Meister Marios Geschichte

  • Wie die Marionetten aus der Reihe tanzten
  • von Rafik Schami
  • mit farbigen Illustrationen von Anja Maria Eisen
  • Hanser Verlag  August 2013     http://www.hanser-literaturverlage.de
  • Fester Einband
  • Format: 16 x 24 cm
  • 88 Seiten
  • 12,90 € (D), 13,30 € (A), 18,90 sFr.
  • ISBN 978-3-446-24309-5
  • Kinderbuch ab 8 Jahren
    Meister Marios Geschichte-433x648

SO  SPIELT  DAS  LEBEN

KInderbuchbesprechung von Ulrike Sokul ©

Gerne gestehe ich, daß ich mich niemals ganz von dem Kinderglauben an das verborgene Eigenleben von Puppen, Schmusetieren, Spielsachen, Buchfiguren und Marionetten verabschiedet habe. Und wenn sich dann auch noch einer meiner Lieblingsautoren einem solchen Erzählstoff widmet, kann und will ich der Lesever- suchung nicht widerstehen.

Erzählt wird – wie der Titel schon verrät – die Geschichte des Marionettenspielers Meister Mario. Aus bescheidensten Anfängen heraus hat sich Mario schließlich mit einem Märchenstück „Der Prinz und das arme Bauernmädchen“ ein großes Publikum, Erzählerruhm und Reichtum erarbeitet.

Das Puppenspiel handelt von Prinz Machtnix, der heiratsunwillig ist, alle von den Eltern ausgesuchten Bräute ablehnt und stattdessen lieber im Wald auf die Jagd geht. Natürlich begegnet ihm auf einer Waldwiese ein anmutiges, blumenpflückendes und singendes Mädchen, in welches er sich sogleich unwiderstehlich verliebt. Das Mädchen, eine arme Bauerntochter namens Hatnix, verliebt sich auch sogleich in den feschen Prinzen.

Abb_28_Felsen

Illustration von Anja Maria Eisen © Hanser Verlag 2013

Illustration von Anja Maria Eisen © Hanser Verlag 2013

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

König Tutnix ist von der Wahl seines Sohnes nicht angetan, die Königin Willnix ist verständnisvoller, und somit herrscht dicke familienstreitige Luft, bis der Hofnarr Lachtnix eine relativ diplomatische Lösungsidee serviert. Schließlich steht der Heirat nichts mehr im Wege, das Liebesleben blüht und gedeiht – „und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute“.

So weit so eintönig, finden jedenfalls die Marionetten, die dieses Stück schon mehr als siebenhundertmal gespielt haben und sich nach den Zeiten sehnen, als Mario zwar arm war, sich aber abwechslungsreichere Stücke ausgedacht und seinen Puppen viele Rollenvariationen ermöglicht hatte.

Mario hat auch keine Zeit mehr, sich nach der Vorstellung mit seinen Marionetten zu unterhalten, weil er dauernd Interviews geben muß oder bei Prominenten zum Empfang eingeladen wird.

Die Marionetten erzählen sich gegenseitig, welche Traumrollen sie gerne spielen würden, nur König Machtnix ist mit seiner „Stellung“ hochzufrieden. Kurzentschlossen greift Königin Willnix nach einer Schere und schneidet ihre Marionettenfäden einfach durch – nach einem Moment des Stillstandes bewegt sie sich so frei wie noch nie zuvor und verwandelt sich in die Zauberin Willwas. Der nächste Freiheitskämpfer ist der Hof- narr, der zum Clown Lachtwas wird, Hatnix verwandelt sich in die Tänzerin Hatwas, und Prinz Machtnix wird zum Räuber Machtwas. Ja, selbst der König durchtrennt nach langem Zögern seine Fäden und nennt sich Tutwas.

Illustration von Anja Maria Eisen © Hanser Verlag 2013

Illustration von Anja Maria Eisen © Hanser Verlag 2013

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Als Mario zurückkommt, erklären ihm seine eigenwilligen Marionetten, daß sie sich mehr Abwechslung wünschen, und nach dem ersten Schrecken erkennt er, daß die Puppen ihm eigentlich aus dem Herzen sprechen. Gemeinsam entwerfen und üben sie das erste neue Stück, das am nächsten Abend vom Publikum begeistert aufgenommen wird …

Und wenn sie nicht verschnürt sind, dann spielen sie noch heute.

Rafik Schami spielt in „Meister Marios Geschichte“ virtuos mit dem klassischen Märchengenre, würzt es mit augenzwinkernder Menschen- kenntnis, Humor, anspielungsreichem Wortspielwitz und lebhafter Dramaturgie sowie einem zutiefst warmherzigen Basso continuo, der für mich das betörendste Stilmerkmal seiner wunderbaren Prosa ist.

Im Übrigen weist das Durchtrennen der Marionettenfäden auf märchenhaft-spielerische Weise hin auf die Möglichkeit eines Ausganges aus unverschuldeter Unmündigkeit.

Die kecken und lustigen Illustrationen wurden von Anja Maria Eisen in einer Mischung aus Zeichnungs- und Collagenelementen (aus Papier und Stoff) gestaltet und setzen den Erzähltext gekonnt bühnenbildnerisch in Szene.

