Die königlichen Kaninchen von London

  • von Santa Montefiore und Simon Sebag Montefiore
  • Originaltitel: »The Royal Rabbits of London«
  • Übersetzung aus dem Englischen von Claudia Müller
  • Band 1
  • Deutsche Erstausgabe
  • mit farbigen Illustrationen von Kate Hindley
  • WooW Books, August 2017  www.WOOW-Books.de
  • gebunden
  • Fadenheftung
  • Format: 21,5 x 25,8 cm
  • 144 Seiten
  • 18,00 € (D), 18,50 (A)
  • ISBN 978-3-96177-001-4
  • Vorlesebuch für Kinder ab 7 Jahren (laut Verlag)

K A N I N C H E N K R I E G E R

Kinderbuchverriß von Ulrike Sokul ©

Shylo Tawny-Tail, ein ängstliches, kleines schmächtiges Kaninchen mit einer roten Augenklappe (um sein Schielen zu korrigieren) lebt auf dem Lande, in der Nähe eines Bauernhofes. Er wird alltäglich von seinen großen, kräftigen und dementsprechend leistungsfähigeren (in Hinsicht auf Nahrungsbeschaffung) Geschwistern aufgezogen, gehänselt und gemein behandelt. Nur seine Mutter liebt ihn und sorgt sich um ihren Kümmerling.

Shylo ist zwar körperlich klein, aber geistig aufgeweckt, und er besucht regelmäßig heimlich ein altes Kaninchen, namens Horatio, das allein in einer etwas abgeschie- denen Wohnhöhle im Wald lebt und von den anderen Kaninchen gemieden wird. Horatio trägt zahlreiche Spuren schwerer alter Verwundungen und besitzt einen Spazierstock, in dem eine Schwertklinge verborgen ist. In Horatios Höhle gibt es viele Bücher, und der alte Kaninchen-Veteran liest Shylo gerne aus dem Buch „Aufstieg und Fall des Großen Kaninchen-Reichs“ vor. Die Anspielung auf das koloniale „British Empire“ ist dabei mehr als offensichtlich und beabsichtigt.

Durch Horatio erfährt Shylo von den „Königlichen Kaninchen von London“, einer streng geheimen Organisation von speziellen Kaninchen, die sich schon zur Zeit von König Arthur dem Schutz der Königlichen Familie verschworen hat. Damals lebten sie in einer Höhle unter Schloß Camelot, später zogen sie mit der königlichen Familie nach London um und bauten unter dem Buckingham-Palast ein Höhlensystem, das über diverse Geheimgänge und verborgene Türchen Zugang zu allem Palastzimmern bietet.

Zu den erklärten Todfeinden der Kaninchen gehören alle Ratten und Hunde. Zufällig kann Shylo im Wald ein Gespräch zwischen drei großen Ratten belauschen, die planen, in den Buckingham-Palast einzudringen und ein Foto von der Queen im Nachthemd zu schießen und dieses gewinnbringend an die Webseite „rattenscharfe-promis.com“ zu verkaufen.

Aufgeregt eilt Shylo zu Horatio und berichtet ihm davon. Horatio klärt Shylo darüber auf, daß es sich um sogenannte Papa-Ratzi-Ratten handele, die besonders böswillig und gefährlich seien. Und dann schickt er Shylo nach London mit dem Auftrag, die König- lichen Kaninchen über diesen hinterhältigen Plan zu informieren. Ausgestattet mit einem Geheimcode, einigen Verhaltensregeln bezüglich des Umgangs mit geheimen Kaninchenagenten und schwankend zwischen Angst und Abenteuerlust macht sich Shylo auf den Weg.

Er kommt heil in London an und findet Zugang zu den Königlichen Kaninchen, die über ein umfangreiches unterirdisches Höhlensystem verfügen. Tapfer trägt Shylo dem Generalissmo-Kaninchen Nelson vor, was er erfahren hat, und zu seinem Schrecken wird er auch sogleich in den Papa-Ratzi-Abwehrplan miteinbezogen.

