Nur ein kleines bisschen

  • von Olivier Tallec
  • Originaltitel: »Un peu beaucoup«
  • Aus dem Französischen von Ina Kronenberger
  • Gerstenberg Verlag, Juli 2021 www.gerstenberg-verlag.de
  • gebunden
  • Fadenheftung
  • Format: 20 x 28 cm
  • 36 Seiten
  • durchgehend farbig
  • matt laminiert
  • 13,00 € (D), 13,40 € (A), 16,90 sFr.
  • ISBN 978-3-8369-6121-9
  • Bilderbuch ab 3 Jahren laut Verlag
  • ab 4 Jahren nach meiner Einschätzung

Nur ein kleines bisschen Titelbild 9783836961219

GIER  VERSUS  GENÜGSAMKEIT

Bilderbuchbesprechung von Ulrike Sokul ©

Schauen wir doch einmal, ob das Eichhörnchen, das in Olivier Tallecs Vorgängerband (siehe meine Besprechung: https://leselebenszeichen.wordpress.com/2020/09/22/das-ist-mein-baum/) so extrem besitzanspruchsvoll seinen Baum bewachte, ein bißchen dazugelernt hat und inzwischen ein klügeres Verhalten an den Tag legt.

Zunächst fängt es gut an. Das Eichhörnchen proklamiert demonstrativ: „Ein Baum ist superempfindlich, man muss gut auf ihn aufpassen.“ Und es umarmt seinen Baum, spricht flüsternd durch die Rinde zu ihm und ermahnt sich selbst und die geneigten Bilderbuchbetrachter, nicht zu viele Zapfen vom Baum wegzufuttern.

Nur ein kleines bisschen - letzter Zapfen 9783836961219

Illustration und Text von Olivier Tallec © Gerstenberg Verlag 2021

Doch dann nimmt die Freßgier überhand, und das Eichhörnchen futtert ratzeputz alle Zapfen weg. Da bleiben noch die Nadeln, die ihm ebenfalls schmecken, und der Baum hat doch so viele, viele Nadeln vorrätig. Wieder ermahnt uns das Eichhörnchen mit erhobenem Pfotenzeigefinger, daß man nur so viele Nadeln futtern solle, wie man wirklich brauche.

Nur ein kleines bisschen - Nadeln 9783836961219

Illustration und Text von Olivier Tallec © Gerstenberg Verlag 2021

Doch schon auf der nächsten Seite ist der Baum kahlgefressen. Da bleiben nur noch die vielen, vielen Zweige, von denen das Eichhörnchen erst nur einige kleine abbricht, um ein kleines Feuerchen zu machen – nun, man kann sich schon ausmalen, wie diese seltsame Form der Baumfürsorge und Genügsamkeit, die das Eichhörnchen praktiziert, endet.

Schließlich steht nur noch der Baumstumpf da, und das Eichhörnchen baut sich aus dem Restholz ein kleines Häuschen. Durch den Kahlschlag ist das Eichhörnchen weithin sichtbar. So wird es von einer Schar Kinder entdeckt, die mit dem entzückten Ausruf „Oh! Ein Eichhörnchen!“ dem erschrocken fliehenden Eichhörnchen hinterherjagen.

Der ironische letzte Satz „Ein Eichhörnchen ist superempfindlich, man muss gut darauf aufpassen!“ bietet nun reichlich Interpretationsspielraum für den möglichen Fortgang der Geschichte.

Olivier Tallecs Illustrationen geben dem Bilderbucheichhörnchen eine ebenso amüsant-ausdrucksvolle Körpersprache wie eine deutlich „sprechende“ Mimik. Der Erzähltext kommt mit wenigen Sätzen und einfachen Ansagen und Beschreibungen aus.

Das Eichhörnchen zeigt ein aus der niederen Menschenwelt und hohen Politik wohlbe-kanntes Verhalten: Großartige Lippenbekenntnisse und Gesten werden vom tatsäch- lichen praktischen Handeln konterkariert und ins Gegenteil verkehrt. Obwohl sich die politische Ebene der kleinkindlichen Wahrnehmung entzieht, bleibt das Thema gleich- wohl auf der zwischenmenschlichen Ebene anschaulich zugänglich und illustriert den Unterschied zwischen guten Vorsätzen und egoistischen Impulsen.

