Herr Mozart wacht auf

S P R A C H M U S I K

Buchbesprechung von Ulrike Sokul ©

Mozart entschläft auf seinem Sterbebett und erwacht in einer StudentenWG im Jahr 2006. Anfänglich wähnt er sich im Vorzimmer zum Paradies. Er bestaunt viele ihm völlig unbekannte und unerklärliche Dinge, wie z.B.  den elastischen Hosenbund der Jogginghose, die man ihm überlassen hat, die feine Seidenglätte des Schreibpapieres und einen Kugelschreiber, der „über einen mirakulösen Vorrat an Tinte verfügt“.

Er vermutet, daß er sein Requiem vollenden soll, bevor er in den Himmel darf, doch stattdessen fliegt er aus der WG und irrt durch ein ihm fremdes Wien bis zum St.-Stephans-Dom, dem einzigen Gebäude, das er wiedererkennt. Dort geht er zur Beichte und erfährt, daß er seit 215 Jahren tot ist und für einen von vielen Spinnern gehalten wird, die sich einbilden, Mozart zu sein.

Nun begreift er, daß er einen unfreiwilligen Zeitsprung erlitten hat und versucht sich zu orientieren, ohne seine Identität preiszugeben. Piotr, ein polnischer Stehgeiger, nimmt sich seiner an, läßt ihn bei sich wohnen und beschafft ihm Arbeit in einer Jazzbar. Mozart nennt sich fortan Wolfgang Mustermann und improvisiert sich aufgeschlossen und neugierig durch die fremde Zeit, er nutzt die Gelegenheit, in Bibliotheken und auf CDs seinem Ruhm nachzuforschen, besucht Opernaufführungen und macht sich lustig über Mozartkugeln.

„Ich mag als armer Schlucker ihr erscheinen – verfüge ich indes auch über Fertigkeiten, welche ich mir erlaube als meine Reichtümer gelten zu lassen.“ Und so ermusiziert sich Mozart Mustermann auch einige sehr lyrische Liebeserfahrungen – dezent angedeutet mit „legato – crescendo – stakkato“.

Eva Baronsky läßt Mozart so sprechen, wie man ihn aus den zahlreichen erhaltenen Briefen kennt, und allein dies ist schon sehr amüsant.

Viel Situationskomik ergibt sich aus den Begegnungen Mozarts mit modernen sanitären Anlagen, elektronischen Geräten, Damenmode und heutigen Umgangsformlosigkeiten.

Die besondere Qualität des Buches liegt darin, daß es der Autorin einfühl- sam gelingt, sich in Mozarts Zeitperspektive hineinzuversetzen und all die – für uns alltäglichen Gegebenheiten – völlig neu zu sehen und zu hören und in Mozarts Tonfall wiederzugeben.

Leser, die mit Mozarts Musik und Sprache schon vertraut sind, werden beide mit Vergnügen wiedererkennen; und wer noch kein Mozartkenner ist, könnte durchaus auf den Geschmack kommen. Dieser Roman macht sowohl musikalisch als auch sprachlich Lust auf mehr Mozart.

 

Hier entlang zum Buch auf der Verlagswebseite:
http://www.aufbau-verlag.de/index.php/herr-mozart-wacht-auf-2197.html

Hier entlang zu einem weiteren lesenswerten Roman von Eva Baronsky „Manchmal rot“:
https://leselebenszeichen.wordpress.com/2017/06/29/manchmal-rot/

Die Autorin:

»Eva Baronsky, 1968 geboren, lebt im Taunus. Für ihren überraschenden und sehr erfolgreichen Debütroman „Herr Mozart wacht auf“ (2009) erhielt sie den Förderpreis des Friedrich-Hölderlin-Preises der Stadt Bad Homburg v. d. Höhe. Nach „Magnolienschlaf“ (2011) erschien 2015 ihr dritter Roman „Manchmal rot“.«

 

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