Die Ecke

  • von ZO-O
  • Verlag Urachhaus, Juli 2021 www.urachhaus.com
  • gebunden
  • Fadenheftung
  • Format: 14,7 x 28,2 cm
  • 64 Seiten
  • 16,00 € (D), 16,50 € (A)
  • ISBN 978-3-8251-5278-9
  • Bilderbuch ab 3 Jahren (laut Verlag)
  • Bilderbuch ab 5 Jahren (nach meiner Einschätzung)

Die Ecke Titelbild
VON  DRINNEN  NACH  DRAUSSEN

Bilderbuchbesprechung von Ulrike Sokul ©

Das Bilderbuch „Die Ecke“ kommt weitgehend ohne Text aus – es erzählt sich durch die szenische Bilderabfolge in anschaulicher Stille selbst und eröffnet dabei einen beacht-lichen Interpretationsspielraum. 

Eine kleine Krähe betrachtet die Ecke eines kahlen Raumes mit weißen Wänden. Sie setzt sich in diese Ecke, dann legt sich dort hin, und schließlich schiebt sie ein Sofa heran. Dem Sofa folgen ein kleines Bücherregal, einige Bücher, ein runder hellblauer Teppich, eine Lampe und eine kleine Zimmerpflanze in einem Topf. So schaut es schon richtig gemütlich aus. Die Krähe liest ein Buch, gießt die Zimmerpflanze, macht ein Nickerchen, knabbert Nüsse und überlegt, was sie sonst noch braucht.

Die Ecke Innenabbildung Wandbemalung

Illustration von ZO-O © Verlag Urachhaus 2021

Mit einem orangegelben Kreidestift beginnt die Krähe die weißen Wände mit syme-trischen Quadraten und Rechtecken zu bemalen, die den Wänden eine lichtere Aus-strahlung geben und ihnen optische Fenstersilhouetten „einbauen“.

In den Pausen der Wandgestaltung hört die Krähe Musik und flattertanzt auf ihrem blauen Teppich umher. Das Vergehen der Zeit zeigt sich im deutlichen Wachstum der Zimmerpflanze.

Als die Wände bis zur Decke vollgemalt sind, bemerkt die Krähe, daß ihr immer noch etwas fehlt. Kurzentschlossen sägt sie ein Fenster in die Mauer, und nun fällt endlich echtes Tageslicht ins Zimmer. Zunächst sonnt sich die Krähe auf ihrem Teppich im hereinscheinenden Sonnenlicht. Doch dann tritt sie ans Fenster und schaut hinaus. Draußen steht ein weißer Vogel mit rundlichem Schnabel, der die Begrüßung der Krähe freundlich erwidert.

Die Ecke Innenabbildung Pflanze

Illustration von ZO-O © Verlag Urachhaus 2021

Die zarten Buntstiftzeichnungen wirken ruhig und meditativ. Eine leise Spannung er-wächst aus der sich langsam füllenden Ecke und der sich ausbreitenden Wandbemalung. Ein feiner Nebeneffekt ist, daß die Buchfalzung in der Mitte jeder Doppelseite exakt die illustrierte Ecke spiegelt.

Wenn man dieses Bilderbuch gemeinsam mit einem Kind durchblättert, bietet es sich an, mit offenen Fragen an die Bilderabfolge heranzugehen und das Kind beschreiben zu lassen, was es sieht, vermutet oder erwartet. Man kann einfach nur der szenischen Bildabfolge nachgehen oder auch abschweifend fragen, wie und womit denn das Kind einen zunächst leeren Raum füllen würde, um sich dort wohlzufühlen.

Daß eine behagliche persönliche Einrichtungsgestaltung und die Anwesenheit schöner Dinge alleine nicht ausreichen, um sich gut zu fühlen, dürfte auch schon einem kleinen Kind verständlich und nachvollziehbar sein.

