- Vielleicht kein Märchen
- von Leonie Swann
- Hörbuch
- vollständige Lesung
- gelesen von Andrea Sawatzki
- Der Hörverlag, 2014 www.hoerverlag.de
- 1 mp3CD
- in Pappklappschuber
- Laufzeit ca. 11 Stunden, 26 Minuten
- 9,99 € (D), 10,30 € (A), 14,50 sFr.
- ISBN 978-3-8445-1732-3
DIE MÖGLICHKEITEN DES UNMÖGLICHEN
Hörbuchrezension von Ulrike Sokul ©
Leonie Swanns schriftstellerische Spezialität ist es, sehr einfühlsam tierische Charaktere in menschliche Romanhandlungen einzufügen. Diesmal wirkt ein ganzer Flohzirkus mit sowie ein lebhaftes Panoptikum leibhaftiger Fabel- und Märchenmischwesen, mit unter-schiedlich ausgeformter Anpassungsfähigkeit an heutige Daseinsbedingungen.
Julius Birdwell betätigt sich schon seit seiner Kindheit als Flohdompteur. Er benutzt keine Tricks und keine Golddrähte zum Lenken, sondern kommuniziert auf tele-pathischem Wege mit seinen kleinen Artisten.
Julius entstammt einer Familie von Gaunern, und er kann Schlösser knacken und das von seinem Großvater überlieferte Prä-Einbruchsprotokoll („Observation, Dokumen- tation, Aktion“) befolgen, aber er hat nicht die Nervenstärke für eine kriminelle Karriere. Seine Angst bezieht sich nicht nur auf die verständliche Befürchtung erwischt und bestraft zu werden, sondern auf eine tiefer liegende, irrationale Angst vor einer Bedrohung aus der Dunkelheit.
Seine Begeisterung für den Flohzirkus veranlaßte ihn dazu, statt einer Schlosserlehre eine Goldschmiedelehre zu absolvieren. Denn mit dieser feinen Schmiedekunst kann er passende Requisiten für seine Flohartisten und ihre Kunststücke anfertigen. Und mit seiner beiläufigen Spezialisierung auf Juwelenentfluchung hat er sich zudem einen einträglichen goldschmiederischen Geheimtip-Ruf erworben.
Julius schätzt Ordnung, Licht, Ruhe, Schönheit, grünen Tee und seine Flöhe. Die Flöhe tragen alle eigene Namen und werden von Julius sehr einfühlsam behandelt, was sie wiederum mit ganz besonders feinen artistischen Leistungen honorieren.
Von seiner Goldschmiedekunst kann Julius gut leben, doch leider lauern ihm immer wieder alte Gaunerkumpels seines verstorbenen Großvaters auf, die ihn zur Mitwirkung an ihrer „Arbeit“ überreden wollen.
Nach einer solchen unerfreulichen Unterredung ist der furchtsame Julius so konfus und panisch, daß er beim Aufschließen seiner Wohnungstür seinen transportablen Floh- palast draußen stehen läßt. Der Nachtfrost bekommt den Flöhen gar nicht gut, und Julius stolpert nach diesem Mißgeschick gleich ins nächste Verhängnis und fällt von einer Brücke in die Themse.
Eine verführerische Nixe rettet ihn vor dem Ertrinken und nimmt ihm dafür das Ver-sprechen ab, ihre Schwester aus der Gefangenschaft eines geheimnisvollen alten Magiers zu befreien. Nun führt das Irrationale, eigentlich Unmögliche Regie in Julius‘ Leben, und das gefällt ihm zunächst gar nicht. Bei seinen widerwilligen, aber dennoch systematischen Recherchen findet er heraus, daß der Magier unter dem Namen Professor Isaac Fawkes außergewöhnliche Wunderkammervorstellungen anbietet, die man nur als geladener Gast besuchen kann.
Vor Fawkes Wohnungstür will Julius ordnungsgemäß das Prä-Einbruchprotokoll durch-führen, doch schon im Treppenhaus trifft er Elizabeth Thorn, die ihn eindringlich davor warnt, diese Tür zu öffnen.
Elizabeth ist sehr schön und sehr schnell, aber auch etwas unheimlich. Sie weiß viel über Isaac Fawkes und erklärt Julius, daß er diverse magische Wesen gefangen halte, sie ihm einst entkommen sei, und sie nun die Absicht habe, alle zu befreien. Nachdem Julius ihr gestanden hat, daß er eine Nixe befreien muß, faßt sie Vertrauen zu Julius und zeigt ihm ihre zuvor unter einer Wollmütze verborgenen gewundenen Hörner und reanimiert seine Flöhe.
