Die wilde Sophie

  • von Lukas Hartmann
  • mit Illustrationen von Susann Opel-Götz
  • Neuausgabe Diogenes Verlag September 2017   www.diogenes.ch
  • Originalausgabe Verlag Nagel & Kimche 1990
  • gebunden
  • Format: 11,6cm x 18,4cm
  • 256 Seiten
  • ISBN 978-3-257-01199-9
  • 16.00 € (D), 16,50 € (A), 21,00 sFr.
  • Kinderbuch
  • zum Selbsterlesen ab 9 Jahren
  • zum Vorlesen ab 6 Jahren

LEBENSVERHÜTENDE  KINDESÜBERWACHUNG

Buchbesprechung von Ulrike Sokul ©

Manche Menschen kommen mit der Verletzlichkeit, die mit der Elternschaft unvermeidlich einhergeht, nicht zurecht und finden für den Umgang mit ihrem Kind kein ausgewogenes Verhältnis zwischen fürsorglichem Schutz und freier, lebendiger Erfahrungsentfaltung ihres Nachwuchses. In der vorliegenden Geschichte liefert der überängstliche, kontrollsüchtige König Ferdinand ein extremes und abschreckendes Beispiel für Überbehütung.

Kaum ist der kleine Thronfolger geboren, da entdeckt König Ferdinand so viele mögliche und unmögliche Gefahren für seinen Sohn, daß seine Schutzmaßnahmen das ganze Königreich und auch das Kind in Mitleidenschaft ziehen.

Zunächst wird die schaukelnde Wiege durch einen Bettkasten mit abgerundeten Ecken und gepolsterten Wänden ersetzt, damit der kleine Prinz Jan keinesfalls aus dem Bett fallen könne. Der erste Mückenstich wird zum Anlaß genommen, alle Fenster zuzunageln und einen hauptamtlichen Insektenjäger einzustellen.

Als Jan mit dem Laufen beginnt, werden zwei Nebenhergeher und je ein Hinterher- und Vorausgeher engagiert, um das eventuell stolpernde Kind aufzufangen. Ein Wegfrei-räumer, ein Kleideranwärmer, ein Lebertranverwalter, ein Treppenhochträger und diverses zusätzliche im ganzen Schloß verteilte Wachpersonal sowie die beiden alten Diener, Raimund und Stanislaus, die abwechselnd des Nachts Jans Schlaf beaufsichtigen, sollen die Unversehrtheit des Kindes garantieren.

Das Kind lebt eingesperrt im Schloß und kennt Himmel, Wolken, Sonne, Mond und Sterne, Wind, Wetter und Natur nur aus Büchern und aus den Erzählungen der beiden alten Diener. Kindliche Spielkameraden muß Jan ebenfalls entbehren. Und auch jenseits des Säuglingsalters bekommt der Prinz seine Nahrung nur in Breiform serviert, auf daß er sich nicht an einer Faser oder einem Kirschkern verschlucke.

Seine Mutter, Königin Isabella, streitet regelmäßig mit dem König über diese unange-messene Überbehütung, kann jedoch nur klitzekleine Freiheiten für ihren Sohn erkämpfen. So darf Jan an seinem siebten Geburtstag endlich einen Ausflug zur alten Eiche im Schloßhof machen. Begleitet von der üblichen Entourage von Sicherheits- kräften, tritt Jan ins Freie und ist beglückt von der frischen Luft, dem Licht- und Schattenspiel des Eichenlaubs und von der Weite des blauen Himmels.

Während sich im Schloß alles um das Wohlbefinden des Prinzen dreht, müssen die Untertanen unter der Last unermüdlich erhöhter Steuern leiden. Denn all die Sicherheitsvorkehrungen, Baumaßnahmen und der erhöhte Militäretat für die zusätzlichen Wachsoldaten kosten Geld.

