Die verlorenen Zaubersprüche

  • Text von Robert Macfarlane
  • Illustrationen von Jackie Morris
  • Originaltitel: »The Lost Spells«
  • Aus dem Englischen von Daniela Seel
  • NATURKUNDEN Nr. 77 www.naturkunden.de
  • Verlag Matthes & Seitz,  2021 www.matthes-seitz-berlin.de
  • gebunden mit Lesebändchen
  • Fadenheftung
  • Format: 18 x 12,5 cm
  • 120 Seiten
  • 22,00 € (D), 22,70 € (A)
  • ISBN 978-3-7518-0208-6

DIE VERLORENEN ZAUBERSPRÜCHE Titelbild
N A T U R S T I M M E N

Rezension von Ulrike Sokul ©

Wie bereits im großformatigen, natur- und sprachmagischen Vorgängerbuch „Die verlorenen Wörter“ (siehe meine Besprechung vom 4.4. 2019: Die verlorenen Wörter ) kultivieren der Autor Robert Macfarlane und die Illustratorin Jackie Morris auch in „Die verlorenen Zaubersprüche“ die poetische Anrufung der Natur. Diesmal wurde ein kleines handliches Buchformat gewählt, das sich gut dazu eignet, bei Spaziergängen in die Natur mitgenommen zu werden.

Doch zunächst eröffnet schon das Buch selbst einen geistigen Raum für eine buchstäb-liche Einstimmung in die Erscheinungsformenvielfalt der Natur. Auf den Vorsatzblättern tummeln sich Motten in farben- und musterfreudigen Flügelkleidern, das kurze ein-leitende Vorwort wird von der Zeichnung einer singenden Amsel begleitet, und auf der nächsten Doppelseite schauen wir einem Rotfuchs in die wilden Augen.

So ist denn auch der Rotfuchs das erste Geschöpf, welches hier zu Menschenwort kommt. Einfühlsam nimmt der Autor – soweit dies menschenmöglich ist – eine Fuchs-perspektive ein, um dem füchsischen Wesen lyrischen Ausdruck zu geben.

Wir blättern weiter zu Gänseblümchen, Dohle, Eichelhäher, Ginster, Mauerseglern, Stieglitz, Eiche, Schneehase, Schleiereule, Brachvogel, Reiher, Kegelrobbe, Tölpel, Grasnelke, Buntspecht, Buche, Schwalbe, Weißbirke … Im Anschluß an diesen vielsaitigen Chor der Natur findet sich ein illustriertes Glossar der 64 Naturwesen, deren Stimmen und Gestalten in diesem Buch imaginiert werden.

Diese poetischen Anrufungen, Bewunderungen, ja, Beschwörungen stehen in der literarischen Tradition der magischen Vorstellung, daß die Benennung eines Wesens, dieses Wesen ins Hiersein ruft. Im Vorwort wird betont, daß die geneigten Leser diese Zaubersprüche laut aussprechen oder singen sollten. »Um einen Zauber zu wirken, muss man ihn laut sprechen oder singen.«

Die naturpoetischen Texte verfügen über Sprachmelodie und Rhythmus, gelegentlich wird gereimt, manchmal wird die Versform des Akrostichons genutzt. An dieser Stelle ein CHAPEAU für die Übersetzerin Daniela Seel, der die Übertragung dieses Sprachklangs ins Deutsche kongenial gelungen ist.

Die im Buche auftretenden Tiere und Pflanzen werden von der Illustratorin Jackie Morris gleichermaßen botanisch-zoologisch naturalistisch und szenisch stimmungsvoll einge-fangen.

„Die verlorenen Zaubersprüche“  bieten mit der Kombination aus sprachmelodischem, naturmagischem Text und zahlreichen ausdrucksvoll-schönen, oft doppelseitigen Bildern eine Schule des Hörens, Sehens und Staunens und eine atmende Einladung, sein Herz für die Natur zu öffnen und sich zu besinnen, daß kein Mensch losgelöst von der Natur wirklich leben kann.

Nach all dem geheimnisvollen Spurenlesen, Blätterflüstern, Rindenblicken, Blütenstaub und Flügelschwung bleibt mir nur noch übrig, wieder meinen lobeshymnischen Refrain auf die wertvolle buchgestalterische Qualität der von Judith Schalansky heraus- gegebenen Reihe NATURKUNDEN zu singen. „Die verlorenen Zaubersprüche“ sind auf schmeichel-griffigem 120g/m² Papier gedruckt, Fadenheftung und Halbleinenbindung garantieren Langlebigkeit – da lohnt sich bibliophile Sammellust. 

PS:
Bei allem redlichen Bemühen bleibt es eine schwierige Gratwanderung, als Mensch die menschlichen Grenzen des Sehens, Fühlens und Erkennens zu überschreiten und den Geschöpfen der Natur eine wahrhaftige Stimme zu verleihen. Menschliche Naturverbun-denheit enthält stets ganz unvermeidlich wohl mehr als nur eine Prise anthropo- zentrischer Projektion. Gleichwohl ist die poetische Anregung, sich der Natur auch sprachlich zu näheren, ein möglicher Wegweiser zu einem umfassenderen Mit- und Lebensgefühl.


Hier entlang zum Buch auf der Verlagswebseite:
https://www.matthes-seitz-berlin.de/buch/die-verlorenen-zaubersprueche.html?lid=9

Hier entlang zum informativen und sehenswerten englischen Buchwerbefilmchen:
https://www.youtube.com/watch?v=7aDLTMb3ax8
Hier entlang zu einer englischen Rezension, die auch viele Illustrationen zeigt:

The Lost Spells: A Rewilding of the Human Heart in a Lyrical Illustrated Invocation of Nature


Hier schauen wir der Illustratorin und dem Autor beim kreativen Gestalten über die Schultern:

Der Autor:

»Robert Macfarlane, 1976 in Nottinghamshire geboren, lehrt Literaturwissenschaft in Cambridge, ist Essayist und Kritiker und gilt als wichtigster britischer Autor des Nature Writing. Bei Matthes & Seitz Berlin sind bislang „Karte der Wildnis“, „Alte Wege“ und „Die verlorenen Wörter“ erschienen. Letzteres wurde mit dem BAMB Beautiful Book Award 2017 sowie als Hay Festival Book of the Year und als The Sunday Times Top Ten Bestseller ausgezeichnet.«

Die Übersetzerin:

»Daniela Seel, 1974 in Frankfurt am Main geboren, ist Verlegerin des unabhängigen Verlags kookbooks, Übersetzerin und Lyrikerin. Zuletzt erschien ihr Gedichtband „Auszug aus Eden“ (Verlag Peter Engstler). Daniela Seel lebt in Berlin.«

Die Illustratorin:

»Jackie Morris, 1961 in Birmingham geboren, lebt als freie Autorin und Künstlerin in Wales. Ihre Illustrationen zu „Die verlorenen Wörter“ wurden mehrfach ausgezeichnet und brachten dem Buch u. a. den von britischen Buchhändlern vergebenen Titel Schönstes Buch des Jahres ein.«

Querverweis:

„Die verlorenen Zaubersprüche“ ergänzen sich selbstverständlich mit dem thematisch dazugehörigen Vorgängerbuch von Robert Macfarlane und Jackie Morris „Die verlorenen Wörter“: Die verlorenen Wörter
Außerdem bieten sich harmonisch bereichernd Andreas Webers empathiesophische, sprachempfindsame Naturkunde „Alles fühlt“: Alles fühlt und seine „Minima Animalia“ an: Minima Animalia
Für Kinder eignet sich ergänzend Antje Damms Bilderbuch Was wird aus uns? Nachdenken über die Natur: Was wird aus uns? Nachdenken über die Natur


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Das Leben der Eichhörnchen

  • von Josef H. Reichholf
  • mit Illustrationen von Johann Brandstetter
  • Carl Hanser Verlag 2019 www.hanser-literaturverlage.de
  • gebunden
  • mit Schutzumschlag
  • 224 Seiten
  • 20,00 € (D), 20,60 € (A)
  • ISBN 978-3-446-26407-6

EICHHÖRNCHEN – EINFACH UNWIDERSTEHLICH!

