Tierisch guter Balkon

  • Kleine Fläche, großer Nutzen – so wird der Balkon zum Tierparadies
  • von Bärbel Oftring
  • KOSMOS Verlag, 2022 www.kosmos.de
  • Klappenbroschur
  • Fadenheftung
  • Format: 240 x170 mm
  • 160 Farbfotos
  • 128 Seiten
  • 18,00 €
  • ISBN 978-3-440-17411-1

Tierisch guter Balkon
NATÜRLICHE  BALKONBELEBUNG

Rezension von Ulrike Sokul ©

Bereits Bärbel Oftrings Buch „Worauf fliegst du – Tierparadiese pflanzen und pflegen“ (siehe meine Rezension:  Worauf fliegst du – Tierparadiese pflanzen und pflegen ) widmete sich dem Thema, wie sich der Garten so gestalten und bepflanzen läßt, daß Tiere dort gerne einziehen und auskömmlich leben können. Ein Balkon kann ebenfalls naturgemäß eingerichtet werden, doch die Lebensbedingungen und das Kleinklima unterscheiden sich selbstverständlich von denen im Garten.

Doch zunächst stellt die Autorin verschiedene Tiere vor, die sich als Balkongäste ein-finden können: Honig- und Wildbienen, Schmetterlinge und ihre Raupen, Käfer, Schweb- und Florfliegen, Blumenwanzen, Wespen, Spinnen und Blattläuse. Hinsichtlich der Blatt-läuse bieten die Larven von Florfliegen und Marienkäfern natürliche Regulation. Und damit man die nützlichen Helferlein auch richtig erkennt, gibt es aussagekräftige Fotos. In Kurzportraits wird zudem jeweils eine überschaubare Anzahl von Wildbienen und Schmetterlingen in Wort und Bild vorgestellt.

Weitere tierische Besucher sind Vögel (hauptsächlich Amsel, Blaumeise, Kohlmeise, Rotkelchen, Haussperling, Kleiber, Grünfink), und ganz besondere Balkongäste sind Eichhörnchen und Mauereidechsen.

Auf einer Doppelseite des Buches werden Spuren gezeigt, welche die tierischen Gäste hinterlassen. So lernt man u.a. winzige Eier am Stiel kennen (Florfliegeneier), kleine tropfenförmige Gebilde zeugen von verpuppten Hain-Schwebfliegen, und kreisrunde oder ovale Löcher in Blättern stammen von Blattschneiderbienen, die mit diesen Blattstücken ihre Brutzellen auskleiden.

Auf einem Balkon können Pflanzen nur in Kübeln wachsen, und deshalb eignen sich nicht alle Pflanzen gleichermaßen für solche erdmengenmäßig eingeschränkten Gegebenheiten. Gleichwohl gibt es eine Fülle botanischer Möglichkeiten, die auch sehr gut im Topf funktionieren, wenn man einige Spielregeln beachtet. Außerdem soll die pflanzliche Topfverträglichkeit sinnvoll kombiniert werden mit Pflanzen, die für die Bedürfnisse von Tieren geeignet sind. Denn:

 »Für Tiere hingegen sind Pflanzen mehr oder weniger alles, was sie im Leben haben, denn Pflanzen sind ihre Lebensgrundlage als Lebensraum, Versteck und Unterschlupf, Nahrungsquelle, Brut- und Nistplatz sowie Jagdrevier zugleich.« (Seite 38)

Das bedeutet, daß überzüchtete, sterile und die meisten exotischen Pflanzen nicht zur naturgerechten Bepflanzung gehören. Abgesehen von der nicht unbeträchtlichen Gift- und Kunstdüngerladung, welche die konventionell gezüchteten Pflanzen enthalten, sind – man kann es nicht oft genug wiederholen – gefüllte Blütenzüchtungen nur schöner Schein. Denn solche Blüten bieten weder Nektar noch Pollen und disqualifizieren sich somit als Nahrungsquelle für Insekten.

