Wär ich doch …

  • Text und Illustrationen von Mies van Hout
  • Originaltitel: »Was ik maar …«
  • Aus dem Niederländischen von Eva Schweikart
  • aracari Verlag, Frühjahr 2021 www.aracari.ch
  • gebunden
  • Fadenheftung
  • Format: 24 x 29 cm
  • 32 Seiten
  • durchgehend vierfarbig
  • 14,00 € (D), 14,50 € (A), 18,00 sFr.
  • ISBN 978-3-907114-17-9
  • Bilderbuch ab 4 Jahren

Wär ich doch

JEMAND  ANDERES  SEIN

Bilderbuchbesprechung von Ulrike Sokul ©

Es kommt nicht selten vor, daß wir selbstverständlich vorhandene Fähigkeiten und Gegebenheiten nicht in der ihnen gebührenden Wertigkeit wahrnehmen und statt- dessen sehnsüchtig bis neidvoll auf die Talente schauen, die anderen mitgegeben sind.

So denkt das Kind in diesem Bilderbuch, es wäre lieber ein Schmetterling, weil es dann überall hinfliegen könne. Der bunte Schmetterling wäre dagegen lieber ein gutgetarnter Wandelnder Ast, und dieser wiederum beneidet den Kreiselkäfer, der einfach übers Wasser tanzen kann. Der Kreiselkäfer glaubt, wenn er leuchten könne wie ein Glüh- würmchen, dann verginge seine Angst vor der Dunkelheit, und das Glühwürmchen wiederum sehnt sich nach der Gemeinschaftlichkeit der Bienen.

Wär ich doch - Glühwürmchen, Bienen

Text und Illustration von Mies van Hout © aracari Verlag 2021

So zieht sich der Wunsch nach vermeintlichen Fähigkeitsvorteilen weiter von Spinne zu Marienkäfer, zu Ameise, zu Gehäuseschnecke, zu Grille und zu Libelle. Mit der Libelle schließt sich der Kreis, denn die Libelle wäre gerne ein Kind und meint: »Dann könnte ich rennen, lachen, springen, mich verstecken, zählen, bauen … und noch viel mehr.«

Für jede Doppelseite hat Mies van Hout ein farbenfrohes Naturbühnenbild gestaltet, auf dem immer ein Tier mit zwei prägnanten Aussagesätzen zu Wort kommt. Auf der letzten Doppelseite tummeln sich viele spielende Kinder, und alle Tiere, die zuvor ihren Auftritt hatten, sind mehr oder weniger offensichtlich ebenfalls dabei.

Mit diesem Bilderbuch läßt sich sehr anschaulich vermitteln, daß jedes Wesen über ganz spezielle und artgemäß passende Eigenschaften und Fähigkeiten verfügt und dennoch meinen kann, ihm fehle noch eine fremde Gabe zum Lebensglück. Die kommunikative Überleitung zu Fähigkeiten, die nun dem eigenen Kinde attraktiv erscheinen, liegt nahe und wird gewiß interessante Kinderwünsche ans Licht bringen.

Dabei können neben unerreichbar märchenhaften Eigenschaften wie z.B. Unsichtbarkeit auch durchaus Fähigkeiten erwünscht sein, die kurz- oder langfristig erlernt und geübt werden können.

Außerdem kann man gemeinsam mit dem Kind auch aufmerksam aufzählen, was es schon alles kann. Auch wenn dies zunächst sehr alltäglich erscheint, dient es doch der spielerischen Bewußtseinsbildung für das Guthaben im Ausgleich zum vermeintlichen Defizit. Denn die Wunschliste der Libelle enthält ja gerade solche ganz alltäglichen kindlichen Fähigkeiten wie rennen, lachen, springen, sich verstecken … 

Ebenso spannend ist die Frage, wie der Wunsch nach einer bestimmten Fähigkeit mit der Persönlichkeit des Kindes korrespondiert. Was ist mir zueigen? Was fällt mir leicht und was fällt mir schwer? Was habe ich noch nicht ausprobiert? Und von welcher Gabe möchte ich weiterträumen, auch wenn sie nur ein Luftschloß bleibt?

