- von Lilian Muscutt
- Kriminalroman
- Selbstverlag, November 2023 wupperschatten@gmx.de
- 390 Seiten
- limitierte, gebundene »Solingen-Special-Edition«*,
die exklusiv in Solinger Buchhandlungen erhältlich ist - 25,00 €
- Wer nicht in Solingen wohnt, kann sich gerne per E-Post an die Autorin wenden
und das Buch dort bestellen: wupperschatten@gmx.de - *Wenn die gebundene Auflage (500 Stück) ausverkauft ist,
wird es eine Taschenbuch- und eine E-Buch-Ausgabe geben,
die beide überall erhältlich sein werden.
Foto: Catrin Sommer ©, rausch-gold.com
V E R G A N G E N H E I T S Ü B E R W Ä L T I G U N G
Rezension von Ulrike Sokul ©
Nach dem bemerkenswerten Kriminalroman „Flussrauschen“ (siehe meine Besprechung: FLUSSRAUSCHEN) hat Lilian Muscutt nun einen weiteren Krimi mit lebhaftem historischen und aktuellen Solinger Lokalkolorit geschrieben.
Da Schleifkotten im Verlauf der Handlung eine wichtige Rolle spielen, erkläre ich für meine Leserinnen und Leser, die nicht aus der Klingenstadt Solingen kommen, zunächst kurz, was ein Schleifkotten ist: Ein Kotten ist eine kleine, an der Wupper oder einem Bachlauf gelegene Schleiferwerkstatt. Mit Hilfe eines Wasserrades wurden dort Schleif-steine und Polierscheiben angetrieben, an denen die berühmten Solinger Klingen geschliffen und geschärft wurden. Da diese Schleifarbeiten noch bis in die 1960er-Jahre häufig in familiärer Heimarbeit ausgeführt wurden, gab es vor der verstärkten Konzen-tration auf industrielle Arbeits- und Antriebsmethoden noch zahlreiche Schleifkotten in Solingen. Inzwischen sind nur noch wenige Original-Schleifkotten erhalten. Die Schleif- kotten, die im Roman genannt werden und als Schauplätze dienen, sind gleichwohl fiktiv.
Der Journalist Udo Moosbach, dessen Recherchen bereits in „Flussrauschen“ wesentlich zur Aufklärung eines Mordfalles beigetragen haben, betätigt sich auch diesmal – zum gelegentlichen Mißfallen der Kriminalkommissarin Ceylan Karadeniz – als hochmoti- vierter Privatermittler.
Der baufällige und seit Jahrzehnten mit Brettern verbarrikadierte Struppskotten soll restauriert und in ein kleines Schleifkottenmuseum umfunktioniert werden. Unter den Dielenbrettern des Kottens wird in einer Holzkiste ein altes Skelett gefunden. Diese Nachricht spricht sich schnell herum, und Udo Moosbach, der inzwischen nach Solingen gezogen ist und in einer Genossenschaftssiedlung wohnt, erfährt beim Mittagessen in der nachbarlichen Gaststätte „Schmette“ von dieser Sensation.
Als freier Journalist erhofft sich Moosbach eine gute Gelegenheit für einen lohnenden Artikel und macht sich auf den Weg zum Struppskotten. In unmittelbarer Nachbarschaft zum Struppskotten befindet sich der nach wie vor handwerklich genutzte Hillerskotten, und Moosbach befragt Theo Mutz, einen alten Schleifer, der dort arbeitet. Mutz ist mürrisch und wortkarg hinsichtlich Moosbachs Fragen zum Struppskotten und behaup- tet, sich nicht daran zu erinnern, wer einst den ruininösen Kotten mit Brettern zuge-nagelt habe. Eifrig und eloquent wird Mutz allerdings, als er über die Feinheiten seines Schleiferhandwerks spricht, da er merkt, daß ihm Moosbach wirklich aufmerksam und mit echtem Interesse zuhört.
Kommissarin Ceylan Karadeniz weiß inzwischen aus der gerichtsmedizinischen Unter-suchung des Skeletts, daß der unbekannte Tote ein Mann war und zwischen 1958 und 1962 zu Tode kam. Das schränkt die leidige Aktendurchforstung nach ungeklärten Vermißtenfällen immerhin etwas ein.
Erzählerische Rückblenden führen zurück die 1930- und 1940er-Jahre und geben ebenso anrührende wie aufwühlend-spannende Einblicke in das Lebensmilieu von linken Widerstandskämpfern aus dem Kreise einiger Schleiferfamilien. Sie halten geheime Treffen ab, verteilen Flugblätter gegen Hitler und seinen Militarismus sowie gegen die nationalsozialistische Ideologie und sehnen sich nach einer freieren und gerechteren Welt. Es kommt zu Denunziationen und Hausdurchsuchungen; alleine der Besitz eines Heinrich-Heine-Gedichtbandes reicht, um als Staatsfeind deklariert und behandelt zu werden. Viele kommen in politische Haft, einige sterben an den Folgen von „Verhören“, einige überleben die Hölle der Haft.