Die Königlichen Kaninchen sind streng militärisch-hierarchisch organisiert und mit – wer hätte das gedacht – Kaninchen aus Amerika verbündet. Deshalb ist gerade ein Gast-Captain aus Amerika zugegen, ein weibliches Kaninchen namens Laser, dessen Arme in den Farben der amerikanischen Flagge eingefärbt sind. Mann, Mann, Mann, da weiß der erwachsene, demokratisch geschulte Leser doch gleich wieder, wer die Weltordnungs-kompetenz per se verkörpert, sogar noch in einer Inkarnation als Hoppelkaninchen.

Nun, um den heldenhaften Kampf um die Ehre der Queen abzukürzen: Shylo, Captain Laser und ein weiterer martialischer Kampfsoldat machen sich gemeinsam auf den Weg. Doch es ist schließlich der kleine Shylo, der ganz alleine die miesen Papa-Ratzi direkt in den palasteigenen Hundezwinger lockt, wo die Ratten von den Hunden zerfleischt werden. Kurz bevor sie sich zum Nachtisch auf Shylo stürzen, seilen sich zwei Königliche Kaninchen herab und retten Shylo vor den Hunden.

Der kleine Shylo ist nun der große Held, er wird dazu aufgefordert, sich der Eliteeinheit der Königlichen Kaninchen anzuschließen, er bekommt sein erstes rotes Pfoten-Abzeichen, eine Ehren-Medaille und eine Extra-Portion Selleriestangen. 

Doch jetzt mal Butter bei die Karotten: Was ist das für ein gewalttätiger, militanter, patriotismustriefender Kaninchendrill? Welche zweifelhaften Werte werden Kindern hier vermittelt? Freund und Feind sind von Anfang an plakativ-schwarz-weiß-malerisch festgelegt, die Kaninchen kämpfen für die übergeordnete Ehre der Königlichen Familie, sie sind edel, hilfreich und gut – mal abgesehen von Shylos rücksichtlosen Geschwistern – und Ratten und Hunde sind böse, egoistisch, ekelig, gefräßig, gierig, häßlich und abstoßend.

Gänzlich unerträglich finde ich zudem diese demonstrative NATO-Propagan- da im Kinderbuchformat. Wer nun meint, ich sähe das zu streng, den ver- weise ich auf den zweiten Band dieser Buchreihe, in dem die Königlichen Kaninchen verhindern wollen, daß der amerikanische Präsident bei seinem Staatsbesuch in London von den Papa-Ratzi-Ratten medial lächerlich ge- macht wird. Ja, geht’s auch mit ein bißchen weniger anglo-amerikanischer Bündnis-Anschmiegsamkeit?

Nachfolgend noch ein kleines Zitat zum Beweis des aufdringlichen NATO-Überheblichkeitsfaktors dieses Kinderbuches: „Jetzt ist Amerika das mächtigste Land in der Menschen-Welt, und die amerikanischen Kaninchen sind die Mächtigsten in der Kaninchen-Welt.“ (Seite 14)

Ich kann von diesem kaninchenkriegerischen, nato-propagandistischen Kinderbuch nur lebhaft abraten!

 

Hier entlang zum Buch auf der Verlagswebseite:
https://www.w1-media.de/produkte/die-koeniglichen-kaninchen-von-london-bd-1-491

Die Autoren:

»Simon Sebag Montefiores Bücher wurden bereits in über 45 Sprachen übersetzt – viele davon sind weltweit Bestseller. Sowohl für seine Romane als auch für seine Sachbücher hat Montefiore schon zahlreiche literarische Auszeichnungen erhalten.«
»Santa Montefiore wurde 1970 geboren und wuchs in Hampshire (England) auf. Sie ist eine international erfolgreiche Autorin und mit dem Historiker Simon Sebag Montefiore verheiratet. Die beiden wohnen mit ihren zwei Kindern Lily und Sasha in London.«

Die Übersetzerin:

»Claudia Müller studierte Anglistik und Germanistik an der Universität Göttingen. Nach dem Studium war sie in verschiedenen Kinder- und Jugendbuchverlagen als Lektorin tätig. Seit 2016 arbeitet sie als Programmplanerin bei einem Verlag sowie als freie Lektorin und Übersetzerin. Sie lebt in Hamburg und reist so oft es geht nach England, wo sie auch ein Jahr lang gelebt hat. Als sie bei ihrem letzten Londonbesuch durch den Green Park spazierte, hatte sie das Glück, einige der Königlichen Kaninchen mit eigenen Augen zu sehen. Ihre Geschichte ins Deutsche zu übersetzen, war ihr ein großes Vergnügen.«

Die Illustratorin:

»Kate Hindley ist eine talentierte junge Illustratorin, die 2008 ihr Studium an der Falmouth-Kunstakademie abgeschlossen hat. Kate lebt in Worcestershire.«

 

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35 Kommentare zu “Die königlichen Kaninchen von London

  1. Das war ja ein rechtes Wechselbad der Gefühle. Das Cover war auf den ersten Blick ganz nett. Ja, es entlockte mir regelrecht ein Schmunzeln. Und dann Deine Einschätzung dazu. Da ich keinen Grund habe, an Deinen Ausführungen zu zweifeln, kann ich nur sagen, dass das eine höchst gefährliche Melange ist… Trotzdem lieben Dank, dass Du uns darauf aufmerksam gemacht hast.

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  2. Gut gewarnt, liebe Ulrike.
    Da sträuben sich mir die Nackenhaare! Huch? Welches Tier bin ICH denn gerade.
    Ein Wolperdinger! Eine Mischung von allem AndersARTigem.
    So kunterbunt sind unsere Kinder auch.
    Mögen die Kinderbücher der neuen Zeit genau das fördern!
    Herzlich Heidrun

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    • Hab‘ Dank für Deine aufmerksame Rückmeldng, liebe Heidrun.
      Zwar möchte ich hauptsächlich Buchempfehlungen aussprechen. Indes gehört
      eine gelegentliche und begründete Bücherwarnung für mich dazu.
      Herzlich grüßt Dich
      Ulrike

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  3. Es ist scheinbar nie früh genug Kaninchen, äh, ich meine Kinder auf Linie zu bringen. Wahrscheinlich mögen die Karnickel auch den Brexit und besingen die Segnungen, die der Kolonalismus über die Welt gebracht hat. Aber im Ernst, Deutsche Schäferhunde können wirklich ganz schön gefährlich werden.

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  4. Ich bin mir sicher, dass eine gewisse Klasse von Engländern genau dieses Weltbild vertreten und liebend gern an ihre Kinder weitergeben.
    Ich finde dieses Buch auch höchst befremdlich, gerade weil Kinder gerade in diesem zarten Alter meist kritiklos Informationen übernehmen.
    Die Übersetzung ins Deutsche hätte man sich sparen können.
    Es wäre ein interessantes Projekt, einmal zu untersuchen, welches Weltbild generell in Kinderbüchern unterschwellig in unterschiedlichen Ländern vermittelt wird.(neben den offensichtlichen Werten). Liebe Grüße, Barbara

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    • Liebe Barbara,
      vielen Dank für Deinen ausführlichen Kommentar. Ich denke bzw. befürchte ebenfalls, daß es eine gewisse Klasse von Engländern gibt, die genau dieses Weltbild befürworten und entsprechend an ihre Kinder weitergeben. Eine Verfilmung dieser Bücher ist übrigens inzwischen auch noch geplant, bei 20th Century Fox!
      Ja, die Übersetzung ins Deutsche hätte man sich wahrlich sparen können!
      Es wäre allerdings ein interessantes Projekt, die Kinderbuch-Weltbilder verschiedener Länder zu untersuchen. Auf dem deutschen Buchmarkt überwiegt leider bei weitem der Anteil amerikanischer und englischer Übersetzungen.
      In Hinsicht auf Wertevermittlung sind mir hingegen bisher viele niederländische Kinderbücher (Dick Laan, Paul Biegel) positiv aufgefallen.
      Herzensgruß von mir zu Dir

