Die Glocke von Whitechapel

  • Band 7 der übersinnlichen Peter-Grant-Reihe
  • von Ben Aaronovitch
  • Originaltitel: »Lies Sleeping«
  • Übersetzung ins Deutsche von Christine Blum
  • DTV Verlag Mai 2019  www.dtv.de
  • Taschenbuch
  • 416 Seiten
  • 10,95 € (D), 11,30 € (A)
  • ISBN 978-3-423-21766-8

DAS  GEWISSE  MAGISCHE  ETWAS  NR. 7

Buchbesprechung von Ulrike Sokul ©

Die Erweiterung der alltäglichen Wirklichkeit um eine magische Dimension macht den faszinierenden Reiz dieser phantasievollen Krimi-Serie aus. So wie hier die menschlichen Ermittler der Spezialabteilung der Metropolitan Police von London über magische Fähig-keiten und zauberhafte Kompetenzen verfügen, so tragen die vielfältigen magischen Charaktere durchaus menschliche Züge nebst entsprechend mehr oder weniger liebens-werten Schwächen, und das wiederum läßt die magischen Wesen trotz ihrer übersinn-lichen Überlegenheit fast normal erscheinen.

Für diejenigen, die hier zum ersten Male von Police Constable Peter Grant lesen, erlaube ich mir einen freundlichen Hinweis auf meine ausführliche Besprechung des ersten Bandes: https://leselebenszeichen.wordpress.com/2013/08/14/die-flusse-von-london/

Im siebten Band hat Peter Grants Karriere bei der Metropolitan Police von London Fort-schritte gemacht; er ist nun staatlich geprüfter Police Detective. Die geheime Sonderab-teilung, für die er dank seiner natürlichen magischen Begabung arbeitet, wird inzwischen auch vom „normalen“ Polizeibetrieb mit Respekt betrachtet, zumal sich die realen Gefahren magieverdächtiger Kriminalfälle nicht mehr ignorieren lassen.

Peter Grants unmittelbarer Vorgesetzter und Meister ist der elegante Detective Chief Inspector Thomas Nightingale, der Peter und einige weitere Magiebegabte in prak- tischer und theoretischer Magie und magischer Kampfkunst sowie übersinnlicher Wahrnehmung ausbildet.

Neben dem ernsthaften Studium der Magie und alter Sprachen gehören lebhafte Kon- takte zu allerlei magischen und halbmagischen Wesen, der sogenannten Demimonde, sowie zu diversen Naturgöttern und -Göttinnen zum Alltag von Peter Grant und Thomas Nightingale.

Peter ist mit einer sehr attraktiven Flußgöttin, Beverly Brook, liiert, die ihrerseits die jüngere Schwester der Flußgöttin Lady Tyburn ist, die wiederum Peter einst im dritten Band (»Ein Wispern unter Baker Street«) das Leben gerettet hat. Diese unsterblichen Fluß- göttinnen haben ganz und gar menschliche und sehr attraktive Gestalt, aber durchaus elementare magische Fähigkeiten, die man keinesfalls unterschätzen sollte. Und wenn sie einem das Leben gerettet haben, schuldet man ihnen einen Gefallen als Ausgleich.

Erzfeind ist seit dem ersten Band der sogenannte „Gesichtslose“, ein ethisch fragwürdi-ger Magier, der – beiläufig – im vierten Band (»Der Böse Ort«) die einstige Kollegin Peters, Lesley May, auf seine Seite der Macht gezogen hat – ein Verrat und Verlust, der Peter schwer getroffen hat.

Im vorhergehenden sechsten Band („Der Galgen von Tyborn“) konnten die Identität und die üppigen finanzmächtigen Verstrickungen des „Gesichtslosen“ aufgedeckt werden. Leider konnten der „Gesichtlose“ Martin Chorley und seine Komplizin Lesley May der Polizei jedoch entkommen. Immerhin sind nun wenigstens einige Verbündete Martin Chorleys bekannt, und diese werden nun ebenso akribisch wie diskret beobachtet.

Die einvernehmliche Einschätzung, daß Martin Chorley seine unerfreulichen Macht- pläne weiterhin verfolgt, findet im Zusammenhang mit einem magisch-ferngesteuerten Mord und dem gehäuften Diebstahl archäologischer Fundstücke (Ziegel von ehemaligen römischen Kultstätten, die sich auf Londoner Stadtgebiet befanden) Bestätigung.

