Der Donnerstagsmordclub und die verirrte Kugel

  • von Richard Osman
  • Originaltitel: »The Bullet That Missed«
  • Aus dem Englischen von Sabine Roth
  • Band 3 der MORDCLUB-Serie
  • List Verlag, Februar 2023 www.ullstein.de
  • Klappenbroschur
  • 432 Seiten
  • 17,99 € (D), 18,50 € (A), 20,50 € sFr.
  • ISBN 978-3-471-36052-1

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WENN  AUS  FEINDEN  FREUNDE  WERDEN

Rezension von Ulrike Sokul ©
Der letzte Kriminalfall, den das rostig-rüstige Seniorenquartett des Donnerstagsmord-clubs in Zusammenarbeit mit der offiziellen Polizei und dem Geheimdienst erfolg- reich, wenn auch ein wenig unkonventionell, gelöst hat, liegt noch gar nicht allzu lange zurück, da bahnt sich schon ein neuer Fall an. Na gut, es ist eigentlich kein neuer Fall, sondern ein alter ungelöster Mord, der die Amateurdetektive reizt.
Doch für alle, die mit dem Romanpersonal noch nicht auf Du sind, folgt nun eine kleine Vorstellungsrunde oder wahlweise ein Rückblick auf meine Rezension des ersten Bands: Der Donnerstagsmordclub
Joyce Meadowcroft ist eine hervorragende Kuchenbäckerin mit optimistischem Gemüt. Sie war Krankenschwester und ist verwitwet. Inzwischen hat sie sich übrigens Alan, einen sehr zutraulichen Hund, zugelegt.
Elizabeth Best ist eine ehemalige Geheimagentin mit nach wie vor guten, wenn auch informellen Kontakten zum MI 5 und  MI 6. Sie ist mißtrauisch und vorsichtig, was eine logische Begleiterscheinung ihrer Berufserfahrung ist.
Elizabeth ist mit dem sehr umgänglichen Stephen verheiratet, der an Demenz erkrankt ist, aber immer noch hervorragend Schach spielt. Schach spielt er bevorzugt mit Bogdan, dem handwerklichen Universalgenie und waffenkundigen, zielsicheren Außendienstmitarbeiter des Donnerstagsmordclubs.
Der derbe, rauhbeinige Ron Ritchie ist ein ehemaliger Gewerkschaftsführer und entsprechend lautstark und zupackend.
Ibrahim Arif ist der Gegenpol zu Ron Ritchie, was ihrer innigen Freundschaft jedoch nicht im Wege steht. Er war Psychiater und ist sehr elegant, feinsinnig und gebildet. Gelegentlich oder auch aus taktischen Gründen bietet er noch therapeutische Gespräche an.
Alle Mitglieder des Donnerstagsmordclubs verfügen über eine altersweise, todes- mutige Gelassenheit, die sie mit dem lebhaften Genuß von Alltagsfreuden charmanter, freundschaftlicher, kommunikativer, intellektueller und kulinarischer Art kombinieren.
Aus dem Fundus ungelöster Mordfallakten, die Elizabeth „organisiert“ hat, pickt sich Joyce den ungeklärten Mord an der Journalistin Bethany Waites heraus. Die junge Journalistin war vor zehn Jahren einem großen Steuer- und Geldwäschebetrug auf der Spur. Kurz vor der Aufdeckung der Hintermänner fiel ihr Auto von einer Klippe ins Meer. Das Auto konnte geborgen werden, aber es gab keine Leiche, nur noch einige Kleidungsstücke und Blutspuren. Die Ermittlungen verliefen buchstäblich im Sande.
Neben kriminalistischen Ambitionen spielt es für Joyce auch eine beträchtliche Rolle, daß Bethany Waites zusammen mit Mike Waghorn, dem attraktiven und beliebten Journalisten und Moderator der lokalen Fernsehsendung „South East Tonight“, die damaligen Sendungen moderiert hatte. So kann Joyce doch endlich einmal ihren Lieblingsmoderator aus der Nähe anschmachten.
 