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      • Ich bin auch ein großer Fan niederländischer Autoren.
        Es gibt wahrscheinlich überall gute Kinderbücher.
        Man muss sie nur finden bzw. vorgestellt bekommen. 😉

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  5. Dem ach so schnöden angeblichen Zeitgeist angepaßt – das jetzt auch im Kinderbuchsektor!
    Wie bewahren wir die Kinder vor diesem Schund? Ab 7 können sie lesen, bekommen die täglichen Nachrichten mit und finden das unsägliche Geschehen dann wieder in den Büchern, die man ihnen vorsetzen will.
    Verstehe einer die Verlage!
    Zu Dir einen ebenso empörten Gruß, Karin

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    • Vielen Dank, liebe Karin,
      für Deine Mitempörung!
      Immerhin gibt es viele andere Kinderbücher, die nicht mit solcher Propaganda aufwarten, und die Eltern haben die Wahl, was sie ihren Kindern vorlesen möchen.
      Dieser Verlag hat sich jedenfalls für mich durch diese Publikationen disqualifiziert. Verlage und ihre Lektoren und Übersetzer haben nicht unbedingt eine gesellschaftspolitisch-hinterfragende Haltung.
      Gutenachtgruß von mir zu Dir

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  6. Oijoij, den Namen des männlichen Autoren „kenne“ ich im Zusammenhang mit seinen Stalin-Biographien, was ja nun niemanden zum Kinderbuch-Co-Autoren qualifiziert, ganz im Gegenteil!, wie ich Deiner Rezension entnehmen muss.

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    • Hab‘ Dank für Dein Leseecho.
      Ja, Simon Sebag Montefiore ist in erster Linie Sachbuchautor und Historiker; umso seltsamer erscheint mir die explizit militaristische Haltung, die in diesem Kinderbuch kultiviert wird.

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  7. Bingo! Das ist genau das, was jemand braucht, der die Kinder zu unkritischen Konsumenten reißerischer Wahlplakate und ähnlicher Ergüsse formen (bzw. deformieren) möchte. Leider wird genau das manchmal gewünscht – häufiger, als einem lieb sein kann. Und manchmal funktioniert das sogar – wohl auch häufiger, als einem lieb sein kann.
    In diesem Zusammenhang fällt mir Gottfried Benn ein: “Am Anfang war das Wort und nicht das Geschwätz, und am Ende wird nicht die Propaganda sein, sondern wieder das Wort.” Allerdings ist zwischen diesem Anfang und Ende ein fast unendlich weiter Tummelplatz.

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      • Genau so schaut das offensichtlich aus. :/
        Wobei ich erwähnen möchte, dass mir die undifferenziert-plumpen Charakterzeichnungen ganz unabhängig von jeglicher dahintersteckenden Gesinnung ohnehin hochgradig suspekt wären. Für einen “schillernden” Ausruf “Hier wendet sich der Gast mit Grausen!” würde das auch reichen. 😉
        [Den Titel „Kaninchenkrieger“ hatte ich übrigens zunächst hoffnungsvoll als Wortspielerei gedeutet, in dem Sinne, dass vielleicht jemand die Fertilität von Kaninchen mächtig unterschätzt habe. 😀 So kann man sich täuschen…]

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      • Die plakativen Charakterzeichnungen sind in der Tat auch unabhängig von der politischen Ausrichtung suspekt.
        Köstlich, daß Du meine Kaninchenkrieger-Überschrift zunächst als Wortspiel für die Vermehrungsfreudigkeit von Kaninchen gedeutet hast. 😀

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  8. Unglaublich was manche Autoren fabrizieren. Hoffentlich kommt das Buch bald in die Mottenkiste.
    Aber dahinter steckt eben auch ein Weltbild, dass wohl gerne schon den Kleinsten übergestülpt werden soll ☹️
    Liebe Grüße
    Ulli

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