Buchbesprechung von Ulrike Sokul ©

Josef H. Reichholf hat bereits vor zehn Jahren mit seinem bekannten Buch „Raben-schwarze Intelligenz. Was wir von Krähen lernen können“ https://www.piper.de/buecher/rabenschwarze-intelligenz-isbn-978-3-492-25915-6 mein Wissen über Rabenvögel erweitert und meine Zuneigung zu ihnen beflügelt. Mit seinem neuen Buch „Das Leben der Eichhörnchen“ bietet er nun eine ganzheitlich Darstellung der Lebensbedingungen, Bedürfnisse und Verhaltensweisen von Eichhörnchen.

Der erste Teil des Buches widmet sich der Biologie des Eichhörnchens, seinen körper- lichen Gegebenheiten und Fähigkeiten, der extremen Beweglichkeit, dem Energie- haushalt, der Tarnung, dem Nestbau und der Reproduktion, der Flexibilität hinsichtlich geeigneter Lebensräume (Eichhörnchen sind sehr erfolgreiche Kulturfolger), seiner Nahrung und Vorratshaltung sowie seinem Spielverhalten.

Haben Sie sich schon einmal gefragt, warum Eichhörnchen nicht grünfellig oder grünbraun-camouflagefarben sind? Wären sie als Baumbewohner dann nicht besser getarnt? Tja, das ist die anthropozentrische Betrachtungsfalle: Wir Menschen sehen Farben anders als die meisten Säugetiere, die nämlich häufig rotgrünblind sind und für die rote und grüne Farbtöne als Abstufungen von grau und/oder braun erscheinen. Hinsichtlich des natürlichen Hauptfeinds des Eichhörnchens, dem Baummarder, sind also – seiner Rotgrünblindheit wegen – unsere rotbraunen Eichhörnchen farblich optimal getarnt.

Im zweiten Teil wendet sich der Autor verschiedenen Eichhörnchenarten und Hamstern, Mäusen, Ratten, Siebenschläfern, Bibern, Murmeltieren und weiteren europäischen Nagetieren zu. Herbei werden vergleichend Gemeinsamkeiten und Unterschiede der körperlichen Spezialisierung sowie der Ernährung, Anpassungsfähigkeit, Überlebens-strategie und notwendigen ökologischen Mitweltbedingungen dargestellt.

Im  dritten Teil folgt ein berührender, persönlicher Bericht des Autors über die Aufzucht eines Siebenschläfers. Reichholf war noch Zoologiestudent, als bei ihm zu Hause zwei winzige Siebenschläferbabys abgegeben wurden. Es gelang ihm, eines der Jungtiere zu retten, und es bekam den Namen „Schmurski“. Schmurski lebte viele Jahre einträchtig mit Reichholfs Familie zusammen, war stubenrein, neugierig, zutraulich, kommunikativ und verspielt und eine lebhafte Bereicherung für alle. Erst im dritten Winter futterte er sich genug Fett an, um in den arttypischen Winterschlaf zu fallen. Sein Schlafkästchen wurde in einen ungeheizten Raum gestellt, und so konnte Schmurski seinem natür- lichen Jahresrhythmus folgen und den ganzen Winter verschlafen. Die possierlichen und amüsanten Erfahrungen und Szenen, von denen der Autor berichtet, zeugen vom wechselseitigen Wert solcher Nahbeziehungen zwischen Mensch und Tier.

Derartige Rettungsbemühungen sind heutzutage genehmigungspflichtig. Eine arten-schutzrechtliche Ausnahmegenehmigung ist ein bürokratischer Aufwand, den nur wenige Menschen auf sich nehmen. Artenschutz ist wichtig, und es sollten selbst- verständlich keine Tiere willkürlich aus Nestern entnommen werden. Aber es sollte willigen Naturfreunden erlaubt sein, verwaiste Wildtiere zu retten. Der Autor kritisiert, daß beispielsweise die Aufzucht eines verwaisten Eichhörnchens einer Genehmigung bedarf, während die Forstwirtschaft bei der Holzernte genehmigungsfrei ganze „Nester mit den kleinen Jungen darin vernichten“ darf. Offensichtlich ist für wirklich sinnvolle Arten- und Naturschutzregelungen noch reichlich Nachbesserungsbedarf.

„Das Leben der Eichhörnchen“ bietet eine animierende Kombination aus interesseweckender Wissensvermittlung und persönlichem Naturerleben. Der Autor versteht es, naturwissenschaftliche Details und komplexe Zusammenhänge eingängig zu beschreiben und wichtige, ja, notwendige Denkanstöße hinsichtlich einer wesentlich größeren Achtsamkeit und komplexeren Betrachtungsweise gegenüber der Natur und ihren Geschöpfen zu geben.

 

Hier entlang zum Buch und zur LESEPROBE auf der Verlagswebseite:
https://www.hanser-literaturverlage.de/buch/das-leben-der-eichhoernchen/978-3-446-26407-6

Eine weitere Besprechung findet sich auf Jargs Blog:

Das Leben der Eichhörnchen : mit Illustrationen von Johann Brandstetter / Josef H. Reichholf

 

Der Autor:

»Prof. Dr. Josef H. Reichholf, 1945 in Niederbayern geboren, Evolutionsbiologe, war bis April 2010 Leiter der Wirbeltierabteilung der Zoologischen Staatssammlung München und Professor für Ökologie und Naturschutz an der Technischen Universität München. Er ist Träger der „Treviranus-Medaille“, der höchsten Auszeichnung der Deutschen Biologen, und des Grüter-Preises für Wissenschaftsvermittlung. 2007 wurde er zudem mit dem Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung ausgezeichnet. 2010 wurde sein Bestseller „Rabenschwarze Intelligenz“ als „Wissenschaftsbuch des Jahres“ prämiert. Zuletzt erschienen von ihm „Evolution – Eine kurze Geschichte von Mensch und Natur“ (2016), der als Wissensbuch des Jahres ausgezeichnete Band „Symbiosen“ und „Haustiere“ (beide 2017 in der Reihe Naturkunden), Schmetterlinge – Warum sie verschwinden und was das für uns bedeutet (2018) sowie Das Leben der Eichhörnchen (2019).«

Querverweis:

Für alle Eichhörnchenliebhaber empfehle ich ergänzend sehr gerne noch die entzückend lebendigen und warmherzigen HERR-EICHHORN-Bilderbücher von Sebastian Meschenmoser:

HERR EICHHORN UND DER MOND
https://leselebenszeichen.wordpress.com/2014/08/19/herr-eichhorn-und-der-mond/
HERR EICHHORN UND DER ERSTE SCHNEE
https://leselebenszeichen.wordpress.com/2014/08/21/herr-eichhorn-und-der-erste-schnee/
HERR EICHHORN UND DER BESUCHER VOM BLAUEN PLANETEN
https://leselebenszeichen.wordpress.com/2014/08/28/herr-eichhorn-und-der-besucher-vom-blauen-planeten/
HERR EICHHORN WEISS DEN WEG ZUM GLÜCK
https://leselebenszeichen.wordpress.com/2014/08/26/herr-eichhorn-weis-den-weg-zum-gluck/
HERR EICHHORN UND DER KÖNIG DES WALDES

Herr Eichhorn und der König des Waldes

 

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Algen

  • Ein Portrait
  • von Miek Zwamborn
  • Originaltitel: »Zeewier«
  • Aus dem Niederländischen von Bettina Bach
  • mit farbigen Illustrationen von Falk Nordmann
  • Verlag Matthes & Seitz 2019, http://www.matthes-seitz-berlin.de
  • NATURKUNDEN Nr. 51 http://www.naturkunden.de
  • gebunden
  • Fadenheftung
  • Kleinoktav-Format: 12 x 18 cm
  • ISBN 978-3-95757-696-5
  • 20,00 € (D), 20,60 € (A)

Ü B E R L E B E N S K Ü N S T L E R

Buchbesprechung von Ulrike Sokul ©

Von den winzigen Kieselalgen, die einen „Großteil des Sauerstoffs in der Erdatmosphäre erzeugen“ (Seite 13), bis zu den riesigen Algenteppichen, aus der gold-braunen Algenart „Sargassum“, in denen sich in früheren Zeiten viele Schiffe buchstäblich verstrickten und die der Sargassosee ihren Namen gegeben haben, stellt uns die Autorin eine anschaulich-spannende Auswahl von Algen vor. 

