Die Silberkammer in der Chancery Lane

  • Band 9 der übersinnlichen Peter-Grant-Reihe
  • von Ben Aaronovitch
  • Originaltitel: »Amongst Our Weapons«
  • Deutsche Übersetzung von Christine Blum
  • Deutsche Erstausgabe
  • DTV Verlag, April 2022 www.dtv.de
  • Klappenbroschur
  • Format: 13,5 x 21 cm
  • 416 Seiten
  • 15,95 € (D), 16,40 € (A), 21,50 sFr.
  • ISBN 978-3-423-26331-3

Die Silberkammer in der Chancery Lane (Peter-Grant-Serie, Band 9).klein

DAS  GEWISSE  MAGISCHE  ETWAS  NR. 9

Rezension von Ulrike Sokul ©

Wenn Sie die Peter-Grant-Reihe noch nicht kennen, sollten Sie zunächst meiner Be-sprechung des ersten Bandes einen aufmerksamen Lesebesuch abstatten, um sich mit den außergewöhnlichen, übersinnlichen Rahmenbedingungen dieser Kriminalromane vertraut zu machen: Die Flüsse von London Also nicht nur anklicken, auch lesen, wenn ich bitten darf … ich warte hier solange gaaaanz geduldig auf Ihre Rückkehr … hmhm – sehr brav … also weiter im Text:

Der attraktive und sympathische Police Detective Peter Grant arbeitet – wie Sie ja hof-fentlich inzwischen wissen – für eine Sonderabteilung der Londoner Metropolitan Police, und er befindet sich, trotz seiner inzwischen beachtlichen magischen Berufserfahrung, nach wie vor in der Weiterbildung zum zauberkundigen Ermittler. Gemeinsam mit seinem Vorgesetzten, Meister und Ausbilder, dem stilvollen Gentleman-DCI Thomas Nightingale, bemüht er sich darum, weitere Kollegen und Kolleginnen für die magische Abteilung zu finden und auszubilden.

Denn: Erstens gibt es immer wieder magieverdächtige Kriminalfälle, zweitens ist die konventionelle Polizei der Zusammenarbeit mit der geheimen Sonderabteilung inzwischen deutlich zugeneigter, und drittens steht Peter Grant kurz vor dem Beginn seiner Elternzeit. Peter ist mit der Flußgöttin Beverley Brook verheiratet und das gemischt-magische Pärchen erwartet die Geburt von Zwillingen.

Die Londoner Flußgöttinnen erscheinen in ganz irdischer menschlich-körperlicher Gestalt, und sie üben auch ganz normale Berufe aus. Beverley absolviert beispielsweise gerade ein Studium, das Bezug zur Gewässerökologie hat. Indes sollte man die elemen- taren Kräfte dieser Flußgöttinnen und ihre weitverzweigten, mäandernden verwandt- schaftlichen Netzwerke keineswegs unterschätzen – da kann es durch emotionalen Aufruhr oder mangelhafte Huldigungen schon mal zu Überschwemmungen oder übersprudelnden Hydranten kommen.

Dementsprechend aufwendig sind die Vorbereitungen und Vorsichtsmaßnahmen für die Niederkunft der göttlich-menschlichen Zwillinge. Denn ein normales Geburtsbecken in einer Klinik genügt nicht. Doch dies sind harmlose Nebenschauplätze, um die sich mit zuverlässigem organisatorischen Weitblick Beverleys flußgöttliche Verwandtschaft kümmert.

Nun zurück zu Peter Grants Arbeit. Damit DCI Nightingale nicht ganz ohne magische Unterstützung bleibt, wenn sich Peter den Vaterfreuden widmet, wird Peters Kollegin Sahra Guleed zur würdigen Vertreterin geschult, und zudem gibt es neuerdings auch Danni, eine aufgeschlossene und effiziente Praktikantin, welche die vorübergehende Mitarbeit bei der magischen Polizeiabteilung interessanter findet als normale Fortbildungen.

Folgender magieverdächtiger Fall beschäftigt nun Peter, Nightingale, Guleed und Danni:
In den London Silver Vaults, einer unterirdischen Hochsicherheits-Einkaufspassage, in der traditionell Silberhändler ihre Waren feilbieten, kam es zu einem schauerlichen Mord. Der einzige Augenzeuge hat nichts gesehen außer einem Lichtblitz, und die Überwachungskameras sind spontan ausgefallen. Das Mordopfer wurde mit einer zunächst unbekannten Waffe getötet, präziser formuliert: dem Opfer wurde das Herz entnommen. Die Mikroprozessoren der Überwachungskameras wurden zerbröselt, was im Umkreis starker Magiegeschehnisse normal ist. 