Interessant sind hier auch die Ausreden, die das Eichhörnchen immer wieder für sein widersprüchliches Verhalten findet. Damit läßt sich ein geradezu philosophisches Ge-sprächsfeld eröffnen, in dem Gedanken und Fragen zu den langfristigen Folgen des eigenen Handelns, dem richtigen Maß, Gier und Genügsamkeit, Impulskontrolle, Mitge-fühl und Naturrücksichtnahme sowie die Suche nach einvernehmlichen Lösungen mit Kindern erwogen werden können. 
 

Hier entlang zum Buch auf der Verlagswebseite
https://www.gerstenberg-verlag.de/Kinderbuch/Bilderbuch/Nur-ein-kleines-bisschen.html?noloc=1

Hier entlang zum Vorgängerband: Das ist mein Baum
https://leselebenszeichen.wordpress.com/2020/09/22/das-ist-mein-baum/

Der Autor und Illustrator:

»Olivier Tallec, geb. 1970, hat an der École Nationale Supérieur des Arts Décoratifs in Paris studiert und teilt seit dem seine Zeit zwischen Design und  Ullistration. Seine Bücher wurden in zahlreichen Ländern veröffentlicht und ausgezeichnet.«

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Giesbert und der Gluckerbach

  • Text und Illustration von Daniela Drescher
  • Band 3 mit Giesbert dem Regenrinnenwicht
  • Verlag Urachhaus, Juni 2020  www.urachhaus.com
  • gebunden
  • Fadenheftung
  • Format: 17 x 24 cm
  • 96 Seiten
  • durchgehend farbig illustriert
  • 18,00 € (D), 18,50 (A)
  • ISBN 978-3-8251-5248-2
  • Kinderbuch ab 5 Jahren

NEUES  VOM  REGENRINNENWICHT

Kinderbuchbesprechung von Ulrike Sokul ©

Giesbert der Regenrinnenwicht, der bei der Autorin und Illustratorin Daniela Drescher im Garten und in der Regentonne lebt, hat wieder einige neue Erfahrungen gemacht, die uns Daniela Drescher nun lebhaft erzählt und ermalt.

So hat Giesbert sogar den Garten zum ersten Mal verlassen, weil er einer Entenmutter mit ihren Küken zum nahegelegenen (nur für Menschenfüße nahegelegen, für Wichtel-füße ist es schon eine ganz ordentliche Wegstrecke) Gluckerbach gefolgt ist. Während die Entenmutter noch nach einer flachen Stelle sucht, um den Schwimmunterricht mit den Küken zu beginnen, fällt ein Küken plötzlich in den Bach und wird von der Strömung mitgerissen. Giesbert springt sofort hinterher – immerhin ist Wasser sein Element -, um das Küken zu retten. Doch das Fließgewässer ist auch für Giesbert eine Herausforde-rung, und es gelingt ihm erst nach einer ganzen Weile, sich gemeinsam mit dem Küken und mit Hilfe eines überragenden Astes aus der Strömung zu ziehen.

Auf dem Weg nach Hause treffen sie einen freundlichen Biber, der sie zu einem leckeren Brunnenkresse-Frühstück in seinen Biberbau einlädt. Nun sind die Beiden gestärkt und gehen frohen Mutes weiter. Sie begegnen einem Eisvogel, einem Frosch, einer Ringel-natter und einer Wasseramsel, und sie bewundern eine Gruppe Libellen, die übers Wasser tanzen; aber der Weg zum heimischen Garten wird Giesbert doch recht lang.

Zum Glück naht da schon Giesberts Freund, der alte Kater Munz, der sich auf die Suche nach Giesbert gemacht hatte, da er nicht wie sonst üblich zum Frühstück erschienen war. Giesbert und das Küken steigen auf den Rücken des Katers. So kommen sie deutlich schneller voran und werden zu Hause freudig empfangen.