Meeresalgen sind schon seit 1,7 Milliarden Jahren auf der Welt. Der botanisierende Mensch zählt sowohl die Mikro- als auch die Makroalgen zu den niederen Pflanzen. Algen finden sich in allen Klimazonen, und sie sind wahre Überlebenskünstler. Ausge- trocknete Algen lassen sich durch Bewässerung leicht reanimieren, was u.a. daran liegt, daß jede einzelne Zelle einer Alge sich autark mithilfe von Fotosynthese ernährt.   

Es gibt eine Grünalgenart (CCCryo 101-00), die nachweislich kosmische und ultraviolette Strahlung und das Vakuum im Weltall überlebt hat, da sie sechzehn Monate an der Außenseite der ISS mitgereist war. Aus den UV-Licht absorbierenden Pigmenten dieser Alge soll nun eine Sonnenschutzcreme für Menschen entwickelt werden.

Algen bieten vielen Meerestieren Nahrung und Schutz. Doch auch für Menschen sind Algen Nahrungsmittel und Heilmittel, sie eignen sich als natürlicher Dünger und als Tierfutter. Mischt man Algen unter das Viehfutter, so „mindert das den schädlichen Methanausstoß der Kühe“ (Seite 112). Manche Algenarten wie beispielswiese der Meer-salat eignen sich wegen ihrer großen Stickstoffbindekapazität zur Abwasserreinigung. Die Algenzucht könnte – regional und ökologisch betrieben – einige Probleme der Menschheit lösen, möglicherweise läßt sich sogar ein Kraftstoff aus Algen gewinnen.

Doch neben dem praktischen Algennutzen fehlt es der Autorin keineswegs an Bewun-derung und Achtung für die wellenwiegenden Wasserwesen. Sie berichtet von persön-lichen Tauchgängen und eigenen Beobachtungen, von Entdeckungsfreude, Sammellust, natürlicher Schönheit und Anmut.

Die sinnliche Farb- und Formenvielfalt der Algen findet Widerhall in künstlerischen Darstellungen vom Ausdruckstanz bis zu Stoffentwürfen. Wir finden hier Algengedichte, ja, sogar ein irisches Wiegenlied, in dem der irische Seetang den wiederkehrenden Refrain bildet.

Die Autorin berichtet vom filigranen Algenherbar der Algologin Eliza M. French (1809 – 1889) sowie vom ältesten Fotobuch der Welt, das mit erstaunlich lebendigen Cyano- typien von Algen aufwartet.

Botanische Erklärungen, historische und künstlerische Algenaspekte treffen sich in diesem Buch mit Hinweisen auf medizinische und kosmetische Verwendungsmöglich-keiten. Auch einige Algenkochrezepte, u.a. Pfeffertang-Joghurt, Knotentangbrot und Seejungfrauen-Konfetti, werden serviert.

Die Einzelporträts ausgewählter Algen (Federtang, Drahtalge, Meersalat, Trichteralge, Blasentang, Zuckertang, Fingertang, Sägetang, Purpurtang, Lappentang, Korallenmoos und Knorpeltang) beschreiben die botanischen Eigenschaften, den Nährstoffgehalt und kulinarische Verwendungsmöglichkeiten; so wird beispielsweise aus Knorpeltang das vegetarische Gelier- und Filtermittel Agar-Agar hergestellt. Ebenso botanisch-präzise wie künstlerisch-ästhetische Illustrationen von Falk Nordmann ergänzen und bereichern jede vorgestellte Algenart.

Und zum Abschluß kann ich hier wieder meinen lobeshymnischen Refrain zur buch- gestalterischen Materie der Reihe NATURKUNDEN singen. So ist auch der Band „Algen“ (NATURKUNDEN Nr. 51) aus schmeichelgriffigem Papier für Einband, Vorsatzblätter und Buchseiten hergestellt. Die Typographie ist satt und lesefreundlich, der Kopfschnitt und die Fadenheftung in dunkelgrün farblich fein abgestimmt mit der Farbgebung des Buch-einbandes, und die zahlreichen alten und neuen Illustrationen sind ebenso schön wie aussagekräftig.

Hier finden wir den harmonischen Einklang zwischen substanzieller innerer und äußerer Buchqualität, wie sie für die von Judith Schalansky herausgegebene Reihe NATURKUNDEN Standard ist. Da kommt Sammellust auf!

Hier entlang zum Buch und zur LESEPROBE auf der  Verlagswebseite:
https://www.matthes-seitz-berlin.de/buch/algen.html?lid=7

 

Die Autorin:

»Miek Zwamborn, geboren 1974 in Schiedam, ist bildende Künstlerin, Autorin und Übersetzerin von Arno Camenisch. Nach dem Studium der Bildenden Kunst in Amsterdam arbeitete sie 15 Jahre als Schleusenwärterin. Sie arbeitet und lebt auf der Isle of Mull, Schottland.«

Der Illustrator:

»Falk Nordmann, Zeichner und Illustrator, lebt und arbeitet in Berlin. Ab 2007 Umschlaggestaltungen und Autorenportraits, seit 2013 Tierillustrationen der Reihe Naturkunden für Matthes & Seitz Berlin.«

 

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Wer sich verändert, verändert die Welt

  • Für ein achtsames Zusammenleben
  • von Christophe André
  • Jon Kabat-Zinn
  • Matthieu Ricard
  • Pierre Rabhi
  • Herausgegeben von Ilios Kotsou und Caroline Lesire
  • Aus dem Französischen von Elisabeth Liebl
  • Kösel Verlag, Juli 2018 www.koesel.de
  • gebunden
  • Format: 13,5 x 21,5 cm
  • 224 Seiten
  • mit zahlreichen s/w-Fotos
  • 20,00 € (D), 20,60 € (A), 28,90 sFr.
  • ISBN 978-3-466-34736-0

GLÜCKLICHE  GENÜGSAMKEIT

Buchbesprechung von Ulrike Sokul ©

Ermutigungen tun gut. Angesichts einer bedrohten Welt sind Ermutigungen zu selbst-wirksamen Veränderungen, die wiederum heilsam auf die Welt ausstrahlen, erfreulich lebensdienlich.

»Eines Tages, so erzählt eine indianische Legende,
brach ein riesiger Waldbrand aus. Bestürzt und
ohnmächtig sahen die Tiere dem Wüten des Feuers
zu. Allein der kleine Kolibri machte sich zu schaffen
und flog immer wieder, um ein paar Tropfen Wasser
zu holen, die er aus seinem Schnabel auf die Flammen
fallen ließ. Nachdem das Gürteltier seinem unsinnigen
Treiben einige Zeit zugesehen hatte, rief es
ihm zornig zu: „He, Kolibri! Bist du eigentlich noch
ganz bei Trost? Mit deinen paar Tropfen Wasser
wirst du dieses Feuer niemals löschen!“ Daraufhin
blickte ihm der Kolibri geradewegs in die Augen und
sagte: „Kann sein. Aber ich tue, was ich tun kann.“  «
(Seite 11)

Mit der obig zitierten indianische Legende wird das Buch „Wer sich verändert, verändert die Welt“ eingeleitet.