Und nun schließt sich dieser Buchbesprechungsvorhang, und Rezensentin Liestfix öffnet das nächste Buch … 😉

 

Hier entlang zum Buch und zur LESEPROBE auf der Verlagswebseite:
https://www.hanser-literaturverlage.de/buch/meister-marios-geschichte/978-3-446-24309-5/

Der Autor:

»Rafik Schami wurde 1946 in Damaskus geboren und lebt seit 1971 in Deutschland. 1979 promovierte Rafik Schami im Fach Chemie. Seit 2002 ist er Mitglied der Bayerischen Akademie der schönen Künste. Sein Werk wurde in 24 Sprachen übersetzt und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, zuletzt mit dem Preis „Gegen das Vergessen – Für Demokratie“ (2011) und dem „Hamburger Tüddelband“ im Rahmen des Harbour Front Literaturfestivals in Hamburg (2013). Im Hanser Kinderbuch erschien zuletzt DAS HERZ DER PUPPE (2012) und MEISTER MARIOS GESCHICHTE (2013), im Erwachsenenprogramm des Verlages Die dunkle Seite der Liebe (Roman, 2004)  Das Geheimnis des Kalligraphen (Roman, 2008), Die Frau, die ihren Mann auf dem Flohmarkt verkaufte (2011) und Sophia oder Der Anfang aller Geschichten (ET: 24.8.15).«
Weitere Informationen – u.a. auch zu aktuellen Lesungen seines neuesten Romans Sophia oder Der Anfang aller Geschichten finden Sie hier:    http://www.rafik-schami.de

Die Illustratorin:

»Anja Maria Eisen, geboren 1972 in Gera, studierte an der Hochschule für Kunst und Design Burg Giebichenstein und an der Hochschule für Bildende Künste Dresden. Seit 2000 arbeitet sie als freischaffende Künstlerin in den Bereichen Bühnen- und Kostümbild, z.B. für das Staatstheater Stuttgart und das Theater Junge Generation Dresden. In verschiedenen Zeitschriften erscheinen Illustrationen von ihr. Sie lebt mit ihrer Familie in Dresden.«

 

Querverweise:

Und hier klopft „Das Herz der Puppe“, ein Buch voller Alltag und Wunder, spielerischem Tiefsinn und poetischer Phantasie, das von Rafik Schamis lebendigem Kinderherzen zeugt. Ich lege es Lesern von acht bis achtundachtzig Jahren ans Herz:
https://leselebenszeichen.wordpress.com/2016/07/28/das-herz-der-puppe/

Hier entlang zu Rafik Schamis berühmtem Bilderbuch „Der Wunderkasten“, das von der Zauberkunst handelt, mit Worten zu malen und Kinder zu lehren, mit dem Herzen zu sehen: https://leselebenszeichen.wordpress.com/2017/07/14/der-wunderkasten/

Und nun noch hereinspaziert in mein Lieblingsbuch Rafik Schamis: „Der Erzähler der Nacht“: https://leselebenszeichen.wordpress.com/2018/01/30/erzaehler-der-nacht/

Leselebenszeichen-Datenschutzerklärung: https://leselebenszeichen.wordpress.com/datenschutzerklaerung/

22 Kommentare zu “Meister Marios Geschichte

    • Danke, lieber Lu,
      für diese tiefsinnige Filmsequenz, die mich sehr berührt hat und mir zeigt, daß ich da wohl einen phantastischen Film nachzuholen habe … 🙂
      Herzlichte Gutenachtgrüße von Ulrike

      Gefällt 1 Person

      • Gerne, liebe Ulrike,
        mit Sicherheit ist das einer der zauberschönsten europäischen Filme aller Zeiten…
        Genieße ihn! 🙂
        Gute Nacht schlaf gut und träum was schönes… Lu

        Gefällt 2 Personen

  1. muß ein besonderes Kinderbuch sein, von einem Schreiber, der in diesem Falle der Schreibefix wäre mit dem großen geheimnisvollen Humorfix eng verbandelt, der die Marionetten endlich ernst nimmt und sie von ihren Fäden befreit. Es erinnert mich an diese Zeilen hier:

    *Seidene Fäden

    Als ich immer weiterging
    obwohl ich an seidenen Fäden hing,
    staunte mein Puppenspieler,

    prüfte die Fäden, suchte nach Schäden,
    fand dünne und brüchige Stellen,
    aber die entscheidende, einzige
    wirklich schwache Stelle,
    die fand er nicht.

    Sie lag versteckt in einem
    unscheinbaren kleinen Gedicht…*

    Gefällt 4 Personen

  2. Dein „Gerne-Geständnis“ am Anfang hat mein Herz gleich froh schlagen lassen, denn ja, sie sind lebendig, diese und alle Puppen, auch alle Puppenartigen wie etwa Kohlköpfe und Kochtöpfe. Das weiß jedes Kind. Und „Kindesmund tut Weisheit kund“.

    Gefällt 4 Personen

  3. Liestviel weissnix, mag aber dieses Buch sehr gern ! Die Namen finde ich lustig und die Geschichte „Freiheit für alle Freiheitskämpfer !“ spricht mir direkt aus dem Herzen !! Und Dein Humor, etwas so toll vorzustellen, sowieso! (weiss wohl doch was 😉 )

    Gefällt 5 Personen

Sie dürfen gerne ein Wörtchen mitreden, wenn's konveniert!