Dieses Bilderbuch illustriert buchstäblich, wie man sich selbstfürsorglich und selbstge-nügsam nach innen zurückzieht und dort wohlig einrichtet. Aber fehlt nicht trotzdem noch etwas? Ja, es fehlt die Anregung durch die Außenwelt und der Kontakt mit anderen Wesen. Denn beide Wege ergänzen sich, und somit wird sowohl das Bedürfnis nach Einsamkeit, Rückzug und Selbstbesinnung als auch das Bedürfnis nach Begegnung, Kommunikation und Verbundenheit befriedigt.

Ob ein dreijähriges Kind bereits die sinnbildliche Ebene dieses Bilderbuches erfassen kann, sei einmal dahingestellt oder dem aufgeschlossenen Versuch überlassen. Zumin-dest wird in diesem zarten Alter jedoch die kindliche Anteilnahme an der wohnlichen Gestaltung der geborgenen Ecke zu erwarten sein. 

Hier entlang zum Buch und zur Leseprobe auf der Verlagswebseite:
https://www.geistesleben.de/Lesen-was-die-Welt-erzaehlt/Bilderbuch/Die-Ecke.html

Hier entlang zum Buchwerbefilmchen:
https://www.youtube.com/watch?v=_rxqVzlAQ3E

Die Illustratorin:

»ZO-O (das Pseudonym der Illustratorin steht für» Krähen-Zoo«) wurde 1988 in Gunpo in der Provinz Gyeonggi-do in Südkorea geboren und studierte an der HILLS-Akademie Illustration. Sie gilt in Korea als eine der talentiertesten Neuentdeckungen, 2017 gewann sie den ersten Preis beim renommierten Wow-Bookfest in Seoul. Seither hat sie an    verschiedenen Independent-Projekten mitgearbeitet und 2020 mit „Die Ecke“ ihr erstes Bilderbuch veröffentlicht. Instagram: @crow­­_zoo_illustration «

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27 Kommentare zu “Die Ecke

    • Vielen Dank, liebe Tanja, für Deine interessierte Rückmeldung und Dein ausdrückliches Gefallen an den Illustrationen.
      Und danke Deiner Nachfrage nach dem Befinden in meiner gemütlichen Lebensecke. Mir geht es gut, und ich hoffe, Dir in Deiner Lebensraumecke ebenfalls.
      Herzlich grüßt
      Ulrike

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      • Das freut mich für Dich, liebe Ulrike. Wenn auch die Sorgen groß und die Gedanken im Kopf nicht immer positiv und froh sind, ist auch hier alles im grünen Bereich. Ich danke der Nachfrage.
        Liebe Grüße,
        Tanja

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  1. liebe ulrike, das scheint mir ein ganz besonderes buch zu sein: so freilassend, zurückhaltend, dabei aber anregend zum gespräch bzw. zu eigener innerer aktivität — ein buch, das nicht mit pseudopädagogischen welterklärungshülsen das kind überfrachtet … danke sehr für den hinweis! 🙂
    herzlich: pega

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    • Verbindlichen Dank, liebe Pega,
      für Deine Zustimmung zur ebenso freilassenden wie anregenden Deutungsweite, die dieses Bilderbuch eröffnet. Mir sagt ebenfalls zu, daß hier nichts „vorgeschrieben“ wird.
      Herzliche Grüße von mir zu Dir 🙂