Otto, dem königlichen Zwetschgenkompottlieferanten, der seine Steuern in Form von Kompott abzuliefern hat, bleiben kaum noch ein paar Gläser für den eigenen Bedarf übrig. Seine Tochter Sophie, die nur wenige Tage nach dem Prinzen zur Welt kam, ist unvoreingenommen neugierig auf den Prinzen und möchte ihn gerne kennenlernen. Sie verfügt über einen wachen Geist und stellt die herrschenden Verhältnisse unbefangen in Frage.

Jan darf inzwischen an bestimmten Tagen, selbstverständlich strengstens beschützt-wacht, in einer gläsernen Kutsche umherfahren, um Land und Leute kennenzulernen.

Sophie steht mit dem Winkevolk am Wegesrand und streitet mit einem Soldaten wegen einer groben Ungerechtigkeit. Jan ist beeindruckt von Sophies unverblümter Wesensart und ihrem Mut. Von Kind zu Kind entsteht per intensivem Blickkontakt ein stilles, solidarisches Einverständnis, und Sophie wäre nicht die wilde Sophie, wenn sie nicht einen Weg fände, Jan in seinem goldenen Käfig zu besuchen.

In Sophies geheimer Gesellschaft stellt sich Jan so mancher gefährlichen Herausforde-rung und körperlichen Anstrengung und emanzipiert sich so von der väterlichen Bevormundung. Ihre Lektionen in Zivilcourage hinterlassen einen solch nachhaltigen Eindruck, daß er Sophies waghalsigem Fluchtplan zustimmt. Unverhoffte Unterstützung bekommen die Kinder von der zauberkundigen alten Köchin und den beiden alten Dienern Raimund und Stanislaus, die schon lange heimliche Zweifel an den königlichen Erziehungsmethoden hegen.

So erheben sich die Kinder schließlich buchstäblich in die Freiheit …

Die Originalausgabe dieses Buches ist 1990 beim Verlag Nagel & Kimche erschienen. Damals gab es den Begriff „Helikoptereltern“ noch nicht, gleichwohl wird das Phänomen übereifriger Kindesüberwachung und die damit verbundenen negativen Folgen für die kindliche Lebendigkeit und Selbständigkeit auf fast schon seherische Weise erkannt und beschrieben.

Prinz Jans Lebensregungen werden systematisch ausgebremst, selbstwirksames Handeln und Selbsterfahrung verhindert, und jeder kleine Ungehorsam wird durch noch mehr Freiheitsentzug bestraft – alles im Namen liebender Fürsorge und zwangskontroll- hafter Machtausübung. Als erwachsener Leser möchte man König Ferdinand am liebsten zum Therapeuten zerren, um seine ausgeprägte Angstneurose und mangelhafte Empathie behandeln zu lassen.

Der Autor ist beeindruckend nah am Kinderherzen, wenn er die emotionalen kindlichen Reaktionen beschreibt – unser ganzes Lesemitgefühl gilt Jans Lebens- sehnsucht und Sophies Lebensmut. Durch den feinsinnigen Erzählstil mit seinen nuancierten, gleichwohl kindgemäßen, poetischen Sprachbildern und seinem spannenden dramaturgischen Aufbau bietet sich dieses Buch auch hervorragend als Vorlesestoff für jüngere Kinder an.

Die warmherzig-humorvollen Schwarz-Weiß-Illustrationen von Susann Opel-Götz ergänzen die Geschichte um stimmungsharmonische, detailgetreue Szenenbilder.

„Die wilde Sophie“ ist ein märchenhaftes Lehrstück über den unwiderstehlichen Duft der Freiheit und die lebenserhaltende Kraft konstruktiven Ungehorsams gegen ungerechte und lebensgefährliche Herrschaftsansprüche. Das sind wünschenswerte Vorbilder für Kinder, aus denen dereinst mündige und mutige Menschen erwachsen können.