Wir können und wir dürfen vom Kleinen zum Großen hin wirken. Achtsamkeitsübungen und Meditation sind dann keineswegs Weltflucht, sondern geistiges Muskeltraining gegen die mentalen Umweltgifte unserer Zeit. Wenn durch innere Sammlung, klärende Selbsterkenntnis und Präsenz sowohl unser Mitgefühl für uns selbst als auch unser Mitgefühl mit anderen Menschen und Mitgeschöpfen wächst, finden wir zu einem konstruktiveren Umgang mit den uns gegebenen Möglichkeiten und Bedingungen.

Im ersten Kapitel benennen die Herausgeber Ilios Kotsou und Caroline Lesire die unge-rechte Wirtschafts- und Sozialordnung, die Ausbeutung und Zerstörung von Natur, Tieren und Menschen, die Fehlentwicklungen und gefährlichen Umweltveränderungen in Hinsicht auf „Klimawandel, Abbau der Ozonschicht, Landnutzung, Süßwasserver- brauch, Verlust der Artenvielfalt, Übersäuerung der Ozeane, Stickstoff- und Phosphor- eintrag in Biosphäre und Meere, Aerosolgehalt der Atmosphäre, Belastung durch Chemi- kalien“ (Seite 33/34) sowie „die Irrwege der industriellen Fleischproduktion“ (Seite 35).

In den folgenden Kapiteln beschreiben Christophe André, Jon Kabat-Zinn und Matthieu Ricard u.a. anhand aktueller psychologischer Studien, wie Achtsamkeitspraxis und Meditation unseren Geist vor den schädlichen Ablenkungen, Zwängen und gewollten Frustrationen des Materialismus, der künstlichen Unzufriedenheit, des Zeitdrucks, des Egoismus und Konkurrenzdenkens schützen können und zugleich hinführen zu mehr Altruismus, Dankbarkeit, Einfachheit, Großzügigkeit, Heilung, Gemeinwohlorientierung und sozialer Verbundenheit sowie zu einem langfristigen Denken, das wesentlich größere Zusammenhänge einbezieht als das sekundenkurze Denken der globalen Finanzwelt.

Pierre Rabhi erweitert den Achtsamkeitsaspekt auf den Umgang mit der Erde und die Kultivierung von Humus, um die Lebenskraft und Fruchtbarkeit der Böden zu bewahren. Durch das kooperative Miteinander zwischen Menschen sowie zwischen Mensch und Natur kommen wir zudem einem zyklischen Zeitverständnis wieder nahe, finden zu „glücklicher Genügsamkeit“ und sind nicht länger bewußtlose Konsummarionetten auf der sinnlosen Jagd nach Selbstwertprothesen.

Die von den Autoren angeregte „Achtsamkeitsrevolution“ wirkt der Natur-  und Selbst-entfremdung entgegen, nährt und bestätigt die in uns angelegten Samen der Liebe, Güte und der Empathie und fördert unsere ganzheitliche Erkenntnisfähigkeit. Das harmonische Zusammenwirken von Geist und Herz führt zu mehr Gelassenheit und Zufriedenheit.

Jeder der Autoren verweist ergänzend auf für ihn vorbildliche Persönlichkeiten, die ihn inspirieren und wartet mit ganz praktischen, unkomplizierten Anregungen für den Lebensalltag auf.

Der Anhang zum Buch informiert kurz und bündig über vielfältige „Projekte, die die Welt bewegen“, nebst entsprechenden Linkadressen und Literaturhinweisen, wie beispiels-weise: www.colibris-lemouvement.org
www.siebenlinden.de
www.mbsr-verband.de
www.foodsharing.de
www.slowfood.de
www.slowfoodyouth.de

»Die Utopie zu leben, das heißt vor allen Dingen zu akzeptieren, dass etwas im Werden begriffen ist. Ein Geschöpf voller Achtsamkeit und Mitgefühl zu sein, ein Geschöpf, das mit seiner Intelligenz, seiner Fantasie und seinen Händen dem Lob des Lebens dient … « (Seite 157)

 

Hier entlang zum Buch und zur LESEPORBE auf der Verlagswebseite:
https://www.randomhouse.de/Buch/Wer-sich-veraendert-veraendert-die-Welt/Christophe-Andre/Koesel/e459714.rhd

Die Autoren:

»Christophe André ist Arzt, Psychiater und Autor erfolgreicher Bücher über die Kraft der Emotionen. Als einer der Ersten hat er Achtsamkeitsmeditation in die Psychotherapie integriert.«

»Jon Kabat-Zinn, emeritierter Professor für Medizin und Bestsellerautor, gilt als Vater der modernen Achtsamkeitsmeditation. Sein Programm MBSR (Stressbewältigung durch Achtsamkeit) wird weltweit unterrichtet.«

»Pierre Rabhi ist Poet, Philosoph und Begründer der Agro-Ökologie, einer von Menschlich-keit geprägten Landwirtschaft. Er entwickelt Projekte für Länder, die an Wassermangel leiden.«

»Matthieu Ricard, Naturwissenschaftler und anerkannter Fotograf, lebt seit über 25 Jahren als buddhistischer Mönch. Der Übersetzer des Dalai Lama setzt sich für zahlreiche humanitäre Projekte ein.«

 

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Einfach Mensch sein

  • Von Tieren lernen
  • von Sy Montgomery
  • aus dem Amerikanischen von Heide Sommer
  • Originaltitel: »How to Be a Good Creature. A Memoir in Thirteen Animals«
  • mit Illustrationen von Rebecca Green
  • und einem Nachwort von Donna Leon
  • DIOGENES Verlag  März 2019   http://www.diogenes.ch
  • in Leinen gebunden
  • mit Schutzumschlag
  • 208 Seiten
  • 22,00 € (D). 22,70 € (A), 30,00 sFr
  • ISBN 978-3-257-07064-4

BIOGRAPHISCHE  TIERSCHAU

Buchbesprechung von Ulrike Sokul ©

Sy Montgomery ist durch ihre Arbeit als Wissenschafts- und Umweltjournalistin weit in der Welt und der Natur herumgekommen. Für das vorliegende Buch „Einfach Mensch sein“ berichtet sie von verschiedenen Tieren, die ihr auf Expeditionen begegnet sind, und von Tieren, die ihr Privatleben geteilt und begleitet haben. Dabei geht sie lebens- chronologisch vor.

Mit der Scotchterrier-Hündin „Molly“ beginnt der Reigen tierischer Freunde, ja, Familien-mitglieder. Sy Montgomery bekam im zarten Alter von drei Jahren von ihren Eltern diesen Welpen geschenkt, und die innige Kind-Hund-Beziehung begründete ihre lebens-lange Tierliebe. Während es Montgomerys Mutter lieber gewesen wäre, wenn ihre Tochter mehr „Mädchenhaftigkeit“ entwickelt hätte, strebte Sy Montgomery nach mehr „Hündchenhaftigkeit“, bewunderte Mollys Fähigkeiten und ihre Wildheit und wollte so weit wie menschenmöglich daran teilhaben.

Viele Jahre später „adoptierte“ die Autorin ein Ferkel, einen sogenannten „Kümmerling“, der kränkelte und nur halb so groß wie seine Geschwister war. Gemeinsam mit ihrem Mann päppelte sie das kleine Sorgenkind, nannte es Christopher Hogwood, und nach fünf Jahren wog das Schwein, das einst in einen Schuhkarton gepaßt hatte, mehr als siebenhundert Pfund. Begeistert erzählt Sy Montgomery von der speziesübergreifenden Kontaktfreudigkeit Christopher Hogwoods und schwört, daß sie die kommunikativen Nuancen seines Schweinegrunzens verstehen konnte.

Auch in der Wildnis geht die Autorin nahe an Tiere heran. Während einer Expedition in Australien gelingt es ihr, mit geduldiger Ausdauer und langsamer Gewöhnung das Ver- trauen von drei wilden Emus zu gewinnen und sich ihnen bis auf einen Meter Entfern- ung zu nähern und sogar an ihrem Schlafplatz zu verweilen. Stets ist sie mit weit geöffnetem Herzen und allen Sinnen bei den Tieren und voller Dankbarkeit für das lebendige Wissen, das sich in ihnen offenbart.

