Dann gehe ich jetzt, sagte die Zeit

  • Text von Bettina Obrecht
  • Bilder von Julie Völk
  • TULIPAN Verlag, Februar 2020 http://www.tulipan-verlag.de
  • gebunden
  • Fadenheftung
  • 40 Seiten
  • Format: 21 x 28 cm
  • durchgehend vierfarbig
  • 15,00 € (D), 15,50 € (A)
  • ISBN 978-3-86429-461-7
  • Bilderbuch ab 5 Jahren

Z E I T  F Ü R  D I E  Z E I T

Bilderbuchbesprechung von Ulrike Sokul ©

Lara kann die Zeit wahrnehmen und wertschätzen, ja, Lara und die Zeit sind sogar mit-einander befreundet. Ein Sonntag bei Laras Familie: Die Familienmitglieder vertreiben sich die Zeit: Der Großvater löst Zahlenrätsel, die Eltern schauen sich ein Tennisspiel im Fernsehen an, Laras ältere Geschwister langweilen sich und spielen an ihren Handys herum. Damit wollen sie alle die Zeit totschlagen. Kein Wunder, daß die Zeit daraufhin das Haus verläßt und sich eine bessere Bleibe sucht.

Lara macht sich auf die Suche nach der Zeit und trifft auf Menschen, die einfach keine Zeit haben oder behaupten, Zeit sei Geld. Insbesondere letzteres kann Lara nicht glauben, denn für sie duftet die Zeit nach Blumen. Im Park findet sie die Zeit, die gemüt- lich auf einer Parkbank sitzt und sich über Laras Gesellschaft freut. Doch auch im beschaulichen Park rasen Radfahrer um die Wette und Läufer messen ihre Laufge-schwindigkeit.

Die Zeit macht sich wieder auf den Weg und bietet Lara einen Wettlauf an. Lara läuft los und ist zunächst schneller als die Zeit, aber sie wird nach und nach müde, läuft immer langsamer, und die Zeit überholt sie schließlich lächelnd und entschuldigt sich für das unfaire Spiel. Denn einen Wettlauf gegen die Zeit kann niemand gewinnen.

Zum Ausgleich trägt die Zeit Lara ein Stück des Weges und dann lassen sie sich am Flußufer nieder. Sie sitzen zusammen auf einem glatten Stein. Die Zeit wirft Stöckchen ins Wasser und merkt an, daß sie wie der Fluß sei: „Er ist wie ich. Immer geht er weg und immer ist er da.“ Einvernehmlich schweigen die beiden daraufhin miteinander, sind einfach da, einfach lebendig und anwesend.

Illustration von Julie Völk © TULIPAN Verlag 2020

Bettina Obrecht fügt für diese Geschichte leichte Worte zu leisen Sätzen und ruhigen Dialogen, die geläufige Redewendungen über die Zeit bedenkenswert in Frage stellen. In Verbindung mit den feinfühligen und bleistiftzärtlichen Illustrationen Julie Völks bietet sich hier eine poetische Bilderbuchmeditation über achtsame Gegenwärtigkeit und lebensbereichernde Präsenz, die nicht nur Kindern Entschleunigungsimpulse vermitteln dürfte, sondern durchaus auch Erwachsenen.

Julie Völk gibt der Zeit eine federleichte, transparente Gestalt, die nicht wirklich greifbar erscheint. Diese Gestalt erinnert an einen übergroßen Pusteblumensamen, hat gleich- wohl ein Gesicht, angedeutete Arme und Hände sowie Beine und Füße und trägt rote Schuhe. Dies ist eine stimmige und kindgemäße Darstellung des flüchtig-vorbeiwehen- den Wesens der Zeit.

Fraglich bleibt indes, ob die prinzipiell lobenswerte pädagogisch-philosophische Absicht der Autorin die Abstraktionsfähigkeit eines fünfjährigen Kindes nicht überfordert, sondern vielmehr den Rahmen der entwicklungspsychologischen Möglichkeiten sprengt.

Lassen Sie sich jedoch einfach Zeit, und entdecken Sie mit ihrem Kind das Leben im Jetzt!