„Wär ich doch…“ ist ein Bilderbuch, das zu lebhafter kommunikativer Interaktion und zu spielerischer kindlicher Selbsterkenntnis einlädt.

Hier entlang zum Buch und zur Betrachtungsprobe auf der Verlagswebseite: https://www.aracari.ch/page/de/buecher/detail?id=295

Die Autorin & Illustratorin:

»Mies van Hout wurde 1962 geboren und studierte an der Kunstakademie in Groningen Grafikdesign. Seit 1989 arbeitet sie als freischaffende Illustratorin und Grafikdesignerin und hat seitdem viele Bilderbücher illustriert. Ihr Buch »Brave Ben« wurde mit dem niederländischen Kinderbuchpreis ausgezeichnet.«
Anregungen und Zeichen-Workshops zum Buch finden Sie unter: https://www.miesvanhout.nl/de

Leselebenszeichen-Datenschutzerklärung: https://leselebenszeichen.wordpress.com/datenschutzerklaerung/

28 Kommentare zu “Wär ich doch …

    • Vielen Dank für Deinen Lesebesuch, liebe Corinna.
      Ja, Deine Assoziation zu Eric Carles „Chamäleon Kunterbunt“ ist thematisch angemessen.
      Schön, daß Du meine Buchempfehlung in Deine Geschenkeliste aufnimmst.

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  1. Mir gefällt neben der wunderschönen Aufmachung besonders, dass die Kinder eine Selbstwahrnehmung entwickeln. Der erste Instinkt ist immer der Vergleich, so lernen sie ja auch im Grunde. Das Buch klingt nicht pädagogisch belehrend sondern natürlich emotional stärkend. Das Buch werde ich mir merken.
    Vielen Dank und liebe Grüße an Dich, Barbara

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    • Ja, das ist der wesentliche Aspekt dieses Bilderbuches, daß Kinder ihre Selbstwahrnehmung entwicklen. Vergleichen ist nicht schlimm, nur die Selbstabwertung oder maßlose Überhöhung einer anderen Fähigkeit wird problematisch.
      Du hast auch richtig wahrgenommen, daß uns hier keineswegs der pädagogische Zeigefinger auflauert, sondern, daß sich die Botschaft spielerisch-natürlich mitteilt und dabei auch viel Deutungsspielraum für ganz individuelle Gegebenheiten läßt.
      Herzensdank für Deine aufmerksame Resonanz
      und Herzensgruß von mir zu Dir ❤

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  2. Ja, das habe ich auch manchmal gedacht. Aber inzwischen habe ich das lange nicht mehr gedacht. Trotzdem denke ich, dass es ein gutes Buch für die Kleinen ist, weil es wohl doch für Kinder ziemlich normal scheint, dass sie sowas denken. Lieben Dank für die Vorstellung.

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    • Vielen Dank für Deinen Kommentar. Jeder hat wohl schon mehr oder weniger solcher Wär-ich-doch-Gedanken gehegt.
      Dieses Bilderbuch vermittelt Kindern anschaulich, daß alle Wesen eine gewisse Sehnsucht nach andern Befähigungen haben und zugleich regt dieses Bilderbuch die kindliche Selbstwahrnehmung an.

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  3. Wär ich doch… denken wir alle manchmal. Der eine mehr, der oder die Andere weniger.
    Ich dachte es oft, bis ich merkte, so, wie ich war, wurde ich gebraucht…

    Schon alleine das Titelbild ist wunderschön, liebe Ulrike, und ich grüße Dich herzlich
    Bruni am Vormittag des ersten Junitages

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    • Danke für Deine schöne Rückmeldung, liebe Bruni.
      Je älter ich werde, umso weniger denke ich an Wäre-ich-doch-Verbesserungen, denn ich kenne meine Stärken und kann mit meinen Schwächen gut auskommen.
      Ich fand übrigens auch sogleich das Titelbild sehr ansprechend.
      Harmonische Grüße von mir zu Dir

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  4. Dieser Wunsch, anders zu sein, ist wohl universell. Wahrscheinlich brauchen die meisten Menschen etwas mehr Hilfe mit der Selbstakzeptanz als ein schönes Bilderbuch, aber es ist bestimmt nicht schlecht, bereits bei kleinen Kindern ihre Einzigartigkeit zu betonen.

