Der Oktobermann

  • Eine Tobi-Winter-Story
  • von Ben Aaronovitch
  • Originaltitel: »The October Man«
  • Deutsch von Christine Blum
  • Deutsche Erstausgabe
  • DTV Verlag, September 2019 www.dtv.de
  • 208 Seiten
  • Kurzroman
  • Krimi mit magischen Elementen
  • 8,95 € (D), 9,20 € (A)
  • ISBN 978-3-423-21805-4

M A G I S C H E   W E I N L E S E

Buchbesprechung von Ulrike Sokul ©

Wer mit dem komplexen Hintergrund der siebenbändigen übersinnlichen Krimi-Serie von Ben Aaronovitch noch nicht vertraut ist, möge sich bitte durch die Lektüre meiner Buchbesprechung des ersten Bandes mit der magischen Materie vertraut machen:

Die Flüsse von London

Ben Aaronovitch hat für seine treue deutsche Leserschaft einen magieverdächtigen Kurzkrimi geschrieben, der diesmal nicht in England, sondern in Deutschland spielt. Der deutsche Ermittler und Zauberpolizist heißt Tobias Winter und arbeitet beim KDA, der kriminalistischen Abteilung für „Komplexe und diffuse Angelegenheiten“.

Tobias Winter soll in Trier einem eigenartigen Todesfall auf den Grund gehen und dabei seine kriminalistisch-zauberhaften Spezialkenntnisse und Ermittlungsmethoden anwen-den. Vanessa Sommer, seine örtliche Kollegin von der „normalen“ Polizei, steht ihm hilfreich und ausgesprochen magieaufgeschlossen zur Seite.

Vanessa und Tobias begutachten in der Rechtsmedizin einen Toten, dessen Körper völlig von einem Schlauchpilz überwuchert ist, der im Weinanbau zur Impfung von Weintrau-ben verwendet wird, um die sogenannte Edelfäule anzuregen, die wiederum bei richti- ger Anwendung eine besondere Süße des Weins bewirkt. Menschen werden normaler- weise nicht von „Botrytis cinerea“ befallen, geschweige denn getötet. Es handelt sich eindeutig um einen Mord mit magischer Einflußnahme. Ob die freigelegte Tätowierung auf dem Arm des Opfers, die einen stilisierten Weingott darstellt, ein magischer oder zufälliger Hinweis ist, wird sich im Verlaufe der Fallaufklärung noch zeigen.

Da der Tote am Rande eines Weinbergs gefunden wurde, vernehmen die Ermittler Frau Stracker, die Besitzerin des betroffenen Weinberges. Dabei erfahren sie, daß Frau Strackers Großvater früher alljährlich eine Opfergabe (einige Flaschen Wein) am Flußufer deponiert habe, da er der Überzeugung war, sich solcherart den Segen der Flußgöttin und weitere gute Weinernten zu sichern.

Tobias findet, es sei nun an der Zeit, diese Brauch zu reanimieren, um die Flußgöttin hervorzulocken und sie zu befragen. Nach einigen bezaubernden Treffen mit der recht abweisenden, aber dennoch kooperativen Flußgöttin und ihrem vorwitzigen Nach- wuchs, der aufwendigen Dekontamination eines halben Weinberges, einem weiteren Todesfall sowie  der Verfolgung diverser magischer und menschlicher Spuren erweist sich, daß die Wurzel der aktuellen Probleme in einem halb menschlichen und halb magischen Verbrechen, welches bereits vor Hunderten von Jahren geschah …

„Der Oktobermann“ ist im lockeren, selbstironischen Plauderton, mit leb- haften Dialogen,  phantasievollen Details und süffisanter Kritik an bürokra- tischen Abläufen geschrieben, wie er für Ben Aaronovitch so angenehm bezeichnend ist. Gleichwohl merkt man diesem Kurzroman deutlich an, daß der Autor im deutschen Ambiente nicht wirklich zuhause ist. Es leuchtet beispielsweise nicht ein, wieso er den deutschen Flußgöttinnen (schlag nach bei Wagner) englische Namen gegeben hat, zumal er sich beim restlichen Figurenpersonal durchaus die Mühe gemacht hat, passable deutsche Namen auszuwählen.

Die Geschichte ist trotz des deutlichen Weineinflusses und Weingenusses nicht so flüssig, die Dramaturgie nicht so quecksilbrig und funkensprühend, wie man es aus den vorhergehenden Romanen gewohnt ist. Die Charaktere bleiben blaß, und dementsprechend schwächelt die potentiell vielver- sprechende Beziehungsdynamik zwischen Tobias und Vanessa. Auch die magischen Sonderermittlungsmethoden wurden schon ausführlicher und aufregender dargestellt; gelegentliche nette Anspielungen (nur für Lese- eingeweihte) auf  Peter Grant und Thomas Nightingale, die in den anderen Bänden der Serie magisch maßgeblich sind, verstärken diese Schwach- stellen eher noch.