 

Hier entlang zum Buch und zur LESEPROBE auf der Verlagswebseite:
https://tulipan-verlag.de/dann-gehe-ich-jetzt-sagte-die-zeit/

 

Die Autorin:

»Bettina Obrecht, geb. 1964, hat über fünfzig Kinder- und Jugendbücher veröffentlicht. Sie schreibt auch Texte für den Rundfunk und Geschichten für Erwachsene und übersetzt Bücher. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Hessen.« http://www.bettinaobrecht.de/

Die Illustratorin:

»Julie Völk hat in Hamburg Illustration studiert und einen ganz eigenen, sehr feinen und sensiblen Stil entwickelt. Ihre Bücher wurden vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Troisdorfer Bilderbuchpreis. Sie lebt und arbeitet nahe Wien.« http://julievoelk.de/

Querverweis:

Hier entlang zu Julie Völks eigenen Bilderbüchern:

 „Guten Morgen, kleine Straßenbahn!“
https://leselebenszeichen.wordpress.com/2016/09/04/guten-morgen-kleine-strassenbahn/
„Stille Nacht, fröhliche Nacht“
https://leselebenszeichen.wordpress.com/2017/12/18/stille-nacht-froehliche-nacht/
Wenn ich in die Schule geh, siehst du was, was ich nicht seh
https://leselebenszeichen.wordpress.com/2018/10/28/wenn-ich-in-die-schule-geh-siehst-du-was-was-ich-nicht-seh/

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Das kleine weiße Pferd

  • von Elizabeth Goudge
  • Die englische Originalausgabe erschien 1946
  • unter dem Titel »The Little White Horse«
  • bei University of London Press Ltd.
  • Aus dem Englischen von Sylvia Brecht-Pukallus
  • Mit den Illustrationen der englischen Originalausgabe
  • von C. Walter Hodges
  • Umschlagillustration von Robin Corfield
  • Neuausgabe August 2018 Verlag Freies Geistesleben www.geistesleben.com
  • gebunden
  • 320 Seiten
  • mit LESEBÄNDCHEN
  • 16,00 € (D)
  • ISBN 978-3-7725-2723-4
  • Kinderbuch ab 9 oder 10 Jahren (für versierte Leser)
  • sonst eher ab 11 oder 12 Jahren

MO N D L I C H T Z A U B E R

Kinderbuchbesprechung von Ulrike Sokul ©

Braucht ein Kinderbuchklassiker noch eine weitere Empfehlung, wenn es das öffentlich erklärte Lieblingskinderbuch von Joanne K. Rowling ist? Ich finde eine etwas ausführ-lichere Empfehlung meinerseits indes durchaus angebracht und mache mich gerne und mit Vergnügen ans Werk.

Die dreizehnjährige Maria Merryweather reist im Jahre des Herrn 1842 mit ihrer Gouver-nante Miss Jane Heliotrope und Wiggins, ihrem verwöhnten King-Charles-Spaniel, von London nach Devonshire. Nach dem Tod ihres Vaters – die Mutter starb schon, als Maria noch ein Säugling war – hat ihr Vetter zweiten Grades, Sir Benjamin Merryweather, Maria eingeladen, auf seinem Herrensitz Moonacre Manor zu leben.

Auf dem Weg zu ihrem neuen Zuhause fährt die Kutsche durch den weitläufigen nächt-lichen Park von Moonacre Manor, und auf einer mondbeschienenen Lichtung erspäht Maria flüchtig ein kleines weißes Pferd, das einige Tage später in einem dramatischen Moment eine wegweisende Rolle spielen wird.

Schon bald werden die Damen nebst Hündchen sehr warmherzig von Sir Benjamin Merryweather im Herrenhaus empfangen. Maria und ihr Vetter sind sich auf den ersten Blick sympathisch, und auch Miss Heliotrope fühlt sich herzlich angenommen. Maria wird ein schön eingerichtetes Turmzimmer zugewiesen, das für ihre zierliche, beinahe feenhafte Gestalt maßgeschneidert zu sein scheint. Es hat eine gerippte Gewölbedecke, in deren Mitte eine von Sternen umrahmte Mondsichel eingemeißelt ist.