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    • Lieben Dank für Deine Rückmeldung.
      Der Wunsch anders zu sein wird nur belastend, wenn es um die grundsätzliche Selbstakzeptanz schlecht bestellt ist. Mit einem ausgewogenen Selbstwertgefühl sind Vorstellungen vom Anderssein harmlose Phantasien, Gedankenspiele oder auch ein Hinweis auf ein noch nicht entwickeltes Talent.
      Mit diesem Bilderbuch läßt sich Kindern anschaulich vermitteln, daß alle Wesen einzigartige Fähigkeiten und Stärken haben.

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  5. Wie es der Zufall ergibt, habe ich gerade heute in „Kerners Krankheiten großer Musiker“ (6. Auflage) das Kapitel über Ludwig van Beethoven gelesen, und dort wird erzählt, noch in seiner Todeskrankheit sehnte sich der Meister weg von Wien, nach London. „Wie jeder Mensch, spielte auch er mit dem Gedanken, dass woanders alles besser sein müsse und bedachte nicht, dass er ‚drüben‘ wahrscheinlich mit denselben Problemen zu ringen gehabt hätte, die sich vor ihm auch in Wien auftürmten.“ (Seite 118) Also selbst Beethoven! In manchen Dingen sind wir wohl alle gleich.

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    • Vielen Dank für Deine Abschweifung zu Beethovens biografischer Wär-ich-doch-Variante.
      Die Ansicht, daß das Dasein an einem anderen Ort eine Verbesserung der eigenen Daseinserfüllung oder Zufriedenheit gewissermaßen beinhalte, ist weit verbreitet. Dabei wird stets zu wenig bedacht, daß man seine Persönlichkeit immer mit nimmt. Gleichwohl kann sich ein Ortswechsel auch beflügelnd und positiv lebensverändernd auswirken.

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      • Bei Beethoven lagen die Dinge besonders arg. Wohin er auch gegangen wäre, er hätte all seine Plagen mit sich genommen, alles, was ihn besonders quälte: seine Taubheit, seinen Suff, seine chronische Einsamkeit. Wohin er auch gegangen wäre, er wäre immer Ludwig van Beethoven geblieben, und das dürfte kein Vergnügen gewesen sein.

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  6. Das finde ich sehr ansprechend. Denn der Wunsch „wär‘ ich doch…“ lässt sich vielfältig drehen und wenden. Ob es nun um ein tatsächliches oder auch nur vermeintliches Defizit geht, oder vielleicht auch darum, gedanklich in die Rolle eines anderen Wesens zu schlüpfen und ein Gefühl dafür zu entwickeln, wie dieses andere Wesen die Welt sieht und erlebt.

    Ganz fabelhaft finde ich die Bilder, die mit einfachen Formen eine erstaunliche Vielfalt und Ausdruckskraft erzielen. Und der Link zur Seite der Autorin öffnet eine wahre Schatzkammer. Es lohnt sich sehr, bei allen dort versammelten Büchern in die Bilderbuchtipps zu schauen. 🙂

    Mit einem bunten Abendgruß 🐻

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    • Verbindlichen Dank für Deine zugeneigte Resonanz und den beachtenswerten Facettenreichtum Deiner Assoziationen zum Wär-ich-doch-Wunsch. 😀
      In der Tat kann das rollenwechselnde Gedankenspiel die Einfühlung in eine andere Wesensperspektive befördern.
      Ich stimme Dir hinsichtlich der Ausdruckskraft von Mies van Houts Illustrationen zu und freue mich, daß Du meinem Linkhinweis zu ihrer Webseite aufmerksam gefolgt bist.
      Mit einem muntermüden Abendgruß 😉

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    • Solche Gedankenspiele pflegen wir wohl alle gelegentlich, was ja nicht heißen muß, daß wir unzufrieden sind oder an einem tiefen Mangel leiden, sondern es kann auch einfach von einem lebhaften Vorstellungsvermögen zeugen. 🙂
      Es dankt und grüßt Ulrike

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