Illustration von Daniela Drescher © Verlag Urachhaus 2020

Im heimischen Garten kümmern sich neben Giesbert allerlei Krautwichte und Wichte- linen und Elfen um das Gedeihen der Pflanzen. Giesbert inspiziert alltäglich die Beete, plaudert hier und da und dort mit der Wichtelnachbarschaft und mit allerlei Tieren. Mal braucht ein Gartenschläfer zauberhafte Unterstützung beim Nestbau, mal lernt er eine verirrte Schild kröte kennen und mal hilft er einem Igel beim Laubsammeln für sein Winternest.

Illustration von Daniela Drescher © Verlag Urachhaus 2020

Manchmal braucht Giesbert Hilfe von der Autorin. Bei Bauchweh bittet er sie nämlich, ihm einen Fencheltee zu kochen. Daniela Drescher näht ihm sogar noch ein sanft wärmendes Kirschkernkissen – bei solcher Pflege wird der Wicht schnell wieder gesund und munter. Und einen kleinen Reim gibt es als Nebenwirkung ebenfalls:

»Tut dir mal das Bäuchlein weh,
trinke etwas Fencheltee.

Und rumpelt es in deinem Bauch,
hilft ein Kirschkernkissen auch.«

(Seite 75)

Illustration von Daniela Drescher © Verlag Urachhaus 2020

Illustration von Daniela Drescher © Verlag Urachhaus 2020

In einer sommerlichen Sternschnuppennacht zeigt sich Giesberts glückliche Genüg- samkeit. Nach der zweiten Sternschnuppe fällt ihm gar kein Wunsch mehr für sich selbst ein, und so sammelt er bei den Gartentieren Wünsche und schickt bei den nachfolgenden Sternschnuppensichtungen freudig diese Wünsche ins Weltall.

Illustration von Daniela Drescher © Verlag Urachhaus 2020

Als kleine Zugabe für kindliche Giesbert-Kenner beantwortet die Autorin im Anschluß an die Geschichten noch drei häufig gestellte Kinderfragen zu Giesbert. Wir erfahren, ob Giesbert überhaupt Haare unter seinem Hut hat, von welcher Pflanze sein Blätterhut ist und ob er wirklich bei Daniela Drescher wohnt.

Ich bin zwar schon erwachsen, gleichwohl hoffe ich, daß Giesbert noch lange bei Daniela Drescher verweilt und natürlich-märchenhaften Stoff für weitere Geschichten liefert.

Giesbert ist ein sehr sympathisches Wesen, er ist naturverbunden, mitfühlend, lebens- bejahend, entdeckungsfreudig, verspielt, hilfsbereit, heiter und zugewandt, ja, einfach unwiderstehlich wichtelig.

Daniela Drescher erzählt feinsinnig, vielschichtig und warmherzig, mit augenzwinkerndem Humor. Die Episoden haben eine übersichtliche Länge, sie sind durchgehend farbig illustriert – oft ganzseitig – und begleiten das schelmische Lese- und Vorlesevergnügen mit atmosphärischen Bühnen- bildern. Die Illustrationen sind botanisch und zoologisch ebenso präzise wie märchenhaft-stimmungsvoll.

Daniela Drescher gelingt es wieder und wieder, in Wort und Bild Alltäg- liches und Natürliches ins poetische Licht zu rücken und konstruktiv-kommunikatives Miteinander gefühlsecht darzustellen – so werden die kindliche Phantasie bereichert, Herzensbildung gefördert und magische Naturverbundenheit sanft vermittelt.

Hier entlang zum Buch und zur Leseprobe auf der Verlagswebseite:
https://www.urachhaus.de/Lesen-was-die-Welt-erzaehlt/Daniela-Drescher/Giesbert-und-der-Gluckerbach.html

Hier entlang zum ersten Band: „Giesbert in der Regentonne“: Giesbert in der Regentonne
und zum zweiten Band: „Giesbert hört das Gras wachsen“: Giesbert hört das Gras wachsen
und zum vierten Band: „Giesbert und die Gackerhühner“ Giesbert und die Gackerhühner

Die Autorin & Illustratorin:

»Daniela Drescher, geboren 1966, ist eine international gefeierte Illustratorin und Autorin. Ihre Bilderbücher und illustrierten Kinderbücher bestechen durch einen Stil, der Kinder wie Erwachsene weltweit anspricht. In ihren mittlerweile über 40 Büchern ver-mittelt sie ihren jungen Lesern einen unmittelbaren Zugang zur Natur sowie zu sozialen Themen. Darüber hinaus setzt sie sich regelmäßig für Naturschutzorganisationen ein. «

Illustration von Daniela Drescher © Verlag Urachhaus 2020

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Wer sich verändert, verändert die Welt

  • Für ein achtsames Zusammenleben
  • von Christophe André
  • Jon Kabat-Zinn
  • Matthieu Ricard
  • Pierre Rabhi
  • Herausgegeben von Ilios Kotsou und Caroline Lesire
  • Aus dem Französischen von Elisabeth Liebl
  • Kösel Verlag, Juli 2018 www.koesel.de
  • gebunden
  • Format: 13,5 x 21,5 cm
  • 224 Seiten
  • mit zahlreichen s/w-Fotos
  • 20,00 € (D), 20,60 € (A), 28,90 sFr.
  • ISBN 978-3-466-34736-0

GLÜCKLICHE  GENÜGSAMKEIT

Buchbesprechung von Ulrike Sokul ©

Ermutigungen tun gut. Angesichts einer bedrohten Welt sind Ermutigungen zu selbst-wirksamen Veränderungen, die wiederum heilsam auf die Welt ausstrahlen, erfreulich lebensdienlich.

»Eines Tages, so erzählt eine indianische Legende,
brach ein riesiger Waldbrand aus. Bestürzt und
ohnmächtig sahen die Tiere dem Wüten des Feuers
zu. Allein der kleine Kolibri machte sich zu schaffen
und flog immer wieder, um ein paar Tropfen Wasser
zu holen, die er aus seinem Schnabel auf die Flammen
fallen ließ. Nachdem das Gürteltier seinem unsinnigen
Treiben einige Zeit zugesehen hatte, rief es
ihm zornig zu: „He, Kolibri! Bist du eigentlich noch
ganz bei Trost? Mit deinen paar Tropfen Wasser
wirst du dieses Feuer niemals löschen!“ Daraufhin
blickte ihm der Kolibri geradewegs in die Augen und
sagte: „Kann sein. Aber ich tue, was ich tun kann.“  «
(Seite 11)

Mit der obig zitierten indianische Legende wird das Buch „Wer sich verändert, verändert die Welt“ eingeleitet.

Wir können und wir dürfen vom Kleinen zum Großen hin wirken. Achtsamkeitsübungen und Meditation sind dann keineswegs Weltflucht, sondern geistiges Muskeltraining gegen die mentalen Umweltgifte unserer Zeit. Wenn durch innere Sammlung, klärende Selbsterkenntnis und Präsenz sowohl unser Mitgefühl für uns selbst als auch unser Mitgefühl mit anderen Menschen und Mitgeschöpfen wächst, finden wir zu einem konstruktiveren Umgang mit den uns gegebenen Möglichkeiten und Bedingungen.

Im ersten Kapitel benennen die Herausgeber Ilios Kotsou und Caroline Lesire die unge-rechte Wirtschafts- und Sozialordnung, die Ausbeutung und Zerstörung von Natur, Tieren und Menschen, die Fehlentwicklungen und gefährlichen Umweltveränderungen in Hinsicht auf „Klimawandel, Abbau der Ozonschicht, Landnutzung, Süßwasserver- brauch, Verlust der Artenvielfalt, Übersäuerung der Ozeane, Stickstoff- und Phosphor- eintrag in Biosphäre und Meere, Aerosolgehalt der Atmosphäre, Belastung durch Chemi- kalien“ (Seite 33/34) sowie „die Irrwege der industriellen Fleischproduktion“ (Seite 35).

In den folgenden Kapiteln beschreiben Christophe André, Jon Kabat-Zinn und Matthieu Ricard u.a. anhand aktueller psychologischer Studien, wie Achtsamkeitspraxis und Meditation unseren Geist vor den schädlichen Ablenkungen, Zwängen und gewollten Frustrationen des Materialismus, der künstlichen Unzufriedenheit, des Zeitdrucks, des Egoismus und Konkurrenzdenkens schützen können und zugleich hinführen zu mehr Altruismus, Dankbarkeit, Einfachheit, Großzügigkeit, Heilung, Gemeinwohlorientierung und sozialer Verbundenheit sowie zu einem langfristigen Denken, das wesentlich größere Zusammenhänge einbezieht als das sekundenkurze Denken der globalen Finanzwelt.

