Tante Julia und der Kunstschreiber

  • von Mario Vargas Llosa
  • HÖRSPIEL
  • Hörverlag  November 2010    http://www.hoerverlag.de
  • 10 CDs
  • Spielzeit: 723 Minuten
  • Sprecher: André Jung, Herlinde Latzko, Christoph Bantzer u.a.
  • 29,95 € (D),  29,95 (A),  41,90 sFr.
  • ISBN 978-3-86717-725-2

978-3-86717-725-2

APPLAUS!  BRAVO!!  DA  CAPO!!!

Hörbuchbesprechung von Ulrike Sokul  ©

Applaus – für  diese großartige Hörspielproduktion des Schweizer Radios DRS aus dem Jahre 2002! Acht Jahre vor der Verleihung des Literaturnobelpreises an Mario Vargas Llosa wurde seinem Roman „Tante Julia und der Kunstschreiber“ mit dieser Hörspiel- fassung  kongenial die Ehre gegeben.

Unter der Regie von Claude Pierre Salmony und der sehr originaltextnahen Hörspiel- bearbeitung und Co-Regie von Daniel Howald  ist ein geistreicher und opulenter Ohrenschmaus entstanden. Mit viel Liebe zum Detail wurden die Dialoge mit Original- aufnahmen aus Lima hinterlegt. Die Geräusche von Straßen, Cafés und Kirchen sowie gelegentliche musikalische Einstreuungen tragen sehr zur dramaturgischen Einstimmung bei und werden durch die wiederkehrende, sehr tänzerische Einspiel- melodie vor jedem neuen Kapitel ergänzt.

In „Tante Julia und der Kunstschreiber“ erzählt Vargas Llosa die autobiographisch inspirierte Liebesgeschichte von Mario und Julia. Im Lima der Fünfzigerjahre studiert Mario nachlässig Jura, arbeitet als Nachrichtenredakteur für Radio Panamericana und träumt davon, als Schriftsteller in einer Mansarde in Paris zu leben. Seine Erzählungen landen zwar meist im Papierkorb, aber Mario ist von seiner schriftstellerischen Berufung überzeugt. Er wohnt bei seinen Großeltern und ißt bei den diversen Tanten und Onkeln seines ausufernden Familienclans zu Mittag. Bei einem dieser Essen trifft er auf seine angeheiratete Tante Julia, die frisch geschieden nach Lima gekommen ist, um einen neuen Ehemann zu finden.

Am gleichen Tag hört er zudem zum ersten Mal von Pedro Camacho, dem neuen Hör- spielautoren des Radiosenders. Die leibhaftige Begegnung mit dem Hörspielwunder läßt nicht lange auf sich warten, und Mario beobachtet staunend die unglaubliche Produktionsmenge und Schnelligkeit des eigenwilligen Schreibers. Pedro Camacho verfaßt und inszeniert neun Hörspielepisoden täglich und verschafft dem Sender große Hörerzuwächse und entsprechend höhere Werbeeinnahmen.

Pedro Camacho kultiviert diverse Manierismen: er trinkt Kamillentee mit Pfefferminze, er zelebriert höfische Verbeugungen und pflegt in jedes Hörspiel gnadenlos seine persönlichen Zu- und Abneigungen einzubauen;  so ist die jeweilige Hauptfigur grund- sätzlich „ in der Blüte seiner Jahre, nämlich 50“, also genau in Pedro Camachos Alter, und immer gibt er seiner Verachtung gegenüber Argentinien Ausdruck, indem er mit irgendeiner abwertenden Bemerkung über angeblich argentinische Sitten aufwartet.

Bei der Schöpfung seiner Hörspielcharaktere scheut er kein Klischee – egal ob religiös, medizinisch, soziologisch, psychologisch oder romantisch –  je extremer und gegen- sätzlicher, desto besser, und entsprechend reißerisch und monströs entfaltet sich die jeweilige Handlung.