„Der Oktobermann“ ist im Vergleich zu  Ben Aaronovitchs Vorgängerro- manen kein raffiniertes Fünf-Gänge-Menü, sondern ein unterhaltsamer, maßvoll spannender, leicht verdaulicher Leseimbiß mit etwas provin- ziellem Nachgeschmack.

Hier entlang zum Buch und zur LESEPROBE auf der Verlagswebseite:
https://www.dtv.de/buch/ben-aaronovitch-der-oktobermann-21805/

Der Autor:

»Ben Aaronovitch wuchs in einer politisch engagierten, diskussionsfreudigen Familie in Nordlondon auf. Er hat Drehbücher für viele TV-Serien, darunter „Doctor Who“ geschrieben und als Buchhändler gearbeitet. Seine Urban-Fantsay-Serie „Die Flüsse von London“ ist nicht nur in Großbritannien, sondern auch in Deutschland sensationell erfolgreich und führt regelmäßig die Bestsellerlisten an. Inzwischen widmet sich Ben Aaronovitch ganz dem Schreiben, zur Freude seiner zahlreichen Fans. Er lebt nach wie  vor in London.«

Hier entlang zu den Vorgängerbänden:

Band 1: DIE FLÜSSE VON LONDON Die Flüsse von London
Band 2: SCHWARZER MOND ÜBER SOHO Schwarzer Mond über Soho
Band 3: EIN WISPERN UNTER BAKER STREET Ein Wispern unter Baker Street
Band 4: DER BÖSE ORTDer böse Ort
Band 5: FINGERHUT-SOMMER Fingerhut-Sommer
Band 6: DER GALGEN VON TYBORN Der Galgen von Tyburn
Band 7: DIE GLOCKE VON WHITECHAPEL Die Glocke von Whitechapel
Band 8: EIN WEISSER SCHWAN IN TABERNACLE STREET Ein weißer Schwan in Tabernacle Street
Band 9: DIE SILBERKAMMER IN DER CHANCERY LANE Die Silberkammer in der Chancery Lane

Hier entlang zu einer kurzen Peter-Grant-Geschichte, etwas außerhalb der Reihe:
GEISTER AUF DER METROPOLITAN LINE/Eine Peter-Grant-Story
Geister auf der Metropolitan Line
Hier entlang zu einer Peter-Grant-Kurzgeschichten-Sammlung: 
DER GEIST IN DER BRITISH LIBRARY UND ANDERE GESCHICHTEN AUS DEM FOLLY 
Der Geist in der British Library

Hier entlang zu einer Abzweigungsgeschichte mit Peter Grants magisch hochbegabter Cousine Abigail und vielen sprechenden Füchsen:
DIE FÜCHSE VON HAMPSTEAD HEATH/Eine Abigail-Kamara-Story
Die Füchse von Hampstead Heath

Hier entlang zur interessanten und informativen DTV-Webseite zur Peter-Grant-Serie:
https://www.dtv.de/special-ben-aaronovitch-urban-fantasy/startseite/c-184

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Rotkäppchen hat keine Lust

  • Bilderbuch
  • von Sebastian Meschenmoser
  • Thienemann Verlag  September 2016
  • https://www.thienemann-esslinger.de/thienemann/
  • gebunden, Fadenheftung
  • Format: 21,5 x 28 cm
  • 32 Seiten
  • durchgehend farbig illustriert
  • 12,99 € (D), 13,40 € (A), 18,90 sFr.
  • ISBN 978-3-522-45827-6
  • ab 4 Jahren
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UNGEZOGENES  ROTKÄPPCHEN

Bilderbuchbesprechung von Ulrike Sokul ©

Als altes Märchen hat man es heute nicht leicht. Immer wieder wird man persifliert, anders interpretiert und illustrativ neu tapeziert! Gleichwohl funktioniert dies nur, wenn man das Original kennt. Also dient es doch dem Erhalt und der wertvollen Weitergabe der Märchenkultur.

Sebastian Meschenmoser, der seine Bilderbücher selber zeichnet und schreibt, ist mir mit seinen genialen Herr-Eichhorn-Bilderbüchern (siehe die unten unter Querverweis eingefügten Besprechungslinks) bereits sehr ans Rezensentenherz gewachsen.

In diesem Bilderbuch beginnt das Märchen mit der Wolfsperspektive. Der Wolf ist einsam, hungrig und verbittert und erinnert sich an das Rezept seiner Großmutter, bei Bitterkeitsgefühlen ein süßes Kind zu verspeisen. Also verläßt er seine schützende Höhle und legt sich am Rande eines Waldweges auf die Lauer.

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Illustration von Sebastian Meschenmoser © Thienemann Verlag 2016

Er feilt noch an einem raffinierten Ansprechspruch, als auch schon ein ziemlich energisch ausschreitendes kleines Mädchen mit rotem Käppchen und Korb vorbeisaust. Auf die Frage des Wolfs, wohin sie denn wolle, antwortet das mürrische Kind, es besuche seine Großmutter zum Geburtstag. Sie beklagt sich, ihr ganzer Sonntag sei verschwendet, weil sie ihre verrückte Oma besuchen müsse, die einsam mitten im Wald wohne, in Gesellschaft zahlloser Hühner und langweiliger Fotoalben.