Illustration von C. Walter Hodges © Verlag Freies Geistesleben 2018

Die anfängliche Sorge, das Landleben könne unbequem sein, erweist sich als gänzlich unbegründet. Das Anwesen ist wunderschön und von vielen Gärten und einem groß- zügigen Park umgeben, und der eigenwillige, zwergenhafte Küchenchef Marmaduke Scarlet zaubert die köstlichsten Speisen.

Obwohl sich Sir Benjamin und Marmaduke Scarlet auf ihre chronisch-junggesellige Art rühmen, daß seit zwanzig Jahren kein weibliches Wesen mehr auf Schloß Moonacre weilte, sind sie doch sehr freundlich zugewandt und aufmerksam gegenüber Maria und Miss Heliotrope und bemühen sich ebenso sehr um ihre Behaglichkeit wie um ihre Zerstreuung.

Äußerst verständige Tiere gehören ebenfalls zum Haushalt; da wären der prächtige Kater Zacharias, der sogar schreiben kann, Wrolf, ein sehr, sehr großer Hund, der eigentlich ein Löwe ist, die weiße Häsin Serena sowie einige Pferde und Ponys.

Maria fühlt sich schnell heimisch. Sir Benjamin zeigt ihr das nahegelegene Dorf Silvery-dew, und nach dem ersten Sonntagsgottesdienst lernt sie den unkonventionellen und musikalischen Pfarrer, Louis de Fontanelle, kennen und schätzen. Im Hirtenjungen Robin findet sie einen treuen Freund und Helfer, und Robins Mutter Loveday ist beinahe so etwas wie eine gute Fee, auch wenn sie ganz menschlich ist.

Illustration von C. Walter Hodges © Verlag Freies Geistesleben 2018

Zunächst erscheint alles in geradezu paradiesischer Harmonie, doch nach und nach zeigt sich, daß sich schlechte Taten aus lang vergangener Zeit bis in die Gegenwart als böse Schatten, Unfrieden und Gefahr für das liebliche Tal und seine Bewohner auswirken.

In der Dorfkappelle betrachtet Maria die lebensgroße Steinskulptur, die den Sarkophag ihres Urahnen Sir Wrolf Merryweather bedeckt. Die Skulptur zeigt einen Ritter in voller Montur, mit einem echten, eisernen Schwert an seiner Seite.

Vor vielen Jahrhunderten eignete sich dieser Urahn aus Habgier das Grundstück und das fruchtbare Weideland des nahegelegenen Klosters, das auf dem Paradiesberg rund um eine heilige Quelle errichtet worden war, widerrechtlich an. Die Mönche wurden vertrie-ben und das Kloster verfiel.

Außerdem trug Sir Wrolf Merryweather eine langjährige, erbitterte Fehde mit Sir William Cocq de Noir aus, dem die Kiefernwälder gehörten, die hinter Schloß Moonacre zur Bucht von Merryweather führen. Im Verlauf dieser Auseinandersetzungen gab es böse Kämpfe, Hinterlist, wahre und unwahre Liebe, tragische Mißverständnisse und ungeklärte Todesfälle.

Eine Folge dieser historischen Altlast ist, daß die Nachfahren von Sir William Cocq de Noir den Bewohnern von Silverydew den Zugang zum Meer verwehren und daß sie sich dreist räuberisch an den Feldfrüchten der Dorfbewohner bedienen und hemmungslos überall grausame Fallen aufstellen und wildern.

In jeder Merryweather-Generation, so geht die Sage, gäbe es eine Mondprinzessin, in deren Herz und Hand es läge, diese familiäre Verstrickung zu lösen und eine Aus- söhnung herbeizuführen. Bisher ist dies jedoch immer mißlungen.