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  2. Ich finde das Buch einfach wundervoll, Konzept und Zeichnungen rundum, aber es ist meiner Meinung nach keinesfalls für Dreijährige empfehlenswert. (wie Du ja auch beurteilst). Ich finde es schade, dass da offensichtlich kommerzielle Interessen mitspielen. Denn kauft man das Buch für ein dreijähriges Kind und es versteht die Botschaft nicht, ist das Buch für lange Zeit uninteressant. Zumindest ist das meine Erfahrung. Mag man es von Anfang an, möchte man es auch weitererkunden.
    Ganz schlimm ist diese Strategie bei Spielzeug. Spricht man mit Verkäufern empfehlen sie meist das Spielzeug für 1-2 Jahre ältere als auf der Packung angegeben. Sicher ist es dann zwar schon laut Herstellerempfehlung, aber der Spaßfaktor kommt erst, wenn man die wirkliche Reife für das Spielzeug entwickelt hat.
    Um den Kreis zu schließen, mir scheint, dass diese Strategie jetzt auch bei Büchern angekommen zu sein.
    Etwas umständlich heute😁
    Liebe Abendgrüße an Dich, liebe Ulrike

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    • Liebe Barbara,
      hab‘ Dank für Deine Bilderbuchbegeisterung und Deine Ausführungen zu den unpassenden Altersangaben bei Spielen und Büchern. 🙂
      Bei Kinderspielen habe ich keine aktuelle persönliche Erfahrung. Bei Bilderbüchern nehme ich häufiger wahr, daß die Alterangeben meiner Ansicht nach unrealistisch oder überambitioniert sind – so als wären alle plötzlich hochbegabt. 😉 Kommerziell wäre dies allerdings eher kontraproduktiv. Bilderbücher sind zwar keine verderbliche Ware, aber eine angemessene Zielgruppenorientierung wäre ein besserer Kundendienst als der Umweg über ein noch zu junges Publikum.
      Mit einem herzliche Sonnengruß
      Ulrike

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  3. Das ist klasse. Die Verwandlung von ursprünglicher Trostlosigkeit in zunehmende Behaglichkeit wird nicht nur sichtbar, sondern förmlich spürbar. [Der Blick ins Buch auf der Verlagsseite funktioniert bei mir zwar nicht – aber das YT-Video gibt das ja sehr schön wieder.] Die Wohngemütlichkeitsausstrahlung bei den letzten Bildern ist phänomenal. 🌟 Und man darf ja hoffen, dass die Kinder ganz nebenbei auch lernen, wie man Topfpflanzen richtig gießt. 😀

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    • Hab‘ Dank für Deine zugeneigte Resonanz und Deine Empfänglichkeit für die zeichnerische Wohngemütlichkeitsausstrahlung! 🙂
      Und Deine Anmerkung zur beiläufigen Topfpflanzengießerziehung 😉 finde ich durchaus zutreffend.
      Die Leseprobe habe ich überprüft, bei mir läßt sie sich auch nicht öffnen – vielleicht eine vorübergehende technische Macke auf der Verlagswebseite. Das kurze YT-Video gleicht das aber gut aus. 😀

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      • Vielleicht blockieren irgendwelche virtuellen Kekskrümel den Mechanismus zum Öffnen der Buchbetrachtung. 😉
        Aber nur schon die vier auf der Verlagsseite gezeigten Bilder machen die zunehmende Wohngemütlichkeit sehr deutlich. 🙂

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      • Lieben Dank für deinen Hinweis. Das ist ja interessant. Ich habe es gleich ausprobiert und bei mir funktioniert es noch immer nicht.
        Allerdings habe ich nun kurzerhand die Seite von book2look.com direkt aufgerufen und dort als Suchbegriff „Die Ecke“ eingegeben. Und die durchaus beschauenswerte Leseprobe ist aufgetaucht. 🙂

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  4. Ein Buch, das von seiner Thematik her passend für scheue Jugendliche in der Vorpubertät sein könnte. Sich innerweltlich einrichten oder den Weg nach draußen wagen, sei es auch zunächst nur durch ein Guckfensterchen.

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    • Vielen Dank für Deine Rückmeldung, liebe Gerda. Die Thematik dieses Bilderbuches spricht vermutlich introvertierte Menschen jeden Alters besonders an. Und das Guckfensterchen, welches das Bilderbuch bietet, kann ein Implus zur Reflektion des Zusammenspiels von Innen- und Außenwelt sein.

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