- von Jasper Fforde
- Übersetzung ins Deutsche:
- Band 1 von Lorenz Stern
- Band 2 – 5 von Joachim Stern
- DTV Verlag http://www.dtv.de
- Band 1: Der Fall Jane Eyre
- 375 Seiten, 9,95 €
- ISBN 978-3-423-21293-9
- Band 2: In einem anderen Buch
- 416 Seiten, 10,95 €
- ISBN 978-3-423-21294-6
- Band 3: Im Brunnen der Manuskripte
- 405 Seiten, 9,95 €
- ISBN 978-3-423-21295-3
- Band 4: Es ist was faul
- 429 Seiten, 11,95 €
- ISBN 978-3-423-21296-o
- Band 5: Irgendwo ganz anders
- 408 Seiten, 11,95 €
- ISBN 978-3-423-21297-7
DIE NEXTE BITTE !
Buchbesprechung von Ulrike Sokul ©
Ach, Sie meinen, Sie wüßten Bescheid über Lesen, Schreiben und Bücher, weil Sie Leser sind? Oder gar Schriftsteller, Verleger oder Deutschlehrer? Oder vielleicht Buchhändler? Tja, das dachte ich (Buchhändlerin) auch, bis ich Thursday Next kennenlernte – oder eher lesenlernte -, das hat meinen Lesehorizont wahrlich um einige Dimensionen erweitert.
Thursday Next, die weibliche Hauptfigur in diesen wortwörtlich hinterlisterarischen Kriminalromanen, arbeitet als „LiteraturAgentin“, und in dieser Rolle sucht sie nicht nach verheißungsvollen neuen Schriftstellertalenten, sondern sie und ihre Kollegen beschützen die vorhandene Literatur vor unbefugten, verbrecherischen Eingriffen wie Raubdrucken, gefälschten Manuskripten und sonstigen Manipulationen, die gegen die literarische Ordnung verstoßen. Für außergewöhnliche Komplikationen sorgt dabei zusätzlich der Umstand, daß die Grenzen zwischen Fiktion und Wirklichkeit durchlässiger sind, als bisher vermutet.
Die Geschichte beginnt 1985 in England, in der Stadt Swindon. Die historischen und gesell- schaftlichen Rahmenbedingungen weisen allerdings einige dichterische Freiheiten und Modi- fikationen auf: In Wales herrscht Kommunismus, in England herrscht Demokratie. Es gibt genetische Rückzüchtungen ausgestorbener Arten, z. B. Dodos und Mammuts und ausge- sprochen sympathische Neandertaler. Käse wird extrem hoch besteuert und bevorzugt von Wales nach England geschmuggelt.
Die herkömmliche Polizei wird vom „SpecialOperations-Network“ unterstützt, das sich wiederum in über dreißig Abteilungen aufgliedert. Dies wiederum ist der Garant für büro- kratische Irrungen und Wirrungen. Thursday Next arbeitet für „SpecOps-27 (LiteraturAgenten)“, einer ihrer Lieblingskollegen arbeitet für „SpecOps-17 (Vampir- und Werwolfentsorgung)“ und trägt den – für literarisch Eingeweihte – vielsagenden Namen Spike Stoker.
Eine große Rolle spielt außerdem „SpecOps-12“, die „ChronoGarde“, deren Aufgabe es ist, den korrekten Ablauf der „StandardEreignisLinie“ zu überwachen, Zeitfalten auszubügeln und dann und wann Apokalypsen zu vermeiden. Die zeitreisebefähigten Agenten kommen also negativen oder unerwünschten Ereignissen nachträglich zuvor. Thursdays Vater ist „ZeitreiseAgent“ und hält die „ChronoGarde“ und das Ministerium für Zeitstabilität für einen „chronupten“ Haufen und versucht ihre historischen Fehleingriffe zu korrigieren. Als Zeitflüchtiger ist er ziemlich unendlich unterwegs und kommt doch immer wieder kurzfristig bei Thursday und ihrer Mutter zu Besuch vorbei.
