Zwischen den Jahren 2023/2024

Die Welt ist schön

Die Welt ist schön, die Welt ist gut, gesehn als Ganzes
Der Schöpfung Frühlingspracht, das Heer des Sternentanzes.

Die Welt ist schön, ist gut, gesehn im einzelst Kleinen
Ein jedes Tröpfchen Tau kann Gottes Spiegel scheinen.

Nur wo du Einzelnes auf Einzelnes beziehst
Oh, wie vor lauter Streit du nicht den Frieden siehst.

Der Frieden ist im Kreis, im Mittelpunkt ist er.
Drum ist er überall, doch ihn zu sehn ist schwer.

Es ist die Eintracht, die sich aus der Zwietracht baut,
Wo mancher, vom Gerüst verwirrt, den Plan nicht schaut.

Drum denke, was dich stört, daß dich ein Schein betört
Und was du nicht begreifst, gewiß zum Plan gehört.

Such erst in dir den Streit zum Frieden auszugleichen
Versöhnend dann soweit du kannst umherzureichen.

Und wo die Kraft nicht reicht, da halte dich ans Ganze;
Im ewgen Liebesbund steht mit dir Stern und Pflanze.

Friedrich Rückert
(*1788  †1866)

Almuth Ahornlichtblätter mit Schnee

* Foto von Almuth Dietrich © https://naturaufdembalkon.wordpress.com/

29. Dezember, anno 2023

Geneigte Leserin, geneigter Leser,

von ganzem Herzen danke ich für die unermüdliche Aufmerk- samkeit und ausdrückliche Wertschätzung, mit der Sie auch in diesem nun ausklingenden Jahre meine Leselebenszeichen begleitet haben.

Die vielsaitige Kommentar-Resonanz, das begeisterte, charmante, freundliche Miteinander und die informativen und kommuni- kativen Zugaben, die hier unter dem Blätterdach der Bücherbe- trachtungen wachsen, sind mir eine große Herzensfreude, beflügelnde Bereicherung und lebhafte Motivation.

Ich hoffe, Ihnen auch im kommenden Jahre mit anregenden, erhebenden, inspirierenden, schönen und wissenswerten Buchempfehlungen dienen zu können.

Für das neue Jahr 2024 wünsche ich Ihnen im Sinne von Friedrich Rückerts obiger fein formulierter Poesie den ebenso alltäglichen wie besonderen Blick für die Schönheit der Welt und die innere Verbundenheit allen Seins. Leben Sie nicht, um zu lesen, sondern lesen Sie, um zu leben!

Lassen Sie Ihr Liebeslicht leuchten!

Auf Wiederlesen sagt Ihnen
Ihre Bücherfee

* PS:
Das feine blattgoldige Foto, welches meinen Textbeitrag belichtend schmückt, verdanke ich Almuth von der bienensummenden, naturwunder-schönen Webseite NATUR AUF DEM BALKON https://naturaufdembalkon.wordpress.com
Auch an dieser Stelle meinen verbindlichen DANK, liebe Almuth, für die fotografische Leihgabe!

Der Klang der Wälder

  • von Natsu Miyashita
  • Roman
  • Originaltitel: »Hitsuji to Hagane no Mori«
  • Aus dem Japanischen von Sabine Mangold
  • Insel Verlag 2022 www.insel-verlag.de
  • Taschenbuch
  • 238 Seiten
  • 11,00 € (D), 11,40 € (A)
  • ISBN 978-3-458-68217-2

Der Klang der Wälder

K L A N G S P U R E N

Rezension von Ulrike Sokul ©

Eine zufällige Begegnung führt den Schüler Tomura kurz vor dem Schulabschluß zu seiner Bestimmung. Ein Lehrer bittet ihn, stellvertretend den Klavierstimmer in der Schule zu empfangen und ihn zum Schulklavier, das in der Turnhalle steht, zu begleiten.

Tomura führt also Herrn Itadori, den Klavierstimmer des örtlichen Musikinstrumenten-händlers, in die Turnhalle. Während der Klavierstimmer einige Töne anschlägt, wird Tomura unmittelbar von diesen Klängen ergriffen und erinnert sich an seine Kindheit, an sein heimatliches Bergdorf und an die ausgedehnten Wälder, ja, er riecht sogar plötzlich den Wald.

Fasziniert beobachtet er die sorgfältige Arbeit des Klavierstimmers, die Werkzeuge und die Prüfung der Töne. Itadori erklärt ihm bereitwillig einige Details zum Aufbau eines Klaviers, er spricht von Tasten, Saiten und Hämmern, die mit Filzköpfen ausgestattet sind, sowie über Holzarten. Zum Abschied gibt ihm Itadori seine Visitenkarte und lädt ihn dazu ein, ihn im Klaviergeschäft zu besuchen.

Tomura folgt dieser Einladung und fragt Itadori bei dieser Gelegenheit spontan, ob er ihn als Lehrling annehmen würde. Freundlich weist er Tomura auf eine Fachschule für Klavierstimmer hin, die er zunächst absolvieren solle. Dann sähe man weiter.

Entschlossen und diszipliniert läßt sich Tomura auf dieses zweijährige, durchaus an-strengende Studium ein und wird tatsächlich als Lehrling eingestellt. Praktische Erfahrung erwirbt Tomura nun durch das tägliche Stimmen der Klaviere und Flügel, die sich im Ladenlokal befinden. Außerdem begleitet er die älteren und erfahrenen Klavierstimmer bei Hausbesuchen. Zwar darf er nur selten mit Itadori zusammen- arbeiten, aber Itadori bleibt gewissermaßen sein Leitstern und Vorbild.

So sammelt Tomura vielsaitige handwerkliche und zwischenmenschliche Erfahrungen. Er erlebt helle und dunkle Augenblicke, Selbstzweifel und Unsicherheit hinsichtlich seiner Fähigkeiten, aber ebenso Ermutigung und eine langsam wachsende Verfeinerung seines handwerklichen Könnens – und beiläufig auch seiner persönlichen Gestimmtheit.

In regelmäßigen Abständen stimmt Tomura das Klavier eines jungen Mädchens namens Kazune. Er schätzt ihr Klavierspiel ganz besonders und freut sich immer, wenn er ihrem Spiel lauschen darf. Als Kazune sich entschließt, Profi-Pianistin zu werden, bemüht sich Tomura stärker darum, den Klang des Klaviers auf Kazunes Spielweise und auf ihr Wesen abzustimmen. Dies vertieft sein Verständnis für das Klavierstimmen weit über das rein Handwerklich-Technische hinaus, und es beflügelt ihn, freudig und dankbar seinen Betrag zur Schönheit der Musik zu leisten.

Neben der Entwicklung und Reifung von Tomuras Charakter und der Entfaltung seiner Fähigkeiten erliest man in diesem Roman viel Wissenswertes über Theorie und Technik des Klavierstimmens. Anfänglich ist sich Tomura unsicher, ob er dem richtigen beruf-lichen Weg folgt. Doch Schritt für Schritt und buchstäblich Klaviertaste für Klaviertaste klärt sich der Weg, öffnet sich der Horizont. Tomura findet im Dienst für die Musik und im wohlgestimmten Klavier nicht nur die Schönheit des Klangs, sondern die Klänge evozieren die Schönheit und Verbundenheit der Welt, der Wälder, der Jahreszeiten – der Klang atmet und verleiht dem Leben poetischen Sinn.

Natsu Miyashitas Sprache ertönt auf sehr klare, leise, ruhige, sanftmütige Weise und schwingt gleichsam in harmonischer Resonanz mit der Romanhandlung.

»Nach und nach war mir klar geworden, dass Musik kein Wettbewerb sein sollte. Und das gilt erst recht für Klavierstimmer. Da hat Konkurrenzdenken schon gar nichts zu suchen. Wenn man nach etwas strebt, dann sollte es kein Platz auf einer Rangliste sein, sondern ein Zustand der Seele.« (Seite 152)

Hier entlang zum Buch auf der Verlagswebseite:
https://www.suhrkamp.de/buch/natsu-miyashita-der-klang-der-waelder-t-9783458682172

Die Autorin:

»Natsu Miyashita wurde 1967 in der japanischen Präfektur Fukui geboren. Sie liest für ihr Leben gern und spielt Klavier, seit sie klein war. Für „Der Klang der Wälder“ erhielt sie den renommierten japanischen Buchhändlerpreis. Der Roman war in Japan ein Millionen-bestseller und wurde 2018 von Kojiro Hashimoto verfilmt.«

Die Übersetzerin:

»Sabine Mangold, geboren 1957, hat mehrere Jahre in Japan als Dozentin gearbeitet und zahlreiche literarische Werke aus dem Japanischen ins Deutsche übertragen. 2019 wurde sie mit dem Preis der Japan Foundation ausgezeichnet. Mangold lebt in Berlin.«

Der Kinder Kalender 2023

  • Mit 53 Gedichten und Bildern aus der ganzen Welt
  • Wochenkalender
  • Herausgegeben und ausgewählt von
  • der Internationalen Jugendbibliothek, München www.ijb.de
  • Grafische Gestaltung von Max Bartholl
  • Moritz Verlag 2022 www.moritzverlag.de
  • Format: 33,8 x 30,6 x 1,3 cm
  • 60 Blätter
  • Spiralbindung
  • mehrsprachig
  • 22,00 €
  • ISBN 978-3-89565-973-7
  • ab 6 Jahren und für Kinder jeden Alters

KINDERKALENDER_2023 Titelbild

WELTREISEN  UNTER  DER  FLAGGE  DER  POESIE

Kalenderrezension von Ulrike Sokul ©

Da ist er wieder: Der bewährte Kinder Kalender, der Kindern poetisch und zeichnerisch
die große weite Welt aufblättert und eine Vielfalt von Sprachen und sehenswürdigen Schriften anschaulich ins Kinderzimmer „tapeziert“.