 

Hier entlang zum Buch und zur LESEPROBE auf der Verlagswebseite:
https://www.diogenes.ch/leser/titel/lukas-hartmann/die-wilde-sophie-illustriert-von-susann-opel-goetz-9783257011999.html

Der Autor:

«Lukas Hartmann, geboren 1944 in Bern, studierte Germanistik und Psychologie. Er war Lehrer, Journalist und Medienberater. Heute lebt er als freier Schriftsteller in Spiegel bei Bern und schreibt Bücher für Erwachsene und für Kinder. Er ist einer der bekanntesten Autoren der Schweiz und steht mit seinen Romanen regelmäßig auf der Bestsellerliste.«

Sehr gerne widme ich diese Kinderbuchbesprechung Petra Pawlofskys wertvoller Sammlung „Kinder im Aufwind“:
https://pawlo.wordpress.com/home-2/fundgrube-fuer-kinder-im-aufwind/fundgrube-3-kurzvorstellung-der-beitraege-ab-juli-2017/

Querverweis:

Als Lesekontrastprogramm zur Überbehütung bietet sich das Kinderbuch „Die wilde Meute“ von Ilse Bos an, in dem dreizehn Kinder ohne alltägliche elterliche Aufsicht auf einem am Ufer einer verwilderten Landzunge verankerten Schiff hausen. Das Buch handelt von einer Art Pippi-Langstrumpf-WG, in der die Grenze zwischen ‚Kindern etwas zuzutrauen′ und ‚Kindern etwas zuzumuten′ fließend ist. Es wird ausgelotet, wie weit kindliche Selbstbestimmung und Selbstversorgung funktionieren, und wie wünschenswert – bei aller Liebe zur Freiheit – zuverlässige, liebevolle und ANWESENDE erwachsene Bezugspersonen sind.
https://leselebenszeichen.wordpress.com/2017/01/18/die-wilde-meute/

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Der Räuber Hupsika

  • von Paul Biegel
  • Aus dem Niederländischen von
  • Eva Schweikart
  • s/w Illustrationen von Carl Hollander
  • Verlag Urachhaus 2011   http://www.urachhaus.de
  • gebunden, Halbleinen
  • 128 Seiten
  • 12,90 €
  • ISBN 978-3-8251-7801-7
  • ab 5 Jahren zum Vorlesen
  • ab 8 Jahren zum Selberlesen
    9783825178017_7441.png Räuber Hupsika

EIN  EHRLICHER  RÄUBER

Buchbesprechung von Ulrike Sokul ©

Als erwachsene Leser kennen wir die Umverteilung des Geldes von unten nach oben zur Genüge; da ist es erholsam und inspirierend, den Helden eines Kinderbuches dabei zu erleben, wie er Geld von oben nach unten verteilt.

Die Geschichte vom Räuber Hupsika hat eine sehr flotte, wendige und heiter-spannende Handlung, die auf entsprechend quirlige Weise erzählt wird. Hupsika ist ein herzhafter, schelmischer Held: empfindsam, mutig, munter, klug und verspielt.

Der Räuber Hupsika überfällt nur die Kutschen reicher Leute, bittet die Herrschaften höflich um ihr Geld und bedankt sich mit einer tadellosen Verbeugung für die Beutel voller Goldgulden und Silberdukaten. Dann reitet er mit seinem treuen Pferd in sein geheimes Haus, bekommt angesichts des Portraits seiner verstorbenen Mutter regelmäßig ein schlechtes Gewissen und verschenkt das Geld an die Armen.

Eines Tages pflückt er sich wieder Geldbeutel aus einer noblen Kutsche. Einer der reichen Herren wagt die Frage, ob Hupsika, da er doch so ein geschickter Räuber sei, vielleicht seine weggelaufene Tochter aus der Gewalt eines Schurken namens Eisengriff befreien könne. Nachdem Hupsika gemeinsam mit dem Vater einige Tränen über die Gefangenschaft von Tochter Josefine vergossen hat, werden sie handelseinig: Hupsika soll Josefine aus Eisengriffs Burg herausstehlen, und zur Belohnung erhält Hupsika tausend Goldgulden.

