN gerecht. Dirk Bach (1961 – 2012) bespielt virtuos und nuanciert das Instrument seiner Stimme und verleiht allen Charakteren eine eigene lebhafte, akustische Gestalt. Es ist wahrlich ein Fest, ihm zu lauschen! DANK sei ihm dafür in seinen himmlischen Höhen.

Im Anschluß an das Märchen von „Ensel und Krete“ erzählt uns Walter Moers noch – als kleine, kurzweilige Zugabe  – die halbe Biblio-Biographie des Hildegunst von Mythenmetz. Spätestens nach diesen ersten fünfhundert Lebensjahren (Hildegunst gehört zur Daseinsform der vernunftbegabten, aufrechtgehenden Dinosaurier, die eine durchschnittliche Lebenserwartung von tausend Jahren haben) schwant uns, daß das nicht das letzte mythenmetzsche Wort gewesen sein kann.

Hier wie auch an anderen Stellen des vorliegenden bzw. vorgelesenen Buches zeigt sich Walter Moers‘ erzählerischer Weitblick. Leser, die mit den nachfolgenden Werken vertraut sind, werden in „Ensel und Krete“ viele Ideenkeime erkennen, die in späteren ZAMONIEN-Romanen bunteste Blüten und reichhaltigste Früchte treiben.

Walter Moers besitzt eine Vorstellungskraft, die ich lieber Vorstellungsmagnetismus nenne, da sie so unwiderstehlich-anziehend ist und eine unheilbare Lesesucht auslösen kann.

Der Autor verfügt über eine wunderbare Beobachtungs- und Beschreibungsgabe, nichts ist ihm zu klein oder zu groß, um nicht dichterisch bemerkt, erfaßt und verarbeitet zu werden. Dazu kommen spürbare kreative Ausgelassenheit, die verwegene Verbindung von Tiefsinn und Verspieltheit, herzhafter Humor, schriftstellerische Selbstironie und absolute dramaturgische Präsenz.

Ich komme aus dem Schwärmen gar nicht mehr heraus!

 

Hier entlang zum Hörbuch und zur Hörprobe auf der Verlagswebseite:
https://www.randomhouse.de/Hoerbuch-MP3/Ensel-und-Krete/Walter-Moers/der-Hoerverlag/e451649.rhd

 

PS:
Die Taschenbuchausgabe von „Ensel und Krete“ ist im Goldmann Verlag erschienen.

Ensel und Krete von Walter Moers

  • Ensel und Krete
  • von Walter Moers
  • 254 Seiten
  • mit Illustrationen von Walter Moers
  • ISBN  978-3-442-45017-6
  • 9,95 € (D), € 10,30 € (A),  13,50 sFr.

Hier entlang zum Buch und zur Leseprobe auf der Verlagswebseite:
https://www.randomhouse.de/Taschenbuch/Ensel-und-Krete/Walter-Moers/Goldmann-TB/e79201.rhd

 

 

 

Der Autor:

»Der Lindwurm Hildegunst von Mythenmetz ist der bedeutendste Großschriftsteller Zamoniens. Berühmt wurde er durch seine 25-bändige Autobiographie „Reiseerinnerungen eines sentimentalen Dinosauriers“, ein literarischer Bericht über seine Abenteuer in ganz Zamonien und vor allem in der Bücherstadt Buchhaim.
Sein Schöpfer Walter Moers hat sich mit seinen phantastischen Romanen, weit über die Grenzen des deutschen Sprachraums hinaus, in die Herzen der Leser und Kritiker geschrieben. Alle seine Romane wie „Die 13 ½ Leben des Käpt’n Blaubär“, „Die Stadt der träumenden Bücher“, „Der Schrecksenmeister“ und „Das Labyrinth der Träumenden Bücher“ waren Bestseller.
Neben dem Kontinent Zamonien mit seinen zahlreichen Daseinsformen und Geschichten hat Walter Moers auch so erfolgreiche Charaktere wie den Käpt’n Blaubär, das Kleine Arschloch und die Comicfigur Adolf, die Nazisau geschaffen.«

 

Der Sprecher:

»Dirk Bach (1961-2012) war Schauspieler, Moderator, Hörbuch- und Synchronsprecher und zählte im deutschen Fernsehen wie auf der Bühne zu den populärsten Komikern.
Nach ersten Erfahrungen auf Studentenbühnen wurde er 1992 festes Ensemblemitglied des Kölner Schauspielhauses. Einem breiteren Publikum wurde er 1992 mit der „Dirk Bach Show“ (RTL und Super RTL) bekannt. Es folgten die Serien „Lukas“ (1996-2001, ZDF) und „Der kleine Mönch“ (2002, ZDF). Seit 2004 führte er zusammen mit Sonja Zietlow durch die RTL-Sendung „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“. In der „Schillerstraße“ (Sat.1) wirkte Dirk Bach 2004 und 2005 als Freund von Cordula Stratmann mit und kehrte 2009 als Kurier und Freund von Jürgen Vogel dorthin zurück. 2009 moderierte er die Sendung „Einfach Bach“ bei Sat.1. Im Sommer 2010 gehörte er zum Ensemble der Wormser Nibelungen-Festspiele.
Zu seinen Auszeichnungen zählen: 1996 ‚Telestar‘, 1999 und 2007 ‚Deutscher Comedypreis‘ und 2001 die ‚Goldene Kamera‘. Für seinen sozialen Einsatz hat er im Jahr 2000 den ‚Humanitary Award‘ erhalten.«

 

Hier entlang zu meinen weiteren Moers-Mythenmetz Rezensionshuldigungen:

Zum ersten Zamonien-Roman: Die 13½ Leben des Käpt’n Blaubär
https://leselebenszeichen.wordpress.com/2013/12/25/die-13½-leben-des-kaptn-blaubar/
zum dritten: RUMO
https://leselebenszeichen.wordpress.com/2014/05/28/rumo/
sowie zum siebten Streich: Prinzessin Insomnia und der alptraumfarbene Nachtmahr
https://leselebenszeichen.wordpress.com/2017/11/01/prinzessin-insomnia-der-alptraumfarbene-nachtmahr/
zum achten Lesehäppchen: Weihnachten auf der Lindwurmfeste
https://leselebenszeichen.wordpress.com/2018/12/22/weihnachten-auf-der-lindwurmfeste/
und zum neunten Zamonien-Roman: Der Bücherdrache
https://leselebenszeichen.wordpress.com/2019/04/10/der-buecherdrache/

 

 

 

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Wo ist Thursday Next?

  • Thursday Next, Band 6
  • von Jasper Fforde
  • Übersetzung ins Deutsche Joachim Stern
  • dtv Verlag Juli 2013    http://www.dtv.de
  • 978-3-423-21453-7
  • 396 Seiten
  • 10,95 €
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LESEN  ODER  GELESEN WERDEN,  DAS  IST  HIER  DIE  FRAGE

Buchbesprechung von Ulrike Sokul ©

Nachdem mich Herr Fforde nach den ersten 5 Thursday Next-Bänden lange, lange, lange und lesesehnsüchtig auf Ungewißheitspünktchen … hat sitzen lassen, kann ich mich nun endlich dem 6. Band widmen.

Wer die ersten 5 Bände noch nicht kennt, sollte zunächst meine diesbezügliche Besprechung vom Mai 2013 lesen, https://leselebenszeichen.wordpress.com/2013/05/01/thursday-next-band-1-5/ sonst versteht man hier nämlich nur Buchstabensalat.

Die Frage, wo Thursday Next ist, begleitet uns als roter Faden durch den 6. Band. Die echte Thursday Next ist verschwunden, und – soviel darf ich wohl verraten –  bis Seite 385 bleibt sie auch verschwunden. Doch bis Seite 385 ist es noch ein langer, aufregender und skurriler Leseweg mit vielen Verfolgungsjagden, dramatischen Ungewißheiten und Verwirrspielchen.

Der Kosmos der Thursday-Next-Reihe besteht aus einer Realwelt und einer Buchwelt. Dazwischen gibt es Schnittstellen und wechselseitige Beeinflussungen, z.B. „Feedback-schleifen“, die dazu führen, daß die äußere Erscheinung aller Figuren in der Buchwelt von der Erwartungshaltung der Leserinnen und Leser beeinflußt wird. „Harry Potter war auch stinksauer, weil er den Rest seines Lebens wie Daniel Radcliffe aussehen mußte.“
(Seite 81)

Auch die Auswirkungen von eBooks auf die Arbeitsbedingungen der Buchwelt sind nicht zu unterschätzen, genauso wenig wie die Macht des „Snooze-Knopfes“, den die Darsteller in den Büchern gelegentlich als Notbremse drücken, wenn sie von zu vielen Lesern gleichzeitig gelesen werden. Jetzt wissen wir endlich, woran es liegt, daß wir bei manchen Lektüren plötzlich einschlafen!