Maria hegt nicht den geringsten Zweifel daran, daß es nun ihre Aufgabe sei, diese ver-worrenen Konflikte zu bereinigen, und sie bekommt von Robin, Loveday, dem Pastor und den weisen Tieren lebhafte Unterstützung. Sie muß nun Geheimisse entschlüsseln und sich Gefahren stellen, ihre Angst überwinden und auch ihren eigenen Stolz. Doch dank ihres gesunden Menschenverstandes und ihrer Intuition findet sie einen für alle gangbaren Weg des Ausgleichs und der Versöhnung – aus Feinden werden Freunde und gute Nachbarn und schließlich werden viele Herzen geheilt …

„Das kleine weiße Pferd“ ist ein niveauvolles Kinderbuch, das mit vielschichtigen inhalt-lichen und sprachlichen Feinheiten sowie fantasievollem Detailreichtum aufwartet. Die verschnörkelt abzweigungsreiche Geschichte wird mit beschaulicher Spannung und Dramaturgie gemächlich erzählt – von andante zu andantino bis zum abschließenden Gloria tutti.

Illustration von C. Walter Hodges © Verlag Freies Geistesleben 2018

Dieses Buch ist im Jahre 1946 erschienen und verfügt über einen überaus reizvoll-blumigen altmodischen Charme. Den sinnlichen und appetitanregenden Beschreibun- gen der Speisen kann man eine Wertschätzung für Nahrungsmittel ablesen, die sich gewiß aus der Erfahrung der Autorin mit kriegs- und nachkriegsbedingter Nahrungs- mittelknappheit speist.

Die feinlinierten, an alte Stiche erinnernden Schwarz-Weiß-Illustrationen von C. Walter Hodges geben die dunkel-geheimnisvollen und gemütlich-heiteren Aspekte der Hand- lung textgetreu wieder. Das vordere Vorsatzblatt ziert eine detailgetreue Zeichnung des Moonacre Anwesens und das hintere Vorsatzblatt eine Übersichtskarte mit den wesent-lichen Schauplätzen rund um Moonacre. Die feenstaubig-silbrigen Glitzereffekte auf dem Buchdeckel passen vorzüglich zum zauberhaften Buchinhalt.

Die Handlung spielt im 19. Jahrhundert, und dementsprechend sind die Umgangsformen und die Geschlechterrollen ausgestaltet. Drei misogyne Bemerkungen aus launiger Jung-geselligkeit kann auch die heutige Leserin gelassen und traumafrei abperlen lassen, zu-mal die Herren sich in ihrem tatsächlichen Handeln gegenüber Frauen als durchwegs freundlich, gütig und zugeneigt erweisen.

Maria Merryweather ist ein selbstbewußtes, sensibles und neugieriges Mädchen. Sie ist feenhaft zart und zugleich tapfer, trotz kleiner Eitelkeiten nicht oberflächlich, sondern mitfühlend und hilfsbereit. Ihre blaublütig edle Gesinnung verträgt sich durchaus mit ganz natürlicher, leiblich-kulinarischer Genußfreude.

Der Schauplatz des Geschehens ist märchenhaft zeitlos. Das Reich von Moonacre verfügt über Daseinsbedingungen, die man sonst eher dem Feenreich zuordnet; so blühen jahreszeitenübergreifend alle möglichen Blumen, und Ebereschen tragen schon im Früh-jahr rote Beeren. Es gibt ganz selbstverständlich zwergenhafte Hausbedienstete, und Tieren wird großer Respekt entgegengebracht – wenn man einmal großzügig darüber hinwegsieht, daß bei den ausgiebigen Mahlzeiten doch recht viel Fleisch verzehrt wird.

Obwohl die Menschen in diesem Buch dem christlichen Glauben angehören, ist die Geschichte mit zahlreichen, sehr naturverbundenen, vorchristlich-keltischen Symbolen verflochten. Die Beschreibungen der häuslichen und landschaftlichen Kulissen sind von lebhaftester Anschaulichkeit und erfüllt von einer geheimnisvollen mythischen Präsenz.