Frohgemut erzählt Hupsika dem Portrait seiner Mutter, daß er nun einer ehrlichen Arbeit nachgehe, und macht sich auf den Weg. Dank seiner Geschicklichkeit gelingt es Hupsika, die eigentlich uneinnehmbare Burg Eisengriff zu betreten und Josefine zu erblicken. Er verliebt sich augenblicklich und ist durch sein Räuberherzklopfen so sehr ablenkt, daß er von Eisengriffs Kriegsknechten überwältigt wird und unsanft im Kerker landet.

Eisengriff teilt ihm noch höhnisch mit, daß er nun für ein halbes Jahr mit Josefine verreisen werde, und wenn sie zurückkämen, wäre Hupsika wohl schon verhungert. Doch Hupsika gibt nicht so schnell auf. Mit einer lustigen List gelingt ihm die Flucht aus dem Kerker, und er nimmt die Verfolgung von Eisengriffs Kutsche auf.

Er scheut keine Gefahr, er verkleidet sich als Vogelscheuche, spielt wagemutige Glücks- spiele und findet beiläufig einen Schatz. Mit beträchtlicher akrobatischer Wendigkeit rettet sich Hupsika aus mancher Bedrängnis, und solange er seine silbernen Sporen an den Stiefeln hat, kann ihn auch keine Fessel lange fesseln.

Das Einzige, was ihn fesselt, ist der Blick in die Augen Josefines, da wird ihm ganz weich ums Herz, wie schmelzende Schokolade“. (Seite 39) Nach einigen wechselseitigen Verfol- gungsrunden kann der Räuber Josefine endlich befreien. Hupsika pfeift auf die Belohnung und bittet erfolgreich um Josefines Hand.

So, erledigt“, sprach der Räuber und klopfte sich die Hose sauber, „jetzt noch schnell heiraten, und dann komme ich endlich wieder mal dazu, in Ruhe ein Buch zu lesen.“
(Seite 137)

Das ist doch mal Leseförderung, wie sie im Buche steht; hier zeigt sich der Autor als ebenso schelmisch wie sein Räuber Hupsika.

Die Schwarz-weiß-Zeichnungen von Carl Hollander setzen die turbulente Handlung lebhaft und fröhlich in Szene.

 

Hier entlang zum Buch und zur LESEPROBE auf der Verlagswebseite:
https://www.urachhaus.de/Lesen-was-die-Welt-erzaehlt/Kinderbuch/Der-Raeuber-Hupsika.html

Der Autor:

»Paul Biegel (1925 – 2006) gehört mit Tonke Dragt, Thea Beckman und Annie M.G. Schmidt zu den bedeutendsten Vertretern der niederländischen Kinderliteratur. Er verfasste über fünfzig Bücher, sein Werk wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter mehrfach mit dem begehrten Silbernen und Goldenen Griffel. Der Verlag Urachhaus ehrt den Großmeister der niederländischen Jugendliteratur mit einer achtbändigen Sonderausgabe seiner schönsten und erfolgreichsten Kinderromane. «

Der Illustrator:

»Carl Hollander ( 1934 – 1995) stammte aus Amsterdam. Er war u.a. Dozent an der Amsterdamer Rietveld Academie und illustrierte mehr als hundert Kinderbücher, darunter die Pippi Langstrumpf-Serie von Astrid Lindgren, zahlreiche Bücher von Paul Biegel, Annie M.G. Schmidt und An Rutgers van der Loeff. Er arbeitete gern mit Feder und Tusche, Bleistift, Buntstift und Aquarelltechniken. Durch ihre feinen, liebevoll ausgearbeiteten Details wirken seine lllustrationen besonders lebensnah und frisch. «

 

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Die Prinzessin mit den roten Haaren

  • von Paul Biegel
  • Mit farbigen Illustrationen von Linde Faas
  • Aus dem Niederländischen von Siegfried Mrotzek
  • Verlag Urachhaus  2013   http://www.urachhaus.de
  • ISBN 978-3-8251-7804-8
  • 147 Seiten, gebunden mit Halbleinen
  • 16, 00 € (D)
  • ab 8 Jahren
  • Meine Empfehlung:
  • ab 8 Jahren zum Selberlesen
  • ab 5 Jahren zum Vorlesen
    9783825178048_Prinzessin mit den roten Haaren