Im 6. Band haben sich die Buchweltbedingungen etwas verändert. Der „Gattungsrat“ hat entschieden, die Buchwelt nach dem Vorbild der realen Welt geografisch zu ordnen. Während früher der Mikrokosmos jeden Buches im „Inter-Buch-Nichts“ schwebte, gibt es jetzt Landschaften zwischen den Büchern, und die verschiedenen Literaturgattungen schwimmen als Inseln im Meer.

Die Thursday-Next-Romane „wohnen“ am „spekulativen Ende der Fantasy“, in direkter Nachbarschaft zum „Eiland der Literaturkritik“. Ach ja – und die neue Buchwelt bevöl- kert die Innenseite einer Kugel. Wie das funktioniert, können Sie auf den Seiten 21 – 22 bitte selbst nachlesen.

Die geschriebene Thursday bekommt einen dubiosen Hinweis, daß ihr Vorbild aus der realen Welt vermißt wird. Wegen schwindsüchtiger Leserzahlen deutlich unterbe- schäftigt, beginnt sie mit halblegalen Nachforschungen. Unterstützt wird sie dabei von einem Roboter-Butler, namens Sprockett, dessen mimikloses Porzellangesicht durch einen Augenbrauenzeiger mit Gefühlswortskala belebt wird.

Außerdem drohen die Feindseligkeiten zwischen den Gattungen „Scharfe Romane“, „FemLit“ und „Religiöses Dogma“ zu eskalieren. Das offizielle Buchwelt-Presseorgan „The Word“ berichtet, daß die echte Thursday am kommenden Freitag als diplomatische Vermittlerin zu den Friedensverhandlungen erwartet wird.

Die fiktionale Thursday scheut keine Mühen und Opfer, um die echte Thursday aufzu- spüren, dabei setzt sie sich zwischen alle bürokratischen Stühle, wird von heftigen Selbstzweifeln geplagt und muß mehrfach buchstäblich ihr eigenes Leben verteidigen.

Sehr amüsant sind die Kapitel, in denen die geschriebene Thursday einen geheimen Erkundungsausflug in die reale Welt unternimmt und von Agent Square, einem zweidimensionalen Wesen aus Flatland, darin angeleitet wird, mit der ungewohnten Körperlichkeit der wirklichen Welt zurechtzukommen. Echte Atemzüge und die Fortbewegung unter Schwerkraftbedingungen erfordern einige wortwörtliche Übungsschritte und Koordinationsberechnungen. »„Zweifüßiges Gehen ist ständig gehemmtes Fallen“, sagte Square. «  (Seite 206)

Auf der Suche von Thursday nach Thursday wird fast die gesamte Buchlandschaft der Buchwelt durchquert, und jede Gattung bietet ihre spezifischen Überraschungen und literarischen Umgangsformen dar.

Nachdem die fiktionale Thursday die wirkliche Thursday aufgespürt und zur Lebens- rettung in „Gray’s Anatomie“ abgeliefert hat, kann sie sich zufrieden und, um einige echte Lebenserfahrungen reicher, wieder – ganz wie es im Buche steht – in die erzählerische Ordnung der Buchwelt einfügen.

Auch im 6. Band spickt Jasper Fforde die flotte Handlung mit literarisch einfallsreichen Anspielungsschnörkeln, Wort- und Gedankenspielen und witzigen Details, wie z.B. das „Komma-Kommissariat“, die „Metaphern-Krise“, das „Labyrinth der Verschwörungs- theorien“ und die „Achse der Unlesbarkeiten“ oder die Angst der „textbasierten Lebensformen“ vor Sprachstörungen: „Wenn man die Wortstellung vermurkst, versteht keiner Yoda außer die Sätze man hat.“ ( Seite 27)

Es ist auch reizvoll, dabei „zuzulesen“, wie Romanfiguren aus „Schuld und Sühne“ ihre umständlichen Namen und ihre komplexen Beziehungsverflechtungen miteinander durchdiskutieren, bevor sie sich wieder in ihren Roman „einleben“.

Mir hat die Lektüre viel Vergnügen bereitet, und so schließe ich meine Leseempfehlung mit einem Zitat von Thursday, die –  leicht abgewandelt – den stürmischen Shakespeare zitiert: „Oh, schöne neue Welt, die solche Bücher mit sich führt!“

 

Hier entlang zum Buch und zur LESEPROBE auf der DTV-Verlagswebseite:
https://www.dtv.de/buch/jasper-fforde-wo-ist-thursday-next-21453/

Hier entlang zu meiner gebündelten Besprechung der ersten fünf Thursday-Next-Bände:
https://leselebenszeichen.wordpress.com/2013/05/01/thursday-next-band-1-5/

 

DER AUTOR:

»Jasper Fforde ist Waliser(daher das markante doppelte F!) und wurde 1961 geboren. Seine Romane schrieb er 14 Jahre lang neben seiner Arbeit als Kameramann bei verschiedenen Filmproduktionen. Er ist einer der intelligentesten, witzigsten und hintergründigsten Autoren der Fantasy. Nach 76 Ablehnungen erschien im Jahre 2001 der erste Band der Abenteuer von Thursday Next. Inzwischen hat die Reihe weltweit Kultstatus erlangt, und Jasper Fforde wurde aufgrund seiner literarischen Verdienste zum zeitweiligen Ehren-Bürgermeister von Swindon ernannt.«  http://www.jasperfforde.com

 

Leselebenszeichen-Datenschutzerklärung: https://leselebenszeichen.wordpress.com/datenschutzerklaerung/

 

Thursday Next, Band 1 – 5

  • von Jasper Fforde
  • Übersetzung ins Deutsche:
  • Band 1 von Lorenz Stern
  • Band 2 – 5 von Joachim Stern
  • DTV Verlag   http://www.dtv.de
  • Band 1: Der Fall Jane Eyre
  • 375 Seiten, 9,95 €
  • ISBN 978-3-423-21293-9
  • Band 2: In einem anderen Buch
  • 416 Seiten, 10,95 €
  • ISBN 978-3-423-21294-6
  • Band 3: Im Brunnen der Manuskripte
  • 405 Seiten,  9,95 €
  • ISBN 978-3-423-21295-3
  • Band 4: Es ist was faul
  • 429 Seiten,  11,95 €
  • ISBN 978-3-423-21296-o
  • Band 5: Irgendwo ganz anders
  • 408 Seiten,  11,95 €
  • ISBN 978-3-423-21297-7
    der_fall_jane_eyre-9783423212939.jpg Der Fall Jane Eyre

DIE  NEXTE  BITTE !

Buchbesprechung von Ulrike Sokul ©

Ach, Sie meinen, Sie wüßten Bescheid über Lesen, Schreiben und Bücher, weil Sie Leser sind? Oder gar Schriftsteller, Verleger oder Deutschlehrer? Oder vielleicht Buchhändler? Tja, das dachte ich (Buchhändlerin) auch, bis ich Thursday Next kennenlernte  –  oder eher lesenlernte  -, das hat meinen Lesehorizont wahrlich um einige Dimensionen erweitert.

Thursday Next, die weibliche Hauptfigur in diesen wortwörtlich hinterlisterarischen Kriminalromanen, arbeitet als „LiteraturAgentin“, und in dieser Rolle sucht sie nicht nach verheißungsvollen neuen Schriftstellertalenten, sondern sie und ihre Kollegen beschützen die vorhandene Literatur vor unbefugten, verbrecherischen Eingriffen wie Raubdrucken, gefälschten Manuskripten und sonstigen Manipulationen, die gegen die literarische Ordnung verstoßen. Für außergewöhnliche Komplikationen sorgt dabei zusätzlich der Umstand, daß die Grenzen zwischen Fiktion und Wirklichkeit durchlässiger sind, als bisher vermutet.

Die Geschichte beginnt 1985 in England, in der Stadt Swindon. Die historischen und gesell- schaftlichen Rahmenbedingungen weisen allerdings einige dichterische Freiheiten und Modi- fikationen auf: In Wales herrscht Kommunismus, in England herrscht Demokratie. Es gibt genetische Rückzüchtungen ausgestorbener Arten, z. B. Dodos und Mammuts und ausge- sprochen sympathische Neandertaler. Käse wird extrem hoch besteuert und bevorzugt von Wales nach England geschmuggelt.

Die herkömmliche Polizei wird vom „SpecialOperations-Network“ unterstützt, das sich wiederum in über dreißig Abteilungen aufgliedert. Dies wiederum ist der Garant für büro- kratische Irrungen und Wirrungen. Thursday Next arbeitet für „SpecOps-27 (LiteraturAgenten)“,  einer ihrer Lieblingskollegen arbeitet für „SpecOps-17 (Vampir- und Werwolfentsorgung)“ und trägt den – für literarisch Eingeweihte – vielsagenden Namen Spike Stoker.