Egal ob es um ihre häuslichen Hühner geht oder um Vogelspinnen, um seltene Baum- kängurus, einen Oktopus, ein vorwitziges Wiesel oder diverse Hunde – stets begegnet sie jedem Lebewesen auf Augenhöhe oder, besser gesagt, auf Herzenshöhe.

Die den Text begleitenden verspielten Zeichnungen von Rebecca Green spiegeln gekonnt die überaus zärtlich-zugewandte und fürsorgliche Naturperspektive der Autorin.

Dieses Buch wird naturverbundene Tierfreunde unmittelbar ansprechen. Die Autorin unterscheidet nicht zwischen possierlichen und weniger possierlichen Tieren. Sie öffnet ihr Herz gewiß weiter und konsequenter für alle Tiere als der durchschnittliche Mensch.

Die achtsame Berührung mit Tieren verbindet uns Menschen wieder mit dem wilden Herzen des Lebens und lehrt uns Respekt, Staunen und natürliche Demut. Ob sich Sy Montgomerys extrem intensive Mensch-Tier-Verbundenheit einer quasi-religiösen Über-höhung nähert, die zwischenmenschliche Beziehungen eher erschweren mag, sollte jeder Leser selbst entscheiden. Unstreitig sind indes die zutiefst beeindruckenden lebhaften Tierportraits.

Mit ihren ebenso berührenden wie biologisch-informativen, sinnlich-stimmungsvollen, tiereinfühlsamen Beschreibungen vermittelt sie anschaulich und glaubhaft, daß Tiere über Charakter, Individualität und Seelenstärke verfügen und daß wir, wenn wir uns wirklich auf sie einlassen, von ihnen ergänzende Wahrheiten erfahren können, die unser Leben bereichern und inspirieren.

„Eine Spinne kann die Welt mit ihren Füßen erschmecken. Vögel sehen ungeahnte Farbnuancen. Eine Grille kann mit den Beinen singen und mit den Knien hören. Ein Hund kann Töne wahrnehmen, die weit über den Frequenzen des menschlichen Hörvermögens liegen, und spürt, wenn man verärgert ist, noch ehe man es selber weiß.“ (Seite 10)

 

Hier entlang zum Buch und zur LESEPROBE auf der Verlagswebseite:
https://www.diogenes.ch/leser/titel/sy-montgomery/einfach-mensch-sein-illustriert-von-rebecca-green-9783257070644.html

 

Die Autorin:

»Sy Montgomery, geboren 1958 in Frankfurt am Main, ist die Autorin des Bestsellers Rendezvous mit einem Oktopus. Zur Recherche für ihre Bücher war sie mit Piranhas, rosa Delphinen, Zitteraalen und Schneeleoparden unterwegs – um dann die wahren Wunder der Natur vor dem eigenen Fenster zu entdecken. Montgomery lebt in New Hampshire.
2019 wurde sie mit dem „Award for Environmental Excellence“ der Antioch New England Graduate School, Fachbereich Umweltwissenschaften für herausragende Beiträge für Umwelt und Nachhaltigkeit gewürdigt.«

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Alles fühlt, Neuausgabe

  • Mensch, Natur und die Revolution der Lebenswissenschaften
  • von Andreas Weber
  • mit einem Vorwort von Michael Succow
  • thinkOya Verlag, Neuausgabe September 2014   www.think-oya.de
  • Klappenbroschur
  • 260 Seiten
  • Format: 22,7 x 16,7 cm
  • 24,90 €
  • ISBN 978-3-927369-86-3
    9783927369863.jpg Alles fühlt, Neuausgabe

LEBENSWEISE   LEBENSKREISE

Buchbesprechung von Ulrike Sokul ©

Es ist mir eine große Freude, daß dieses poetische Biologiebuch in einer schön gestalteten, aktualisierten Neuausgabe bei think-Oya wieder erschienen ist, nun ergänzt durch ein eindringliches Vorwort von Michael Succow, dem renommierten Biologen, Naturschützer und Träger des Alternativen Nobelpreises.

Das Buch „Alles fühlt“ folgt dem roten Faden des Lebens, und es ist sehr hilfreich dabei, den Verirrungen lebensfeindlicher und naturzerstörerischer gesellschaftlicher Bedingungen nicht mehr zu folgen, sondern sich konsequent auf LEBENSWERTE neu zu besinnen.

Dabei gibt es ein neues, altes Land zu entdecken: Die LIEBE zum LEBEN, die LIEBE zur NATUR im umfassenden SINNE als Liebe zur natürlichen MITWELT und zu den MITGESCHÖPFEN sowie als Liebe zur innersten menschlichen Natur – kurz: Alles Leben und alle Lebensformen bilden eine tatsächliche, leibliche – und nicht bloß ideelle – EINHEIT in wechsel- wirksamer VERBUNDENHEIT. „Alles fühlt“ ist eine höchst lebensdienliche Lektüre!

» Durch alle Wesen reicht der eine Raum: Weltinnenraum.
Die Vögel fliegen still durch uns hindurch.
O, der ich wachsen
will, ich seh‘ hinaus, und in mir wächst der Baum. «
Rilke

Dieses Rilke-Zitat faßt die Kernaussage von „Alles fühlt“ wunderbar zusammen; Leser, die mehr wissen wollen, bekommen in Andreas Webers Buch eine Fülle an neuen und revolutionären Forschungsergebnissen und Entdeckungen aus Biologie, Biosemiotik, Genetik, Neurologie, Ökologie und Physik geboten. Die besondere Qualität dieses naturwissenschaftlichen Sachbuches besteht in der bewußt persönlich-gefühlvollen Darstellung.

Andreas Weber zeigt uns das ganzheitliche Miteinandersein von Mensch und Natur, er erinnert uns an unsere lebenswichtige Verbundenheit mit dem schöpferischen und vielfältigen Reichtum der Natur. Am Anfang des Lebens steht hier nicht das Wort, sondern der fühlende Körper, der darum bemüht ist, sein Leben zu entfalten und zu erhalten.

Jeder Leib ist bereits Sprache.“

Und dieser Leib existiert nicht in individueller Getrenntheit, sondern in und mit komplexen Symbiosen und Kooperationen, die bereits auf der Zellebene anfangen und sich bis in ganze Ökosysteme erstrecken.

An den Fäden eines einzelnen Lebens hängen immer die ganze Welt und ihre unzähligen Interessen.“

Wir sind absolut angewiesen auf die Natur in uns und um uns herum: Ohne Darm- bakterien müßten wir verhungern, ebenso ohne die unermeßliche Bestäubungsleistung der Bienen, wir atmen ein, was die Pflanzen ausatmen, und über die materiellen Stoffwechselkreisläufe hinaus brauchen wir für unser gesundes Selbstverständnis und Wahrnehmungsvermögen die Spiegelung anderer Lebewesen.

„Wir sind nicht nur Teil der Natur, sondern sie ist Teil von uns. Um uns ganz selbst zu verstehen, müssen wir uns selbst in anderen Lebewesen wiedererkennen. Widerspiegelung ist ein zentrales Element der menschlichen Identität: Ein Neugeborenes erfährt sich nur dann vollständig, wenn es sich mit seiner Bezugsperson identifizieren kann. Mit dem Schwinden der Natur droht uns damit eine ganz besondere Gefahr: der Verlust der Liebe.“

Descartes‘ „Ich denke also bin ich“ wird gründlich abgelöst durch ein „Ich fühle also bin ich.“ Dieses Lebensgefühl gilt gleichermaßen für Blaualgen und Pantoffeltierchen, für Eichhörnchen und Bäume und für jede einzelne Zelle, die uns unseren menschlichen Körper erst ermöglicht, sowie für unsere leibseelische Identität als Mensch.