Gleichwohl geht die stärkste Ausstrahlungskraft von der meisterlichen Charakterzeich-nung der Figuren aus. Die differenzierte, köstlich-augenzwinkernde Darstellung der Personen zeugt von großer Menschenkenntnis und bereitet ein delikates Lesevergnü- gen. Es ist wunderbar, wie Elizabeth Goudge wechselwirksam vom Inneren zum Äußeren und vice versa der verschiedenen Persönlichkeiten berichtet – so entsteht eine gleichsam greifbare Nähe zu den Charakteren. Sie bleiben uns durch ihre zwischen- menschliche Einzigartigkeit in unvergeßlich-leuchtender Leseerinnerung.

 

»Sie (Maria) ging von einer Ecke zu anderen, legte ihren Mantel, ihr Häubchen und den Muff in eine der Truhen, strich vor dem Spiegel ihr Haar glatt, wusch sich die Hände in dem Wasser, das sie aus der kleinen Silberkanne in die Silberschale goss,und berührte all die schönen Dinge mit den Fingerspitzen, als könnte sie sich mit dieser Liebkosung in ihrem Herzen bei den Menschen bedanken, die das alles geschaffen und hergerichtet hatten.«  (Seite 35)

 

Hier entlang zum Buch auf der Verlagswebseite: https://www.geistesleben.de/Buecher-die-mitwachsen/Kinderbuch/Das-kleine-weisse-Pferd.html

Die Autorin:

»Elizabeth Goudge (1900 – 1984), war als Kunstgewerbelehrerin tätig, bis sie das Schreiben als ihren Beruf erkannte. Ihr erster Roman Inselzauber erschien 1934. Seither sind ihre Bücher in Millionen Exemplaren in der ganzen Welt erschienen.«

 

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Der Nachtgärtner

  • von Terry Fan und Eric Fan
  • Originaltitel: »The Night Gardener«
  • Übersetzung aus dem Englischen von Edmund Jacoby
  • Verlagshaus Jacoby & Stuart    August 2016   www.jacobystuart.de
  • gebunden, Fadenheftung
  • 48 Seiten
  • Format: 21,6 x 30,5 cm
  • 14,95 € (D), 15,40 € (A)
  • ISBN 978-3-946593-03-4
  • Bilderbuch ab 5 Jahren
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B L Ä T T E R T I E R E

Bilderbuchbesprechung von Ulrike Sokul ©

Dieses feine Bilderbuch mit seinem geheimnisvoll-märchenhaften Titelbild ist eine Einladung zum Träumen, und Träume sind bekanntlich ein guter Dünger nicht nur für Nachtgärtner, sondern auch für die Gestaltungskräfte des eigenen Lebens.

Ein Baum, dessen Laubkrone zu einer weisen Eule geformt ist, ein kleiner Junge, der andächtig vor dem Eulenbaum steht, die ganze Szenerie eingetaucht in nächtlich-vollmondliche, kühle Grüntöne. Dazu die silbernen Lettern der Buchbeschriftung und eine angenehm griffige Papierqualität – das ist ein stilvoller und verheißungsvoller Bilderbucheinstieg.

William lebt in einem Waisenhaus in der ergrauten, angestaubten Kleinstadt Grimloch. Er sitzt auf einem abgesägten Baumstamm im Vorgarten dieses Waisenhauses und zeichnet mit einem Stock eine Eule in den Gartenboden. Unauffällig geht ein älterer Herr mit einer Leiter und einer großen Umhängetasche vorbei. Das einzig Auffällige an ihm ist ein grünes Blatt, das aus der Brusttasche seines Jacketts hervorlugt.

In der folgenden vollmonderleuchteten Nacht packt der ältere Herr seine Tasche aus, und wir bekommen ein Sortiment von Gartenscheren zu sehen, die er sorgfältig prüft. Seine Leiter steht bereits angelehnt an einem Baum. Auf der folgenden Bilderbuchseite erkennen wir, daß er an einem der großen Bäume im Garten des Waisenhauses arbeitet.

Am nächsten Morgen entdeckt William den Baum, dessen Krone sich in die Gestalt einer Eule verwandelt hat. William ist völlig hingerissen und kann sich kaum sattsehen; er spürt, daß dies der Anfang einer weitreichenden, erfreulichen Lebensveränderung ist.