Eine große Rolle spielt außerdem „SpecOps-12“, die „ChronoGarde“, deren Aufgabe es ist, den korrekten Ablauf der „StandardEreignisLinie“ zu überwachen, Zeitfalten auszubügeln und dann und wann Apokalypsen zu vermeiden. Die zeitreisebefähigten Agenten kommen also negativen oder unerwünschten Ereignissen nachträglich zuvor. Thursdays Vater ist „ZeitreiseAgent“ und hält die „ChronoGarde“  und das Ministerium für Zeitstabilität für einen „chronupten“  Haufen und versucht ihre historischen Fehleingriffe zu korrigieren. Als Zeitflüchtiger ist er ziemlich unendlich unterwegs und kommt doch immer wieder kurzfristig bei Thursday und ihrer Mutter zu Besuch vorbei.

Dann ist da noch Onkel Mycroft, der geniale Erfinder des Legosteinfilters für Staubsauger und des „ProsaPortals“: Eine Erfindung, die es ermöglicht, buchstäblich in ein Buch einzu- steigen. Und es gibt die „Goliath Corporation“, einen skrupellosen, profitgierigen Großkon- zern, der systematisch die Demokratie untergräbt und um jeden Preis seine Macht auf die fiktionale Welt ausdehnen will.

Gleich im ersten Band wird Jane Eyre aus ihrem Buch heraus entführt, und der Erpresser droht mit der Ermordung dieser beliebten literarischen Figur, wenn seine Forderungen nicht erfüllt werden.

In Jasper Ffordes Buchmultiversum ist die sogenannte wirkliche Welt schon reichlich schräg, aber die Buchwelt übertrifft sich hier gewissermaßen selbst. Wie dramatisch es hinter den Kulissen der gedruckten Buchstaben, Worte und Sätze zugeht, das weiß Jasper Fforde mit funkelndem Einfallsreichtum und Liebe zum kleinsten literarischen Detail spannend und sehr amüsant zu erzählen. Der bürokratische Verwaltungsapparat der Buchwelt ist mindestens so papierkramreich wie in der Außenwelt, ganz zu schweigen von den logistischen und technischen „BackStory“- Herausforderungen. Also ohne mobiles „Fußnotofon“ geht schon mal gar nichts; und haben Sie gewußt, daß das ISBN-System den „JurisfiktionAgenten“ zur Ortung von Büchern  dient?

Thursday Next pendelt für ihre Detektivarbeit zwischen der Buchwelt und der Außenwelt, rettet Jane Eyre und auch ihr eigenes Leben und findet beiläufig noch Zeit, ihre große Liebe zu heiraten.

in_einem_anderen_buch-9783423212946.jpgThursday Next 2Nachdem Thursday Next im ersten Band als Buch- springerin und Retterin von Jane Eyre berühmt wurde, wird sie im zweiten Band als erste „Außenländerin“ von „Jurisfiktion“ um Mitarbeit gebeten. „Jurisfiktion“ ist  der Sicherheitsdienst der Buchwelt, und dieser hat stets Bedarf an mutigen Agenten, welche die Buchwelt sowohl vor inneren wie äußeren Störungen und Angriffen schützen. Miss Havisham, die sitzengelassene Braut aus Charles Dickens Roman „Große Erwartungen“ ist Thursdays strenge Ausbilderin, die allerdings auch gerne kleine unerlaubte Ausflüge in die wirkliche Welt unternimmt und dort grundsätzlich viel zu schnell Auto fährt.

Offenbar erfüllen die fiktionalen Charaktere nicht immer ihre literarische Pflicht. Es gibt „Seitenläufer“, literarische Figuren, die ihre Rolle satt haben und sich bestenfalls  einfach nur in einem anderen Buch verstecken und sich schlimmstenfalls in den Handlungsverlauf des Besuchsbuches einmischen. Da hilft manchmal nur noch das Ausradieren mißliebiger Charaktere durch Radiergummi- munition. „Grammasiten“ und  „Adjektivorenmüssen bekämpft werden. Arbeit und Abenteuer bieten sich seitenweise an…

im_brunnen_der_manuskripte-9783423212953.jpg Thursday Next 3Im dritten Band zieht sich Thursday zwecks Mutter- schaftsurlaub von ihren Feinden in das noch unver- öffentlichte Manuskript eines Krimis zurück. Dort kommt sie einer Verschwörung auf die Spur, die in Verbindung mit der geplanten Einführung eines neuen Textverarbei- tungsprogramms die schöpferische Freiheit und kreative Sprachvielfalt des gesamten literarischen Lebens aus- löschen will. Haarscharf kann Thursday diese technologische Entseelung der Buchwelt verhindern.