„In der Welt der Lebewesen, aus der wir als eine Art unter vielen hervorgegangen sind, ist es die Möglichkeit dieser Liebe, die uns erst Menschlichkeit gibt. Das Schwinden der Tiere ist für uns darum nicht nur ein äußerer Verlust -… Mit den Tieren nehmen wir vielmehr Abschied von Möglichkeiten zu fühlen.“

Der Autor beschreibt eine Lebenswirklichkeit, die nicht aus einer abstrakten Ideenwelt kommt, sondern die in Hand und Fuß, Flosse und Pfote, Blatt und Blüte wurzelt. Das Innenleben der Geschöpfe ist Bestandteil ihrer Gestaltwerdung – so wird Unsichtbares sichtbar, greifbar, hörbar und, da wir die Erfahrung verletzlicher Körperlichkeit mit allen Wesen teilen, auch mitfühlbar. Das bedeutet, daß die moderne Biologie das poetische Naturverständnis von Dichtern wie Goethe, Novalis und Rilke bestätigt.

„Alles fühlt“ ist ein Buch, das von großer Liebe zum Leben und tiefer Fürsorge für die Natur spricht. Andreas Weber liegt sein Thema am Herzen, und seine Natur- beschreibungen sind voller Poesie.

Die dargestellten Erkenntnisse und Zusammenhänge ermöglichen die Wahrnehmung einer seelenvolleren Lebenswelt – ja, sie „reanimieren“ unsere Verbundenheit mit der Natur.

Überdies verfügt das kluge Buch über ein Glossar, das die naturwissenschaftlichen und philosophischen Fachbegriffe zusätzlich erklärt. Und es gibt eine  –  für diese Neuaus- gabe aktualisierte und um zahlreiche Bücher ergänzte  – Liste mit Empfehlungen für weiterführende Literatur mit informativen, kurzen Zusammenfassungen.

Alles in allem ein Buch, das Wissen mit Weisheit verbindet und einen wertvollen Beitrag leistet zu einem wahrhaft naturverbundenen und demütigen menschlichen Selbstverständnis.

Im Vorwort zu „Alles fühlt“ schreibt Michael Succow:

Der schmale, sich verengende Gratweg zwischen Verändern und Zerstören kann nur in einer Gesellschaft gelingen, die sich mit ihrem Wirtschaften in den Naturhaushalt einfügt und die sich in ihrer Ethik als Teil der Natur empfindet. Üben wir uns im Erhalten, üben wir uns im Haushalten, üben wir uns im Maßhalten, gewähren wir der Natur Raum, geben wir ihr Zeit – um ihrer und unserer eigenen Zukunft willen!“
(Seite 12/13)

Und nun, liebe Leserinnen und Leser, geben  Sie  sich Zeit für die Lektüre von „Alles fühlt“.

Hier entlang zum Buch auf der Verlagswebseite: https://www.think-oya.de/buch/alles-fuehlt.html

Der Autor:

»Andreas Weber, geboren 1967, studierte Biologie und Philosophie und promovierte bei Hartmut Böhme und Francicso Varela. Er zählt zu den Pionieren einer neuen Wissenschaft des Lebendigen.
Als freier Publizist schreibt er regelmäßig Beiträge für Magazine und Zeitschriften wie Geo, Die Zeit, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Greenpeace Magazin, National Geographic, Mare und Oya. 2010 erhielt er den Deutschen Reporterpreis. «
www.autor-andreas-weber.de

Querverweis:

Hier entlang zu einem weiteren Buches von Andreas Weber, das ebenfalls im Verlag think-Oya erschienen ist „Minima animalia“: https://leselebenszeichen.wordpress.com/2014/03/12/minima-animalia/

 

Leselebenszeichen-Datenschutzerklärung: https://leselebenszeichen.wordpress.com/datenschutzerklaerung/

 

 

 

MEHR GRÜN!

  • Ein Dschungelbuch zwischen Kahlschlag und Stadtbegrünung
  • von Ulrich Holbein
  • Akt 77, thinkOya 2014                            http://www.think-oya.de
  • 96 Seiten, Broschur
  • 10 €
  • ISBN 978-3-927369-82-5
    MEHR GRÜN!9783927369825

B L Ä T T E R W A L D

Buchbesprechung von Ulrike Sokul ©

Ulrich Holbein blättert uns mit seinem Buch „MEHR GRÜN!“ eine erbaumliche und gedankenrankenreiche Lektüre auf: Eine Dendrochronologie, welche nicht die hölzernen Jahresringe aufzählt und ausdeutet, sondern die menschlich-zivilisatorische Beanspruchung von Wäldern und Bäumen umkreist.

„Die Maxime der Zivilisation hieß: Weniger grün! Sechs Wochentage lang randalierte man als Naturbeherrscher, um sonntags die beherrschte Natur mit Naturverbundenheit zu belästigen.“
(Seite 52)

Der Autor vagabundiert mit konzentrierter Eloquenz durch Baummythologie, Weltgeschichte, Naturmystik, Ökologie, Märchen und Sagen und wandert von der Antike über das biblische Paradies bis in gegenwärtige exklusive Privatparadiese. In diesem Potpourri finden sich Holzfäller und Schamanen, Baumhasser und Baumverteidiger, Baumseele und Naturgeistverkitschung.

Kultiviert und spöttisch kritisiert er baumfeindliches und grünneidisches Menschentun, und in der Liste der Bäumschänder wimmelt es – historisch und mythologisch überliefert – von Philosophen, Heiligen und Herrschern. Doch auch heutigentags braucht man nicht weit zu gehen, um in „Frau Saubermanns“ dressiertem Garten „Teppichboden-Ästhetik“ zu betreten.

Darüber hinaus sieht Ulrich Holbein Parallelen zwischen der zähmenden Beschneidung menschlicher Körperbehaarung – insbesondere des männlichen Bartes – und der Baumbeschneidungs- und Rasenmähzwanghaftigkeit durchschnittlicher Garteninhaber.

Ich fand es z.B. sehr interessant und amüsant, zu erfahren, daß der Apfelbaum sich schöpfungsgeschichtlich die Ehre der verdaulichen Erkenntnisvermittlung mit der Bananenpalme und dem Feigenbaum zu teilen hat – ganz abgesehen von der Frage, wie sich Adam und Eva ihre Blöße mit einem Apfelbaumblatt hätten bedecken können sollen.

Nach vollbrachter Abrechnung mit diversen naturfeindlichen menschlichen Verhaltensauswüchsen und einer gebündelten, geistreich-vorwitzigen Kulturkritik endet das Buch mit einem „aufbauenden“ Kapitel über Weidenbaumarchitektur.

Da grünt denn doch noch eine Hoffnung auf eine bessere Beziehung zwischen Baum und Mensch.

„Jetzt fehlen praktisch nur noch Autos aus Holz, denen lebendige Weidenzweige hinterherwehen – und grasbewachsene Bademäntel.“ (Seite 90)

Im Anhang von „MEHR GRÜN“ gibt es eine Liste mit baumfreundlichen Webseiten.
Ganz besonders beeindruckend, inspirierend und herzergrünend finde ich die
„Stiftung Waldgartendorf, Konstantin Kirsch“:
http://www.naturbauten.com

Der Autor:

Ulrich Holbein, Jahrgang 1953, lebt als universalgelehrter Literaturkauz und Öko-Dandy im hessischen Knüllwald. Die Süddeutsche Zeitung verglich ihn mit dem jungen Jean Paul, Walter Benjamin und Arno Schmidt. 2012 wurde er mit dem Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor ausgezeichnet.

PS:
Eine lustige Nebensache möchte ich noch erwähnen: Beim Impressum ist das copyright –Zeichen seitenverkehrt gedruckt, und dahinter steht folgerichtig „copyleft“. Ich habe Freude an solchen kleinen Originaltäten, und da ich weiß, daß nur wenige Leser auch das Impressum lesen, weise ich darauf hin, das Impressum ausnahmsweise einmal zu beäugen.