Die Spuren führen zu einer Glockengießerei, der vom Mordopfer eine Spezialanfertigung in Auftrag gegeben wurde. Bei der Untersuchung erkennt Peter Grant, daß diese Glocke eindeutig „Vestigia“ ausstrahlt. Magische Handlungen und magische Wesen hinterlassen nämlich sogenannte „Vestigia“, magische Spuren, die sich in Materialien, Gegenständen und Gebäuden speichern und von zauberkundig Eingeweihten abgelesen bzw. abgespürt werden können.

Will Martin Chorley etwa ein neues Zeitalter einläuten? Und welche weiteren Machtzu-taten muß er sich dafür beschaffen? Dies herauszufinden und zu verhindern erweist sich als komplex und schwierig. Die magischen Hintergrundrecherchen erfordern die nicht ganz ungefährliche, aber lohnende Kontaktaufnahme mit einigen magischen Wesen, die sich – mehr oder weniger kapriziös – kooperativ verhalten und Peter anschauliche Einblicke in die Stadtgeschichte Londons gewähren.

Singende Schwerter, eine malerisch-musische Fae namens Fingerhut, sprechende Füchse, blutige, rituelle Opferungen, eine Dose Vampirkonfekt und alte Bekannte, wie Mr. Punch, der mörderische Geist des Aufruhrs und der Rebellion, und eine widersprüch- lich taktierende Lesley May sowie eine rätselhafte Prophezeiung machen ihre Aufwartung und halten Peter Grant und seine Kollegen auf Trab.

Vor der vom Autor stets lakonisch, sozioarchitektonisch illustrierten Stadtkulisse Londons erlesen wir rasante Verfolgungsjagden mit dramatischen zauberkampfkünst- lichen Duellen, bei denen sich zeigt, daß Peter in angewandter Magie deutliche Fort- schritte gemacht hat, auch wenn im Vergleich zu Thomas Nightingales langlebiger Zauberbeherrschung immer noch Luft nach oben ist.

„Die Glocke von Whitechapel“ bietet reichlich mitreißende Dramaturgie, lebhafte, kontrastierende Charaktere, phantasievoll-raffinierte Details, amüsante Dialoge, einige köstliche Prisen Genreselbstironie und außergewöhnliches Londoner Lokalkolorit.

Ben Aaronovitch serviert mit dem siebten Peter-Grant-Band eine spannende, quecksilbrige, magische Mischung, in der sich Überraschungs-, Gänsehaut- und Schmunzeleffekte schwungvoll und unterhaltsam abwechseln.

Hier entlang zum Buch und zur LESEPROBE auf der Verlagswebseite:
https://www.dtv.de/buch/ben-aaronovitch-die-glocke-von-whitechapel-21766/

Hier entlang zur interessanten und informativen DTV-Webseite zur Peter-Grant-Serie:
https://www.dtv.de/special-ben-aaronovitch-urban-fantasy/startseite/c-184

Der Autor:

»Ben Aaronovitch wuchs in einer politisch engagierten, diskussionsfreudigen Familie in Nordlondon auf. Er hat Drehbücher für viele TV-Serien, darunter „Doctor Who“, ge- schrieben und als Buchhändler gearbeitet. Seine Urban-Fantasy-Serie um Peter Grant ist nicht nur in Großbritannien, sondern auch in Deutschland sensationell erfolgreich und führt regelmäßig die Bestsellerlisten an. Inzwischen widmet sich Ben Aaronovitch ganz dem Schreiben, zur Freude seiner zahlreichen Fans. Er lebt nach wie vor in London.«

Hier entlang zu den Vorgängerbänden:

Band 1: DIE FLÜSSE VON LONDON Die Flüsse von London
Band 2: SCHWARZER MOND ÜBER SOHO Schwarzer Mond über Soho
Band 3: EIN WISPERN UNTER BAKER STREET Ein Wispern unter Baker Street
Band 4: DER BÖSE ORT Der böse Ort
Band 5: FINGERHUT-SOMMER Fingerhut-Sommer
Band 6: DER GALGEN VON TYBORN Der Galgen von Tyburn
Band 8: EIN WEISSER SCHWAN IN TABERNACLE STREET Ein weißer Schwan in Tabernacle Street
Band 9: DIE SILBERKAMMER IN DER CHANCERY LANE Die Silberkammer in der Chancery Lane