Die Autorin stellt sowohl tabellarisch wie in bebilderten, kurzen Einzelportraits geeignete Bienenblumen vor. Dazu gehören viele pflegeleichte heimische Wildblumen, die sich leicht versamen, so daß beiläufig schon für pflanzlichen Nachwuchs gesorgt ist, und diverse Küchenkräuter, von denen praktischerweise auch der Mensch gerne nascht.

Die Pflanzenempfehlungen sind nach den unterschiedlichen Lichtgegebenheiten (sonnig, schattig, halb-schattig) von Süd-, Nord-, Ost- oder Westbalkonlage geordnet. Die unterschiedlichen  Pflanzenbedürfnisse hinsichtlich mager-trockenem oder nährstoff- reich-feuchtem Substrat werden gut erklärt. Attraktive Fotos von diversen Pflanzkombi- nationen und Balkonszenerien runden die Textinformationen anschaulich ab.

Weitere Kapitel erweitern das Pflanzenspektrum um Kletter- und Rankpflanzen, Wild- und Obststräucher sowie einige Wildrosenarten.

Neben pflanzlichen Nahrungsquellen sind Wasserstellen zum Trinken und zum Baden wichtig. Für Vögel eignen sich flache, nicht zu glatte Wasserschalen (hellfarbige Keramik erwärmt sich im Sonnenlicht nicht so schnell wie dunkle). Auch eine Sandbadestelle läßt sich mit einem etwas tieferen Kübel voll feinen Sands einrichten.

Für Bienen und Wespen füllt man eine flache Schale mit Steinen und gibt dann Wasser hinzu. So können die Insekten trinken, ohne in eine tiefe Wasserfläche zu fallen und dort unterzugehen. Ergänzend kann man auch Moospolster hinzufügen. Auch für Mini- teiche und Sumpfkübel findet sich in diesem Ratgeber eine balkongerechte Anleitung. 

Anschauliche Schritt-für-Schritt-Bauanleitungen für Wildbienennisthilfen aus Bambus, Hartholz und Himbeerstengeln erweitern das Spektrum der balkongastgeberischen Gestaltungsmöglichkeiten. Hinzu kommen Anregungen für diverse Vogelfutter- und Nistmaterialspender und eine Bauanleitung für einen Nistkasten aus Holz.

Zum guten Schluß bietet die Autorin noch einen kleinen Exkurs in die Installation eines Wurmkomposters für den Balkon.  

Bärbel Oftring bietet dem geneigten Leser gut strukturiertes, biologisches Grundlagen-wissen und einfach umzusetzende praktische Anleitungen für eine tierfreundliche Naturbalkoneinrichtung. Dieser animierende Ratgeber eignet sich hervorragend für Anfänger, doch auch bereits kundige Naturbalkongastgeber können hier gewiß noch die eine oder andere ergänzende Anregung finden.

Während der Lektüre wächst man – bei entsprechender natürlicher Aufgeschlossenheit –  immer mehr in die pflanzlich-tierische Perspektive hinein und betrachtet die Welt nicht mehr ausschließlich aus menschlicher Sicht.

Hier entlang zum Buch und zur Leseprobe auf der Verlagswebseite:
https://www.kosmos.de/buecher/ratgeber-naturfuehrer/garten/gartengestaltung/14746/tierisch-guter-balkon

Die Autorin:

»Bärbel Oftring ist Diplom-Biologin mit den Schwerpunkten Botanik, Zoologie und Paläontologie. Ihre Liebe zur Natur setzt sie heute als Autorin, Redakteurin und Heraus-geberin von zahlreichen Sachbüchern für Kinder und Erwachsene sowie in erlebnisreichen Naturforscheraktionen in die Tat um. Ihre Bücher vermitteln auf anschauliche und interessante Weise, was es alles über Tiere und Pflanzen in der Natur und im Garten zu entdecken gibt. Viele wurden bereits ausgezeichnet und in mehrere Sprachen übersetzt. Die engagierte Naturforscherin lebt mit ihrer Familie und ihrem Hund bei Böblingen.«

Querverweis:

Ergänzend empfiehlt sich zudem noch Bärbel Oftrings Sachbuch „Worauf fliegst du/Tierparadiese pflanzen und pflegen“: Worauf fliegst du – Tierparadiese pflanzen und pflegen
und der Ratgeber  „Grüner geht’s nicht – Nachhaltig gärtnern auf dem Balkon“ von Melanie Öhlenbach Grüner gehts nicht – Nachhaltig gärtnern auf dem Balkon
sowie „Wilde Kübel – unkompliziert, naturnah und insektenfreundlich“ von Simone Kern: Wilde Kübel – unkompliziert, naturnah und insektenfreundlich

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Mein Garten summt!

  • Ein Platz für Bienen, Schmetterlinge und Hummeln
  • von Simone Kern
  • KOSMOS Verlag 2017 www.kosmos.de
  • Klappenbroschur
  • Format: 241 x 171 mm
  • 128 Seiten
  • 190 Farbfotos
  • 16,99 €
  • ISBN 978-3-440-15270-6

Mein Garten summt

L E B E N S R Ä U M E   S C H A F F E N

Rezension von Ulrike Sokul ©

Wer seinen Garten oder Balkon, ja, selbst nur eine Fensterbank insektenfreundlich gestalten möchte, findet in diesem Ratgeber gute und übersichtliche Anleitungen. Nach einer kurzen Einführung in die Relevanz der Insekten, ihrer bedeutenden Rolle für natürliche Nahrungsketten und ökologische Stoffkreisläufe sowie des Bestäubungs-dienstes für viele unserer Nahrungspflanzen geht die Autorin auf verschiedene Garten-typen von städtischer bis ländlicher Umgebung ein.

So reicht der Radius tatsächlich von einfachen Fensterbänken bis hin zu Kübeln, Balkonen, mobilen Gärten, Minigärten, Dachgärten, naturnahen Gärten, Staudengärten, Wiesen und Streuobstwiesen.

Für alle Gartentypen werden standortgerechte Pflanzen empfohlen sowie Anregungen zu Gestaltungselementen mit Steinen, Totholzelementen und Wasserstellen gegeben. Es ist wichtig, möglichst einheimische Pflanzen zu wählen, die samenfest sind. Besonders ist auf ungefüllte Blüten zu achten, da nur diese nicht überzüchteten Blüten genug Pollen und Nektar anbieten und zudem für alle Insekten gut zugänglich sind.

Generell sollte der Garten nicht steril aufgeräumt sein, sondern Wildnis bewahren. Bei-spielsweise fördert es nicht nur die Humusbildung, sondern auch die Überwinterungs-chancen diverser Insekten und Mikroorganismen, wenn das Laub liegen bleiben darf – gegebenenfalls auch zu Laubhaufen zusammengerecht. Auch abgeblühte Stauden sollten über Herbst und Winter hinweg stehen bleiben dürfen, da dort ebenfalls oft Insektennachwuchs wohnt.

»Größtmöglicher Strukturreichtum in Kombination mit standortgerechten, heimischen Pflanzen ist die beste Grundlage für Insektenvielfalt.« (Seite 50)

Trockenmauern, Lese-Steinhaufen, Kräuterspiralen, Tot- und Bruchholzhaufen, Mulch- oder Kieswege (selbstverständlich ohne Plastik- oder Unkrautvliesunterlage), Kompost-haufen, Benjes-Hecken und offene, pflanzenfreie Bereiche mit Kies, Lehm und/oder Sandangebot bieten abwechslungsreiche Strukturen, die für Insekten anziehend sind. Ergänzt werden diese Hinweise mit Empfehlungen für selbstgebaute Insektenhotels aus Halmen, Strangfals-Ziegeln und Hartholz.

Es versteht sich wohl von selbst, daß der Einsatz von Giften absolut tabu ist und daß bei der Auswahl der Pflanzen auf samenfeste Arten geachtet werden sollte, damit ein natür-licher Vegetationszyklus stattfinden kann.  