Außerdem verpaßt sie zwei „Figuren-Rohlingen“ den letzten charakterlichen und sprachlichen Feinschliff und ein Happy End. In Zusammenhang mit der Bekämpfung des „Mispeling Vyrus“ vergnügt uns Jasper Fforde zudem mit einem ganz herrlichen Seitenhieb auf die deutsche Rechtschreibreform.

es_ist_was_faul-9783423212960.jpg Thursday Next 4Im vierten Band entschließt sich Thursday, mit ihrem Sohn Friday wieder in die Außenwelt zurückzukehren. Außerdem darf sie, auf Anordnung des „GattungsRates“, Hamlet mitnehmen, dem zu therapeutischen Zwecken ein Ausflug in die wirkliche Welt genehmigt wurde. Nicht nur, daß er mit seiner Außenwahrnehmung als Zauderer hadert, zusätzlich hat er zu verkraften, daß nicht ihm, sondern Heathcliff zum 77. Male der „BuchWeltPreis“ für den besten „Schwierigen Romantischen Liebhaber“ verliehen wurde. Außerdem wird ein „Fiktionär“, der sich unbefugt auf dem politischen Parkett der wirklichen Welt tummelt, in einem bemerkenswert raffinierten, literarischen Duell unschädlich gemacht.

 

irgendwo_ganz_anders-9783423212977.jpg Thursday Next 5Der fünfte Band spielt 14 Jahre später: Thursdays bisherige Abenteuer sind inzwischen in Romanform erschienen, sie arbeitet zum Schein im Teppichhandel, in Wirklichkeit ist sie nach wie vor Doppelagentin und nebenberufliche Käseschmugglerin. Der „AllgemeineLeseIndex“  stürzt in bildungsferne Abgründe, es drohen gar „Reality-Book-Shows“. In der Buchwelt ist man darüber nicht amüsiert; unterbe- schäftigte und gelangweilte Romanfiguren könnten rebellieren und „Mindestleserzahlen verlangen“.

Der Mord an Sherlock Holmes sollte dringend aufgeklärt werden, und Thursday muß sich schließlich sogar mit ihrer eigenen fiktiven Figur herumschlagen. Erst kurz vor Buchschluß erkennt sie, daß in der Buchwelt ein „Serienkiller“ unterwegs ist, und Jasper Fforde beendet das letzte Kapitel mit …  und läßt uns Leser in schrecklicher Ungewißheit auf diesen Pünktchen, Pünktchen, Pünktchen sitzen. Das ist nur schwer auszuhalten!

Der 6. Band erscheint erst im Juli 2013! Tja – wäre ich jetzt eine „Buchspringerin“ wie Thursday Next dann könnte ich mir im „Brunnen der Manuskripte“ eine Leseprobe des noch ungedruckten Buches genehmigen …

Doch zurück zu den fünf Bänden, die uns schwarz auf weiß vorliegen: Jasper Fforde verfügt über eine geistreiche und humorvolle Kombinationsgabe; von Band zu Band steigert er sich mit einfallsreichen Ideen, komplex konstruiert bis ins kleinste erlesene Detail. Die historischen und literarischen Arrangements, die er gestaltet, sind abenteuerlustig, wunderbar wortspielerisch und vielschichtig.

Die Wiederbegegnung mit bekannten literarischen Figuren, Themen und Schauplätzen, die von Jasper Fforde gekonnt in den Handlungsverlauf seiner Thursday Next Geschichte eingewoben werden, bietet anregenden Spielraum für fantasievolle und heiter-ironische Neuinterpretationen und kuriose Assoziationen. Neben vielen englischen Klassikern finden z.B. auch Eichendorff, Kafka und Konrad Duden Erwähnung.

Garniert wird das Ganze noch mit dem Thema Zeitreisen und den sich daraus ergebenden Paradoxien und Schlußfolgerungsvariablen.

Falls Sie jetzt meinen, ich hätte hier schon zu viel erzählt, muß ich energisch widersprechen. Diese Buchbesprechung ist nur eine flüchtige Skizze, ein Hauch von dem, was Ihnen die über 2000 Seiten der ersten fünf Thursday Next Bücher an kurzweiligem, kultivierten Lese- und Schmunzelgenuß bieten können.

PS:
Klassikerkenntnisse sind von Vorteil und erhöhen das Vergnügen an den zahllosen gewitzten Anspielungen und Bezügen. Die neue graphische Titelbildgestaltung der Thursday Next Reihe mit je einem schwarzen Scherenschnitt eines englischen Klassikers vor leuchtend farbigem Hintergrund und mit farbenfrohen Prägedruckbuchstaben ist auffällig anders und wird somit dem Inhalt der Bücher durchaus gerecht.

