- von Frida Nilsson
- Illustrationen von Anke Kuhl
- Aus dem Schwedischen von Friederike Buchinger
- Gerstenberg Verlag September 2015 www.gerstenberg-verlag.de
- 128 Seiten
- gebunden
- Format 16 x 21,5 cm
- 12,95 € (D), 13,40 € (A), 16,90 sFr.
- ISBN 978-3-8369-5860-8
- Kinderbuch ab 8 Jahren
EINE SCHÖNE BESCHERUNG
Buchbesprechung von Ulrike Sokul ©
„Frohe Weihnachten, Zwiebelchen!“ ist eine Geschichte, die ganz nahe am ebenso verletzlichen wie tapferen kindlichen Herzen geschrieben wurde.
Stig, der als Säugling von seiner Mutter den Kosenamen Zwiebelchen bekommen hat, wünscht sich sehnlich ein Fahrrad zu Weihnachten. Doch seine alleinerziehende Mutter hat nicht genug Geld, um ihm einen solch kostspieligen Wunsch zu erfüllen, und sie ermahnt ihn freundlich, sich doch bitte ein alternatives Geschenk zu überlegen.
Zwiebelchen hat aber nun einmal diesen einen Wunsch, und auf dem Fußweg zur Schule beobachtet er neidisch seinen Klassenkameraden Elmar – der begleitet von seinem Vater – mit dem Rad zur Schule fährt.
Elmar hat also nicht nur ein Fahrrad, er hat auch einen Vater. Denn Stig vermisst nicht nur ein Fahrrad, sondern auch einen Vater. Schon oft hat er versucht, seine Mutter dazu zu bewegen, nach Stockholm zu fahren und seinen Vater kennenzulernen. Aber seine Mutter will nichts von diesem Mann wissen; nur ihn, das Zwiebelchen, das hätte sie unbedingt gewollt.
Nachdenklich geht Stig auf dem weiteren Weg zur Schule an einer Autoreparatur- werkstatt vorbei, die Karl gehört. Karl gilt als komischer Vogel, er hinkt, er hat einen kleinen Hühnerstall auf seinem Werkstattgelände, und angeblich kann er Hühner hypnotisieren. Das bringt Zwiebelchen auf die Idee, daß er Karl fragen könne, ob er vielleicht auch Mütter dahingehend hypnotisieren könne, daß sie trotz Geldmangels einen Fahrradwunsch erfüllen.
Schüchtern nähert er sich Karl und ist angenehm überrascht, daß dieser zwar äußerlich etwas verlottert ist, aber sehr freundlich mit ihm und mit den Hühnern spricht. Zwiebelchen besucht Karl nun öfter und lernt einiges über Hühner und wie man sich ihr Vertrauen erwirbt. Tatsächlich ist er mit der Hühnerpflege und der wachsenden zutraulichen Verbindung zu Karl eine ganze Weile von seiner Fahrradbesessenheit abgelenkt und erwägt sogar, sich stattdessen etwas von Lego zu wünschen.
Seine Mutter freut sich über den Kontakt, den er mit Karl aufgenommen hat, und sie scheint ihn auch zu mögen. Bei einer weihnachtlichen Schulaufführung sitzt seine Mutter zusammen mit Karl im Publikum, und Stigs Mitschüler spekulieren laut darüber, ob der komische Vogel wohl sein unbekannter Vater sei. Das geht Stig zu weit, und er reagiert schroff und abweisend auf Karl und stellt sich seinen richtigen Vater irgendwie glanzvoller und toller vor.
So kommt es, daß Stig sich von allen unverstanden und peinlich-bemitleidetet fühlt und er einfach ein verwaistes Fahrrad „mitnimmt“ und versucht, sich – trotz des einsetzenden Schneefalls – auf den Weg nach Stockholm zu machen. Der emotionale Aufruhr in seinem Herzen weicht mit zunehmender Kälte und Dunkelheit der Sehnsucht nach seiner Mama und dem Zweifel, ob er bei seinem richtigen Vater überhaupt erwünscht sei, ja, er zweifelt sogar an seiner grundsätzlichen Liebenswertigkeit.
Schließlich durchdringt das Licht eines Autoscheinwerfers das Schneegestöber; am Steuer des Wagens sitzt Karl. Zwiebelchen ist sehr froh und dankbar, daß Karl ihn offenkundig gesucht und gefunden hat und ihn fürsorglich zurück nach Hause bringen möchte. Stig und seine Mutter sprechen sich danach – gemütlich aufs Sofa gekuschelt – gründlich aus, und Stig wünscht sich von ganzem Herzen, daß sie gemeinsam mit Karl Weihnachten feiern … und Hühner streicheln.
„In seiner Brust, die vom vielen Weinen noch ganz wund ist, fliegt sein Herz herum wie ein eben aufgewachter Winterschmetterling.“
(Seite 52)
Frida Nilsson schlüpft in dieser Weihnachtsgeschichte einfühlsam in die kindliche Wahrnehmungs- und Gefühlswelt und beschreibt diese sozial- sensibel, ungeschönt, situationskomisch und warmherzig sowie mit spielerischem Tiefsinn. Besonders anrührend empfinde ich die Unmittel- barkeit in der sprachlichen Darstellung der kindlichen Bedürfnisse, Hoffnungen, Interpretationen, Konflikte und Sehnsüchte.