Im Anschluß an die vielfältigen insektenfreundlichen Gartengestaltungsanregungen folgen  bebilderte Kurzportraits von Bienen, Hummeln, Wespen, Schmetterlingen, Libellen und Käfern, damit man seine zukünftigen sechsbeinigen Gäste auch erkennen und benennen kann. Zusätzlich gibt es weiterführende Hinweise auf Bezugsquellen für biologisches Saatgut, Stauden und Gehölze sowie auf Naturschutzorganisationen und ergänzende Literatur zu Insekten, zum Imkern und naturnahem Gärtnern. 

Simone Kerns Gartenratgeber „Mein Garten summt!“ bietet eine infor- mative und animierende Einführung ins insekteneinladende Gärtnern auf kleinem und großem Raum. Attraktive Fotos veranschaulichen ebenso die natürliche Schönheit von Pflanzen und Insekten wie die vielfältigen Mög-lichkeiten gärtnerischen Gestaltens zugunsten der Natur. So kann jeder seinen ökologischen Mosaikstein zum Insektenschutz und zu einem wirklich lebendigen Garten beitragen.

Hier entlang zum Buch und zur Leseprobe auf der Verlagswebseite:
https://www.kosmos.de/buecher/ratgeber-naturfuehrer/garten/gartengestaltung/8183/mein-garten-summt

Eine thematisch vertiefende, jahreszeitlich und monatlich strukturierte Ergänzung ist zudem Simone Kerns Jahresplaner „Mein Garten summt“:

  • KOSMOS Verlag Mein Garten summt - Der Jahresplaner
  • 1. Auflage 2019
  • Klappenbroschur
  • Format: 241 x 172 mm
  • 112 Seiten
  • 173 Farbfotos
  • 16,99 €
  • ISBN: 978-3-440-16320-7

Hier entlang zum Jahresplaner nebst Leseprobe:
https://www.kosmos.de/buecher/ratgeber-naturfuehrer/garten/gartenjahr-aussaattage/10122/mein-garten-summt-der-jahresplaner

 Die Autorin:

»Simone Kern studierte Landschaftsarchitektur und hat im Allgäu ihr eigenes Planungsbüro. Schwerpunkt ihrer vielfältigen Projekte sind naturnahe Anlagen. Ein besonderes Anliegen ist ihr dabei die Schaffung von Gärten, in denen sich Menschen wohl und geborgen fühlen. Aber vor allem auch Pflanzen und Tiere sollen darin neue Lebensräume finden. Viel draußen in der Natur und im eigenen Garten sein, beobachten, Landschaften erfahren – hier holt sie sich ihre Inspiration.
Darüber hinaus engagiert sich Simone Kern seit langem im Rahmen des überregionalen „Netz- werks Blühende Landschaft“ ( https://bluehende-landschaft.de/ ) mit konkreten Projekten, insbesondere für den Schutz von Insekten. Ihr praktisches wie theoretisches Wissen gibt sie gerne in Workshops, durch Fachvorträge und Veröffentlichungen weiter.«

Querverweis:

Als nützliche Bereicherung empfehlen sich noch folgende Sachbücher von Simone Kern:
Wilde Kübel, unkompliziert, naturnah, insektenfreundlich Wilde Kübel
Der antiautoritäre Garten/Gärten, die sich selbst gestalten Der antiautoritäre Garten

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Und sie fliegt doch

  • Eine kurze Geschichte der Hummel
  • von Dave Goulson
  • Originaltitel: »A Sting in the Tale«
  • Übersetzung aus dem Englischen
  • von Sabine Hübner
  • Hanser Verlag, Juli 2014  http://www.hanser-literaturverlage.de
  • gebunden, mit Schutzumschlag
  • 320 Seiten
  • ISBN 978-3-446-44039-5
  • 19,90 €
  • ePUB-Format 15,99 €
  • ISBN 978-3-446-44067-8
    Goulson_FliegenDoch_125x205_P05.indd