Dann ist da noch Onkel Mycroft, der geniale Erfinder des Legosteinfilters für Staubsauger und des „ProsaPortals“: Eine Erfindung, die es ermöglicht, buchstäblich in ein Buch einzu- steigen. Und es gibt die „Goliath Corporation“, einen skrupellosen, profitgierigen Großkon- zern, der systematisch die Demokratie untergräbt und um jeden Preis seine Macht auf die fiktionale Welt ausdehnen will.
Gleich im ersten Band wird Jane Eyre aus ihrem Buch heraus entführt, und der Erpresser droht mit der Ermordung dieser beliebten literarischen Figur, wenn seine Forderungen nicht erfüllt werden.
In Jasper Ffordes Buchmultiversum ist die sogenannte wirkliche Welt schon reichlich schräg, aber die Buchwelt übertrifft sich hier gewissermaßen selbst. Wie dramatisch es hinter den Kulissen der gedruckten Buchstaben, Worte und Sätze zugeht, das weiß Jasper Fforde mit funkelndem Einfallsreichtum und Liebe zum kleinsten literarischen Detail spannend und sehr amüsant zu erzählen. Der bürokratische Verwaltungsapparat der Buchwelt ist mindestens so papierkramreich wie in der Außenwelt, ganz zu schweigen von den logistischen und technischen „BackStory“- Herausforderungen. Also ohne mobiles „Fußnotofon“ geht schon mal gar nichts; und haben Sie gewußt, daß das ISBN-System den „JurisfiktionAgenten“ zur Ortung von Büchern dient?
Thursday Next pendelt für ihre Detektivarbeit zwischen der Buchwelt und der Außenwelt, rettet Jane Eyre und auch ihr eigenes Leben und findet beiläufig noch Zeit, ihre große Liebe zu heiraten.
Nachdem Thursday Next im ersten Band als Buch- springerin und Retterin von Jane Eyre berühmt wurde, wird sie im zweiten Band als erste „Außenländerin“ von „Jurisfiktion“ um Mitarbeit gebeten. „Jurisfiktion“ ist der Sicherheitsdienst der Buchwelt, und dieser hat stets Bedarf an mutigen Agenten, welche die Buchwelt sowohl vor inneren wie äußeren Störungen und Angriffen schützen. Miss Havisham, die sitzengelassene Braut aus Charles Dickens Roman „Große Erwartungen“ ist Thursdays strenge Ausbilderin, die allerdings auch gerne kleine unerlaubte Ausflüge in die wirkliche Welt unternimmt und dort grundsätzlich viel zu schnell Auto fährt.
Offenbar erfüllen die fiktionalen Charaktere nicht immer ihre literarische Pflicht. Es gibt „Seitenläufer“, literarische Figuren, die ihre Rolle satt haben und sich bestenfalls einfach nur in einem anderen Buch verstecken und sich schlimmstenfalls in den Handlungsverlauf des Besuchsbuches einmischen. Da hilft manchmal nur noch das Ausradieren mißliebiger Charaktere durch Radiergummi- munition. „Grammasiten“ und „Adjektivoren“ müssen bekämpft werden. Arbeit und Abenteuer bieten sich seitenweise an…
Im dritten Band zieht sich Thursday zwecks Mutter- schaftsurlaub von ihren Feinden in das noch unver- öffentlichte Manuskript eines Krimis zurück. Dort kommt sie einer Verschwörung auf die Spur, die in Verbindung mit der geplanten Einführung eines neuen Textverarbei- tungsprogramms die schöpferische Freiheit und kreative Sprachvielfalt des gesamten literarischen Lebens aus- löschen will. Haarscharf kann Thursday diese technologische Entseelung der Buchwelt verhindern.