Des weiteren garniert er seine Seifenopern mit pathetischen Schnörkeln wie : „ -Fluch , der auf einer Familie lastet, von der nicht einmal der Name überdauern wird -“oder: „-Burschen aus der Gosse, die durch Hartnäckigkeit bis zum Nobelpreis gelangen -“ und unfreiwillig komischen Metaphern wie : „ Die Richter – Nachgiebigkeit von Zuckerrohr, das im journalistischen Winde tanzt -“ und „Blässe einer Frau, die von einem Vampir geküßt wurde.“
 
Vargas Llosa wechselt die Kapitel der wirklichen Liebesgeschichte von Mario und Julia mit den fiktiven Hörspielepisoden von Pedro Camacho ab.

Die Liebesgeschichte zwischen dem 18-jährigen Mario und seiner 14 Jahre älteren Tante Julia schreitet von anfänglich nur spielerischem Flirt zu leidenschaftlicher Liebe fort und führt, gegen den Willen der Familie, bis zur illegalen Heirat.

Die Hörspielkarriere von Pedro Camacho bekommt einen katastrophalen Knick, als er  –  Opfer seines hyperkreativen Geistes  – anfängt, die Namen, Charaktere und Handlungs- fäden seiner Figuren zu verwechseln, und schließlich das gesamte Personenpotpourri durch eine apokalyptische Erdbebenepisode ins Jenseits befördert.

Der Schauspieler André Jung gibt der jungenhaften Männlichkeit Marios eine sympathische, jugendlich begeisterte und eifrige Stimme.

Tante Julia wird charmant, sinnlich und mit weiblicher Selbstironie von Herlinde Latzko gesprochen.

Christoph Bantzer verstimmlicht die Rolle des Pedro Camacho mit eindrucksvoller Treff- sicherheit. Es ist eine Meisterleistung, nur über das Medium der Stimme, die Kombi- nation aus fanatischer Selbstdisziplin, herrischer Subjektivität, hilfloser Überheblichkeit und idiosynkratischer Überspanntheit wiederzugeben!

Pedro Camachos Bemerkung  „Meine Schriften erhalten sich an einem unauslöschlicheren Ort, als Bücher es sind. Im Gedächtnis der Radiohörer.“ kann ich nur bestätigen. Ich werde nie wieder Mario Vargas Llossas Roman lesen können, ohne dabei Christoph Bantzers Stimme im Ohr zu haben.

Überdies nutzt sich die facettenreiche Geschichte auch bei mehrmaligem Hören keines- wegs ab. Ich habe mir dieses „Hörspiel-Kino“ bereits dreimal gegönnt, und jedesmal fielen mir wieder neue Raffinessen und Wortspielereien auf. Ich möchte sogar sagen, daß es mir von Mal zu Mal immer besser gefällt, was in meinen Ohren ein weiteres Zeichen für die Qualität dieses  Hörspiels ist.

Die Verpackung des Hörspiels ist dem Hörverlag sehr schön gelungen. Die graphische Gestaltung gibt den Zeitgeist der Fünfzigerjahre wieder, die Verteilung der 10 CDs auf fünf Doppelhüllen macht das Raumvolumen handlich, und der Pappschuber umrahmt ein rundherum stimmiges Werk.

Hier entlang zum Hörbuch und zur HÖRPROBE:
https://www.randomhouse.de/Hoerbuch/Tante-Julia-und-der-Kunstschreiber/Mario-Vargas-Llosa/der-Hoerverlag/e387011.rhd

 

Der Autor:

»Mario Vargas Llosa, 1936 im peruanischen Arequipa geboren, studierte Sprachen in Lima und Madrid und arbeitete dann als Journalist in Paris.
1962 erschien sein erster Roman „Die Stadt und die Hunde“, der bereits zu einem internationalen Erfolg wurde. Auch seine weiteren Romane wie „Das grüne Haus“ oder „Der Krieg am Ende der Welt“ fanden weltweit bei Kritik und Lesepublikum Beachtung. Mario Vargas Llosa erhielt 2010 den Nobelpreis für Literatur.«

 

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