Er und ich

  • Erinnerungen
  • von Sybil Gräfin Schönfeldt
  • Wallstein Verlag, Mai 2023 www.wallstein-verlag.de
  • gebunden
  • Fadenheftung
  • 264 Seiten
  • 26,00 € (D), 26,80 € (A)
  • ISBN 978-3-8353-5395-4

Er und ich 2

DIE  LIEBE  ZWISCHEN  DEN  ZEILEN

Rezension von Ulrike Sokul ©

Sybil Gräfin Schönfeldt fügt in ihrem Erinnerungsbuch die Lebensgeschichte ihres Mannes und ihre eigene zu einer gemeinsamen Biographie zusammen. Achtsam und einfühlsam erzählt sie von beiden Herkunftsfamilien, wobei der Schwerpunkt ihrer Betrachtungen auf der Familie des Gatten Heinrich Schlepegrell liegt.

Heinrich Schlepegrell entstammt einer großen, weitverzweigten Familie, die mütter- licherseits mit der berühmten Familie Mendelssohn verwandt ist. Seine Mutter war Elisabeth Gussero, eine ausgebildete Fotografin, die vor dem Ersten Weltkrieg mehr- fache deutsche Meisterin im Golfspielen wurde. Sein Vater, Dr. Harry von Schlepegrell, war Augenarzt und verfaßte das erste Golf-Lehrbuch in deutscher Sprache. Seine Frau lernte er beim Golfspielen kennen. Einmal gewannen sie gemeinsam einen Silberpokal, und da sich der Pokal schlecht teilen ließ, beschlossen sie, einfach zu heiraten.

Sybil Gräfin Schönfeldt und Heinrich Schlepegrell lernen sich nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges im Hamburg kennen und lieben und sie heiraten 1957. Die Autorin erzählt gleichwohl weniger eine Liebesgeschichte, als vielmehr das Psychogramm zweier Menschen, die – geprägt von Kriegs- und Diktaturerfahrungen, Verletzungen, Verlusten und erlebter Todesgefahr – stets sehr reflektiert und sensibilisiert auf die Verwand- lungen des gesellschaftlichen Zeitgeistes achten und die Auseinandersetzung mit historischem Leid und Schuld nicht scheuen. So wählt die Autorin beispielsweise für ihre halbjährlichen Vorstellungen der Buchneuerscheinungen für den Börsenverein des Deutschen Buchhandels ausdrücklich auch Titel aus, die sich mit dem Dritten Reich befassen.

Die Erinnerungen an Ehe und Familie sind verwoben mit historischen Rückblicken auf freudige und rettende sowie tragische und leidvolle Erfahrungen von nahen Verwandten beider Herkunftsfamilien. Diese zahlreichen Familiengeschichten machen den jeweiligen Zeitgeist sehr anschaulich und lebendig.

Sybil Gräfin Schönfeldt berichtet nur teilweise chronologisch, oft blendet sie assoziativ vor oder zurück, manches bleibt bloß angedeutet. Sie bewahrt hinsichtlich der Gefühle für Mann und Kinder eine vornehme Zurückhaltung, die Liebestiefe schwingt eher zwischen den Zeilen als in den gewählten Worten mit.

Heinrich Schlepegrell starb, als Sybil Gräfin Schönfeldt 80 Jahre alt war. Sie hat ihren Lebenspartner um fünfzehn Jahre überlebt. „Er und ich“ ist gewissermaßen ein etwas längerer, sehr dankbar-wertschätzender und würdigender Nachruf auf ihre gemeinsame Zeit, die ein bemerkenswertes halbes Jahrhundert umfaßt.


Hier entlang zum Buch und zur Leseprobe auf der Verlagswebseite:

https://www.wallstein-verlag.de/9783835353954-er-und-ich.html

Die Autorin:

»Sybil Gräfin Schönfeldt (1927 – 2022) war promovierte Germanistin und Kunsthistorikerin, arbeitete als Redakteurin und freie Journalistin u.a. für DIE ZEIT. Sie schrieb und übersetzte Kinder- und Jugendbücher, verfasste Kochbücher in historischen Zusammenhängen, u.a. „Gestern aß ich bei Goethe“ (2002) oder „Bei Thomas Mann zu Tisch“ (2004).
Ihre Biographie „Astrid Lindgren“ (Neuausgabe 2007) ist ebenso wie das „Kochbuch für die kleine alte Frau“ (2018) und das „Kochbuch für den großen alten Mann“ (2019) ein Bestseller. Viele Jahre war sie Herausgeberin des „Literarischen Küchenkalenders“.«