H  E  R  Z  E  N  S  R  Ä  U  B  E  R

Buchbesprechung von Ulrike Sokul ©

Die Prinzessin mit den roten Haaren lebt vom „Rest der Welt“ weitgehend isoliert hinter den Mauern des Weißen Turmpalastes und kennt nur ihre Eltern, ihre Großmutter, zwei Hofdamen und drei Lakaien. Das Volk weiß über seine Prinzessin nur, daß sie feuerrote Haare hat und nennt sie deshalb „Rote Prinzessin“.

Zur Feier ihres zwölften Geburtstages sollen die Prinzessin und das Volk einander zum ersten Male begegnen. Aber es kommt ganz anders als geplant. Denn das Volk mag sich vielleicht regieren lassen, aber nicht die drei verwegenen Räuber, welche die Prinzessin mitsamt zwölfpferdiger Kutsche und inklusive Hofdamen einfach entführen, kaum daß die Kutsche das Palasttor verlassen hat.

Die allgemeine Aufregung ist groß, und die königlichen Eltern sind außer sich vor Sorge. Nur die königliche Großmutter, die in mehrfacher Hinsicht über Weitblick verfügt, bleibt besonnen und handlungsfähig. Sie heckt einen Verfolgungsplan aus und trifft Vorbe- reitungen für eine speziell getarnte soldatische Sondereinheit.

Nach einer Weile kehren die freigelassenen Hofdamen, vom ungewohnten Fußmarsch ramponiert und strapaziert, zum Palast zurück und überbringen einen Brief mit der Lösegeldforderung der Räuber:

» König «, stand da.  » Sie bekommen die Prinzessin nur wieder, wenn Sie zwölf Pfund Gold und zwölf Pfund Silber am Rand des Knorrenwaldes hinterlegen. Am liebsten in Säcken und in fünf Tagen.
In Erwartung verbleiben wir,
die Räuber Holz, Bolz und
Schwanenstolz. «
 (Seite 16)

Doch das Schlimmste, was die Hofdamen zu berichten wissen, ist folgendes: Die Prinzessin hat mit Begeisterung bei den Räuberliedern der Räuber mitgesungen und ist freudig von der Kutsche auf ein Räuberpferd umgestiegen und abenteuerlustig mit ihren Entführern in die Wildnis fortgeritten.

Das Volk wird informiert – schließlich läßt der König für die Lösegeldforderung beim Volk einsammeln -, und alle machen sich Sorgen und stellen die unterschiedlichsten und wirrköpfigsten Vermutungen an.

Drei Tage reitet die Prinzessin mit den Räubern Holz, Bolz und Schwanenstolz durch wilde Landschaften, bestaunt die unvermutete Ausdehnung der Welt und nimmt verwundert zur Kenntnis, daß die Räuber alles selber machen können und ganz ohne Personal zurechtkommen. Furchtlos und aufmüpfig majestätisch besteht sie darauf, daß die Räuber sie stets mit „Königliche Hoheit“ und im Pluralis majestatis anzusprechen haben.

Zudem fordert sie auch einige blaublütige Bequemlichkeiten, die der Räuber Schwanenstolz diplomatisch an die bescheiden vorhandenen Möglichkeiten anpaßt. Nach Ankunft in der Räuberzuflucht futtert sie mit den Räubern Möhreneintopf und verlangt eine Gutenachtgeschichte, bevor sie von Schwanenstolz einen halben stoppelschmatzigen Gutenachtkuß auf die Stirn bekommt und endlich einschläft.

Am nächsten Tag macht sich Schwanenstolz allein auf den Weg, das Lösegeld abzuholen. Die Räuber Holz und Bolz haben keine Lust, sich von der kleinen Majestät herumkommandieren zu lassen, und sperren sie in ihrem Zimmer ein.