Jeden Tag finden sich neue in Tierskulpturen umgestaltete Baumkronen: eine Katze, ein Kaninchen, ein Papagei und sogar ein kleiner Elefant. William ist nicht der einzige, der aus dem Staunen nicht mehr herauskommt. Viele Menschen bewundern die Baumkunstwerke, und nach und nach wird die Welt farbenfroher und die Stadtbewohner mitteilsamer. Die Menschen lächeln, plaudern, tragen bunte Kleidung – kurz: Die Stimmung wird einfach besser.

Als der geheimnisvolle Nachtgärtner sein Meisterwerk – einen Drachen aus zwei miteinander verbundenen Baumkronen – geschaffen hat, feiern die Bewohner von Grimloch ein ausgedehntes Freudenfest. So geschieht es, daß sich auch William erst weit nach Sonnenuntergang auf den Heimweg macht, und dabei beobachtet er einen älteren Herrn, der eine Leiter auf der Schulter trägt. William schöpft Verdacht und folgt dem Herrn, der auf dem Weg zum Stadtpark ist. Freundlich wendet er sich William zu und sagt, daß er angesichts der vielen Bäume im Park gut und gerne ein wenig Unterstützung brauchen könne.

Die ganze Nacht arbeitet William nun mit dem Nachtgärtner an der Verwandlung der Baumkronen in vielerlei Tiergestalten. William schläft schließlich erschöpft ein, und der Nachtgärtner setzt ihn behutsam am Fuße eines Baumstammes ab. Als William von den fröhlichen Stimmen der Kinder, die mit ihren Eltern durch den Park spazieren, erwacht, findet er eine Gartenschere, an deren Griff ein Schildchen hängt: „Für William“.

der-nachtgaertner-innenabbildung-park-im-herbst

Illustration von Terry Fan © Verlagshaus Jacoby & Stuart 2016

Im Herbst lösen sich die Tiergestalten mit dem Fallen der Blätter auf, und im Winter ist den kahlen Baumstämmen nicht mehr anzusehen, welche Blättertierverkleidung sie im Sommer trugen. Gleichwohl ist die ganze Stadt nachhaltig verwandelt, das emotionale Klima freundlicher, und William tritt im nächsten Sommer mit dem größten Vergnügen sein geheimes Erbe als Nachtgärtner an …

In diesem Buch wird fast alles von den feingezeichneten, atmosphärischen Bildern erzählt. Der leise Text erscheint beiläufig, gibt kleine Hinweise in einfachen Worten, die mehr andeuten als ausplaudern, und dies paßt schön zu den ausdrucksstarken Bildern, die sehr gut und traumzauberhaft für sich selbst sprechen.

Im Bilderbuch „Der Nachtgärtner“ zeigt sich anschaulich die Überwindung von Trübsinn und Einsamkeit durch die Schönheit der Natur und die Gestaltungskraft des Träumens. Sowohl für Kinder als auch für Erwachsene ist dies ein lobenswerter und schöner Hinweis auf die Macht der Selbstwirksamkeit bei Alltäglichkeiten und Wundern.

Hier entlang zum Buch und zur Leseprobe auf der Verlagswebseite:

Der Nachtgärtner


Die Autoren und Illustratoren:

»Eric Fan ist ein Künstler und Schriftsteller, der in Toronto, Kanada, lebt. Er studierte Illustration, Bildhauerei und Film am Ontario College of Art and Design. Er hat ein ausgesprochenes Faible für mechanische Uhrwerke und unmögliche Träume.«
Mehr auf: http://www.krop.com/opifan64/

»Terry Fan hat am Ontario College of Art and Design in Toronto, Kanada, seine Ausbildung erhalten. Seine Kunst ist eine Mischung aus traditionellen Tusche- oder Graphitzeichnungen und digitaler Technik. Er verbringt seine Tage und Nächte damit, magische Illustrationen zu kreieren.« Mehr auf: http://www.krop.com/terryfan/#/

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