Das Mordopfer wollte einen bestimmten Silberring zurückkaufen, den seine Exfrau angeblich in den Silberkammern an einen Händler verkauft hatte. Bei diesem Silberring handelt es sich um einen sogenannten Puzzlering, der sich zu einem Astrolabium entfalten läßt. Es stellt sich heraus, daß es einer von sieben Ringen ist, die einst von den „Söhnen Wielands“, ihres Zeichens geheim-magische Schmiedekünstler, hergestellt wurden.

Im weiteren Verlauf der Ermittlung finden Peter und Guleed weitere Personen, die einen solchen Puzzlering besitzen und die auf eine verdächtig besessene Art an ihrem jeweiligen Ring hängen.

Wenig später wird ein weiteres Mordopfer, ebenfalls Ringträger, gefunden, mit der gleichen tödlichen Verletzung wie das Opfer in den Silberkammern. Peters ehemalige, abtrünnige Kollegin Lesley May, die seit dem Ende des vierten Bandes ihre speziellen eigenen Absichten verfolgt, meldet sich unerwartet kooperativ und warnt Peter telefonisch vor einer schwer zu bändigenden magischen Gefahr.

Die Warnung ist berechtigt, denn dieses magische Wesen ist ein äußerst aerodyna-mischer Auftragskillerengel mit Flammenflügeln und Feuerspeer. Die Herkunft dieses Racheengels reicht weit zurück in die Zeit der spanischen Inquisition und deren Ver-strickung in diverse magische Praktiken. Der Racheengel ist selbst nur ein fremdge-steuertes, menschliches Instrument, und Peter hat nun den Ehrgeiz, nicht nur weitere Morde zu verhindern, sondern auch den Engel aus seinem Bann zu erlösen, was – beiläufig bemerkt – noch zu kniffligen ethischen Fragen hinsichtlich der Schuldfähigkeit magisch manipulierter Wesen führt.

Für diese anspruchsvolle Rettungsaktion braucht Peter nicht nur sein ganzes magisches Geschick, sondern auch seine mittlerweile differenzierten Lateinkenntnisse (Zauber-sprüche funktionieren nämlich nur in Latein) sowie eine große Portion magisch-experimentellen Wagemuts. Und sogar Lesley wirkt hilfreich bei dieser magischen Großoperation mit.

Der neunte Peter-Grant-Fall bietet eine komplex-verflochtene, buchstäblich mehrdimen-sionale Handlung mit komplizierter konventioneller und magischer Spurensicherung, charakterstarken Figuren, filmreifen, wortwitzigen Dialogen, aufregenden magischen Kampfszenen, amüsanten sozioarchitektonischen Kommentaren zur Stadtentwicklung Londons und entspannten familiär-häuslichen Szenen, garniert mit vorwitzigen sprechenden und (be)lauschenden Füchsen.

Neben zahlreichen magischen Zutaten und einer durchgehend niveauvoll-vielschich- tigen, vergnüglich-selbstironischen Sprache fehlt es Ben Aaronovitchs Roman selbstverständlich auch nicht an angemessener gesellschaftskritischer Ironie, wie nachfolgendes Zitat anschaulich beweist.

»Die Regierung war schon seit sechs Jahren dabei, die Kriminalitätsrate zu senken, indem sie die Zahl der aktiven Polizisten immer weiter reduzierte.« (Seite 55)

Hier entlang zum Buch und zur LESEPROBE auf der Verlagswebseite:
https://www.dtv.de/buch/die-silberkammer-in-der-chancery-lane-26331

Der Autor:

»Ben Aaronovitch wuchs in einer politisch engagierten, diskussionsfreudigen Familie in Nordlondon auf. Er hat Drehbücher für viele TV-Serien, darunter ›Doctor Who‹, geschrieben und als Buchhändler gearbeitet. Inzwischen widmet er sich ganz dem Schreiben. Er lebt nach wie vor in London. Seine Fantasy-Reihe um den Londoner Polizisten Peter Grant mit übersinnlichen Kräften eroberte die internationalen Bestsellerlisten im Sturm.«

Die Übersetzerin:

»Christine Blum, geboren 1974 in Freiburg im Breisgau, studierte Vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaften, Russische Literatur, Musikwissenschaft und kurze Zeit auch Medizin. Seit 2002 übersetzt sie aus dem Englischen und Russischen. Für dtv überträgt sie u. a. Ben Aaronovitch ins Deutsche.«

Hier entlang zu den Vorgängerbänden:

Band 1: DIE FLÜSSE VON LONDON Die Flüsse von London
Band 2: SCHWARZER MOND ÜBER SOHO Schwarzer Mond über Soho
Band 3: EIN WISPERN UNTER BAKER STREET Ein Wispern über Baker Street
Band 4: DER BÖSE ORT Der böse Ort
Band 5: FINGERHUT-SOMMER Fingerhut-Sommer
Band 6: DER GALGEN VON TYBORN Der Galgen von Tyborn
Band 7: DIE GLOCKE VON WHITECHAPEL Die Glocke von Whitechapel
Band 8: EIN WEISSER SCHWAN IN TABERNACLE STREET Ein weisser Schwan in Tabernacle Street

Hier entlang zu einer kurzen Peter-Grant-Geschichte, etwas außerhalb der Reihe:
GEISTER AUF DER METROPOLITAN LINE/Eine Peter-Grant-Story Geister auf der Metropolitan Line
Hier entlang zu Ben Aaronovitchs Schreibausflug in deutsche Gefilde:
DER OKTOBERMANN/Eine Tobi-Winter-Story  Der Oktobermann
Hier entlang zu einer Peter-Grant-Kurzgeschichten-Sammlung: 
DER GEIST IN DER BRITISH LIBRARY UND ANDERE GESCHICHTEN AUS DEM FOLLY Der Geist in der British Library
Hier entlang zu einer Abzweigungsgeschichte mit Peter Grants magisch hochbegabter Cousine Abigail und vielen sprechenden Füchsen:
DIE FÜCHSE VON HAMPSTEAD HEATH/Eine Abigail-Kamara-Story
Die Füchse von Hampstead Heath

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Die Bienen

  • Roman
  • Laline Paull
  • Originaltitel: »The Bees«
  • Aus dem Englischen von Hannes Riffel
  • Lizenz: Klett Cotta Verlag
  • Taschenbuch Droemer Knaur Verlag  Januar 2016    www.droemer-knaur.de
  • 352 Seiten
  • 9,99 € (D), 10,30 € (A)
  • ISBN 978-3-426-30478-5
    9783426304785

MIT  BIENEN  AUF  NEKTARFÜHLUNG

Buchbesprechung von Ulrike Sokul ©

„Die Bienen“ ist eine abenteuerliche Lebens- und Liebesgeschichte der etwas anderen Art.

Wir befinden uns hier in einem streng organisierten Matriarchat: Alles dreht sich um die Bienenkönigin, die als göttliche Mutter verehrt wird und das Überleben des Schwarmes lenkt. Beim Lenken wird sie von der Sippe der Melissen, welche die Priesterinnen-Kaste bilden, unterstützt. Jede Biene gehört zu einer Sippe mit unterschiedlich spezialisierten Aufgaben und entsprechendem Blumennamen. Die Karden kümmern sich um die Brut, die tapferen Disteln bewachen den Eingang und die Landebahn des Bienenstocks, und die Floras entfernen Schmutz, Abfall und Leichen. 

Flora 717 ist eine Säuberungsbiene. Schon gleich nach dem Schlupf aus der Larvenwabe fällt sie wegen ihrer ungewöhnlichen Größe auf. Sie ist zwar nur eine Hygienebiene, und diese haben einen niederen Rang im Bienenstock, aber Schwester Salbei, eine Biene, die zur Kaste der Priesterinnen gehört, möchte ein Experiment mit ihr wagen und nimmt sie mit zur Kinderstation. Es stellt sich heraus, daß Flora Fähigkeiten besitzt, die bei den Mitgliedern ihrer Sippe normalerweise nicht vorhanden sind.

Eine Weile darf sie die Schlüpflinge füttern, was eine ehrenvolle Aufgabe ist, zumal sich die Kinderstation in der Nähe der Gemächer der Bienenkönigin befindet und die aromatische Liebesaura der Königin hier besonders stark ist. Wenn Flora diesen königlichen Duft einatmet, weiß sie sich geliebt, und der Dienst für das Wohl des Schwarms ist ihr absolut selbstverständlich: „Arbeiten, gehorchen, dienen.“

Doch Flora fällt in Ungnade, als sie den Befehl, eine mißgebildete Larve zu töten, nicht befolgt, sondern sogar versucht, das „Larvenkind“ zu beschützen. Flora 717 wird zu ihrer Sippe geschickt und dient nun als Säuberungsbiene.

Bei einem Wespenangriff auf den Stock kämpft Flora 717 so tapfer gegen den Feind, daß ihr eine Audienz bei der Bienenkönigin gewährt wird, und sie Einblick in die „Bibliothek“ nehmen darf, in der die Geschichte des Schwarms auf Wachstafelbildern chiffriert festgehalten ist.