DER  HUMMELFLÜSTERER

Buchbesprechung von Ulrike Sokul ©

Zwar bin ich keine Biologin, sondern Buchhändlerin, habe aber schon als Kind gerne Hummeln gestreichelt und tue dies auch heute noch. Außerdem liebe ich es, wenn Erscheinungsformen der Natur sogenannten naturwissenschaftlichen Gesetzen trotzen. Denn nach den bisherigen Erkenntnissen der Aerodynamik ist die Flügelfläche der Hummel zu klein im Verhältnis zu Körpergröße und Gewicht, um fliegen zu können. Aber sie fliegt ganz offensichtlich dennoch, und das gefällt mir außerordentlich gut. Daher ist auch der deutsche Titel des vorliegenden Sachbuches „Und sie fliegt doch“ eine schöne, doppeldeutige und geistreiche Anspielung, auf die ich sofort geflogen bin.

Aus dem Prolog zum Buch erfahren wir, daß der Autor ebenfalls schon als Kind von Hummeln fasziniert war. Er verbrachte seine Kindheit in einem Dörfchen bei Shropshire und pflanzte im elterlichen Garten Lavendel, Katzenminze, Salweide und Sommerflieder, um Hummeln und Schmetterlingen ein attraktives Büfett zu bieten, und Geißblatt, um Nachtfalter anzulocken. Sein lebhaftes Interesse für Insekten verband sich natürlicher- weise mit dem lebhaften Interesse für Pflanzen.

Eine inspirierende Grundschullehrerin, die nicht mit praktischen Naturerfahrungen geizte, sowie sehr tolerante Eltern, die die unterschiedlichsten geglückten und miß- glückten Tierrettungs- und Erforschungsmaßnahmen mit großer Nachsicht duldeten, waren fördernde und anregende Voraussetzungen für ein späteres Biologiestudium.

Dave Goulson wurde der führende Hummelforscher Englands und gründete im Jahr 2006 den „Bumblebee Conservation Trust“ (BBCT), eine Stiftung zur Rettung der Hummeln. Diese Stiftung schafft in Zusammenarbeit mit Bauern, Kommunen und Gärtnern neue Habitate für Hummeln, verbreitet eine Informationsbroschüre zur hummelfreundlichen Gartengestaltung, verteilt Wildblumensamen, organisiert Hummel-Bestimmungs-Spaziergänge und betreibt zusätzliche Aufklärungsarbeit auf Gartenschauen und in Grundschulen.

Denn die Rettung dieses pummeligen Insekts ist notwendig, und dies erläutert der Autor auf eine so einleuchtende und ganzheitliche, ja, BEWUSSTSEINSBILDENDE Weise, daß man Landwirtschaft, Pflanzen, Hummeln und menschliche Einflußnahmen mit neuen Augen sieht.

Zunächst ein kurzer historischer Rückblick: Bevor es Kunstdünger, Insektizide und Co. sowie Benzinmotoren gab, waren Pferde ein wesentlicher Bestandteil der Landwirt- schaft. Um die Arbeitskraft der Pferde zu erhalten, bauten die Bauern Klee an, der eine beliebte Futterpflanze für Pferde ist; und, um im Winter genug Futter für Vieh und Pferde zu haben, wurden Heuwiesen angelegt, die nur ein bis zweimal jährlich gemäht wurden.

Auf diesen nährstoffarmen Böden gediehen Wildblumen gut, „besonders jene mit symbiotischen Wurzelbakterien, die Stickstoff aus der Luft banden“ (Seite 31), also Pflanzen aus der Familie der Leguminosen. Bienen und Hummeln fanden bei diesen Pflanzen nahrhafte Pollen und Nektar, bestäubten aber auch die Nutzpflanzen, die auf den nahegelegenen fruchtbaren Böden angebaut wurden.

Die fruchtbaren Böden wurden jahrhundertelang durch die abwechselnden Frucht- folgen der Drei- und Vierfelderwirtschaft gewonnen und lebendig erhalten.