Hier entlang zu den Romanen und LESEPROBEN auf der DTV-Verlagswebseite:

Band 1: Der Fall Jane Eyre    https://www.dtv.de/buch/jasper-fforde-der-fall-jane-eyre-21293/
Band 2: In einem anderen Buch https://www.dtv.de/buch/jasper-fforde-in-einem-anderen-buch-21294/
Band 3: Im Brunnen der Manuskripte  https://www.dtv.de/buch/jasper-fforde-im-brunnen-der-manuskripte-21295/
Band 4: Es ist was faul   https://www.dtv.de/buch/jasper-fforde-es-ist-was-faul-21296/
Band 5: Irgendwo ganz anders   https://www.dtv.de/buch/jasper-fforde-irgendwo-ganz-anders-21297/

PPS:
Wie die Zeit vergeht … 😉
Meine Rezension zum sechsten und letzten Band der Thursday-Next-Serie: WO IST THURSDAY NEXT finden Sie unter diesem Link: https://leselebenszeichen.wordpress.com/2013/07/03/wo-ist-thursday-next/

 

DER AUTOR:

»Jasper Fforde ist Waliser(daher das markante doppelte F!) und wurde 1961 geboren. Seine Romane schrieb er 14 Jahre lang neben seiner Arbeit als Kameramann bei verschiedenen Filmproduktionen. Er ist einer der intelligentesten, witzigsten und hintergründigsten Autoren der Fantasy. Nach 76 Ablehnungen erschien im Jahre 2001 der erste Band der Abenteuer von Thursday Next. Inzwischen hat die Reihe weltweit Kultstatus erlangt, und Jasper Fforde wurde aufgrund seiner literarischen Verdienste zum zeitweiligen Ehren-Bürgermeister von Swindon ernannt.«  Weitere Informationen:  http://www.jasperfforde.com

 

Leselebenszeichen-Datenschutzerklärung: https://leselebenszeichen.wordpress.com/datenschutzerklaerung/

Stich ins Wespennest

  • von D.E. Stevenson
  • Aus dem Englischen von Thomas Steger
  • MANHATTAN  Verlag, November 2011   http://www.manhattan-verlag.de
  • ISBN 978-3-442-54687-9
  • 350 Seiten, 17,99  €
  • Taschenbuchausgabe,  August 2013
  • ISBN 978-3-442-47941-2
  • 8,99 €

Stich ins Wespennest von D E Stevenson

AUS  DEM  LEBEN  GEGRIFFEN

Buchbesprechung von Ulrike Sokul  ©

Beim „Stich ins Wespennest“ handelt es sich um eine sehr geschickt konstruierte Geschichte in der Geschichte oder, kurz zitiert, umeinen Roman über eine Frau, die einen Roman über eine Frau geschrieben hat, die einen Roman geschrieben hat.“

Eine vergnügliche Lektüre, die den deutschen Leserinnen lange vorenthalten blieb, da zwischen dem Erscheinen der englischen Originalausgabe im Jahre 1934 und der deutschsprachigen Erstausgabe 2011 ganze 77 Jahre vergangen sind. Doch besser spät als nie: D.E. Stevenson, die übrigens mit dem Schatzinsel-Stevenson verwandt war, hat mit  „Stich ins Wespennest“  einen lebhaft menschenkenntnisreichen, selbstironisch konservativen und heiteren Roman verfasst, der sich sehr angenehm liest.

Auch die Buchumschlagillustration ist sehr gut und stimmig.

Der Schauplatz des Romans ist ein kleines englisches Dorf namens Silverstream zur Zeit der Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren. Zu Beginn folgen wir dem gedanklichen Gang der örtlichen Bäckerin durchs Dorf und lernen dabei – anhand ihres Auslieferungsplanes für die Frühstücksbrötchen – fast alle wichtigen Personen kennen: Wir sehen sie als Früh- oder Spätaufsteher, ordnen sie einer Berufstätig- oder Untätigkeit  zu und erhalten eine kurze Wohnlagenskizzierung.

Eine dieser Personen ist Miss Barbara Buncle, die aus Geldnot einen Roman  mit dem Titel „Der Störenfried“  verfasst hat und die  dabei –  da sie nach eigenem Bekunden „über keinerlei Phantasiebegabung“  verfügt – auf das in ihrem Dorf befindliche Figurenpersonal zurückgegriffen hat. Zwar hat sie die Namen verändert und den Roman unter dem Pseudonym John Smith veröffentlicht, aber ihre gute Beobachtungsgabe und scharfsinnige Menschenkenntnis – in Verbindung mit einer naiven Wahrheitstreue in der schriftlichen Wiedergabe –  führen dazu, daß sich die Personen aus dem Roman leicht den realen Vorbildern zuordnen lassen.