Querverweis:

Hier entlang zu den letzten drei Kochbüchern, die Sybil Gräfin Schönfeldt – gewürzt mit ihren familiär-kulinarischen Lebenserinnerungen – geschrieben hat:

Kochbuch für die kleine alte Frau“ Kochbuch für die kleine alte Frau
„Kochbuch für den großen alten Mann“ Kochbuch für den großen alten Mann
„Kochbuch für meine liebste Freundin“ Kochbuch für die liebste Freundin

12 Kommentare zu “Er und ich

  1. Liebe Ulrike,
    danke für den Tipp!
    Für mich war die Gräfin zuallererst eine benadete Übersetzerin. Als junge Jugend-Buchhändlerin war ich mir immer sicher, es wird ein vergnügliches Lesen, für mich, die Kunden und die Kinder.
    Ich konnte unbesehen einkaufen, lange bevor andere illustre Namen auftauchten.
    Eine großartige Frau. Habe eben noch ein paar Interviews gelesen, danke auch dafür.
    Liebe Grüße,
    Elke Jäger

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  2. Liebe Ulrike,
    ich habe den Namen der Autorin zwar schon mal gehört (wahrscheinlich auch auf deinem Blog), hätte aber nichts über sie erzählen können. Ihre Erinnerungen würden mich hauptsächlich deshalb interessieren, weil sie die letzten Jahrzehnte des letzten und die ersten Jahrzehnte dieses Jahrhunderts umfassen. Ich kenne fast gar keine zeitgenössische deutsche Geschichte und denke mir, daß ich viel dabei bzw. davon lernen würde.
    Dir ein nettes Wochenende,
    Tanja

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    • Liebe Tanja, vielen Dank für Deinen Lesebesuch. Sybil Gräfin Schönfeldt ist Dir auf meinem Blog mindestens schon viermal (drei Kochbücher und der „Literarische Küchenkalender 2023“) begegnet.
      Außerdem hat sie sehr viel englischsprachige Literatur ins Deutsche übersetzt, wie Du in meinem Antwortkommentar auf Bruni nachlesen kannst.
      Sybil Gräfin Schönfeldts Erinnerungen sind zwar umrahmt von der deutschen Geschichte, sie sind jedoch mehr persönlicher als politisch-historischer Art. Deshalb wäre diese Lektüre als Nachhilfelektüre zur deutschen Geschichte der vergangenen acht Jahrzehnte zu lückenhaft. Gleichwohl sind diese Erinnerungen ein lesens- und wissenwertes Mosaikteilchen biographischer Zeitgeschichte.
      Mit einem herzlichen Abendsonnengruß von mir zu Dir 🙂

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      • Liebe Ulrike,
        ich danke Dir für diese zusätzliche Information. Du hast gut erkannt, daß mich eher politisch-historische Lektüre über das Deutschland seit Ende des zweiten Weltkriegs anspricht. Ich werde abwarten, ob bei Dir zufällig mal eine Buchbesprechung darüber erscheint. 😊
        Dir eine gute neue Woche.
        Herzlichst,
        Tanja

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  3. Ihr Name ist mir so bewußt, als würde sie immer noch leben, liebe Ulrike, aber außer von ihren Kochbüchern weiß ich sehr wenig von ihr.
    Ich wußte nicht, welch tolle Bücher sie ins Deutsche übersetzt hat.
    „Catweazle“ von Richard Carpenter z.B. hatte ich in einer alten Sendung schon im TV gesehen und mir dann irgendwann das Buch zugelegt. Es ist zu schön, zum Grinsen und Amüsieren schön. Den Namen seiner Kröte hab ich nie vergessen 🙂

    Ganz herzlich, Bruni

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    • Hab‘ Dank, liebe Bruni, für Deine schöne Rückmeldung. Ja, mir ist ihr Name ebenfalls noch sehr präsent, und es wird dieses Jahr auch noch der „Literarische Küchenkalender 2024“ von ihr erscheinen, für den sie bereits 2022 vorgearbeitet hatte. Sybil Gräfin Schönfeldt war – buchstäblich – eine vielseitige und sehr schreibfleißige Dame.
      Es freut mich, daß ich Dich neben dem aktuellen Buch und den feinköstlichen Kochbüchern auch noch auf ihr umfangreiches Übersetzungswerk aufmerksam machen konnte.
      Nachtaktive Grüße von mir zu Dir 🙂