Hier entlang zu einer kurzen Peter-Grant-Geschichte, etwas außerhalb der Reihe:
GEISTER AUF DER METROPOLITAN LINE/Eine Peter-Grant-Story
Geister auf der Metropolitan Line
Hier entlang zu Ben Aaronovitchs Schreibausflug in deutsche Gefilde:
DER OKTOBERMANN/Eine Tobi-Winter-Story Der Oktobermann
Hier entlang zu einer Peter-Grant-Kurzgeschichten-Sammlung: 
DER GEIST IN DER BRITISH LIBRARY UND ANDERE GESCHICHTEN AUS DEM FOLLY 
Der Geist in der British Library
Hier entlang zu einer Abzweigungsgeschichte mit Peter Grants magisch hochbegabter Cousine Abigail und vielen sprechenden Füchsen:
DIE FÜCHSE VON HAMPSTEAD HEATH/Eine Abigail-Kamara-Story
Die Füchse von Hampstead Heath

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Gemeine Gewächse

  • Das A bis Z der Pflanzen, die morden, verstümmeln, berauschen
  • und uns anderweitig ärgern
  • von Amy Stewart
  • aus dem Amerikanischen von Stephan Pauli
  • mit Radierungen von Briony Morrow-Cribbs und
  • Illustrationen von Jonathon Rosen
  • Berlin Verlag Februar 2011   http://www.berlinverlag.de
  • Taschenbuch
  • 236 Seiten
  • 11,95 € (D), 12,30 € (A)
  • ISBN 978-3-8333-0715-7
    Gemeine Gewächse

AUF  DER  HUT  VOR  EISENHUT & Co

Buchbesprechung von Ulrike Sokul ©

Ich rühme mich ja gerne meines grünen Daumens, und mir sind auch viele einheimische giftige Pflanzen bekannt, ja, ich möchte sogar sagen, sie sind mir vertraut, aber das Potpourri, das Amy Stewart für ihr Buch zusammengestellt hat, stellt meine bisherigen Kenntnisse ziemlich in den Nachtschatten 😉 .

Es geht der Autorin, die übrigens einen Giftgarten in Kalifornien pflegt, nicht um die Verbreitung von Furcht und Schrecken, sondern um die Aufklärung über lebensge- fährliche Pflanzen und um die Vermittlung von Respekt vor diesen Pflanzen, mit denen wahrlich nicht gut Tollkirschen essen ist.

Die sehr feinen und natürlich-ausdrucksvollen Pflanzenradierungen von Briony Morrow-Cribbs sowie die detaillierten Beschreibungen dienen dem möglicherweise lebensrettenden Wiedererkennungseffekt, falls uns eines dieser gemeinen Gewächse über den Weg laufen sollte. Auch wirksame Gegengifte – soweit bisher bekannt – werden genannt. Gleichwohl ist „Gemeine Gewächse“ kein Bestimmungsbuch, sondern mehr die eigen- willige Sammlung einer Pflanzenliebhaberin, die von der kriminellen Energie gewisser Gewächse fasziniert ist.

Die botanischen Informationen würzt sie durchaus schwarzhumorig mit historischen und tragischen Vorfällen, bei denen giftige, berauschende, betäubende, invasive, illegale, schmerzhafte, tödliche oder zerstörerische Wirkungen von Pflanzen eine tragende Rolle gespielt haben. Überhaupt ist der Stil der Wissensvermittlung sehr lebhaft, amüsant und pointiert.

In der Lesevorratskammer finden wir u.a. Alraune, Blaualgen, Wasserhyazinthe, Eibe, Eisenhut, Flötenakazie, Gefleckten Schierling, Habanero-Chili, Koka, Kudzu, Marihuana, Mutterkorn, Oleander, Pfauenstrauch, Paternostererbse, Schlafmohn, Schwarzes Bilsenkraut, Stechapfel, Sagopalmfarne, Tabak und Yagé.

Viele Pflanzen sind exotisch und tangieren uns in Europa nicht direkt. Mir genügt indes eine Begegnung mit der Australischen Brennessel auf dem Papier, denn sie gilt als „die schmerzhafteste Pflanze der Welt“, deren Silikon-Brennhärchen nicht nur beim Kontakt mit den Blättern gnadenlos in die Haut dringen und Schmerzen auslösen, „die bis zu einem Jahr andauern können“; diese fiese Pflanze haart auch noch unentwegt, und man kann ihre Silikonhärchen einatmen, was nicht empfehlenswert ist.