Galant fragt der Wolf nach den Geschenken, die sie wohl im Korb mitbringe. Als das Mädchen „einen Ziegelstein, eine Socke und einen Kaugummi“ aufzählt, ist der Wolf entsetzt. Sogleich pflückt er einen schönen, bunten Waldblumenstrauß zusammen und belehrt das ungezogene Enkelkind darüber, was angemessene Geburtstagsgeschenke für eine alte Dame seien. Widerwillig schaut das Rotkäppi zu, wie der Wolf einen Kuchen backt und auch noch eine Flasche guten Weins organisiert.

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Illustration von Sebastian Meschenmoser © Thienemann Verlag 2016

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Illustration von Sebastian Meschenmoser © Thienemann Verlag 2016

Gemeinsam besuchen sie nun endlich die Großmutter, die sich sehr über die schönen Gaben und den haarigen Überraschungsgast freut. Während sich Großmutter und Wolf blendend verstehen, Kuchen und Wein genießen, Fotoalben durchblättern und sich köstlich amüsieren, schmollt das Mädchen vor sich hin, ärgert sich über den aus ihrer Sicht verschwendeten Sonntag und verläßt griesgrämig die heitere Runde.

Spät in der Nacht bringt der Wolf die Großmutter zu Bett und nimmt gerne ihr Angebot an, bei ihr einzuziehen. Von nun an backt er täglich einen Kuchen, die Großmutter zeigt ihm, wie man Socken strickt, und beide hungern fortan weder nach unterhaltsamer Gesellschaft noch nach leckeren Speisen.

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Illustration von Sebastian Meschenmoser © Thienemann Verlag 2016

Und das kleine Mädchen zieht in die verlassene Wolfshöhle und wird eine gefürchtete Räuberin, die jeden Sonntag frei hat …

Auch in seinem neuen Bilderbuch zeigt sich Sebastian Meschenmosers bewundernswerte Gabe, mit Bildern und mit Worten malen zu können. Gestik und Mimik der Charaktere sprechen lebhaft für sich selbst. Der Text umrahmt augenzwinkernd die Zeichnungen und ergänzt humorvoll und märchenironisch, was nicht in Bildersprache dargestellt wird.

Herr Eichhorn muß sich in dieser Geschichte mit einer Rolle als Kulissenfigur bescheiden, aber immerhin hat er zwei Auftritte.

Diese unkonventionelle Märchenversion, in der das Rotkäppchen verwildert und der Wolf vermenschlicht, ist eine amüsante und anregende Bereicherung der Märchenleseperspektive.



Hier entlang zum Buch auf der Verlags-Webseite:
https://www.thienemann-esslinger.de/thienemann/buecher/buchdetailseite/rotkaeppchen-hat-keine-lust-isbn-978-3-522-45827-6/

 

Der Autor und Illustrator:

»Sebastian Meschenmoser wurde 1980 in Frankfurt am Main geboren. Er studierte freie bildende Kunst in Mainz, lebt und arbeitet in Berlin. Mit „Fliegen lernen“  veröffentlichte er 2005 bei Esslinger sein erstes Bilderbuch, das sofort viel Beachtung fand. Sein zweites Buch „Herr Eichhorn und der Mond“, der erste Band der erfolgreichen Reihe, wurde 2007 für den Jugendliteraturpreis nominiert. Inzwischen erschienen neun Bilderbücher, zuletzt „Gordon und Tapir“, ebenfalls nominiert für den Jugendliteraturpreis 2015 in der Sparte  Bilderbuch.«

Querverweise zu den fünf Herr-Eichhorn-Bilderbüchern:

HERR EICHHORN UND DER MOND
https://leselebenszeichen.wordpress.com/2014/08/19/herr-eichhorn-und-der-mond/
HERR EICHHORN UND DER ERSTE SCHNEE
https://leselebenszeichen.wordpress.com/2014/08/21/herr-eichhorn-und-der-erste-schnee/
HERR EICHHORN UND DER BESUCHER VOM BLAUEN PLANETEN
https://leselebenszeichen.wordpress.com/2014/08/28/herr-eichhorn-und-der-besucher-vom-blauen-planeten/
HERR EICHHORN WEISS DEN WEG ZUM GLÜCK
https://leselebenszeichen.wordpress.com/2014/08/26/herr-eichhorn-weis-den-weg-zum-gluck/
HERR EICHHORN UND DER KÖNIG DES WALDES
https://leselebenszeichen.wordpress.com/2015/09/22/herr-eichhorn-und-der-koenig-des-waldes/

Querverweis zu zwei weiteren Rotkäppchen-Bilderbuch-Variationen:

Die Katze, der Hund, Rotkäppchen, die explodierenden Eier, der Wolf und Omas Kleiderschrank:

Die Katze, der Hund, Rotkäppchen, die explodierenden Eier, der Wolf und Omas Kleiderschrank


Der liebste Wolf der Welt

Der liebste Wolf der Welt

 

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