Die Internationale Jugendbibliothek* wählt alljährlich aus ihrem reichen internationalen Kinderbuchfundus Gedichte für den Kinder Kalender aus. Professionelle Übersetzer übertragen die Gedichte einfühlsam ins Deutsche. Der Grafiker Max Bartholl fügt das Originalgedicht, die Originalillustration, die Übersetzung und das Kalendarium zu einem farblich und grafisch attraktiven Layout zusammen.

Bisher erschien der Kinder Kalender im Verlag edition momente, inzwischen hat der ursprüngliche Verlag die lyrische Kalenderfahne einvernehmlich an den Moritz Verlag weitergereicht.

Von Kalenderblatt zu Kalenderblatt wird eine große Themen- und Stimmungsvielfalt  geboten: Man kalenderblättert von heiter bis wolkig, von schlicht bis nachdenklich, von albern bis geistreich, von aktiv bis meditativ, es gibt laute und leise Töne, alltägliche und schamanische Szenen, phantasievolle und abenteuerliche Episoden, zärtliche Augen-blicke, Rätsel, bemerkenswerte Wortspielgedichte und kindliche Verspieltheit.

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© Joseph Brodsky & Igor Oleynikov, Übersetzung von Andreas Tretner, Moritz Verlag 2022

Es gibt Gedichte von und mit Apfelbäumen, bunten Elefanten, Pinguinen, Löwen, Drachen, Zauberern, Piratengesängen, Regenmusik, lächelnden Skeletten, märchen-haften Verwandlungen, Schneeflocken sowie von einem Gürteltier mit Hosenträgern, einem Ausritt mit dem Staubsauger und einer buchstäblichen Schlangengurke …

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© Dorota Kassjanowicz & Paulina Daniluk, Übersetzung von Esther Kinsky, Moritz Verlag 2022

Mit den wöchentlichen Kalenderblättern läßt sich Kindern spielerisch Sprachfreude und Entdeckungslust vermitteln. Herzensbildung und Horizonterweiterung verbinden sich beim Kinder Kalender ebenso harmonisch wie vergnüglich. Die abwechslungsreiche Ausdrucksvielfalt der Sprachen und Schriftbilder sowie die stilistische Variationsbreite der Illustrationen bieten Kindern geistige und emotionale Nahrung sowie sprachfantasievolle Anregungen.

Dazu fügt sich ergänzend, daß der Kinder Kalender stets ein Blanco-Kalenderblatt enthält, das die Kinder selber „bedichten“ und bemalen können. Dieses selbstgestaltete Kalenderblatt kann bis zum 15. November 2023 an die Internationale Jugendbibliothek* gesandt werden, welche die fünf schönsten Blätter auswählt und mit einem Kinder Kalender 2024 honoriert.

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© Refik Durbas & Maria Brzozowska, Übersetzung von Hartmut Mau Moritz Verlag 2022

Zum Abschluß noch eine Anregung zur nachhaltigen Weiternutzung des Kalenders: Nach Jahresablauf können die Kalenderblätter, die man nicht sammeln oder einrahmen möchte, hervorragend als Geschenkpapier, Briefpapier, Collagen- oder Bastelmaterial wiederverwertet und „weitergesagt“ werden.



Hier entlang zum Kalender und zur Leseblätterprobe auf der Verlagswebseite:
https://www.moritzverlag.de/Alle-Buecher/Der-Kinder-Kalender-2023.html

* »Die Internationale Jugendbibliothek, die ihren Sitz im Schloss Blutenburg in München hat, ist die weltweit größte und renommierteste Bibliothek für internationale Kinder- und Jugendliteratur. Sie wurde 1949 von der deutsch-jüdischen Emigrantin Jella Lepman** gegründet, die es sich zur Lebensaufgabe gemacht hatte, mit Kinderbüchern Brücken zwischen den Völkern und Kulturen zu bauen. Bücher sollten die Fantasie der deutschen Nachkriegskinder anregen und ihnen eine offene Weltsicht vermitteln.
Die Idee des interkulturellen Dialogs und die Liebe zu guter Literatur bestimmen seit mehr als 60 Jahren die Arbeit der Internationalen Jugendbibliothek. Sie ist ein Ort, an dem die Literaturver- mittlung einen hohen Stellenwert hat und an dem mit Kindern und Erwachsenen der Diskurs über Bücher, Autoren, Illustratoren und Themen gesucht wird.« Weitere Informationen:  https://www.ijb.de/home

Wer Mitglied im »Verein Freunde und Förderer der Internationalen Jugendbibliothek« wird, der bekommt u.a. im ersten Jahr den Kinder Kalender als Begrüßungsgeschenk. https://www.ijb.de/ueber-uns/freundeskreis/

Wer gerne mehr über **Jella Lepmans Leben und Wirken wissen möchte, kann sich ergänzend meine Rezension ihres autobiografischen Buches „Die Kinderbuchbrücke“ durchlesen. Die Kinderbuchbrücke

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Trolle, Wichtel, Pixies und Waldwesen aus aller Welt

  • Text und Illustration von Malin Neumann
  • BOHEM Verlag 2020  www.bohem-verlag.de
  • gebunden
  • Fadenheftung
  • Format: 20 x 28,4 cm
  • 52 Seiten
  • vollfarbig
  • 18,95  € (D), 19,50 (A), 25,50 sFr.
  • ISBN 978-3-95939-078-1
  • Bilderbuch ab 5 Jahren

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B A U M L E B E W E S E N

Bilderbuchbesprechung von Ulrike Sokul ©

Gesichter in Baumrinden, Blätterraschelworte, Licht- und Schattenspiele, die flüchtige Gestalten erscheinen lassen, welche beim genauen Hinsehen wieder verschwunden sind und dennoch den Eindruck hinterlassen, daß uns da für einen Zauberaugenblick mehr als das Offensichtliche erschienen ist – so führt Malin Neumann mit den einleitenden Zeilen ihres Bilderbuches Kinder sogleich atmosphärisch in die Natur und gleichsam zur Wahrnehmungsschwelle zwischen sichtbarem und unsichtbarem Leben.

In allen Kulturen gibt es Legenden und Überlieferungen, die von kleinen und großen naturmagischen Wesen und Naturgöttern berichten. Malin Neumann hat solche Legenden und Überlieferungen aus aller Welt zusammengetragen und erzählt sie in kindgemäß komprimierter Bündelung nach. Stilistisch sind diese Texte jedoch im Gegensatz zum Einstimmungs- und Ausklangstext weitgehend eher informativ-sachlich-lexikalisch formuliert – ob diese Kurzbeschreibungen Kinder emotional ansprechen sei dahingestellt.

Waldwesen SKOVNISSE

Copyright © Bohem Press, Illustration: Malin Neumann

Zwischen PAN und PIXIES begegnen wir u.a. den CANOTILAS (kleine Baumbewohner) der nordamerikanischen Indianer, der YOSHINBO (Pflanzenmutter) und dem LUPUNA (Weltenbaum) aus dem Amazonas-Regenwald, dem perfekt getarnten GHILLIE DHU aus Schottland, der verirrten Kindern den Weg aus dem Wald zeigt, und dem dänischen SKOVNISSE, der seine Wohnhöhle gerne unter den Wurzeln alter Buchen einrichtet; wir erspähen den scheuen YEREN aus den chinesischen Bergwäldern, den gestaltwand- lerischen LESHY, den Schutzgeist aller Tiere und Pflanzen der sibirischen Kiefernwälder, und die japanischen KODAMA, zarte Baumgeister, die gerne außergewöhnlich geformte Bäume bewohnen und die von den Menschen durch kleine Steintafeln an den Baum- wurzeln geachtet und gewürdigt werden.

Malin Neumann gibt den zahlreichen Waldwesen und Naturgeistern mit zartfühlender Transparenz und einigen Prisen Humor zeichnerische Gestalt. Die Naturkulisse paßt sie einfühlsam den unterschiedlichen Landschaftsgegebenheiten an und gibt damit den jeweiligen Waldwesen heimatlichen Raum. Die letzte Doppelseite zeigt zudem auf einer Weltkarte eine Übersicht der zuvor vorgestellten Naturgeister.

Waldwesen FENGHUANG

Copyright © Bohem Press, Illustration: Malin Neumann

Es erscheint mir wünschenswert, Kindern die Natur nicht nur biologisch, ökologisch und materiell nahe zu bringen, sondern ihnen auch eine Ahnung von der Beseeltheit der Natur zu vermitteln oder gegebenenfalls zu bestätigen. Dieses Bilderbuch verschafft Kindern einen unaufgeregten Zugang zu archetypischen Wesen, appelliert an Achtsam-keit gegenüber der Natur und regt dazu an, die Wirklichkeit auch mit den inneren Sinnen wahrzunehmen.