Doch die Prinzessin denkt in ihrem Majestätsplural: „Zwölf Jahre haben wir eingeschlossen gelebt, jetzt reicht es. Dann gehen wir eben ohne Lakaien.“  (Seite 65) Sie klettert aus dem Fenster und macht sich auf den Heimweg. Es wird ein langer, gefahrvoller und schwieriger Weg, und die Prinzessin muß nun auch wirklich alles selber machen, u.a. Kerbel suchen, Zwiebeln schneiden, Tisch decken und abwaschen und sogar kellnern. Sie lernt Machtlosigkeit und Verzweiflung kennen, denn niemand glaubt ihren Beteuerungen, daß sie die vermißte Rote Prinzessin sei.

Während die Prinzessin barmherzige und unbarmherzige Erfahrungen mit dem „Rest der Welt“ macht, werden die drei Räuber gefangengenommen, eingekerkert und zum Tode verurteilt. Am Tag der Hinrichtung erreicht die Prinzessin die Hauptstadt, klettert aufs Schafott und rettet Schwanenstolz sowie Holz und Bolz das Leben. Nun endlich wird die Rote Prinzessin  „zum ersten Mal und für alle Zeit“ (Seite 141) vom ganzen Volk gesehen.

Paul Biegel erzählt eine sehr vielschichtige und hintergründige Geschichte. Die naiv-selbstbewußte, mutige Unvoreingenommenheit, mit der sich die Rote Prinzessin auf den „Rest der Welt“ einläßt, ist sympathisch und faszinierend. Ihr trotzköpfiges Beharren auf die Anwendung des Pluralis majestatis ist eine heitere Quelle für zahlreiche wortspielerische Dialoge. Auch die anderen Charaktere werden menschenkenntnisreich-nuanciert dargestellt. Wer ist hier gut, wer ist hier böse, wer ist schlau und wer ist dumm? Der Deutungsspielraum bleibt sehr weit und offen.

Die abenteuerliche Spannung und die augenzwinkernde Ironie entstehen durch den häufigen Perspektivwechsel: Mal schauen wir von den Herrschenden auf das Volk, mal vom Volk auf die Herrschenden.

Aber am liebsten schauen wir durch die Augen der Prinzessin, denn die blickt – trotz aristokratischer Allüren  – vom Anfang bis zum Ende mit den Augen des Herzens in die Welt.

Die farbigen Illustrationen von Linde Faas setzen den Erzähltext sehr einfühlsam und lebhaft in Szene und lassen zugleich genug Freiraum für die persönliche kindliche Vorstellungskraft.

 

Hier entlang zum Buch und zur LESEPROBE auf der Verlagswebseite:
https://www.urachhaus.de/Lesen-was-die-Welt-erzaehlt/Kinderbuch/Die-Prinzessin-mit-den-roten-Haaren.html

Der Autor:

»Paul Biegel (1925 – 2006) gehört mit Tonke Dragt, Thea Beckman und Annie M.G. Schmidt zu den bedeutendsten Vertretern der niederländischen Kinderliteratur. Er verfasste über fünfzig Bücher, sein Werk wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter mehrfach mit dem begehrten Silbernen und Goldenen Griffel. Der Verlag Urachhaus ehrt den Großmeister der niederländischen Jugendliteratur mit einer achtbändigen Sonderausgabe seiner schönsten und erfolgreichsten Kinderromane. «

Die Illustratorin:

»Linde Faas (geboren 1985 in Zeist, Niederlande) studierte Animation an der St. Joost-Kunstakademie in Breda. Sie schloss ihr Studium (Bachelor of Fine Arts) mit dem von ihr gezeichneten Animationsfilm Volgens de vogels (Den Vögeln zufolge) mit Auszeichnung ab und erhielt zudem verschiedene Preise bei internationalen Filmfestivals. Heute arbeitet sie hauptsächlich als Illustratorin von Kinderbüchern und als freie Künstlerin mit dem Schwerpunkt Grafik und Zeichnung

 

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