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  4. Die Buchbesprechung ist tatsächlich sehr ansprechend. Mir gefällt der von Random gewählte Ausdruck auch sehr gut. Und ebenso mag ich die Zeile, in der steht, dass keine Liebesgeschichte erzählt wird, sondern eher ein Psychogramm zweier Menschen. Ich staune, dass man das so ausdrücken kann und freue mich, dass ich weiß, was damit gemeint ist.
    Bisher dachte ich allerdings, Psychogramm hätte eher was mit Krankheit zu tun.

    Sybil Gräfin Schönfeldt kenne ich aus meiner Jugend als Kosmetikguide für junge Mädchen und einem Buch über Benimmregeln.

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    • Vielen Dank für Dein Leseinteresse und Dein Gefallen an meinem Rezensionsstil.
      Ein Psychogramm ist einfach ein Persönlichkeitsprofil, und das ist nicht zwangsläufig krankhaft oder neurotisch. Selbstverständlich ist das Beziehungs-Psychogramm in diesem Buch keine Beschreibung im psychologisch-klinischen Sinne, sondern in einem biographisch-literarisch-zwischenmenschlichen Sinne. Während der Lektüre gewinnt man einen streiflichternden Eindruck von charakteristischen Wesenzügen und Geisteshaltungen sowie von der Beziehungsdynamik zwischen Sybil Gräfin Schönfeldt und Heinrich Schlepegrell.
      Gut, daß Du noch ältere Bücher von Sybil Gräfin Schönfeldt erwähnst. An das Benimmbuch habe ich gar nicht mehr gedacht, obwohl es bei mir im Bücherregal steht …

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  5. Sybil Gräfin Schönfeldt verbinde ich so sehr mit den von dir leselebenszeichnerisch vorgestellten Kochbüchern, dass ich mir gar nicht mehr sicher bin, ob (und, wenn ja, wann und in welchem Zusammenhang) mir ihr Name zuvor überhaupt je begegnet war.
    Was mir hier auffällt und das Buch für mich besonders interessant erscheinen lässt, ist der Umstand, dass die hier (auf)gezeichneten Lebensfäden mit geringer Abweichung auf der gleichen Zeitlinie liegen wie die Lebenszeit meiner Eltern. Dadurch ergeben sich ja doch sehr persönliche Bezüge. Einladend wirkt auf mich zudem, dass der Umfang des Buches für so viel Leben eigentlich recht bescheiden ist. Auch der schön formulierte Satz „die Liebestiefe schwingt eher zwischen den Zeilen…mit“ gefällt mir nicht nur durch die Wortwahl, sondern auch von der Bedeutung her.
    Mit einem herzlichen Sonntagabendgruß 🐻

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    • Verbindlichen Dank für Deine zugeneigte Resonanz. 🙂
      Vielleicht ist Dir Sybil Gräfin Schönfeldt – jenseits ihrer neueren und von mir rezensierten Kochbücher – schon einmal als Übersetzerin über den Leseweg gelaufen. Sie hat u.a. „Wind in der Weiden“ von Kenneth Grahame, „Hexen hexen“ von Roald Dahl, „Alice im Wunderland“ von Lewis Carroll und „Catweazle“ von Richard Carpenter ins Deutsche übersetzt.
      Der Umfang des Buches ist, gemessen am langen Zeitraum, in der Tat übersichtlich. Zudem kreisen Sybil Gräfin Schönfeldts Erinnerungen ausdrücklich nicht egozentrisch nur um die reine Paarbeziehung, sondern um das sehr komplexe Beziehungsgeflecht beider Herkunftsfamilien sowie um zeitgeschichtliche Aspekte. Ich interpretiere die sprachlich-emotionale Zurückhaltung als Kennzeichen einer gesättigten Liebe, die es nicht nötig hat, sich in wortreich-gefühlsbetontem Liebesschwärmen auszudrücken. Gleichwohl gibt es Erzählszenen, in denen die Liebestiefe zwischen den Zeilen spürbar mitschwingt. Es freut mich, daß Dir meine entsprechende Formulierung gefällt.
      Mit einem herzlichen Sonntagabendgruß auch von mir zu Dir 🙂

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