„So ein Baum ist leise, sanft und langsam – niemals wird einer lautstark Hilfe einfordern.
Sei gut zu ihm.“

Hier entlang zum Buch auf der Verlagswebseite: https://www.bohem.ch/katalog/trolle-wichtel-pixies-und-waldwesen-aus-aller-welt/

Die Autorin und Illustratorin:

»Malin Neumann, geb. 1995, wuchs im Ruhrgebiet auf und studiert Design mit den Schwerpunkten Mediendesign und Illustration an der MSD Münster. Beim Illustrieren liebt sie den Moment, wenn gezeichnete Figuren anfangen vom Papier zurückzublicken und freut sich besonders über Regentage – die beste Zeit für kreatives Arbeiten. Sie lebt und arbeitet in Münster.« http://malin-neumann.de/

Waldwesen-PIXIE mit Geige

Copyright © Bohem Press, Illustration: Malin Neumann

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Die Kinderbuchbrücke

  • von Jella Lepman
  • Herausgegeben von der Internationalen Jugendbibliothek http://www.ijb.de
  • unter Mitarbeit von Anna Becchi
  • Neuausgabe Verlag Antje Kunstmann, September 2020 www.kunstmann.de
  • 25,00 € (D), 25,70 € (A)
  • gebunden
  • 303 Seiten
  • mit zahlreichen Fotos
  • 25,00 € (D), 25,70 € (A)
  • ISBN 978-3-95614-392-2

VON  KINDERBÜCHERN,  KINDERHERZEN  UND  WELTVERBUNDENHEIT

Buchbesprechung von Ulrike Sokul ©

In diesem autobiografischen Buch lernen wir eine eigenwillige, emanzipierte Frau kennen, die es verdient, mehr ins historische Bewußtsein gehoben zu werden. Jella Lepmans Engagement und Begeisterung für Kinder- und Jugendbücher sowie ihrem versöhnlich-ausgleichenden Umgang mit dem besiegten Nachkriegsdeutschland verdanken wir die Gründung der Internationalen Jugendbibliothek (http://www.ijb.de).

Jella Lepman war in Deutschland aufgewachsen. Als Jüdin durfte sie im nationalsoziali-stischen Deutschland ihren journalistischen Beruf nicht mehr ausüben und emigrierte 1936 über Italien nach London. Sie war früh verwitwet und alleinerziehende Mutter zweier Kinder.

1945 wird Jella Lepman gebeten, als „Adviser“ bzw. „Berater für die kulturellen und erzieherischen Belange der Frauen und Kinder in der amerikanischen Besatzungszone“ zu arbeiten. Der amerikanischen Besatzungsmacht schien es wohl angeraten, für die „Umerziehung der Deutschen“ und eine kulturelle Neuausrichtung auch eine mütter- lich-familiäre, weibliche Perspektive einzubeziehen. Nach einer aufwühlenden Bedenk- zeit überwiegt bei Jella Lepman das Mitgefühl mit den Kindern, und sie sagt ihre Mitarbeit zu.

Jella Lepman beschreibt die deutsche Nachkriegssituation und die damaligen zwischen-menschlichen Gestimmtheiten sehr differenziert, und ebenso differenziert betrachtet sie die amerikanische Einflußdominanz auf die deutsche Gesellschaft. Es herrscht Woh- nungsnot, es mangelt an Nahrung, Heizmaterial, Kleidung und Kinderbetreuungsmög- lichkeiten. Sie trifft auf ehrlich Reumütige, Ewiggestrige, echte und unechte „Wider- standskämpfer“ und die übliche Melange der Mitläufer in jede Richtung.

Neben dem leiblichen Hunger gibt es jedoch auch Lesehunger und kindlichen Wissensdurst. Zwölf Jahre Diktatur, Zensur und Bücherverbrennungen sowie die massiven Ausbombungen haben den Kinderbuchfundus deutscher Kinder drastisch reduziert. Nach und nach reift in Jella Lepman die Idee, eine Wanderausstellung der besten internationalen Kinder- und Jugendbücher zu organisieren und so den deutschen Kindern die weite Welt aus Kinderbuchperspektive näherzubringen.

Zwei Jungen in der Stuttgarter Ausstellung 1946 © Stiftung Internationale Jugendbibliothek

Sie schreibt Bittbriefe an diplomatische Vertretungen, Ministerien und Verlage. Neben erzählerischen Werken bittet sie um Bilderbücher, weil diese eine geringere Sprach-barriere bedeuten, und um Kinderzeichnungen und Kinderbilder, weil Kinder auf diesem Wege unabhängig von Fremdsprachenkenntnissen miteinander kommunizieren können. Die internationale Resonanz ist sehr gut, die Bücherspenden fließen großzügig.

Am 3. Juli 1946 eröffnet schließlich die „Internationale Jugendbuchausstellung“ im Haus der Kunst in München und zieht mehr als eine Million Besucher an. Die Ausstellung wandert – soweit sich passende Räumlichkeiten finden lassen – weiter nach Stuttgart, Frankfurt, Hamburg und Berlin. Das rege Interesse der deutschen Bevölkerung und die lebhafte Aufgeschlossenheit der Kinder bestätigen Jella Lepman darin, aus dieser Ausstellung eine dauerhafte Internationale Jugendbibliothek hervorgehen zu lassen.

Mit bewundernswerter Hartnäckigkeit, Zielstrebigkeit und Charme überwindet Jella Lepmann unzählige bürokratische und finanzielle Hürden, findet Mitstreiter, Sponsoren und prominente Befürworter, u.a. Theodor Heuss, Erich Kästner, Eleanor Roosevelt, die Rockefeller Foundation und die ALA, die „American Library Association“.

Am 14. September 1949 kann die „Internationale Jugendbibliothek“ zunächst in einer Villa in der Kaulbachstraße in München eröffnet werden. Von Anfang an werden dort neben Büchern auch Buchdiskussions- und Theaterspielgruppen, Puppentheaterauf-führungen, Elternabende, Sprachkurse und ein Malatelier angeboten. Außerdem dürfen die Kinder selbst Buchkritiken schreiben, die zum Teil sogar im Jugendfunk gesendet werden.

Kinder in der neueröffneten Internationalen Jugenbibliothek am 14. September 1949 © Stiftung Internationale Jugendbibliothek Foto: Otfried Schmidt

Jella Lepmans ausdrückliche Wertschätzung von Kinderliteratur als „Lebensmittel“ zur Herzensbildung und ihre Bemühungen, Kinderbücher als Boten von Fantasie, Freiheit, Frieden, Mitmenschlichkeit, Toleranz und Vielfalt einzusetzen, regten einen lebhaften internationalen Bücheraustausch an und entsprechende wechselseitige Übersetzungen, wie sie uns heutzutage selbstverständlich erscheinen.

Zudem initiierte sie den Deutschen Jugendliteraturpreis und den Hans Christian Andersen Preis, und sie regte die Gründung des „IBBY“, des International Board on Books für Young People, eines internationalen Kuratoriums für das Jugendbuch, an, was den gesell-schaftlichen Stellenwert und die positive öffentliche Wahrnehmung von Kinder- und Jugendbüchern erhöhte.

Es ist bewundernswert, mit welcher Unermüdlichkeit und welch großen Idealismus Jella Lepman die deutschen Kinder der Nachkriegszeit mit konstruktiver geistiger Nahrung versorgte. Die nachhaltige Wirkung und internationale Anerkennung, die mit der Institution der Internationalen Jugendbibliothek nach wie vor erreicht wird, bestätigen ihr Wirken.

Jella Lepman (links), Elisabeth Ekström (Geschäftsleiterin des Arbeitskreises für Jugendliteratur in München), Astrid Lindgren und die Bibliothekarin Elsa Olenius auf dem IBBY Kongress in Stockholm 1956 © Foto: privat Familie Lepman-Mortara

„Die Kinderbuchbrücke“ ist ein bemerkenswertes Dokument der Versöhnung, Hoffnung und unerschütterlichen Zielstrebigkeit. Jella Lepman schreibt mit weitem Herzen, gro- ßem Weitblick, scharfer Beobachtungsgabe und Humor. Einfühlsam schildert sie ihre Erfahrungen in Deutschland von der Trümmerzeit bis zur Wirtschaftswunderzeit, freut sich daran, wie aus hohlen Kinderwangen wieder runde Bäckchen werden, und beschreibt anrührende Szenen kindlich-begeisterter Reaktionen auf Bücher. Bei all ihrer organisatorischen und argumentativen Arbeit fand sie sogar noch die Muße, für Erich Kästners Kinderbuch „Die Konferenz der Tiere“ Ideen beizusteuern.

Die Neuausgabe der „Kinderbuchbrücke“ wird um ausführliche Anmerkungen ergänzt, die personelle und historische Zusammenhänge erläutern, sowie um eine Kurzbiografie von Anna Becchi, welche Jella Lepmans Lebensstationen jenseits ihres Engagements für die Internationale Jugendbibliothek nachzeichnet. Zahlreiche Fotos der Autorin und ihrer hilfreichen Wegbegleiter sowie hingebungsvoll in Bücher vertiefter Kinder ergänzen und bereichern Jella Lepmans Bericht um anschauliche, anrührende und aussagekräftige Zeitzeugnisse.