Die Erfindung des Verbrennungsmotors machte die Pferde als Arbeitskraft überflüssig, künstliche, stickstoffbasierte Düngemittel erhöhten die Ernteerträge, die Felderwirt- schaft wurde scheinbar überflüssig und Kleewiesen sowieso, da Pferde keine Rolle mehr spielten. Da auch die Heuwiesen künstlich gedüngt wurden, verschwanden fast alle Wildblumen, zumal durch die Möglichkeit, Winterfutter durch Ensilage zu gewinnen, die Heuwiesen auch viel häufiger als früher gemäht wurden.

Das Thema DDT und den zunehmenden monokulturellen Strukturwandel der Land- wirtschaft lasse ich hier aus. Kurz: Es sah ganz schlecht aus für die Habitate und Überlebensbedingungen der britischen Hummeln, und die Erdbauhummel war bereits ausgestorben.

Langsam setzt jedoch ein Umdenken ein, und inzwischen bekommen die britischen Bauern staatliche Unterstützung dafür, wieder blühende Hecken zu pflanzen und Wildblumenwiesen anzulegen. Dave Goulson versuchte, die Erdbauhummel aus Neuseeland zu „reimportieren“, denn die im 19.Jahrhundert dorthin „ausgewanderten“ Hummeln gedeihen dort nach wie vor – dank ausgedehnter Rotkleefelder.

Aus der überquellenden Wissensfülle dieses wunderbaren Buches kann ich hier nur wenige kleine Appetitanreger servieren.

Hummeln sind sehr relevante Bestäuber zahlreicher menschlicher Nahrungspflanzen. So können z.B. Tomaten und Paprikablüten nur durch Vibrationsbestäubung befruchtet werden, eine Technik, die von den Hummeln besonders gut beherrscht wird.

Faszinierend und auch noch nicht ganz ausgeforscht ist die Fähigkeit der Hummel zu „erriechen“, ob sich zuvor eine andere Hummel oder ein anderes nektarsaugendes Insekt an einer Blüte gütlich getan hat. Denn sie wählen nachweislich d i e Blüte, die Nektar enthält.

Zwischen verschiedenen Pflanzenarten gibt es große Unterschiede darin, wie schnell die Blüte wieder mit Nektar befüllt wird: Borretschblüten brauchen dafür nur zwei Minuten, während Beinwellblüten 40 Minuten brauchen und Hornklee 24 Stunden. Hummeln wissen und erkennen das und können dadurch effizienter Nektar sammeln.

Es gibt auch Hummeln, die schummeln: Wenn der Saugrüssel zu kurz ist, um einen tiefkelchig verborgenen Nektarvorrat zu erreichen, beißt die Hummel seitlich ein Loch in die Blüte und begeht den sogenannten „Nektarraub“.

Hummeln sind nicht kaltblütig, sondern sie haben eine durchschnittliche Körper- temperatur von 35° C und verfügen über eine sehr komplexe Art der Wärmeregulierung, und ihr Pelz dient tatsächlich der Wärmeisolierung.

Der Autor zieht interessante Parallelen zwischen der evolutionären Entwicklung von Bienen und Hummeln aus vegetarischen Abkömmlingen von Wespen und menschlichen Vegetariern und Veganern. Letztere nutzen zur Deckung ihres Proteinbedarfs bevorzugt Hülsenfrüchte (Leguminosen), deren Blüten wiederum besonders proteinreiche Pollen enthalten, die von Bienen und Hummeln bevorzugt gesammelt und an die Brut verfüttert werden.

Hummelköniginnen halten bis zu sieben Monate Winterschlaf. Wenn sie im Frühjahr aus ihrem unterirdischen Schlafplatz hervorkrabbeln, sind sie ausgehungert, und wenn nicht genug Nektarpflanzen zur Verfügung stehen, haben sie ein lebensbedrohliches Problem. Wenn man in dieser Jahreszeit eine erschöpfte Hummel auf dem Boden kriechen sieht, kann man sie mit verdünntem Honig füttern und stärken.

Honig mit etwas Wasser verdünnt, sollte man auf einem kleinen Löffel oder Kronkorken möglichst so anbieten, daß die Hummel nicht in die Flüssigkeit plumpst, sondern nur ihren Saugrüssel eintunken und sich stärken kann.