Der Donnerstagsmordclub fädelt es ein, daß Mike Waghorn ein Fernsehinterview mit Ron Ritchie macht. Anschließend laden sie Mike zum Essen ein; nach einigen Gläsern Rotwein und raffinierter Gesprächsführung haben sie ihn dafür gewonnen, den zehn Jahre alten Fall neu aufzurollen. Denn die Ermordete  war nicht nur eine Kollegin, sondern auch eine sehr gute Freundin von Mike.
Während der Donnerstagsmordclub nun gemeinsam mit Mike nach möglichen über- sehenen Spuren, Hinweisen und Verdächtigen sucht, über alten Kurzmitteilungen brütet und Namensanagramme und Paßwörter zu knacken versucht, wird Elizabeth von einem geheimnisvollen jungen Unbekannten entführt und dazu erpreßt, Viktor Illjitsch, einen alten Bekannten aus ihrer geheimdienstlichen Vergangenheit, zu ermorden.
Viktor Illjitsch ist ein sehr umgänglicher ehemaliger KGB-Agent, er hat sich längst ins Privatleben zurückgezogen und residiert in einem sehr luxuriösen Penthouse in London. Sein Einkommen bessert er sich freiberuflich u.a. mit Geldwäschegeschäften auf, und genau mit diesen Geschäften steht er in Konkurrenz zu dem unbekannten Entführer. Belassen wir es dabei, daß Elizabeth und Viktor eine einvernehmliche, konstruktive Lösung für dieses Jungspund-Nebenproblem finden und dadurch sogar zur Lösung des Falls Bethany Waites beitragen.
Selbstverständlich mischen auch wieder PC Donna und DCI Chris sowie der Polizei-präsident tüchtig bei den Ermittlungen mit. Ron setzt seinen Flirt mit der patenten Maskenbildnerin Pauline, die er dank seines Fernsehauftritts – zunächst widerwillig, dann erfreut – kennengelernt hat, erfolgreich fort. Und Pauline steuert auch einiges an internen  Informationen zum Verschwinden Bethanys bei.
Wie soll ich es sagen, ohne zuviel zu verraten? Also: Der Fall wird gelöst, fast alle Zusammenhänge gefunden und Schuldige werden entlarvt. Dennoch bleibt die ganze Wahrheit in diesem Falle ein weites Feld.
Auch der dritte Mordclubfall wartet mit einer komplexen und verschlungenen Handlung auf. Es gibt mehr als eine verirrte Kugel, die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwimmen und eröffnen unvermutet unkonventionelle Möglichkeiten. Beiläufig bekommen wir Einblicke in klassische Geldwäschesysteme und moderne Geldwäsche- methoden mit Kryptowährungen.
Die abwechslungsreiche Beziehungsdynamik zwischen den größtenteils ebenso sympathischen wie originellen Figuren, die schlagfertigen, amüsanten, ironischen, schwarzhumorigen und manchmal auch sehr einfühlsamen Dialoge und gedanklichen Betrachtungen sowie die filmreife Dramaturgie mit ihren spannenden Klippenhänger-Szenenwechseln machen die Lektüre zu einem reizvollen Vergnügen.

Hier entlang zum Buch auf der Verlagswebseite:
https://www.ullstein.de/werke/der-donnerstagsmordclub-und-die-verirrte-kugel/paperback/9783471360521

Hier entlang zum ersten Band: Der Donnerstagsmordclub
Hier entlang zum zweiten Band: Der Mann, der zweimal starb

Der Autor:

»Richard Osman ist Autor, Produzent und Fernsehmoderator. Seine Serie über die vier scharfsinnigen und liebenswerten Ermittlerinnen und Ermittler des Donnerstagsmordclubs hat ihn über Nacht zum Aushängeschild des britischen Krimis und Humors gemacht. Für sein Debüt Der Donnerstagsmordclub wurde er bei den British Book Awards 2020 zum „Autor des Jahres“ gewählt. Er lebt mit Frau und Katze in London.«

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Der vierte Versuch

  • von Catherine O’Flynn
  • Arche Verlag 2011
  • 978-3-7160-2645-8
  • 300 Seiten
  • 19,90  €
  • Übersetzung aus dem Englischen von
  • Cornelia Holfelder-von der Tann
  • Taschenbuchausgabe bei btb   http://www.btb-verlag.de
  • 978-3-442-74416-9
  • 9,99 €
  • beide Buchausgaben sind inzwischen restlos vergrifffen
    Der vierte Versuch von Catherine OFlynn9783716026458.jpg Der vierte Versuch

PROVINZPROMINENZ

Buchbesprechung von Ulrike Sokul ©

 „Der vierte Versuch“  ist ein leises Buch, eine Choreographie der kleinen und großen, der unsichtbaren und sichtbaren Abschiede.