Hier entlang zum Buch und zur LESEPROBE auf der Verlagswebseite:
https://www.kunstmann.de/buch/jella_lepman-die_kinderbuchbruecke-9783956143922/t-2/

Die Autorin:

»Jella Lepman (1891–1970) wuchs in Stuttgart auf. Die jüdische Journalistin und Kinderbuch- autorin emigrierte 1936 nach England und wurde 1945 von der amerikanischen Militär- regierung als Beraterin für den Wiederaufbau nach Deutschland geholt. 1949 gründete sie die Internationale Jugendbibliothek in München, die weltweit größte Spezialbibliothek für inter- nationale Kinder- und Jugendliteratur, sowie 1951 IBBY (International Board on Books for Young People), eine internationale Organisation zur Förderung der Kinder- und Jugendliteratur.«

Querverweis:

Alljährlich erscheint im Verlag edition momente „Der Kinder Kalender“, herausgegeben von der Internationalen Jugendbibliothek. Für diesen Kalender treffen die Bibliotheks-Lektoren aus dem Kinderbuchfundus eine Auswahl von Kindergedichten, die in ihrer jeweiligen Landes- sprache und -Schrift, der dazugehörigen Illustration und einer deutschen Übersetzung jeweils ein Kalenderwochenblatt füllen. So wird Jella Lepmans Idee der Völkerverständigung von Kind zu Kind auf poetische Weise fortgesetzt und in deutsche Kinderzimmer transportiert und weitergesagt.

Den Kinder Kalender für das laufende Jahr (2021) können Sie unter nachfolgendem Link gerne besichtigen: Der Kinder Kalender 2021

Und den Kinder Kalender für das Jahr 2022 können Sie inzwischen auch schon besichtigen: Der Kinder Kalender 2022

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Der Kinder Kalender 2021

  • Mit 52 Gedichten und Bildern aus der ganzen Welt
  • Wochenkalender
  • Herausgegeben von der
  • Internationalen Jugendbibliothek München www.ijb.de
  • Mehrsprachig
  • Erschienen im
  • Verlag edition momente, Juni 2020  www.edition-momente.com
  • Graphische Gestaltung: Max Bartholl
  • 60 Blätter
  • 52 vierfarbige Illustrationen
  • Format: 30,5 x 33 cm
  • Spiralbindung
  • 20,00 € (D/A), 30,50 sFr.
  • ISBN 978-3-0360-5021-8
  • Für Kinder jeden Alters

POESIETAPETE  FÜRS  KINDERZIMMER

Kalenderbesprechung  von Ulrike Sokul ©

Wieder und wieder komponiert „Der Kinder Kalender“ aus dem Verlag edition momente einen ebenso anregenden wie harmonischen Zusammenklang von Wort und Bild, Gefühl und Verstand, Kind und Welt.

„Der Kinder Kalender 2021“ bietet eine angenehm spielerische Gelegenheit, jede Woche gemeinsam mit Ihrem Kind oder Ihren Kindern ein Gedicht „einzunehmen“. Die Auswahl der Gedichte für diesen Kalender wird von den Mitarbeitern der Internationalen Jugendbibliothek* München alljährlich aus dem reichen Fundus der gesammelten Kinderbücher aus aller Kinder Länder vorgenommen.

Vor dem illustratorischen Originalhintergrund findet sich das Poem in der Originalsprache und –Schrift sowie in einer einfühlsam-professionellen deutschen Übersetzung. So ergänzt sich der unmittelbare Augenschmaus von Illustration und teilweise exotischem Schriftbild mit dem vorgelesenen Ohrenschmaus des Gedichtes.

Vielsaitige Stimmen und Stimmungen kommen hier zu Wort: ein unver- besserliches Kind, drahtige Prinzessinnen, gesprächige Semikolons, ein klagendes O, Meere, Muscheln und Melonen, Fische und Fruchtfliegen, Giraffen und Glühwürmchen, Katzen und Mäuse, Freundschaft, Dank- barkeit, Schmetterlinge, Eisbären, Hydranten, ein Würstchenreigen, Teddybären, Gedanken, Gefühle und Träume, ein Loblied des Buchs, ein magisches Hexenlied, das Geräusch von Seifenblasen, der Trost des Mondlichts, Wind und Wetter und Geblätter …

Die Gedichte sind oft heiter und manchmal ernst, sie sind schläfrig und putzmunter, verträumt und achtsam, städtisch und ländlich, geheimnisvoll und offensichtlich, albern und tiefsinnig, leicht und schwer, selbstironisch, frech, freiheitsliebend – kurz gesagt: Die Kinderlyriktöne, die hier ange- schlagen werden, changieren abwechslungsreich zwischen feinsinniger Poesie und einfacher Belustigung und zeigen dabei eine erfreuliche Welten-weite. An solch einem reichhaltigen und noch dazu internationalen Gedicht- bufett wird wohl jeder Geschmack satt.
Auch die Illustrationen warten mit unterschiedlichen Gestaltungsmitteln und einer großen Bandbreite künstlerischer Stile und Darstellungsformen auf; es wird kunterbunt und monochrom gemalt, gezeichnet, collagiert und kombiniert. Dabei ist die Korrespondenz zwischen Gedicht und Bild stets gelungen, wozu auch die farbliche, grafische und typografische Gestaltung des Kalenderblatt-Layouts durch Max Bartholl, den Hausgrafiker des Verlags edition momente, nicht unwesentlich beiträgt.

Als animierende Zugabe gibt es zudem ein freigebliebenes Kalenderblatt, das die Kinder selber „bedichten“ und bemalen können. Dieses selbstge- staltete Kalenderblatt kann bis zum 1. Dezember 2021 an die Internationale Jugendbibliothek* gesandt werden, welche die fünf schönsten Blätter auswählt und mit einem Kinder Kalender 2022 honoriert.

„Der Kinder Kalender 2021“ wirkt dem Mangel an Poesie im kindlichen Alltag wirksam entgegen. Ein zwangsloses Gedicht pro Woche, das zum Schmunzeln bringt oder zum Nachspüren und Mitdenken anregt, leistet einen nachhaltigen Beitrag zur Förderung der kindlichen Sprachkompetenz und wortwörtlichen Ausdrucksvielfalt und weckt beiläufig auch die kindliche Neugier auf andere Sprachen.

Und auch für den Erwachsenen, dem bei Vorschul- und Leseanfänger- kindern hier die Rolle des Vorlesers zukommt, dürfte es ein bereicherndes Vergnügen sein, wenn ihm gemeinsam mit dem Kind allwöchentlich ein Gedicht zu Ohren kommt und vielleicht sogar zu Herzen geht.

Gerne weise ich darauf hin, daß sich die „abgelaufenen“ Kalenderblätter, die man nicht selber sammeln oder einrahmen möchte, hervorragend als Bastel-, Brief-, Collagen- oder Geschenkpapier eignen und auf diesem Wege auch noch sinnvoll „weitergesagt“ werden können.

 

Hier entlang zum Kinder Kalender 2021 und zur Blätterprobe auf der Verlagswebseite:
https://www.edition-momente.com/kalender/kinder-kalender-2021.html

 

* »Die Internationale Jugendbibliothek, die ihren Sitz im Schloss Blutenburg in München hat, ist die weltweit größte und renommierteste Bibliothek für internationale Kinder- und Jugendliteratur. Sie wurde 1949 von der deutsch-jüdischen Emigrantin Jella Lepman gegründet, die es sich zur Lebensaufgabe gemacht hatte, mit Kinderbüchern Brücken zwischen den Völkern und Kulturen zu bauen. Bücher sollten die Fantasie der deutschen Nachkriegskinder anregen und ihnen eine offene Weltsicht vermitteln.
Die Idee des interkulturellen Dialogs und die Liebe zu guter Literatur bestimmen seit mehr als 60 Jahren die Arbeit der Internationalen Jugendbibliothek. Sie ist ein Ort, an dem die Literaturver- mittlung einen hohen Stellenwert hat und an dem mit Kindern und Erwachsenen der Diskurs über Bücher, Autoren, Illustratoren und Themen gesucht wird
.«  Weitere Informationen:  http://www.ijb.de

Wer Mitglied im »Verein Freunde und Förderer der Internationalen Jugendbibliothek« wird, der bekommt u.a. im ersten Jahr den Kinder Kalender als Begrüßungsgeschenk. http://www.ijb.de/ueber-uns/freundeskreis.html

 

Es sei auch darauf hingewiesen, daß der Verlag edition momente außer dem hier besprochenen Kinder Kalender noch vier weitere bemerkenswerte Kalender publiziert:

Der Klima Kalender 2021  (Besprechung meinerseits folgt)
Unser blauer Planet – Schönheit und Gefahren
Herausgegeben von Hermann Vinke
https://www.edition-momente.com/kalender/klima-kalender-2021.html

Der Literatur Kalender 2021 (Besprechung meinerseits bereits erfolgt)
Momente der Hoffnung
Texte und Bilder aus der Weltliteratur
Herausgegeben von Elisabeth Raabe
https://www.edition-momente.com/kalender/literatur-kalender-2021.html

Der literarische Küchenkalender 2021
Mit Texten, Rezepten & Bildern
Herausgegeben von Sybil Gräfin Schönfeldt
https://www.edition-momente.com/kalender/literarischer-kuechenkalender-2021.html