Das ist nicht für jeden von ihnen schmeichelhaft, und die dünkelhaftesten und selbstgerechtesten Charaktere fühlen sich besonders bloßgestellt und angegriffen. Bald gibt es nur noch ein Thema im Dorf: Wer verbirgt sich hinter dem Pseudonym des Verfassers? Es muß jemand sein, der alle kennt und den alle ebenso kennen; Versammlungen werden organisiert, Verleumdungsklagen angestrebt und sogar eine öffentliche Auspeitschung des „Störenfrieds“ ist im Gespräch.

Niemand verdächtigt die unscheinbare Miss Buncle, obwohl sie selbst in ihrem Buch auch vorkommt. Allerdings hat sie eine deutliche charmantere und selbstsichere Version ihrer Person entworfen, und das ist zunächst die beste Tarnung.

Miss Buncle, die von allen sympathischen Personen  im Dorf geschätzt und von den Unsympathischen chronisch unterschätzt wird, schreibt munter an einer Fortsetzung des „Störenfrieds“ und benutzt die aktuellen Geschehnisse als weitere Bausteine für die Geschichte. Durch den inzwischen zum Bestseller avancierten Erfolg ihres Romans bessert sich Miss Buncles finanzielle Situation, sie kann sich neu und geschmackvoller kleiden, und sie wird selbstbewußter und mutiger.

Doch der „Störenfried“ hat noch andere Folgen: Bei Colonel Weatherhead, der sich amüsanterweise selber gar nicht in dem Roman wiedererkennt, führt die Schilderung einer romantischen Liebeserklärung zu der Erkenntnis, in welche Frau er bisher unbewußt schon längst verliebt ist. So stiftet der Roman eine Ehe in der Wirklichkeit, die er in der Fiktion vorweggenommen hat. Ein anderer Ehemann wird durch die drastische Schilderung seiner Egozentrik geläutert und lernt seine duldsame Gattin dankbar schätzen. Im weiteren fließenden Übergang von Fiktion zu Wirklichkeit und umgekehrt, läuten auch schon bald die Hochzeitsglocken für Miss Buncle.

Zum Ende der Lektüre habe ich Miss Buncle so lieb gewonnen, daß ich am liebsten zu ihrer Hochzeitsfeier eingeladen worden wäre; so bleibt mir nur der Trost und die Hoffnung auf das baldige Erscheinen des Fortsetzungsromans und die dann zu erlesende Teilnahme an Miss Buncles Hochzeit und ihrem weiteren Weg durchs Bücherleben.

Zur Weckung weiteren Lektüreappetits serviere ich noch zwei mundgerechte Stückchen aus dem „Stich ins Wespennest“, die den ironischen und lebensklug gelassenen Tonfall des Buches widerspiegeln.

„Die Welt ist keineswegs perfekt“, sagte Onkel Mike, der lange genug auf der Welt war, um zu wissen, dass man das Gute nicht ohne das Schlechte haben konnte, so wie Rhabarbermarmelade zwangsläufig leicht abführende Wirkung besaß.

„Dorcas meinte, die beiden würden ein nettes – äh, ein charmantes Paar abgeben.“
„Dorcas!“ schnaubte Mrs. Carter. „Was versteht Dorcas schon davon? Es ist ein schwerer Fehler, über solche Dinge mit dem Dienstpersonal zu reden. Hören Sie nicht auf Dorcas.“
„Ich höre nur auf sie, wenn sie meiner Meinung ist“, antwortete Barbara schlicht.

 

Hier entlang zum Buch auf der Verlagswebseite:
https://www.randomhouse.de/Taschenbuch/Stich-ins-Wespennest/D.-E.-Stevenson/Goldmann-TB/e422978.rhd

 

Die Autorin:

»D.E. (Dorothy Emily) Stevenson wurde 1892 in Edinburgh geboren. Sie stammte aus einer berühmten Familie von Leuchtturmbesitzern, zu der auch Robert Louis Stevenson zählte – der Autor der »Schatzinsel« war ein Cousin ihres Vaters. 1916 heiratete D.E. Stevenson und bekam später mit ihrem Mann zwei Kinder. 1923 erschien ihr erster Roman. »Stich ins Wespennest« wurde 1934 veröffentlicht, und von nun an schrieb Stevenson jedes Jahr einen Roman. »Meine Bücher sind meine Leuchttürme«, pflegte sie zu sagen. In Großbritannien und den USA erreichten ihre Romane Millionenauflagen. D.E. Stevenson starb 1973 in Moffat, Schottland.«