- Roman
- von Benjamin Myers
- Originaltitel: »The Perfect Golden Circle«
- Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann
- DUMONT Verlag, September 2021 www.dumont-buchverlag.de
- gebunden mit Lesebändchen
- 224 Seiten
- 22,00 € (D)
- ISBN 978-3-8321-8151-1
HOFFNUNG SÄEN
Rezension von Ulrike Sokul ©
Die beiden Freunde Calvert und Redbone gehen einem unkonventionellen Hobby nach, wobei das Wort Hobby zu banal und bescheiden ist für die Leidenschaft, mit der die beiden im Sommer 1989 still und heimlich auf großen Getreidefeldern in Südengland hochkomplexe und sehr ästhetische Kornkreise erschaffen.
Redbone entwirft die Kornkreismuster, und Calvert findet die dazu passenden Felder. Redbone ist ein rebellischer, künstlerischer und verträumter Charakter, der gelegent-lichem Drogenkonsum nicht abgeneigt ist. Calvert ist ein ehemaliger Soldat der SAS (Special Air Service). Er ist sehr diszipliniert, gut organisiert und trägt ständig eine Sonnenbrille. Beide sind freiheitsliebend, naturverbunden und empfinden eine tiefe, ja beinahe mythische Wertschätzung für ihre heimatlichen Landschaften. Beide sind durch Geschehnisse in der Vergangenheit traumatisiert und verabscheuen die Zerstörungen, die die Zivilisation und achtlose Menschen anrichten.
Ihre Einsätze folgen einem strengen Kodex, den sie sich selbst auferlegt haben. Dieser Kodex beinhaltet praktische Verhaltensregeln und Vorsichtsmaßnahmen hinsichtlich der Planung und Ausführung der Kornkreise, absolute Verschwiegenheit und das Streben nach Schönheit.
Wenn Redbones Visionen zu einem neuen Entwurf ausgereift sind und Calvert die passende „Leinwand“ ausfindig gemacht hat, wird der Entwurf über Nacht in das vorge-sehene Getreidefeld „gezeichnet“. Mit Hilfe von Brettern, Pfosten und Seilen übertragen sie die geometrischen Muster in das Kornfeld. Dabei achten sie darauf, die Halme mit den Brettern nur flach zu drücken und sie nicht zu brechen.
Es versteht sich von selbst, daß sie sehr vorsichtig sein müssen, um nicht entdeckt zu werden, zumal mit Fortschreiten des Sommers und der wachsenden Anzahl ihrer ge-lungenen Kornkreise das mediale Echo größer wird ebenso wie die Menge der selbster-nannten Experten, die das Phänomen der Kornkreise erklären und entschlüsseln wollen.
Calvert und Redbone amüsieren sich über die Zeitungsartikel und Medienberichte, die ihre Werke dokumentieren, fotografieren und interpretieren, und sie freuen sich über ihren anonymen Ruhm. Doch für die beiden Freunde ist das hingebungsvolle Erschaffen der Kornkreise im wesentlichen eine Therapie, die sowohl ihrer persönlichen Heilung dient als auch der Initiation eines kollektiven Erstaunens angesichts solch großer geometrischer Schönheit und wachsender Perfektion.
Manchmal werden sie bei ihrem Vorhaben gestört und müssen improvisieren, um die unwillkommenen Zeugen abzulenken, was zu ebenso spannenden wie amüsanten Szenen führt.
Wenn sie die Kornkreise erschaffen, arbeiten sie in aufeinander abgestimmten Bewe-gungsabläufen und eingebettet in einen größeren Atem – sie werden Teil der unzähligen geschichtlichen Schichten der Landschaft, spüren eine Verbindung zu den Ahnen und zu früheren Leben und empfinden sich als Teil der kosmischen Choreografie.
»Für einige längere Momente ist das Land ein unentwickeltes Foto, und die Zeit hat keine Bedeutung, und sowohl Redbone als auch Calvert spüren, dass sie Teil einer langen Ahnenreihe von Männern und Frauen sind, die über Tausende Jahre hinweg in verzück-tem Staunen auf just diesen Feldern gestanden haben, betört und fasziniert von der Magie des Nachthimmels, und die Kleinheit ihres Lebens und die Kostbarkeit ihres Heimatplaneten wird ihnen immer bewusster.« (Seite 176)
Von Kapitel zu Kapitel begleiten wir Redbone und Calvert bei der Planung und Durch-führung ihrer Kornkreismission. Aus ihren freundschaftlichen Gesprächen ergeben sich kurze Einblicke in ihre Vergangenheit und ihre eigenwilligen Persönlichkeiten. Mehr passiert in diesem Roman nicht und doch erzeugen Calvert und Redbones Kartografie der Schönheit und ihre Naturverehrung Anteilnahme und Interesse.
Gleichwohl bleiben die beiden Charaktere skizzenhaft und man kommt ihnen nicht wirklich nahe, da man nur biografische Schnipsel von ihnen erhascht. Dies wiederum fügt sich jedoch harmonisch in ihre Art von Kunst, die das rein Persönliche transzendiert und auf eine wortlose, archetypische Lebenstiefe und zeitlose Verbundenheit hinweist.
„Die Kunst ist die Beherrschung des Schmerzes durch die Schönheit.“ Dieses Zitat von Edgar Degas ließe sich gut als Motto für diesen Roman und für die Handlungsmotivation der beiden Hauptcharaktere verwenden.
Hier entlang zum Buch und zur LESEPROBE auf der Verlagswebseite:
https://www.dumont-buchverlag.de/buch/myers-der-perfekte-kreis-9783832181581/
Die Hörbuchausgabe ist bei DAV erschienen.
- ungekürzte Lesung von Sebastian Rudolph
- 1 Mp3-CD
- 22,00 €
- ISBN 978-3-7424-2129-6
- Hier entlang zur Hörbuchausgabe beim DAV Verlag:
Der perfekte Kreis HÖRBUCH
Der Autor:
»Benjamin Myers, geboren 1976, ist Journalist und Schriftsteller. Myers hat nicht nur Romane, sondern auch Sachbücher und Lyrik geschrieben. Für seine literarischen Arbeiten hat er mehrere Preise erhalten. Sein Roman „Offene See“ (DuMont 2020) stand wochenlang auf der SPIEGEL-Bestellerliste und wurde mit dem Preis des unabhängigen Buchhandels als Lieblingsbuch des Jahres ausgezeichnet. Er lebt mit seiner Frau in Nordengland.«
Die Übersetzer:
»Ulrike Wasel und Klaus Timmermann, beide 1955 geboren, haben Anglistik in Düssel-dorf studiert. Seither arbeiten sie als Übersetzerteam und haben u.a. Dave Eggers, Tana French, Andre Dubus III., Harper Lee, Jeanette Walls und Zadie Smith ins Deutsche übertragen.«
Querverweis:
Hier entlang zu Benjamin Myers Roman „Offene See“: Offene See