Der Musik Kalender 2021
Musiker und ihre Sehnsuchtsorte
https://www.edition-momente.com/kalender/musik-kalender-2021.html
Als ebenso lesens- wie hörenswertes Gesamtkunstwerk empfehle ich für den Musik Kalender 2021 gerne die meisterhafte Besprechung von Random Randomsen: https://randomrandomsen.wordpress.com/2020/11/17/veredeln-statt-verubeln-%f0%9f%98%89/

 

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Gesang der Fledermäuse

  • Roman
  • von Olga Tokarczuk
  • Originaltitel: »Prowadź swój pług przez kości umarłych«
  • aus dem Polnischen von Doreen Daume
  • Kampa Verlag 2019 www.kampaverlag.ch
  • gebunden
  • 320 Seiten
  • 24,00 € (D), 24,70 € (A), 32,50 sFr.
  • ISBN 978-3-311-10022-5

RÜCKLÄUFIGER   MERKUR

Buchbesprechung von Ulrike Sokul ©

Janina Duszejo lebt in einer kleinen Siedlung auf einem extrem windigen Hochplateau, nahe der polnisch-tschechischen Grenze. Die meisten Häuser dienen nur als Sommer-residenz betuchter Städter, da der Winter in dieser Einöde sehr lang, sehr, sehr schnee-reich und sehr, sehr, sehr kalt ist. Nur Janina, ihr akkurater Nachbar Magota und ihr brutaler Nachbar Big Foot bleiben auch über den Winter dort.

Janina war einst Brückenbauingenieurin. Krankheitsbedingt wechselte sie in den Lehr- beruf und unterrichtete Englisch als Fremdsprache, was ihr durchaus Freude machte. Inzwischen hütet sie in der Wintersaison die verlassenen Häuser der abwesenden Nach-barn und entfernt bei ihren regelmäßigen Rundgängen durch den Wald heimlich die Drahtschlingenfallen, die ihr Nachbar Bigfoot zum Wildern auslegt.

Sie pflegt freundschaftlichen Kontakt mit Dyzio, einem ehemaligen Englischschüler, dem sie bei seinen Übersetzungen von William-Blake-Texten ins Polnische hilft. Einmal pro Woche macht sich Dyzio auf den im Winter mühsamen Weg von der Stadt zum Hoch- plateau, Janina kocht etwas Leckeres, sie befassen sich mit der Übersetzung und unterhalten sich angeregt.

Immer wieder wird deutlich, wie sehr Janina unter dem achtlosen Umgang der Men- schen mit der Natur und den Tieren leidet; dabei changiert ihre Betroffenheit zwischen weiß-glühendem Zorn und dunkler Trauer. Sie verfügt über einen ganzheitlichen Blick auf das Leben und eine durchdringende Menschenkenntnis, die durch die ernsthafte Beschäftigung mit Astrologie eine faszinierende Ergänzung findet.

Eines Nachts wird Janina von ihrem Nachbarn Magota aus dem Schlaf gerissen, da er die Leiche von Big Foot gefunden hat. Der Tote liegt auf seinem schmuddeligen Küchenbo-den, erstickt an einem Rehknochen, der ihm im Halse stecken geblieben ist. Zwar hegte Janina alles andere als Sympathie für den tierquälerischen Nachbarn und empfindet dabei seine Todesart sogar als ausgleichende Gerechtigkeit, dennoch hat sie zugleich ein allgemein menschliches Mitgefühl mit seiner Sterblichkeit.

Die Polizei bewertet den Tod von Big Foot als Unfall, und Janinas Auffassung, daß er auf gewundenen Wegen an der Rache der gequälten Tiere gestorben sei, wird nur verächt- lich belächelt. Daß sie außerdem astrologische Berechnungen zum Todeszeitpunkt und zur Todesart anführt, macht ihre Betrachtungsweise für die Polizei erst recht unglaub- würdig. Nun, Janina läßt sich davon nicht entmutigen, sie recherchiert einfach weiter.

Wenig später gibt es einen weiteren Toten, an dessen Fundort sich auffällig zahlreiche Rehspuren im Schnee befinden. Außerdem trägt der Tote sehr viel Bargeld bei sich, was aus Polizeiperspektive Vermutungen auf mögliche mafiöse Verbindungen nahelegt. Janina bleibt indes stur bei ihrer Theorie ausgleichenden Naturrechts und findet Parallelen zum Tod von Big Foot. Tapfer folgt sie Spuren, die gewöhnliche Menschen nicht wahrnehmen …

Die Sprache der Autorin ist niveauvoll und facettenreich und wird durch das astrologische Vokabular sinnvoll ergänzt und bereichert. Für Leser, die allerdings nicht mit der Systematik und Symbolik der Astrologie sowie mit den dazugehörigen psychologischen Archetypen vertraut sind, könnten die Textpassagen mit den Horoskopbeschreibungen willkürlich und unver-ständlich wirken.

Auf jedes Kapitel wird mit einem William-Blake-Zitat eingestimmt. Obwohl sich die Handlung über ein ganzes Jahr erstreckt und der Wechsel der Jahreszeiten die landschaftliche Kulisse verändert und begrünt, wirken die Szenerien stets wie Schwarz-Weiß-Aufnahmen mit einigen Tupfern beleben- den Rots, also ähnlich, wie der Kampa-Verlag die Titelbildgrafik gestaltet hat. Zwar gibt es den literarischen Begriff  „In-Schwarz-Weiß-geschrieben“ nicht, aber hier erscheint er mir angebracht.

Dieser außergewöhnliche Roman verbindet kriminalistische Spannung mit philosophischen Betrachtungen zur Stellung des Menschen in Natur und Ge- sellschaft. Einerseits finden wir hier schmerzhaft-glasklare Psychogramme einiger recht unangenehmer Zeitgenossen, andererseits auch einen feinen, schelmischen Humor sowie eine anrührende Zärtlichkeit gegenüber Tieren und tiefe Demut vor der Natur.

 

»Jede unserer Taten, in winzige Vibrationen der Photonen verwandelt, fliegt letztlich in den Kosmos, wie ein Film, und die Planeten werden sie bis ans Ende der Tage ansehen.« (Seite 54)

»Die Tiere sagen etwas über das Land. Die  Beziehung zu den Tieren verrät, wie es um das Land bestellt ist. Wenn sich die Menschen den Tieren gegenüber bestialisch ver-halten, dann hilft ihnen keine Demokratie und auch sonst nichts.« (Seite 120)

»Die Welt ist ein großes Netz, eine Ganzheit, und es gibt nichts, was nicht dazugehört. Auch das allerkleinste Stückchen Welt ist mit anderen verbunden, durch den kompli-zierten Kosmos der Korrespondenz, der mit dem normalen Verstand nicht leicht zu ergründen ist.« (Seite 71)

 

Hier entlang zum Buch auf der Verlagswebseite:
https://kampaverlag.ch/der-gesang-der-fledermaeuse/

 

Die Autorin:

»Olga Tokarczuk,  1962 im polnischen Sulechóv geboren, studierte Psychologie in Warschau und lebt heute in Breslau. Sie zählt zu den bedeutendsten Autorinnen der Gegenwart. Ihr Werk (bislang neun Romane und drei Erzählbände) wurde in 37 Sprachen über-setzt und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Für die „Jakobsbücher“, in Polen ein Bestseller, wurde sie 2015 (zum zweiten Mal in ihrer Laufbahn) mit dem wichtigsten polnischen Literaturpreis, dem Nike-Preis, ausgezeichnet und 2018 mit dem Jan-Michalsky-Literaturpreis. Im selben Jahr gewann sie außerdem den Man Booker International Prize für „Unrast“ (im Frühjahr 2019 im Kampa Verlag erschienen) für den sie auch 2019 wieder nominiert war: Ihr Roman „Der Gesang der Fledermäuse“ stand auf der Shortlist. 2019 wurde Olga Tokarczuk mit dem Literatur-Nobelpreis ausgezeichnet. Zum Schreiben zieht sich Olga Tokarczuk in ein abgeschiedenes Berghäuschen an der polnisch-tschechischen Grenze zurück.«

 

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Denkt endlich an die Enkel!

  • Eine letzte Warnung, bevor alles zu spät ist
  • von Wolf Schneider
  • Rowohlt Verlag 2019, Juli 2019 http://www.rowohlt.de
  • gebunden
  • Format: 11 x 17 cm
  • 80 Seiten
  • 8,00 € (D), 8,30 € (A)
  • ISBN 978-3-498-00153-7

K  L  A  R  T  E  X  T

Buchbesprechung von Ulrike Sokul ©

Wolf Schneider, dessen Anleitungen zum klaren, kultiviert-stilvollen, präzisen und acht-samen Umgang mit der deutschen Sprache ich überaus schätze und immer wieder gerne zu Rate ziehe, hat nun ein kurzes, pointiert formuliertes Buch verfaßt, welches er seinen vierzehn Enkeln und Urenkeln widmet: Es geht hier um nichts Geringeres als die dramatisch schwindenden Zukunftsaussichten der Menschheit.