Bei diesen Vergangenheitspassagen ist besonders die hohe Kunst der Autorin hervor-zuheben, in kleinen Szenen den Zeitgeist und ein ganzes Schicksal zu evozieren und sehr anschaulich die entbehrungsreichen Lebens-, Wohn- und Arbeitsverhältnisse sowie die alltägliche Not aber auch die kleinen Freuden und Lichtblickmomente der Menschen darzustellen. Die Autorin findet für diese historischen Rückblenden einen ganz eigenen Ton, der sich auch in der Verwendung einer anderen Typografie zeigt sowie im häufiger- en Einsatz des Solinger Platts bei den Dialogen. Die mundartlichen Ausdrücke und Sätze werden durch hilfreiche Fußnoten übersetzt.
Der unbekannte Tote steht in Zusammenhang mit Nazi-Verbrechen und mit der uner-freulichen Tatsache, daß so mancher Nazi-Systemling, mal unter echter, mal unter falscher Identität nach den Zweiten Weltkrieg wieder unbehelligt in einflußreiche Ämter und Würden fand.
Einige Zeitzeugen von damals sowie deren Nachfahren leben in Moosbachs unmittel- barer Nachbarschaft in der Bauvereinssiedlung. Da wäre z.B. die stille ältere Dame Annemarie Wieden, die im Dritten Reich ein kleines Kind war und aus einer der Wider-standskämpferfamilien stammt, sowie die drei trinkfesten und gelegentlich bekifften Musiker Freddy, Scholli und Bongo – bekannt als die „Heiligen Drei Könige“ – , die direkt im Haus neben Moosbach hausen und ein eher unbürgerliches Verhältnis zur Nachtruhe pflegen.
Es dauert, bis Moosbach und Karadeniz sowie die plötzlich unerwartet aufgeweckten und hilfsbereiten Heiligen Drei Könige die weitverzweigten familiären Verstrickungen und verschiedenen Puzzleteile aus Vergangenheit und Gegenwart in den richtigen und lebensrettenden Zusammenhang bringen können…
Lilian Muscutt hat für ihren Kriminalroman eine komplexe Komposition verwendet, die eine vielstimmige polyperspektivische Sicht auf die Figuren und die Entwicklung der Handlung bietet. Alle Figuren sind ausgesprochen charakterstark und verfügen über eine nahbare, sehr sinnliche Leibhaftig-keit und ein stimmiges Persönlichkeitspsychogramm. Neben den wechseln- den Perspektiven verschiedener Erwachsener findet sich auch die äußerst einfühlsam dargestellte Erlebnisperspektive eines Kindes. Die Integration von Liedtexten, Gedichten, Briefen und persönlichen Aufzeichnungen bereichern den Fortlauf der Geschichte und verleihen den Figuren zusätz- liche Authentizität und Ausstrahlung. Zwischen dem ernsten Thema blitzen auch gelegentlich leiser Humor und zwischenmenschliche Schmunzel- situationen auf.
„Wupperschatten“ bietet eine spannende, raffiniert verschachtelte, gleichwohl folgerichtig verknüpfte kriminalistische Handlung, sehr atmosphärische Milieubeschreibungen, starke Charaktere, interessante kulturhistorische Einblicke ins Solinger Schleiferhandwerk und selbst- verständlich reichlich wildwüchsige Wupperlandschaftskulisse.
Die Autorin:
»Lilian Muscutt (*1977) studierte an der Universität von Sussex, England. Danach arbeitete sie über zehn Jahre als Journalistin. Sie lebt in Solingen. Nach »Spiegelsinfonie« und »Flussrau-schen« http://www.flussrauschen.de ist »Wupperschatten« ihr dritter Roman.«
Nachfolgend die Bücher-Webseite von Lilian Muscutt: https://www.wupperbuecher.de/
PS:
Die gebundene Erstausgabe (500 Stück) des Romans „Wupperschatten“ wird ausdrücklich nur im lokalen Solinger Buchhandel angeboten. Mit dieser „Solingen Special Edition“ bedankt sich die Autorin für die Unterstützung, die sie während der schriftstellerischen Arbeit an „Wupperschatten“ von Menschen aus der Region bekommen hat. Dazu zählt auch der örtliche Buchhandel. „Support your local Buchhandel! Bücher sind ein Stück Kultur, das Menschen vom stationären Buchhandel mit ihrer Leidenschaft für Bücher stärken.“ sagt Lilian Muscutt, und dem kann ich als ehemalige Buchhändlerin nur zustimmen.