PPS:
Stellenweise finde ich den Text ein wenig zu fremdwortwuchernd, doch angesichts seiner schönen Wortschöpfungen (Ökochonder, Rasurgärten, hummeldurchbrummelt) will ich diesbezüglich nicht so streng sein. Ich wette jedoch mit Ihnen, daß Sie spätestens auf Seite 71 zum Fremdwörter-Duden greifen müssen – wahrscheinlich hat der Autor diesen kurzen Absatz über „Philosophische Wurzeln“ aber auch nur mit stilistischem Augenzwinkern formuliert.

PPPS:
thinkOya Akt: ›Akt‹ (von lat. agere, handeln) steht für Aktion, Ereignis, Handlung. Als philosophischer Begriff bezeichnet ›Akt‹ eine realisierte Wirklichkeit im Gegensatz zur ›Potenz‹, einer (noch) nicht manifesten Möglichkeit. In der Reihe » thinkOya Akt« erscheinen Aufklärungs-, Streit- und Flugschriften, die zu konkreten Handlungen anstiften. Jeder Band ist eine Ideenwerkstatt zu den drängenden Herausforderungen unserer Zeit. Im Weiterdenken und Aktivwerden der Leserinnen und Leser können diese Ideensamen zu konkreten Utopien heranreifen.

Minima Animalia

  • Ein Stundenbuch der Natur
  • von Andreas Weber
  • mit einem Vorwort von Hildegard Kurt
  • im Oktober 2012 erschienen bei:
  • thinkOya, einem Imprint des Drachen Verlages  http://www.think-oya.de
  • 144 Seiten, Klappenbroschur, Fadenheftung
  •  ISBN 978-3-927369-68-9
  • 22,80 €

Weber_MinimaAnimalia

VOM   SCHNEEGLÖCKCHENGLÜCK

Buchbesprechung von Ulrike Sokul ©

Mit seinem Stundenbuch der Natur „Minima Animalia“ durchstreift Andreas Weber einen Jahreskreis, der dem natürlichen Kalender folgt: also beginnt das Jahr nicht mit dem ersten Januar, sondern mit dem Frühling  –  der wahren Zeit des Anfangs.

Andreas Weber läutet den Frühling mit einem Loblied auf die Schneeglöckchen ein. Zunächst schenkt er uns eine sinnliche, ja: liebkosende Beschreibung der anmutigen kleinen Blumen und in der „gedanklicheren“ Fortsetzung eine philosophische und biologische Reflexion über Wildnis und Zivilisation.

Wie bereits in seinem bekanntesten Buch „Alles fühlt“  (siehe meine Besprechung: https://leselebenszeichen.wordpress.com/2013/03/21/alles-fuhlt/ ) geht es dem Autor darum, die Trennung zwischen Verstand und Gefühl, Subjekt und Objekt, Mensch und Natur als künstlich zu enttarnen und die dementsprechend fließenden Grenzen zwischen Innen und Außen zu illustrieren.

In seiner Einleitung zu „Minima Animalia“ schreibt er: „Eine Biologie als Wissenschaft des Mit-Fühlens zeigt: Das Poetische ist das stärkste Moment der Wirklichkeit. Die lebenden Wesen machen diesen Grundcharakter bloß sichtbar. Poiesis – die verkörperte Selbsther- stellung des Organischen – ist eine Variante des grundlegend poetischen Charakters des Ganzen. Poesie eine andere. Die empirische Avantgarde der Biologie nähert sich dabei wieder einer alten Position an: Für Aristoteles bestand der Charakter des Lebendigen genau in seinem poietischen Charakter – diesseits der Spaltung in Sprache und Fleisch.“  (Seite 24)

Andreas Weber läßt sich von den Naturerscheinungen berühren und inspirieren und tastet Wort für Wort, Blütenblatt um Blütenblatt nach einer Sprache, welche die Freude, die Poesie und den Zauber des Lebendigen möglichst unmittelbar wiedergibt. Er bemüht sich um einen frisch-geschlüpften Blick in die Mitwelt und um eine Sprachgestaltung, die sinnlich-körperliche Erfahrungen und seelische Empfindungen evoziert.

„Alles sind poetische Bilder, es besteht einzig die Hürde, sie zu erkennen, und alle geben im Wahrgenommenwerden wieder einer neuen Poesie Raum. Alles ist Ausdruck, weil ich mitten darin bin.“  (Seite 68)

Der Autor verfügt über eine naturempfindsame, teilnehmende Wahrnehmung, die uns allen gegeben ist, aber nur von einigen gepflegt wird. Als wehmütiger Biograph des Lebens spricht er auch den zerstörerischen Einfluß des menschlichen Umganges mit der Natur an und stellt sich wahrheitstapfer der Sorge und dem Schmerz über die alltäg- lichen Verluste an lebendiger Vielfalt und regenerativem Gleichgewicht.

Zugleich erschreibtschafft er eine poetische NaturKUNDE, deren mitfühlende Spiegelung wesentlich, WIRKlich und lebensdienlich ist. Hier erlesen und erleben wir Lebensnähe statt Lebensferne und Lebensfülle statt Lebensleere.

Der Puls des GANZEN Lebens schlägt im Refugium dieser kurzen poetisch-verdichteten Textminiaturen und Meditationen. Sie umkreisen Begegnungen und Vorkommnisse in und mit der natürlichen Welt: Sonnenauf- und Untergänge, Bäume, Blumen, Gräser, Moose, Flechten, Vögel, Insekten, Eidechsen, Eichhörnchen, Steine, Kastanienfrüchte, Kinder, Gewässer, Fische, Steine, Wolken, Wind und Wetter, Sonne, Mond und Sterne und die Jahreszeitenstimmung kommen hier zu Wort  –  natürlich-kultürlich durch die Perspektive und die Sprachwerkzeuge eines menschlichen Wesens.

Ein Mensch ist als Lebewesen unter Lebewesen unterwegs und erfährt dabei eine zutiefst beglückende Lebensverbundenheit und Lebensfreude, ein Dasein im MITEIN- ANDERSEIN. Mensch und Natur sind nicht getrennt, sondern Natur und Mensch sind ineinander enthalten, also gibt es kein Geschehen, das uns nicht alle MITEINANDER betrifft.

„Das Gefühl bleibt, dass die Wesen und Gestalten eigentlich vollkommen transparent sind, dass sich in ihrem So-Sein so deutlich ihr Wie-Sein enthüllt, in ihren Qualitäten ihre Qualität, dass alle ihre Rolle im Leben spielen und ich sie darin sehe – etwas von abgrundtiefer Solidarität.“ (Seite 104)

Andreas Weber sind Natur und Leben eine Herzensangelegenheit, und das sollten sie für uns alle sein.

 

Hier entlang zum Buch auf der Verlagswebseite: https://www.think-oya.de/buch/minima_animalia.html

Hier entlang zu Andreas Webers empathiesophischer Naturkunde „Alles fühlt“:

Alles fühlt, Neuausgabe

Der Autor:

»Andreas Weber, geboren 1967, studierte Biologie und Philosophie in Berlin, Freiburg, Hamburg und Paris und promovierte bei Hartmut Böhme und Francisco Varela über Natur als Bedeutung. Als freier Publizist schreibt er regelmäßig Beiträge für Geo, Die Zeit, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Greenpeace Magazin, National Geographic, mare und Oya.«
Im Berlin Verlag erschienen 2007: „Alles fühlt“ und 2008: „Biokapital“,
bei Ullstein 2016 »Natur tut gut Warum Kinder draußen glücklicher sind« : https://www.ullstein-buchverlage.de/nc/buch/details/natur-tut-gut-9783548376486.html

PS (post scriptum = Nachschrift)

Nur eines finde ich schade – gerade bei einem Buch von solcher Sprachsensibilität – :
Die Textüberschriften sind auf lateinisch (Gattungsbezeichnungen, wie ich mir als Nicht- lateinerin zwar durchaus zusammenreimen kann), und das kann auch gerne so sein; aber eine zusätzliche Übersetzung ins Deutsche (vielleicht in Klammern dahinter oder darunter gestellt oder ∗ fußnotig ∗ souffliert) fände ich entgegenkommend. Bei den gelegentlichen englischen und französischen Gedichten und Zitaten halte ich es sogar für unerläßlich.