»Wer wider besseres Wissen glaubt, die Katastrophe wird sich schon gedulden, bis wir sie kostenlos verhindert haben, der hat die Zukunft unserer Enkel schon verspielt!«
(Seite 19)

Der energieverschwenderische, naturausbeuterische, gierige Lebensstil der Menschheit kostet buchstäblich die Welt. Die reichen Industrienationen sind mit ihrer Anbetung des Wirtschaftswachstums, der Vergötterung des Automobils und der mehr als überflüssi- gen Warenproduktion die größten Zerstörer. Die Bevölkerung der ärmeren Weltregio- nen strebt verständlicherweise ebenfalls nach dem Wohlstand, der für uns normal ist. (Wobei auch bei uns der Zugang zu Wohlstand, ja, selbst zu einem nur auskömmlichen Dasein – dank jahrzehntelanger neoliberaler Arbeitsmarktverzerrungen und der Mini- mierung solidarischer, gemeinwohlorientierter Rahmenbedingungen zu Gunsten privatwirtschaftlicher Profite – drastisch reduziert wurde;  indes, die soziale Frage wird in Schneiders Buch nicht thematisiert.)

Wolf Schneider bezeichnet das Auto zutreffend als „unsere Heilige Kuh auf vier Rädern“, er kritisiert die maßlosen PS-Steigerungen und schwergewichtigen Blechaufplusterun- gen und fällt nicht auf die angebliche Rettung durch das E-Mobil herein. Denn der Ener- giebedarf für E-Mobilität ist sehr groß, alleine die Herstellung der Batterien verbraucht Strom, ganz zu schweigen vom Bedarf an Kupfer, Kobalt, Lithium, Mangan, Nickel und Seltenen Erden, vom giftigen Schrott, den jede verbrauchte Batterie hinterläßt sowie von den zahllosen Kabeln, die für die dazugehörige Infrastruktur gebraucht werden.

Deutlich weniger Autos wären zielführender und ein besseres Eisenbahn-Schienennetz ebenfalls. Stattdessen haben wir „47 Millionen Autos für 82 Millionen Bundesbürger – gut ein halbes Auto pro Kopf!“ (Seite 15) und eine Mineralölsteuerbefreiung für Flug- zeuge.

Schneider greift mit ebenso interessanter wie informativer historischer Herleitung das Thema Überbevölkerung auf. Dabei läßt er meines Erachtens keinen Zweifel daran, daß Europa ein Recht hat, Migrationsströme im Enkelinteresse zu begrenzen. Seine Warnung vor einer „Invasion“ des „alternde(n) Erdteil(s)“ Europa ist sehr deutlich (Seite 66).  Er be-schreibt streiflichternd Flächenverbrauch, bereits vorhandene und vermehrt drohende Wasserknappheit, Vermüllung und Vergiftung von Erde, Luft und Wasser, Artensterben, Flächenversiegelung durch Massentourismus, die skandalöse Stromverschwendung für Sommerskihallen, Schneekanonen in Wintersportorten, Lichtreklamen und Sportveran-staltungen. Die Aufzählung menschlicher Unvernunft wird darüber hinaus noch  ergänzt um Hinweise auf tonnenweise Lebensmittelverschwendung, Mikroplastik in der Nah- rungskette, den Zusammenhang zwischen maßloser Fleischproduktion und Welthunger und die wachsende Gefahr von Ressourcenkriegen.

Sind wir überhaupt noch zu retten? Wolf Schneider läßt diese Frage offen. Er sieht nur eine kleine Chance: SOFORTIGES Handeln.

Dieses Manifest ist deutlich und drastisch, der Autor verwendet anschauliches Zahlen-material und klare, kurze unmißverständliche Ansagen, seine Kritik an unserem zer- störerischen, enkeluntauglichen Lebensstil ist berechtigt und durchaus angebracht.  

Wolf Schneider erstellt eine schonungslose Diagnose, nur ein Rezept zur Heilung bleibt er uns schuldig, vielleicht weil ihm die Unvernunft des Menschen therapieresistent erscheint oder weil sein negatives Menschenbild diese Hoffnung nicht erlaubt. Kritik ist notwendig, aber hoffnungslose Kritik wird die Welt erst recht nicht retten. 

Warum nicht einfach das Naheliegende tun und gerade dieses Buch auf wesentlich ressourcenschonendere Weise produzieren? Statt bloß auf einem FSC-Papier-Mix hätte das vorliegende Buch auf wiederverwertetem Papier gedruckt werden können, wie es vorbildlicherweise der Oekom-Verlag (https://www.oekom.de/) schon seit dreißig Jahren praktiziert. Ist hier etwa die Kluft zwischen Theorie und Praxis auch beim Autor und beim Verlag noch viel zu groß?

 

Hier entlang zum Buch und zur LESEPROBE auf der  Verlagswebseite:
https://www.rowohlt.de/hardcover/wolf-schneider-denkt-endlich-an-die-enkel.html

Eine ergänzende hörenswerte Audiobesprechung findet sich bei Andruck-Deutschland-funk: https://www.podcast.de/episode/413939638/Wolf+Schneider+-+%22Denkt+endlich+an+die+Enkel%22/

Der Autor:

»Wolf Schneider, geboren 1925, hat vier Kinder, zehn Enkel und vier Urenkel. Er ist Autor von 28 Sachbüchern, darunter drei Bestsellern und einer großen Kulturgeschichte der Menschheit „Der Mensch – eine Karriere“ – laut Neuer Zürcher Zeitung »ein grandioses, mit gewaltigem Wissen und immensem Sachverstand geschriebenes historisches Panorama«.
Schneider war Korrespondent der Süddeutschen Zeitung in Washington, Verlagsleiter des Stern, Chefredakteur der Welt, Moderator der NDR-Talkshow und 16 Jahre lang Leiter von Deutschlands renommiertester Journalistenschule. Er ist Honorarprofessor der Universität Salzburg, Träger des Medienpreises für Sprachkultur der Gesellschaft für deutsche Sprache und des Henri-Nannen-Preises für sein publizistisches Lebenswerk.
Sein großes Thema „Wie geht es mit der Menschheit weiter?“ bewegt ihn seit 61 Jahren:
1958 erschien in der Süddeutschen Zeitung, anläßlich der dritten Menschheitsmilliarde, seine erste Warnung vor der drohenden Überfüllung der Erde – und 1966 sein Leitartikel „Tod dem Verbrennungsmotor“.«

PS:
Für Leser mit ökologisch-nachhaltiger Handlungsbereitschaft, ausgeprägtem Mitwelt-gefühl und konsequenter Selbstverantwortung gibt es jede Menge Bücher, Zeitschriften (z.B. »OYA – enkeltauglich leben«  https://oya-online.de/about/was.html ),  Informations- portale und Organisationen mit aufklärenden und wegweisenden Informationen. Alleine auf meiner Webseite finden sich unter der Kategorie
„Natur &
Ökologie“ https://leselebenszeichen.wordpress.com/category/natur-okologie/
und „Nachhaltigkeit“ https://leselebenszeichen.wordpress.com/category/nachhaltigkeit/
sowie „Bienen & Co“ https://leselebenszeichen.wordpress.com/category/bienen-co/
mehr als 50 Bücher, die naturliebhaberisches, konsumkritisches und kleinwelten- retterisches Wissen und entsprechende praktische Handlungsimpulse vermitteln.

 

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Leben Schreiben Atmen

  • Eine Einladung zum Schreiben
  • von Doris Dörrie
  • Diogenes Verlag, August 2019 www.diogenes.ch
  • in Leinen gebunden
  • mit Schutzumschlag
  • 288 Seiten
  • 18,00 € (D), 18,50 € (A), 24,00 sFr.
  • ISBN 978-3-257-07069-9

VOM  LEBEN  ZUM  SCHREIBEN

Buchbesprechung von Ulrike Sokul ©

Max Frisch sagte einst: „Schreiben heißt, sich selber zu lesen.“ Genau um diese Art des Schreibens kreist Doris Dörries Buch „Leben Schreiben Atmen“. Es geht hier nicht um Re- zepte für erfolgreiches schriftstellerisches Schaffen, sondern vielmehr um Schreiben als ganz alltägliches Medium, um das eigene Leben zu erkennen, sich selbst tiefer auf die Spur zu kommen, Erinnerungen zu reanimieren und infolgedessen dem ganzen Gefühls-spektrum des eigenen Erlebens Raum und Ausdruck zu geben und diese persönlichen Geschichten gegebenenfalls auch mit anderen Menschen zu teilen.

Doris Dörries Einladung zum autobiographischen Schreiben vermittelt eine ansteckende Schreiblust und Schreibneugier. Sie schreibt uns nichts vor, stellt keine Regeln auf, gibt nur Empfehlungen für Bedingungen und Geisteshaltungen, die den Schreibprozeß för-dern, sie ermutigt zur Freiheit, einfach loszuschreiben – ohne Erwartungen oder ehrgei-zige Qualitätsansprüche. 

Zunächst erklärt sie sehr einleuchtend, daß sich Inspiration nicht durch angestrengtes Nachdenken einstellt, sondern vielmehr durch einfaches – unkontrolliertes – Drauflos-schreiben. Für den Anfang genügen zehn Minuten pausenlosen, am besten handschrift-lichen Schreibens, bei dem nicht nachgedacht, zensiert oder korrigiert wird. Es ist gleich-gültig, ob wilder Blödsinn, ungeahnter Tiefsinn, kostbare Erinnerungen oder banaler All-tag dabei zum Vorschein kommen. Alles darf aufs Papier und sich uns dort buchstäblich zeigen.