Pierre Rabhi erweitert den Achtsamkeitsaspekt auf den Umgang mit der Erde und die Kultivierung von Humus, um die Lebenskraft und Fruchtbarkeit der Böden zu bewahren. Durch das kooperative Miteinander zwischen Menschen sowie zwischen Mensch und Natur kommen wir zudem einem zyklischen Zeitverständnis wieder nahe, finden zu „glücklicher Genügsamkeit“ und sind nicht länger bewußtlose Konsummarionetten auf der sinnlosen Jagd nach Selbstwertprothesen.

Die von den Autoren angeregte „Achtsamkeitsrevolution“ wirkt der Natur-  und Selbst-entfremdung entgegen, nährt und bestätigt die in uns angelegten Samen der Liebe, Güte und der Empathie und fördert unsere ganzheitliche Erkenntnisfähigkeit. Das harmonische Zusammenwirken von Geist und Herz führt zu mehr Gelassenheit und Zufriedenheit.

Jeder der Autoren verweist ergänzend auf für ihn vorbildliche Persönlichkeiten, die ihn inspirieren und wartet mit ganz praktischen, unkomplizierten Anregungen für den Lebensalltag auf.

Der Anhang zum Buch informiert kurz und bündig über vielfältige „Projekte, die die Welt bewegen“, nebst entsprechenden Linkadressen und Literaturhinweisen, wie beispiels-weise: www.colibris-lemouvement.org
www.siebenlinden.de
www.mbsr-verband.de
www.foodsharing.de
www.slowfood.de
www.slowfoodyouth.de

»Die Utopie zu leben, das heißt vor allen Dingen zu akzeptieren, dass etwas im Werden begriffen ist. Ein Geschöpf voller Achtsamkeit und Mitgefühl zu sein, ein Geschöpf, das mit seiner Intelligenz, seiner Fantasie und seinen Händen dem Lob des Lebens dient … « (Seite 157)

 

Hier entlang zum Buch und zur LESEPORBE auf der Verlagswebseite:
https://www.randomhouse.de/Buch/Wer-sich-veraendert-veraendert-die-Welt/Christophe-Andre/Koesel/e459714.rhd

Die Autoren:

»Christophe André ist Arzt, Psychiater und Autor erfolgreicher Bücher über die Kraft der Emotionen. Als einer der Ersten hat er Achtsamkeitsmeditation in die Psychotherapie integriert.«

»Jon Kabat-Zinn, emeritierter Professor für Medizin und Bestsellerautor, gilt als Vater der modernen Achtsamkeitsmeditation. Sein Programm MBSR (Stressbewältigung durch Achtsamkeit) wird weltweit unterrichtet.«

»Pierre Rabhi ist Poet, Philosoph und Begründer der Agro-Ökologie, einer von Menschlich-keit geprägten Landwirtschaft. Er entwickelt Projekte für Länder, die an Wassermangel leiden.«

»Matthieu Ricard, Naturwissenschaftler und anerkannter Fotograf, lebt seit über 25 Jahren als buddhistischer Mönch. Der Übersetzer des Dalai Lama setzt sich für zahlreiche humanitäre Projekte ein.«

 

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Stoner

  • von John Williams
  • Aus dem Amerikanischen
  • von Bernhard Robben
  • Deutsche Erstausgabe
  • dtv Verlag September 2013   http://www.dtv.de
  • in Leinen gebunden mit Schutzumschlag
  • 352 Seiten
  • 19,90 € (D), 20,50 € (A), 27,90 sFr
  • ISBN 978-3-423-28015-0
  • Taschenbuchausgabe dtv Verlag Dezember 2014
  • 9,90 € (D), 10,20 € (A), 14,90 sFr
  • ISBN 978-3-423-14395-0
    stoner-9783423143950

MIT  BÜCHERN  VERHEIRATET

Buchbesprechung von Ulrike Sokul ©

John Williams wahrt in seinem Roman „Stoner“ eine bewundernswerte Balance zwischen mitgefühlvoller Charakterzeichnung und intellektueller Disziplin.