»Elizabeth marschierte in bester Fabelwesenfeldwebelmanier neben dem Sofa auf und ab. Sie hatte einen Kirschblütenzweig in der Hand und bewegte ihn beim Sprechen wie einen Dirigentenstab.« (Seite 219)
Nun sind sie schon zwei Verbündetet mit vierundreißig springlebendigen Flöhen, und es kommen weitere Mitstreiter hinzu. Da wäre noch Rose Dawn erwähnenswert, eine ältere Dame mit einer Schwanenfeder hinter dem Ohr und mit Zugang zu einem laby- rinthischen Wald, in dem sich ein Refugium für magische Wesen verbirgt. Außerdem schließt sich ihnen Frank Green an, ein messergewandter Privatdetektiv mit gespal- tener Persönlichkeit und dementsprechenden Konzentrationsstörungen, aber dafür mit einer sympathischen Aufgeschlossenheit für alles mögliche Unmögliche, wie beispiels–weise einen grünfelligen, gefräßigen Drachenschlüpfling, der sich ihm zutraulich anschließt.
Zwischen dem Jagen und Gejagdwerden bleibt tatsächlich noch Zeit für einige schöne Flohzirkusdarbietungen und sogar für heldenhaftes Flohverhalten im Kampf. Ermutigt von seinen Flöhen verliert auch Julius seine Angst und verwandelt sich im Verlauf der Geschichte ganz erstaunlich …
»Niemand ist einfach nur, was er ist, und niemand ist vollkommen das, was andere in ihm sehen. Wir sind alle etwas dazwischen.« (Seite 71)
Die Autorin lädt den Leser bzw. Hörer in einen sehr atmosphärisch-geheimnisvollen Erzählraum ein, die stimmungssatten Szenerien wechseln zwischen Stadtkulisse, Wunderkammerspielen, Wildnisfluchten, Blätterflüstern und Blütenlächeln, Traum- phasen, köstlich selbstironischen Therapiesitzungen und durchaus charmanten Begegnungen. Der erzählerische Perspektivwechsel zwischen Menschen und Flöhen eröfftet eine interessante und erstaunlich reizvolle tierliche Wahrnehmungsebene.
Differenziert ausgearbeitete originelle Charaktere, abwechslungsreiche Szenenwechsel und Zeitsprünge, wortwitzig-schlagfertige düstere bis amüsante Dialoge und Betrach-tungen sowie unzählige phantasie- und humorvolle Einzelheiten verflechten sich zu einem komplexen, unterhaltsam-spannenden Textgewebe mit einer raffiniert durch- dachten dramaturgischen Choreografie und einer sehr großzügigen Portion Magie.
Die Vorleserin Andrea Sawatzki verschafft uns eine sehr angenehme Auditüre. Sie leseschauspielt virtuos alle Charaktere, Dialoge und Beschreibungen mit feinen Nuancen und unaufdringlicher Emotionalität.
Hier entlang zum Hörbuch und zur Hörprobe auf der Verlagswebseite:
https://www.penguin.de/Hoerbuch-MP3/Dunkelsprung/Leonie-Swann/der-Hoerverlag/e473508.rhd
Hier entlang zur Buchausgabe und Leseprobe auf der Verlagswebseite:
https://www.penguin.de/Taschenbuch/Dunkelsprung/Leonie-Swann/Goldmann/e502907.rhd
Hier entlang zu einem interessanten Interview mit der Autorin:
https://www.penguin.de/Leonie-Swann-im-Interview-zu-ihrem-neuen-Roman-Dunkelsprung/aid55131.rhd
Die Autorin:
»Leonie Swann wurde 1975 in der Nähe von München geboren. Sie studierte Philosophie, Psychologie und Englische Literaturwissenschaft in München und Berlin. Mit ihren ersten beiden Romanen »Glennkill« und »Garou« gelang ihr auf Anhieb ein sensationeller Erfolg: Beide Bücher standen monatelang ganz oben auf den Bestsellerlisten und wurden bisher in 25 Sprachen übersetzt. Leonie Swann lebt heute umzingelt von Efeu und Blauregen in England.«
Die Vorleserin:
»Die vielseitige Schauspielerin Andrea Sawatzki kam 1963 in Kochelsee/ Bayern zur Welt. Sie wurde in München an der Neuen Münchner Schauspielschule ausgebildet und hatte Engagements an verschiedenen Theatern, bevor sie in den 90er Jahren in TV- und Kino-produktionen mitspielte. In Mehrteilern und Serien, vorwiegend Krimis, ist sie seither auf dem Bildschirm präsent. 2002-2010 ermittelte sie als Charlotte Sänger für den „Tatort” in Frankfurt. Für den Tatort „Herzversagen” hat sie 2005 den Grimme-Preis erhalten. Seit ihrer erfolgreichen Lesung von Leonie Swanns Bestseller „Glennkill” gehört sie auch zu den beliebtesten Hörbuchsprecherinnen.«