Selbsterfahren listet sie weitverbreitete mentale Hindernisse auf, die uns einreden, wir könnten oder dürften nicht schreiben – erst recht nicht über uns selbst -, wir hätten nichts zu sagen, wir seien ängstlich, anmaßend, blöd, einfallslos, eitel, peinlich, unin-teressant, unfähig usw. Weg mit diesen nutzlosen Gedankenbremsen! Das pausenlose Schreiben überwindet solche sekundären Einflüsse und führt in tiefere Schichten, macht uns zum ebenso tapferen wie verletzlichen Entdecker des eigenen Lebens und Werdens.

Sollte uns wirklich einmal gar nichts einfallen, schreibe man die Zauberformel „Ich erinnere mich“ solange hintereinander auf, bis etwas ans Licht kommen will.

„Zu schreiben bedeutet, nicht vor der Wahrheit zu fliehen, sondern in sie zurückzu- finden. Jede Erinnerung, die ich wiederfinde, verbindet sich in dem Augenblick, in dem ich sie teile, mit den Erinnerungen der anderen. Woran erinnere ich Dich?“ (Seite 109)

Doris Dörrie gibt kurze Anleitungen zu befreienden Schreibübungen sowie zahlreiche Anregungen für Schreibthemen und kombiniert sie mit persönlichen biographischen Episoden, die thematisch zu den Schreibeinladungen passen.

Dabei geht sie chronologisch vor, beginnt mit Kindheitserlebnissen, geht weiter zu jugendlichen Lebensverkostungen bis hin zu erwachsenen, verantwortungsvollen Lebenslagen. Jede Zeitphase bietet reichlich Schreibanlässe: sei es ein Lieblingskleid, Lieblingsspeisen, ein Lieblingsbuch, Gerüche, Eltern und Großeltern, Licht und Dunkel- heit, Brot, Körper, Musik, Tanz, der erste Kuß, vertraute Orte und fremde Orte, Sehn- süchte, Möbel, Fußböden, Lügen, der erste Verlust, lebenstaugliche Freundschaften, besondere Begegnungen, Vorher-nachher-Momente, Reisen …  Durch das regelmäßige Schreiben finden wir ein Innehalten in der ganzen kleinen und großen, inneren und äußeren Welt, in der unser Dasein ununterbrochen geschieht. Tägliches Schreiben (mindestens zehn Minuten, gerne aber auch mehr) trainiert die „Schreibmuskeln“ und den Schreibmut.

Doris Dörrie rät beispielsweise dazu, spielerisch auszuprobieren, eine Erinnerung in der ersten Person und dann aus der Perspektive der dritten Person zu formulieren und dann nachzuspüren, welcher Text stimmiger ist. Bei Themen, die uns sehr nahegehen und auf-wühlen, kann das Schreiben in der dritten Person einfacher sein und gleichwohl ganz authentisch. Sie selbst wählt für die Beschreibung eines unausweichlichen zwischen-menschlichen Verlustes die Erzählperspektive der dritten Person, was der emotionalen Substanz des Textes nichts nimmt.

Freifließende Assoziationen, die sinnliche, ja, zugleich meditative Aufmerksamkeit für naheliegende Details und achtsame Gegenwärtigkeit sind wiederkehrende Refrains von Doris Dörries Schreibempfehlungen.

Ihre eigenen biographischen Einblicke illustrieren mit ihrer spontanen, lebhaften Dyna-mik, ihrem weltläufigen Bewegungsradius, der komplexen, assoziativen Korrespondenz zwischen Innen- und Außenwelt, dem abwechslungsreichen Zeitgeistkolorit sowie den schatten-schweren und licht-leichten Erfahrungen, wie beflügelnd, interessant, erkennt-nisbereichernd, schmerzlich, tröstlich, heilsam, spannend, klärend, demutweckend, dankerfüllend, beglückend und wiederbelebend autobiographisches Schreiben sein kann.

Doris Dörrie gibt viele konkrete Impulse zum Schreiben, geht mit eigenem praktischen Beispiel voran und ermutigt und ermuntert den geneigten Leser immer wieder zum Schreiben. Sie spricht uns unmittelbar an, fordert dazu auf, – JETZT genau JETZT – ein-fach zum Stift zu greifen und etwas zu schreiben, sich aus dem Leben heraus ins Leben hineinzuschreiben – von Wort zu Wort, von Satz zu Satz, von Atemzug zu Atemzug …

Auf wessen Erlaubnis warten Sie noch?

„Schreiben ist wie mit der Vergangenheit zu telefonieren und sie in die Gegenwart zu holen. Schreib deshalb möglichst nicht in der Vergangenheits-, sondern in der Gegen- wartsform. Alles wird gegenwärtig. Ist wieder da. Jetzt. (Seite 123)

 

Hier entlang zum Buch und zur LESEPROBE auf der Verlagswebseite:
https://www.diogenes.ch/leser/titel/doris-doerrie/leben-schreiben-atmen-9783257070699.html

 

Die Autorin:

»Doris Dörrie, geboren in Hannover, studierte Theater und Schauspiel in Kalifornien und in New York, entschloss sich dann aber, lieber Regie zu führen. Parallel zu ihrer Film-arbeit (zuletzt der Spielfilm ›Kirschblüten und Dämonen‹) veröffentlicht sie Kurzgeschich-ten, Romane und Kinderbücher. Sie unterrichtet an der Filmhochschule München ›creative writing‹ und gibt immer wieder Schreibworkshops. Sie lebt in München.«

 

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Der unbekannte Kosmos

  • Alexander von Humboldt
  • Feature von Hans Sarkowicz
  • Regie: Leonhard Koppelmann
  • mit Ulrich Noethen als Humboldt
  • gelesen von: Ulrich Noethen, Friederike Ott, Birgitta Assheuer,
  • Moritz Pliquet und Reinhart von Stolzmann
  • Produktion: Hessischer Rundfunk/Der Hörverlag 2019
  • erschienen im Hörverlag Mai 2019  http://www.hoerverlag.de
  • 8 CDs in Pappschachtel
  • Laufzeit: ca. 10 Stunden und 7 Minuten
  • Textbeilage mit Zeittafel, Inhaltsübersicht und
  • Originalzeichnungen
  • 40,00 € (D), 44,90 € (A), 52,90 sFr.
  • ISBN 978-3-8445-3305-7

DEN  ENTDECKER  ENTDECKEN

Hörbuchbesprechung von Ulrike Sokul ©

Dieses Hörbuch-Feature von Hans Sarkowicz vermittelt durch wohlgewählte, klug kom- binierte Textauswahl und facettenreiches Geistesfunkeln einen ebenso lehrreich-interessanten wie vielstimmig-spannenden Einblick in Alexander von Humboldts Leben, Persönlichkeit und Werk.

2019 ist ein Alexander-von-Humboldt-Jubiläumsjahr. Vor 250 Jahren, am 14.9.1769, wurde Alexander von Humboldt geboren. Dies ist fürwahr Anlaß genug, dem gegen-wärtigen Lesepublikum Humboldts bemerkenswert weltläufiges – in seiner ganzheit- lichen, fächerübergreifend-weitsichtigen Perspektive erstaunlich aktuelles – Werk ins Bewußtsein zu rufen.

Die für das Hörbuch ausgewählten Originaltexte folgen einer chronologischen, topo-graphischen und thematischen Ordnung. Begleitet werden sie von konzentriert-zusammenfassenden Erläuterungen sowie zeitgeschichtlich und wissenschaftshistorisch einordnenden Kommentaren acht verschiedener Humboldt-Spezialisten (Prof. Dr. Oliver Lubrich, Prof. Dr. Stefan Brönnimann, Dr. Tobias Kraft, Dr. Ulrike Leitner, Prof. Dr. Jutta Müller-Tamm, Thomas Nehrlich M.A., Prof. Dr. Karl Schlögel, Prof. Dr. Heinz Veit) und einigen, recht amüsant-launigen Zeitzeugenberichten (z.B. aus der Feder Ludwig Börnes) sowie literarischen Querverweisen.

Humboldt war ein vielseitig interessierter Gelehrter und wißbegieriger Forscher. Er war Bergbaufachmann, Botaniker, Geograph und Kartograph und befaßte sich u.a. mit Anthropologie, Anatomie, Astronomie, Archäologie, Geologie, Klimatologie, Kunst, Mineralogie, Pflanzengeographie, Vulkanismus und Zoologie. Zusammen mit Goethe machte er in Jena galvanische Experimente und scheute sich dabei nicht, seinen eigenen Körper als Versuchsobjekt und Meßinstrument einzusetzen.

Als Bergbauspezialist konzentrierte sich Humboldt nicht nur auf die Erschließung von Bodenschätzen, sondern erfand auch ein Atmungsgerät und eine luftreinigende Gruben-lampe, welche die Sicherheit der Bergleute erhöhen sollte.

Die Länder, die uns heute als Ecuador, Kolumbien, Kuba, Mexiko, Peru und Venezuela bekannt sind, waren zu Humboldts Zeiten noch spanische Kolonien. Humboldt reiste mit einer Sondergenehmigung des spanischen Königs und in Begleitung des Arztes und Botanikers Aimé Bonpland von 1799 bis 1804 durch Süd- und Mittelamerika. Trotz der Strapazen empirischer Feldforschung in Urwäldern und bei gefährlichen Bergbestei-gungen protokollierte er unermüdlich seine Messungen, Beobachtungen, Entdeckungen und Erkenntnisse.