Pflanzeneinzelportraits wechseln sich ab mit Kapiteln über ganze Pflanzenfamilien mit Überschriften, die so eindeutig-warnleuchtend lauten wie: „Pfeilgifte, Ordalgifte, Karnivoren, Tödliches Nachtmahl, Fungi Fatale, Unkräuter der Massenvernichtung, Rasen des Todes, Barkeeper des Teufels, Das könnte Ihre letzte Zimmerpflanze sein, Die schrecklichen Toxicodendrons“ usw. usf.

Die weitaus tödlichste Pflanze, Tabak, wird – notabene! – weltweit auf vier Millionen Hektar Land angebaut „und kostet jedes Jahr fünf Millionen Menschen das Leben“. Tabak enthält zur natürlichen Insektenabwehr das Alkaloid Nikotin, das beiläufig eine außerordentliche Suchtwirkung beim Menschen erzeugt. Das Nervengift Nikotin ist in den rohen Tabakblättern gefährlicher als im abgebrannten Zustand und schon bei längerem Hautkontakt gesundheitsgefährlich.

Doch neben psychedelischen Kakteen, visionären Ayahuasca-Lianen und dem indischen Selbstmordbaum mit seiner traurigen Erfolgsstatistik finden wir im Kapitel „Verbotene Gärten“ einheimische Gewächse, die auch nicht ohne Nebenwirkungen der jenseitsbe-fördernden Art sind, wenn man sie einnimmt. Dazu gehören Azaleen und Rhododen- dren, Herbstzeitlose, Seidelbast, Fingerhut, Nieswurz und sogar Hortensien. Die beliebte Gartenstaude Eisenhut ist dermaßen hochgiftig, daß schon bloßer Hautkontakt zu Herzproblemen, Nervenlähmungen und Taubheit führen kann.

Bei manchen Heil- und Gemüsepflanzen kann die Entscheidung zwischen rohem oder gekochtem Verzehr eine Entscheidung auf Leben und Tod sein. So enthalten rohe Holunderbeeren Zyanid, und grüne Stellen an Kartoffeln weisen auf das Gift Solanin hin, das zwar durch den Kochvorgang weitgehend neutralisiert wird; dennoch ist es aber besser, solche grünlichen Stellen einfach gleich herauszuschneiden.

Im Anhang des Buches findet sich eine ausführliche Bibliographie zu Giftpflanzen und weiterführender Literatur, die vom Berlin Verlag auch um eine Liste deutschsprachiger Pflanzenbücher ergänzt wurde.

Eines ist sicher: Nach dieser Lektüre vertrauen Sie nicht mehr dem lieblichen Augenschein, den die meisten Pflanzen zur Schau tragen, sondern Sie berühren und verzehren nur noch die Pflanzen, Wurzeln, Früchte, Blüten und Beeren, die Sie WIRKLICH genau bestimmen können.

Ich werde auch weiterhin liebkosend den weichen Flaum der Fingerhutblätter streicheln, aber für den Blauen Eisenhut ziehe ich doch vorsorglich die Gartenhand- schuhe an.

Vielleicht genügt in Bezug auf die bösen Blumen auch einfach der erzieherische Hinweis: „Mit denen spielt man nicht!“

Hier entlang zum Buch auf der Verlagswebseite:
https://www.piper.de/buecher/gemeine-gewaechse-isbn-978-3-492-31357-5

Die Autorin:

»Amy Stewart pflegt einen Giftgarten in Kalifornien. Sie schreibt für die New York Times, den San Francisco Chronicle und andere Zeitungen. Mit ihrem Mann lebt sie in Eureka, betreibt ein kleines Antiquariat und hält eine Schar unbändiger Hühner hinter dem Haus.«
www.amystewart.com

Die Illustratorin:

»Briony Morrow-Cribbs‘ Werk umfasst Kupferstiche, aufwendig gestaltete Bücher und keramische »Kuriositätenkabinette«. Dort verarbeitet sie ihre Faszination für den Zusammenprall von rationaler Wissenschaftssprache und grotesk-absurder Alltagswelt. Nach ihrem Abschluss am Emily Carr Institute of Art wurden Morrow-Cribbs‘ Arbeiten weltweit ausgestellt. Sie lebt in Brattleboro, Vermont, und wird von der Davidson Gallery in Seattle vertreten. Sie ist außerdem Mitbegründerin von Twin Vixen Press.«

Querverweis:

Pflanzen haben auch noch andere erstaunliche Fähigkeiten, wie Sie in dem klugen Buch von Daniel Chamovitz nachlesen können: Was Pflanzen wissen. Wie sie sehen, riechen und sich erinnern https://leselebenszeichen.wordpress.com/2014/06/11/was-pflanzen-wissen/

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