Wie schon in ihrem faszinierenden ersten Roman „Was mit Kate geschah“ ( siehe: https://leselebenszeichen.wordpress.com/2013/04/10/was-mit-kate-geschah/ ), erweist sich Catherine O‘ Flynn als eine Meisterin der Schilderung des feinen zwischenmenschlichen Gefühlsgewebes, das unser Leben maßgeblich bestimmt.

Frank Allcroft arbeitet als Moderator bei einem Fernsehsender in seiner Heimatstadt Birmingham. Er genießt eine gewisse Provinzprominenz, ist jedoch angenehm frei von Profilneurosen und sonstigen mediengemäßen Selbstdarstellungsaufblähungen.

Gelegentlich berichtet er in seiner Sendung über Menschen, die dermaßen einsam und isoliert gelebt haben, daß ihr Tod erst nach vielen Tagen, einmal sogar erst nach fast drei Wochen bemerkt wird. Er macht es sich zur Gewohnheit, zu den menschenleeren Beerdigungen dieser Toten zu gehen und ihnen auf diese Weise Respekt zu zollen. Manchmal hilft er auch bei der Recherche nach eventuellen entfernten Angehörigen.

Im Gegensatz dazu hat der plötzliche Unfalltod, mit Fahrerflucht, seines väterlichen Freundes und einstigen Mentors Phil eine breite Öffentlichkeit. Phil hatte eine glanz- volle Karriere beim überregionalen Fernsehen gemacht und war ein richtiger Fernseh- star, der mit 78 Jahren noch munter auf der Bühne stand. „Phil war mit so einer Art televisuellem Feenstaub gesegnet – “

Als Frank bei der Durchsicht von Unterlagen eines seiner einsamen Toten ein Kinderfoto von Phil und dem Verstorbenen findet, macht er sich auf weitere Spurensuche, in der Hoffnung, vielleicht etwas zur Aufklärung des Unfalles seines Freundes beitragen zu können.

In geschickt eingeschobenen Rückblenden erfahren wir von Franks Verhältnis zu Phil, nehmen Teil an Franks Kindheitsprägungen und sehen, wie sich Birminghams Stadtbild verändert. Frank ist ein freundlicher und melancholischer Charakter, der auch damit zu kämpfen hat, daß die einst zukunftsträchtigen Hochhäuser, die sein Vater in den siebziger Jahren als Architekt entworfen hat, nach und nach abgerissen werden und neuen Stadtplanungen weichen müssen.

Beiläufig wird Sozialkritik geübt, z.B. wenn Frank beim Besuch einer Moderatorin erlebt, wie ein Interview nachträglich so zusammengeschnitten wird, das die Antworten besser zum beabsichtigten Sendeformat passen, oder wenn Frank die Entscheidung des Produ- zenten in Frage stellt, welche Geschichten und Nachrichten es wert sind, die Sende- bühne zu erreichen.

Der Roman hat eine angenehm undramatische Spannung, die selbst für nur moment- haft auftauchende Nebenfiguren Anteilnahme und Interesse weckt. Die durchgehende Abschiedsstimmung wird durch wohldosierte Prisen feinen Humors aufgelockert.

Dazu gehören besonders die putzigen Szenen, in denen sich Mo, die kleine Tochter von Frank, dazu berufen fühlt, die offenkundige Traurigkeit ihrer Großmutter zu verringern. Sie holt sich Anregungen aus den Gratisblättchen mit Tipps für Senioren und installiert diverse, mehr oder weniger gelungene, Alltagserleichterungen in der Wohnung ihrer Oma.

Franks Suchergebnis ist am Ende fast nebensächlich, bleibt doch das Hauptthema der Geschichte, empfindsam und scharfsinnig, unterschiedliche Varianten des Umgangs mit Alter, Tod und Vergänglichkeit darzustellen.

Unsere Abwesenheit ist das, was von uns bleibt.“

 

Die Autorin:

»Catherine O’Flynn, geboren 1970 in Birmingham, arbeitete u.a. im Plattenladen, bei der Post, als Lehrerin und als Testkäuferin, bevor sie ihren ersten Roman schrieb. Nach zunächst über zwanzig Ablehnungen von Agenturen und Verlagen gewann sie mit „Was mit Kate geschah“ auf Anhieb den FIRST NOVEL PRIZE beim COSTA BOOK AWARD 2008 und andere wichtige Literaturpreise; ihr Buch wurde in zehn Sprachen übersetzt. Nach einigen Jahren in Barcelona lebt Catherine O’Flynn wieder in Birmingham.«

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