Stets führte er die neuesten und besten astronomischen und physikalischen Instru- mente (Barometer, Chronographen, Cyanometer, Elektrometer, Hygrometer, Sextanten, Thermometer usw.) mit sich und vermaß so buchstäblich die Welt, die er bereiste und erkundete. Die Natur und die fremde Landschaft faszinierten und begeisterten ihn; er sei, so schrieb er, in den Tropen ganz in seinem Element.

Seine Erfahrungen in den Kolonien machten ihn zu einem entschiedenen Kritiker und Gegner von Kolonialismus und Sklaverei, und er gab den Kampf für ein globales Verbot der Sklaverei niemals auf. Er beklagte die Zerstörung der kulturellen Zeugnisse der indi- genen Urbevölkerung (Azteken, Inkas und Mayas) durch die spanischen Eroberer und christlichen Missionare und setzte sich dafür ein, daß die verbliebenen Reste und die vom Vergessen bedrohten indigenen Sprachen erforscht, dokumentiert und bewahrt wurden.

Seinen Ruf als Universalgelehrter können wir guten Gewissens um den eines Humanisten ergänzen. Das nachfolgende Zitat von 1852 mag einen Eindruck seiner außergewöhnlich unabhängigen Geisteshaltung vermitteln:

„Indem wir die Einheit des Menschengeschlechts behaupten, widerstreben wir auch jeder unerfreulichen Annahme von höheren und niederen Menschenrassen. Es gibt bildsamere, höher gebildete, durch geistige Kultur veredelte, aber keine edlere Volksstämme. Alle sind gleichmäßig zur Freiheit bestimmt; … „

Humboldt war in vieler Hinsicht seiner Zeit voraus, er dachte in größeren Zusammen-hängen, forschte und schlußfolgerte interdisziplinär und erkannte damals schon den Einfluß menschlichen Handelns (Abholzungen) auf das Klima und betrachtete „die Natur als ein komplexes System von Wechselwirkungen“ – verfügte also bereits über eine ökologische Perspektive, als es den Begriff Ökologie noch garnicht gab.

Die stilistische Eleganz, fesselnde Eloquenz und anschauliche Ausdruckskraft seiner Sprache zeigen Humboldt als begabten Schriftsteller und empfindsam-aufnahme- fähigen, feinsinnigen Beobachter. Sein zeichnerisches Talent war eine nützliche Ergänzung – so konnte er seine Reiseberichte mit vielen naturalistischen Illustrationen auch bildlich dokumentieren.

Ulrich Noethen spricht Alexander von Humboldts Texte mit würdevoller Emphase und gibt ihnen lebhafte stimmliche Gestalt, und auch die versammelten Humboldt-Spezialisten können sich angenehm und redeflüssig hören lassen.

Die akustische Kulisse aus Federkratzen, Hufgetrappel, Insektensummen, Wasserrau-schen, Hammerklopfen, Vogelrufen usw. und die gelegentliche sanfte oder dramatische musikalische Grundierung animieren die Begegnung mit Humboldts Beobachtungen, Erkenntnissen, Berichten, Stellungnahmen und Ideen und machen uns zu imaginären Reisebegleitern seiner Expeditionen durch Amerika und Rußland.

Diese Hörbuchdokumentation informiert facetten- und abwechslungsreich über Alexander von Humboldt und seine maßgebliche Bedeutung für die Naturwissen- schaften des neunzehnten Jahrhunderts. Wir bekommen einen nachhaltigen Eindruck von Humboldts regem, weitem Geist, seiner Fähigkeit, komplexe Zusammenhänge und Wechselwirkungen wahrzunehmen, seiner Entdeckungsfreude und Forschungshingabe, seiner aufklärerischen und weitherzigen Aufgeschlossenheit, seinem demokratischen Verständnis von Wissenschaft und seinem hoffnungsvollen Glauben an den Fortschritt von Vernunft und Wissenschaft zum Wohle der Menschheit.

„Wissen und Erkennen sind die Freude und die Berechtigung der Menschheit.“

Meine Faszination und Begeisterung gehen derweil soweit, daß ich Alexander von Humboldt nun gerne in die erlesene Gästeliste meines imaginären Salon d’ésprit einreihe, in der ich Persönlichkeiten aus der Vergangenheit versammle, mit denen ich mich gerne einmal unterhalten würde.

 

Hier entlang zum Hörbuch und zur HÖRPROBE auf der Verlagswebseite:
https://www.randomhouse.de/Hoerbuch/Der-unbekannte-Kosmos-des-Alexander-von-Humboldt/Alexander-von-Humboldt/der-Hoerverlag/e544935.rhd

Alexander von Humboldt:

»Alexander von Humboldt (1769–1859), deutscher Universalgelehrter und Expeditions-reisender von internationalem Renommee, machte als Pionier diverser naturwissenschaft- licher Fachdisziplinen von sich reden: von der Botanik und Zoologie über die Klimatologie bis hin zur Astronomie. Seit seiner Amerikanischen Forschungsreise 1799-1804 gilt er als «wissenschaftlicher Wiederentdecker Amerikas» und Mitbegründer der empirisch fundierten Geographie. Doch auch als Ethnologe, Kulturtheoretiker und couragierter Humanist war er seiner Mitwelt weit voraus.«

Ulrich Noethen:

»Ulrich Noethen, 1959 in München geboren, begann seine Schauspielkarriere 1985 am Theater. Anfang der 90er Jahre wechselte er zu Film und Fernsehen. Der große Durchbruch gelang ihm 1997 mit Joseph Vilsmaiers Comedian Harmonists. Seitdem war er in unzähligen Kino- und TV-Produktionen zu sehen. Er wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter zweimal mit dem Grimme-Preis sowie mit dem Deutschen Filmpreis. 2017 wurde er als Bester Interpret mit dem Deutschen Hörbuchpreis geehrt. Für den Hörverlag las Ulrich Noethen zuletzt Königskinder von Alex Capus.«

Der Herausgeber:

»Hans Sarkowicz studierte Germanistik und Geschichte in Frankfurt/Main. Seit 1979 arbeitet er beim Hessischen Rundfunk. Er leitet das hr2-Ressort Literatur und Hörspiel und ist Autor von zeitgeschichtlichen und kulturhistorischen Publikationen, unter anderem zur Kunst und Literatur im Nationalsozialismus.«

Zur Buchausgabe:

Wer lieber lesen als lauschen möchte, kann sich mit dem Buch „Der Andere Kosmos“ anhand einer Auswahl von 70 exemplarischen Texten (Aufsätze, Artikel, Essays) aus 70 Jahren (von 1789 bis 1859) mit Humboldt beschäftigen. Dort fehlen dann jedoch die begleitenden Kommentare der Humboldt-Spezialisten, die den Originaltexten in der Hörbuchfassung einen erhellenden wissenschaftshistorischen Rahmen geben.

Alexander von Humboldt    
Der andere Kosmos
Hrsg. von Oliver Lubrich und Thomas Nehrlich
70 Texte, 70 Orte, 70 Jahre 1789-1859
DTV Verlag
März 2019
gebunden in geprägtes graues Feinleinen
mit einem farbigen Schutzumschlag aus halbtransparentem Kunststoff
Fadenheftung
LESEBÄNDCHEN
Groß-Oktav-Format: 17 x 24 cm
448 Seiten
in der Minion gesetzt und zweifarbig
auf holzfreiem, alterungsbeständigen Werkdruckpapier gedruckt
30,00 € (D), 30,90 € (A)
ISBN 978-3-423-28170-6

Hier entlang zur Buchausgabe beim DTV Verlag:
https://www.dtv.de/buch/alexander-von-humboldt-oliver-lubrich-thomas-nehrlich-der-andere-kosmos-28170/

Wer sich vertiefend mit Alexander Humboldt beschäftigen möchte, dem sei die zehnbändige Gesamtausgabe sämtlicher Schriften empfohlen, die im August 2019 im DTV Verlag erschienen ist und erstmals alle verstreuten, weltweit erschienenen Aufsätze, Artikel, Essays und Briefe versammelt.

Alexander von Humboldt
»Sämtliche Schriften«

Herausgegeben von Oliver Lubrich und Thomas Nehrlich
DTV Verlag

10 Bände
6320 Seiten


Wahlweise als handnumerierte Vorzugsausgabe zu 390 € (D/A)
https://www.dtv.de/buch/alexander-von-humboldt-oliver-lubrich-thomas-nehrlich-saemtliche-schriften-handnummerierte-vorzugsausgabe-im-schmuckschuber-59089/

 

 

oder als Studienausgabe zu 250 € (D/A)
https://www.dtv.de/buch/alexander-von-humboldt-oliver-lubrich-thomas-nehrlich-saemtliche-schriften-studienausgabe-59088/

 

 

Auf der Extra-Webseite des DTV-Verlages zur Humboldt-Ausgabe gibt es zudem eine weltkartenfilmische Darstellung seiner umfangreichen Reiserouten.
https://www.dtv.de/special-alexander-von-humboldt-saemtliche-schriften/70-jahre-reisen-forschen-und-schreiben/c-1931

 

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