Mit der Lektüre dieses Romans heben wir einen verborgenen Leseschatz. Die Originalausgabe erschien 1965, geriet in Vergessenheit und wurde 2006 von Edwin Frank, dem Gründer der legendären Reihe New York Book Review Classics, wieder- entdeckt. Im September 2013 erschien die deutsche Erstausgabe – in Leinen gebunden – bei DTV und, im Dezember 2014, die Taschenbuchausgabe.

Mit seiner zwischenmenschlichen Präzision, seinen poetisch-philosophischen Reflexionen und seiner lebenserfahrenen Tiefenschärfe ragt dieser Roman zeitlos heraus und verdient zu Recht das Prädikat Klassiker.

Williams‘ Romancharakter William Stoner erscheint zu Beginn wie ein zähes Gewächs, das einfach lebt und überlebt, nichts in Frage stellt und sich den kargen Notwendig- keiten und bescheidenen Lebensbedingungen klaglos fügt.

Er ist das einzige Kind eines armen Farmerehepaars. Stoner geht zur Schule und hilft seinem Vater bei der harten Arbeit auf der Farm. Er erledigt gewissenhaft seine Pflichten, und nach Abschluß der Schulzeit beschränkt sich sein Willenshorizont darauf, weiterhin auf der elterlichen Farm zu arbeiten. Zu seiner Überraschung sagt sein wortkarger Vater eines Tages beim Abendessen, daß er sich wünsche, sein Sohn möge Landwirtschaft studieren.

Da macht sich der neuzehnjährige Stoner im Jahre 1910 mit seiner ihm eigenen Beharrlichkeit auf, an der Universität von Missouri Landwirtschaft zu studieren. Er wohnt in einer kalten, zugigen Dachkammer bei Verwandten seiner Mutter, und für Kost und Logis hilft er bei der Arbeit auf deren Farm mit. So vergeht im Rhythmus von einsam-konzentriertem Lernen und anstrengender Feldarbeit erfolgreich das erste Studienjahr.

Im zweiten Studienjahr ist für alle Studenten ein Einführungskurs in die englische Literatur vorgeschrieben. Auf unerklärlich-beunruhigende Weise ist Stoner von dem unterrichtenden Dozenten beeindruckt, und er arbeitet die vorgeschriebene Leseliste systematisch ab.

Als Stoner in einer Vorlesung dazu aufgefordert wird, sich zur Bedeutung eines Shakespeare-Sonetts zu äußern, findet er zwar nicht die richtigen Worte für eine angemessene Antwort, aber er findet seine Berufung, und er wird sich mit erschütternder Klarheit seiner selbst bewußt.

Er wechselt von der Agrarwirtschaft und den Naturwissenschaften zu den Studien- fächern Philosophie und englische Literatur. Nach dem Abschluß des Studiums wird er den Rest seines Lebens an der gleichen Universität als Assistenzprofessor lehren. Der schützende Kokon des universitären Kalenders, der vertraute und wißbegierige Umgang mit Sprache, Literatur und Lehre bieten ihm zumindest intellektuelle Geborgenheit und eine distanziert-familiäre Zugehörigkeit.

Er wird zwei Freunde finden, sich naiv verlieben und eine unglücklich-unzertrennliche Ehe führen, und er wird bei akademisch-universitären Intrigen meist unterliegen. Über die mißglückte Ehe tröstet ihn die fürsorgliche Liebe zu seiner Tochter hinweg, und die bescheidene Karriere ist ihm ziemlich gleichgültig, solange er sich mit begeisterter Entdeckerfreude seinen Studien und seiner Liebe zur Sprache widmen kann.