Die Illustrationen von Anke Kuhl geben den emotionalen Abwechslungs- reichtum dieser Geschichte mit ausdrucksvollem Minimalismus wider.
Hier entlang zum Buch auf der Verlagswebseite:
https://www.gerstenberg-verlag.de/Kinderbuch/Kinderliteratur/Frohe-Weihnachten-Zwiebelchen.html?noloc=1
Die Autorin:
»Frida Nilsson, geb. 1979 in Örebro, Schweden, arbeitete als Moderatorin für das schwedische Kinderfernsehen und schreibt seit 2004 äußerst erfolgreich Kinderbücher. In Schweden wird sie von der Presse gern mit Roald Dahl verglichen, der einer ihrer Lieblingsautoren ist. Viele ihrer Geschichten sind für das schwedische Kinderradio veretont worden. Für Hedvig! Im Pferdefieber wurde Frida Nilsson 2006 für den Augustpreis nominiert; 2014 wurde sie mit dem Astrid Lindgren Priset für ihr Gesamtwerk ausgezeichnet.
Bei Gerstenberg sind von ihr außerdem erschienen: Hedvig! Das erste Schuljahr und Hedvig! Die Prinzessin von Hardemo, beide Bücher mit Bildern von Anke Kuhl.«
Die Illustratorin:
»Anke Kuhl, geb. 1970, lebt und arbeitet in Frankfurt am Main. Sie hat Freie Kunst an der Uni Mainz und Visuelle Kommunikation an der HFG Offenbach studiert und arbeitet seit ihrem Abschluss 1998 als freie Illustratorin und Grafikerin in der Ateliergemeinschaft »labor«. 2002 wurde sie mit dem Troisdorfer Bilderbuchstipendium ausgezeichnet, 2011 mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis.«
Die Übersetzerin:
»Friederike Buchinger, geb. 1973, lebt mit Tochter, Hund und Meerschweinchen in der Pfalz. Sie übersetzt seit 2001 aus dem Dänischen, Norwegischen und Schwedischen und hegt dabei eine besondere Liebe zu Kinderbüchern im Allgemeinen und den schrägen, unangepassten im Besonderen. Ihre Übersetzung von Ich, Gorilla und der Affenstern wurde für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert.«
Der grüne Spruch, liebe Ulrike, den du in deiner feinen Rezension zu recht so heraus hebst, der ist ja wirklich zauberschön…
Liebe Wintergrüße vom Lu Finbar
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Wie fein wir wieder harmonieren, lieber Lu Finbar.
Herzliche wintervermissende Grüße von Ulrike
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Zumindest hat ihn heute die feine Mutter Allnatur schon mal eingeläutet 🙂
Seien wir also ein bisschen geduldig, liebe Ulrike der Bücher, und warten ab, mit was der Winter uns alles überraschen wird…
Herzlichst, Lu
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Da hast Du recht, lieber Lu,
der Schneeteil des Winters fing in meiner Gegend schon oft erst im Februar (sogar häufig zu meinem Geburtstage) an …
Schneesehnsüchtige Grüße 🙂
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…ich liiiiiiiebe Schneefall…
aber, liebe Ulrike, ich kann warten :-
Januar und Februar sind DIE Wintermonate!
Mittagsgrüßle vom Lu
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… als ich den Satz auf Seite 52 gelesen habe ist mein Herz verloren gegangen… was für ein zart verschneites Buchgefühl… 😀
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Das, liebes Blumenmädchen,
kann ich gut mitempfinden.
Es sind noch viele feine, herzkindliche Sätze in diesem Buch, aber die zitierte Zeile ist mein Lieblingssatz. 🙂
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😀
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Ich hab auch schon mal versucht, ein Huhn zu hypnotisieren, ist gar nicht so einfach!
Auf der Illustration scheint mir allerdings eher Zwiebelchen als das Huhn in den Bann geschlagen zu sein. Aber vielleicht übt Karl ja noch … 🙂
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So ist es, lieber Michael,
das hast Du scharfsinnig erkannt und treffend bemerkt 🙂
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Zwiebelchen und dieses leicht empört blickende Huhn auf seinem Arm. Was für eine tolle Illustration das ist. Schon die ist es wert, gekauft zu werden!
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Das sehe ich genauso; die Illustrationen von Anke Kuhl sind stets herrlich gefühlsecht. 🙂
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Wie wundervoll erzählt, für viele Kinder ist dieses Szenario sicher nicht unbekannt. Ich könnte mir das auch verfilmt sehr beeindruckend vorstellen….Hühner streicheln…die Idee gefällt mir 😉
Liebe Grüße an Dich, liebe Ulrike, ich muss noch ein wenig nachholen….jede Deiner Rezensionen ist in meinen Augen Gold wert und nebenbei habe ich außerdem bessere Karten bei meinem Zwerg hier 😉
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DANKE, liebste Ann,
für Deine großzügige Wertschätzung!
Ich hatte Dich schon vermißt und war kurz davor auf dem E-Post-Wege nachzufragen, ob bei Dir alles im Lack ist.
Das familiäre Schicksal von Zwiebelchen ist gewiß kein Einzelfall, weshalb es konstruktiv ist, auch diese Konstellationen und ihre emotionale Gestimmtheit im Kinderbuch darzustellen.
Hühnerstreicheln gefällt mir übrigens auch ganz besonders 🙂
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