Der Sommer ist ungewöhnlich kalt und verregnet, und Nektar und Blütenpollen werden knapp. Flora 717 darf mit den Sammlerinnen den Stock verlassen und auf Nahrungs-suche fliegen. Entzückt folgt sie dem Duft der Blüten und lernt ihre Eigenheiten kennen. Eine sterbende Sammlerin, Lilie 500, vererbt Flora ihre gesammelten Blumen- und Geländekenntnisse, indem sie sie über ihre Fühlerantennen überträgt, Kenntnisse, die Flora 717 sehr dabei helfen, auch entlegene Nahrungsquellen ausfindig zu machen und die Vorratskammern des Schwarms zu füllen.

Das Sakrament der Geburt steht alleine der Königin zu; keine Biene käme auf den Gedanken dies in Frage zu stellen und ein Ei zu legen. Doch es kommt immer häufiger zu Krankheiten und Todesfällen bei den Larven, und die heilsame und schwarmver- bindende Ausstrahlungskraft der Königin läßt nach.

Flora 717 geschieht es einfach, daß sie ein Ei „gebiert“ und kaum ist es da, erwachen ihre Mutterinstinkte und übertönen sogar ihr Schwarmbewußtsein. Sie versucht ihr Kind zu retten, und letzten Endes ist ihre Tochter sogar die Rettung für den Schwarm; aber dies ist noch eine lange und aufregende Geschichte, die ich hier nicht aussummen werde…

Dieser Roman transportiert uns in eine ebenso fremde wie vertraute Welt. Die Autorin überträgt das biologische Verhalten der Bienen auf eine zwischenmenschliche Gefühlsebene, die es uns leicht macht, uns auf Flora 717 einzulassen. Dichterische Freiheit erlaubt es, die Bienen in Worten sprechen zu lassen; zugleich wird aber auch ausführlich und sehr poetisch die bienenspezifische Kommunikation und Orientierung über Duftsignale, Frequenzen, Vibrationen, Magnetfelder und Schwänzeltänze beschrieben, ja, fast erlebbar gemacht.

Und wenn die Sammlerbienen von grünen Wüsten und fremdartigen, sterilen Blüten berichten, in denen kein Nektar vorkommt, weiß man, daß sie von sterilen Mono- kulturen sprechen. Und wenn sie ergiebige Nektar- und Pollenpflanzen beschreiben, spürt man ihre Liebe für Blüten und Blumen.

Die hierarchische Struktur des Bienenstocks, das religiöse Verhältnis zur Allmutter Bienenkönigin und die instinktive schwesterliche Verbundenheit und hingebungsvolle Opferbereitschaft zum Wohle des Schwarmüberlebens bringt die Autorin durch den abgestuften Einsatz des Pluralis Majestatis, des Ihrzens, Siezens und Duzens sowie durch würdevolle Anreden und Redewendungen zum Ausdruck.

So ist eine geläufige Abschiedsformel für sterbende Bienen: „Sterbet, ach, mit Würde, Schwestern.“ Und die Drohnen werden mit Knicks und „Ehre Eurer Männlichkeit!“ begrüßt. Das schönste Wort und ein beliebter Gruß in der Bienensprache ist „Frühling“.

Außerdem beten die Bienen ein „Mutter unser“, das mit folgenden Worten beginnt: „Unsere Mutter, die du in den Wehen liegst, gesegnet sei dein Schoß, deine Hochzeit geschehe, dein Königreich komme …“

„Die Bienen“ ist ein faszinierender, speziesübergreifender erzählerischer Annäherungsversuch an die komplexe Lebensform eines Bienenschwarms, übersetzt in menschliche Gefühlskategorien: Spannend, voller Lebensge- fahren und tapferer Kämpfe wie ein Abenteuerroman, komplexe, beziehungsdynamische Verhältnisse wie in einer Familiengeschichte, berührend, gefühlvoll und sinnlich wie eine Liebesgeschichte und dabei betörend-duftbetont und auch mit einigen Prisen Humor bestäubt.

Mit Sicherheit werden Sie durch die Lesebekanntschaft mit Flora 717 den nächsten Honig mit größerer Demut und Dankbarkeit naschen.

 

Hier entlang zum Buch und zur LESEPROBE auf der Verlagswebseite:
https://www.droemer-knaur.de/buch/8572329/die-bienen

Die Autorin:

»Laline Paull studierte Englisch und Theaterwissenschaften in Oxford, Los Angeles und London, wo sie auch für das Royal National Theatre tätig war. Sie lebt mit ihrer Familie in England. Die Bienen ist ihr Debütroman.«

Querverweis:

Dieser Roman ergänzt sich gut mit dem lebendig erzählten Sachbuch über Hummeln von Dave Goulson »Und sie fliegt doch«: https://leselebenszeichen.wordpress.com/2015/08/09/und-sie-fliegt-doch/

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