In seinen mittleren Jahren wird er eine kurze – gleichwohl emotional, geistig und sinnlich überaus erfüllende – Liebesepisode mit einer jungen Doktorandin erleben und sich nach dem Ende dieser Affäre noch mehr in sein akademisches Asketentum zurückziehen…

Stoner ist die personifizierte Genügsamkeit und von solch routinierter Bescheidenheit, daß man sich beim Lesen manchmal wünscht, er möge doch mehr Durchsetzungs- vermögen besitzen; dennoch empfindet man unwillkürlich auch großen Respekt vor seiner Schicksalsergebenheit und der stillen Hingabe an seine Arbeit.

Das Zitat, mit dem Dan Wakefield den Autor John Williams beschreibt, ließe sich auch auf die Romanfigur Stoner übertragen:

„Williams ist fast berühmt dafür, nicht berühmt zu sein. Ein Hemingway ohne das sentimentale Theater, ein Fitzgerald ohne das modisch Gefällige, ein Faulkner ohne Pomp.”

„Stoner“ ist eine leselohnreiche Wiederentdeckung, und so möchte ich abschließend mit den nachfolgenden Zitaten dieses beeindruckend unspektakuläre Buch mit seinen zahlreichen überaus mitmenschlichen, fein formulierten Sätzen selbst zu Wort kommen lassen:

„Sie war ein stilles, fröhliches Kind und konnte sich auf eine Weise über etwas freuen, die in ihrem Vater ein Gefühl von fast wehmütiger Bewunderung auslöste.“ (Seite 144)

„Und da lächelte sie. Es war ein Lächeln, das in den Augenwinkeln begann und dann an ihren Lippen zupfte, bis ein strahlendes, warmes überaus anheimelndes Entzücken ihr ganzes Gesicht erhellte.“ (Seite 184)

„In seinem dreiundvierzigsten Jahr erfuhr William Stoner, was andere, oft weit jüngere Menschen vor ihm erfahren hatten: dass nämlich jene Person, die man zu Beginn liebt, nicht jene Person ist, die man am Ende liebt, und dass Liebe kein Ziel, sondern der Beginn eines Prozesses ist, durch den ein Mensch versucht, einen anderen kennenzulernen.“ (Seite 247)

„Er begriff, dass er nie zuvor den Körper eines anderen Menschen kennengelernt hatte, und er begriff gleichfalls, dass dies der Grund war, warum er den Charakter seines Gegenübers stets irgendwie von dem Körper getrennt hatte, der diesen Charakter beherbergte.“ ( Seite 249)

„Die Jahre hatten das lange, schmale Gesicht noch schmaler werden lassen, und die Falten glichen eher Verweisen auf eine gewachsene Sensibilität als Andeutungen des Alters.“ (Seite 335)

Hier entlang zum Buch und zur LESEPROBE auf der Verlagswebseite:
https://www.dtv.de/buch/john-williams-stoner-14395/

Der Autor:

»John Edward Williams (1922 – 1994) wuchs im Nordosten von Texas auf. Er besuchte das örtliche College, wurde Journalist. 1942 meldete er sich zu den United States Army Air Forces, in der Zeit seines ersten Einsatzes in Burma schrieb er an seinem ersten Roman (Nothing But The Night). Nach dem Krieg ging er nach Denver, 1950 Masterabschluss des Studiums Englische Literatur; anschließend Lehrauftrag an der Universität Missouri, wo er bis zu seiner Emeritierung Creative Writing und Englische Literatur lehrte. Williams war viermal verheiratet und Vater von drei Kindern. Er verfasste fünf Romane (der letzte blieb unvollendet) und Poesie. John Williams wurde zu Lebzeiten zwar gelesen, erlangte aber keine Berühmtheit. Dank seiner Wiederentdeckung 2006 zählt er heute weltweit zu den Ikonen der klassischen amerikanischen Moderne.«

Der Übersetzer:

»Bernhard Robben, geb. 1955, studierte Philosophie und Germanistik in Freiburg und Berlin. Lebt als literarischer Übersetzer in der Nähe von Berlin. Wurde für seine Übertragungen von Salman Rushdie, Ian McEwan, Peter Carey, John Burnside u.a. mit zahlreichen Stipendien gefördert und mehrfach nominiert. 2003 Übersetzerpreis der Kunststiftung NRW; 2012 Internationaler Literaturpreis, Haus der Kulturen der Welt, für die Übersetzung von ›K‹ (Tom McCarthy).«

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