 

Leselebenszeichen-Datenschutzerklärung: https://leselebenszeichen.wordpress.com/datenschutzerklaerung/

Alles fühlt

  • Mensch, Natur und die Revolution der Lebenswissenschaften
  • von Andreas Weber
  • Berlin Verlag 2008                                           http://www.berlinverlage.de
  • 340 Seiten,  9,90 €
  • 978-3-8333-0423-1
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DIE   WELT  ALS   LEBEWESEN

Buchbesprechung von Ulrike Sokul ©

Eine sehr bereichernde Lektüre, die mir zutiefst aus der Seele  gesprochen hat!

„Durch alle Wesen reicht der eine Raum: Weltinnenraum.
Die Vögel fliegen still durch uns hindurch.
O, der ich wachsen will, ich seh hinaus, und in mir wächst der Baum.“   Rilke

Dieses Rilke-Zitat faßt die Kernaussage von „Alles fühlt“  wunderbar zusammen, doch Leser, die mehr wissen wollen, bekommen in Andreas Webers Buch eine Fülle an neuen und revolutionären Forschungsergebnissen und Entdeckungen aus Biologie, Biosemiotik, Genetik, Neurologie, Ökologie und Physik geboten. Die besondere Qualität dieses naturwissenschaftlichen Sachbuches besteht in der bewußt gefühlvollen Darstellung.

In seiner Einleitung  schreibt Andreas Weber: „Ich schildere Natur nicht als Objekt der Forschung, sondern als Ort der Erfahrung… Ich nehme den Leser mit in die Natur, und diese Reise ist zugleich eine Expedition in die Denkweise der modernen Biologie. Ich verknüpfe die Schilderung meiner Begegnungen mit Tieren und Pflanzen mit Analyse, Hintergrundsreflexion und Erfahrungsbericht und erzähle so Wissenschaft anhand von Erlebnissen.

Andreas Weber zeigt uns das ganzheitliche Miteinandersein von Mensch und Natur, er erinnert uns an unsere lebenswichtige Verbundenheit mit dem schöpferischen und vielfältigen Reichtum der Natur.

Am Anfang des Lebens steht hier nicht das Wort, sondern der fühlende Körper, der darum bemüht ist, sein Leben zu entfalten und zu erhalten. „Jeder Leib ist bereits Sprache.“

Und dieser Leib existiert nicht in individueller Getrenntheit, sondern in und mit komplexen Symbiosen und Kooperationen, die bereits auf der Zellebene anfangen und sich bis in ganze Ökosysteme erstrecken. An den Fäden eines einzelnen Lebens hängen immer die ganze Welt und ihre unzähligen Interessen.“ Wir sind absolut angewiesen auf die Natur in uns und um uns herum: Ohne Darmbakterien müßten wir verhungern, ebenso ohne die unermeßliche Bestäubungsleistung der Bienen, wir atmen ein, was die Pflanzen ausatmen, und über die materiellen Stoffwechselkreisläufe hinaus  brauchen wir für unser gesundes Selbstverständnis und Wahrnehmungsvermögen die Spiegelung anderer Lebewesen.

„Wir sind nicht nur Teil der Natur, sondern sie ist Teil von uns. Um uns ganz selbst zu verstehen, müssen wir uns selbst in anderen Lebewesen wiedererkennen. Widerspiegelung ist ein zentrales Element der menschlichen Identität: Ein Neugeborenes erfährt sich nur dann vollständig, wenn es sich mit seiner Bezugsperson identifizieren kann. Mit dem Schwinden der Natur droht uns damit eine ganz besondere Gefahr: der Verlust der Liebe.“

Descartes‘ „Ich denke also bin ich“ wird gründlich abgelöst durch ein „Ich fühle also bin ich.“ Dieses Lebensgefühl gilt gleichermaßen für Blaualgen und Pantoffeltierchen, für Eichhörnchen und Bäume und für jede einzelne Zelle, die uns unseren menschlichen Körper erst ermöglicht, sowie für unsere leibseelische Identität als Mensch.

„In der Welt der Lebewesen, aus der wir als eine Art unter vielen hervorgegangen sind, ist es die Möglichkeit dieser Liebe, die uns erst Menschlichkeit gibt. Das Schwinden der Tiere ist für uns darum nicht nur ein äußerer Verlust -… Mit den Tieren nehmen wir vielmehr Abschied von Möglichkeiten zu fühlen.“

Der Autor beschreibt eine Lebenswirklichkeit, die nicht aus einer abstrakten Ideenwelt kommt, sondern die in Hand und Fuß, Flosse und Pfote, Blatt und Blüte wurzelt. Das Innenleben der Geschöpfe ist Bestandteil ihrer Gestaltwerdung – so wird Unsichtbares sichtbar, greifbar, hörbar und, da wir die Erfahrung verletzlicher Körperlichkeit mit allen Wesen teilen, auch mitfühlbar. Das bedeutet, daß die moderne Biologie das poetische Naturverständnis von Dichtern wie Goethe, Novalis und Rilke bestätigt.

„Alles fühlt“ ist ein Buch, das von großer Liebe zum Leben und tiefer Fürsorge für die Natur spricht. Andreas Weber liegt sein Thema am Herzen, und seine Naturbeschreibungen sind voller Poesie.

Die dargestellten Erkenntnisse und Zusammenhänge  ermöglichen die Wahrnehmung einer seelenvolleren Lebenswelt – ja, sie „reanimieren“ unsere Verbundenheit mit der Natur.

Überdies verfügt das kluge Buch über ein Glossar, das die naturwissenschaftlichen und philosophischen Fachbegriffe zusätzlich erklärt. Und es gibt eine Liste mit Empfehlungen für weiterführende Literatur, mit informativen, kurzen Zusammenfassungen.

Alles in allem ein Buch, das Wissen mit Weisheit verbindet und einen wertvollen Beitrag leistet zu  einem wahrhaft naturverbundenen und demütigen menschlichen Selbstverständnis.

Das letzte Wort überlasse ich nun gerne noch einmal Andreas Weber:

„Wir sollten auf die Melodien der Tiere zählen. Sie sind das zentrale Symbol für jene unsagbaren Wege des Empfindens. Sie sind der Ton des Lebens selbst. Gerade das macht die Stimmen der anderen kostbar…In der Stimme der Wesen singt sich die Welt…Aber die messende, zählende Wissenschaft, welche die Welt als gigantischen Mechanismus begreift, ist allzu lange mit leeren Händen zurückgekehrt. Jetzt endlich stellt sie fest: Orpheus‘ Stimme ist immer schon da gewesen. Sie ertönt in den Rufen der Tiere wie eine endlose Variation über das Thema am Leben zu sein. Ihre Wellen durcheilen unseren Körper und finden ein Echo in ihm. Wir haben daran teil.

Es ist dies die unaussprechliche Überlegenheit der Tiere: ganz zu sein in jedem ihrer Augenblicke. Darin können sie uns Leben schenken, wir aber bleiben für immer in ihrer Schuld.“

 

Der Autor:

»Andreas Weber, geboren 1967, studierte Biologie und Philosophie in Berlin, Freiburg, Hamburg und Paris und promovierte bei Hartmut Böhme und Francisco Varela über Natur als Bedeutung. Als freier Publizist schreibt er regelmäßig Beiträge für Geo, Die Zeit, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Greenpeace Magazin, National Geographic, mare und Oya.«

Im Berlin Verlag erschienen 2007 „Alles fühlt“ und „Biokapital“ (2008),
bei Ullstein „Mehr Matsch! Kinder brauchen Natur“ (2011)

PS:
Und hier geht es zu meiner Besprechung der Neuausgabe von „Alles fühlt“:
https://leselebenszeichen.wordpress.com/2014/10/01/alles-fuhlt-neuausgabe/