Dave Goulson gibt sein Wissen und seine Begeisterung in einem heiteren, kompakt-informativen Tonfall wieder. Er ERZÄHLT lebendig und engagiert von der akribischen Hummelerforschung, dem jährlichen Lebenszyklus der Hummel, ihren „Familienverhältnissen“ und von natürlichen und unnatürlichen Feinden der Hummel sowie von ihrem bemerkenswerten Orientierungssinn.

Voller Bewunderung für die erstaunlichen Fähigkeiten der Hummeln und voll demütiger Dankbarkeit für die unermeßliche ökologische Dienst- leistung, die diese Geschöpfe für die menschliche Ernährung erbringen, setzt der Autor sich dafür ein, neue Lebensräume für Hummeln zu schaffen.

„Naturschutz sollte man nicht einfach anderen überlassen.“ (Seite 294), meint Dave Goulson und regt jeden dazu an, einen Beitrag zu leisten und im eigenen Garten und auf Balkon oder Terrasse hummelfreundliche Nektar- pflanzen (Aklelei, Beinwell, Fingerhut, Lavendel, Lupinen, Natternkopf, Stockrosen, Skabiosen…) sowie klassische Kräuter (Oregano, Rosmarin, Salbei, Schnittlauch, Thymian …) zu kultivieren.

„Und sie fliegt doch“ ist ein höchst wissenswertes, lehrreiches Buch von ansteckender Faszination und inspirierender Naturverbundenheit.

„Wenn wir heute lernen, wie man eine Hummel rettet, können wir morgen vielleicht die Welt retten!“
(Seite 311)

Hier entlang zum Buch (inzwischen gibt es nur noch die E-Buchausgabe) und zur Leseprobe auf der Hanser-Verlagswebseite: https://www.hanser-literaturverlage.de/buch/und-sie-fliegt-doch/978-3-446-44039-5/
Oder Sie nehmen die Taschenbuchausgabe erschienen bei List/Ullstein:
https://www.ullstein-buchverlage.de/nc/buch/details/und-sie-fliegt-doch-9783548612812.html

PS:
Bücher können Leben retten: Wenige Stunden nachdem ich das vorliegende Buch ausgelesen hatte (Anfang Mai), fand ich eine geschwächte Hummel auf meiner Türschwelle und wußte, was ich zu tun hatte, um ihr zu helfen. Ich verdünnte in einem Teelöffel etwas Honig mit Wasser, ließ die ermattete Hummel auf meine Hand krabbeln und hielt ihr den Löffeln so hin, daß sie ihren Saugrüssel eintunken konnte. Entzückt beobachtete ich, wie sie aus dem Rüssel eine sehr bewegliche winzige Zunge ausfuhr und offensichtlich trank und nach einer Weile gestärkt von dannen flog.

Der Autor:

»Dave Goulson ist Hummelforscher und einer von Englands bekanntesten Naturschützern. Er ist der Gründer des Bumblebee Conservation Trust. 2013 gewann er den Marsh Prize for Conservation Biology der Zoological Society of London. Sein Sunday Times Bestseller „A Sting in the Tale“ stand auf der Shortlist des Samuel Johnson Prize, des renommiertesten Sachbuchpreises Großbritanniens.«    www.sussex.ac.uk/lifesci/goulsonlab

QUERVERWEIS:

Hier gibt es noch eine sehr informative, naturschützliche und umfängliche Webseite zum Thema Bienen, Hornissen, Hummeln und Wespen:
https://beekarma.wordpress.com

Und hier findet sich noch ein sehr empathischer Bienenroman: Laline Paull: Die Bienen

Die Bienen


Und natürlichDie Geschichte der Bienenvon Maja Lunde:

Die Geschichte der Bienen


Ergänzend bietet sich zudem Dave Goulsons neues Buch „Wildlife Gardening – Die Kunst im eigenen Garten die Welt zu retten“ an: Wildlife gardening

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