Außerdem verpaßt sie zwei „Figuren-Rohlingen“ den letzten charakterlichen und sprachlichen Feinschliff und ein Happy End. In Zusammenhang mit der Bekämpfung des „Mispeling Vyrus“ vergnügt uns Jasper Fforde zudem mit einem ganz herrlichen Seitenhieb auf die deutsche Rechtschreibreform.
Im vierten Band entschließt sich Thursday, mit ihrem Sohn Friday wieder in die Außenwelt zurückzukehren. Außerdem darf sie, auf Anordnung des „GattungsRates“, Hamlet mitnehmen, dem zu therapeutischen Zwecken ein Ausflug in die wirkliche Welt genehmigt wurde. Nicht nur, daß er mit seiner Außenwahrnehmung als Zauderer hadert, zusätzlich hat er zu verkraften, daß nicht ihm, sondern Heathcliff zum 77. Male der „BuchWeltPreis“ für den besten „Schwierigen Romantischen Liebhaber“ verliehen wurde. Außerdem wird ein „Fiktionär“, der sich unbefugt auf dem politischen Parkett der wirklichen Welt tummelt, in einem bemerkenswert raffinierten, literarischen Duell unschädlich gemacht.
Der fünfte Band spielt 14 Jahre später: Thursdays bisherige Abenteuer sind inzwischen in Romanform erschienen, sie arbeitet zum Schein im Teppichhandel, in Wirklichkeit ist sie nach wie vor Doppelagentin und nebenberufliche Käseschmugglerin. Der „AllgemeineLeseIndex“ stürzt in bildungsferne Abgründe, es drohen gar „Reality-Book-Shows“. In der Buchwelt ist man darüber nicht amüsiert; unterbe- schäftigte und gelangweilte Romanfiguren könnten rebellieren und „Mindestleserzahlen verlangen“.
Der Mord an Sherlock Holmes sollte dringend aufgeklärt werden, und Thursday muß sich schließlich sogar mit ihrer eigenen fiktiven Figur herumschlagen. Erst kurz vor Buchschluß erkennt sie, daß in der Buchwelt ein „Serienkiller“ unterwegs ist, und Jasper Fforde beendet das letzte Kapitel mit … und läßt uns Leser in schrecklicher Ungewißheit auf diesen Pünktchen, Pünktchen, Pünktchen sitzen. Das ist nur schwer auszuhalten!
Der 6. Band erscheint erst im Juli 2013! Tja – wäre ich jetzt eine „Buchspringerin“ wie Thursday Next dann könnte ich mir im „Brunnen der Manuskripte“ eine Leseprobe des noch ungedruckten Buches genehmigen …
Doch zurück zu den fünf Bänden, die uns schwarz auf weiß vorliegen: Jasper Fforde verfügt über eine geistreiche und humorvolle Kombinationsgabe; von Band zu Band steigert er sich mit einfallsreichen Ideen, komplex konstruiert bis ins kleinste erlesene Detail. Die historischen und literarischen Arrangements, die er gestaltet, sind abenteuerlustig, wunderbar wortspielerisch und vielschichtig.
Die Wiederbegegnung mit bekannten literarischen Figuren, Themen und Schauplätzen, die von Jasper Fforde gekonnt in den Handlungsverlauf seiner Thursday Next Geschichte eingewoben werden, bietet anregenden Spielraum für fantasievolle und heiter-ironische Neuinterpretationen und kuriose Assoziationen. Neben vielen englischen Klassikern finden z.B. auch Eichendorff, Kafka und Konrad Duden Erwähnung.
Garniert wird das Ganze noch mit dem Thema Zeitreisen und den sich daraus ergebenden Paradoxien und Schlußfolgerungsvariablen.
Falls Sie jetzt meinen, ich hätte hier schon zu viel erzählt, muß ich energisch widersprechen. Diese Buchbesprechung ist nur eine flüchtige Skizze, ein Hauch von dem, was Ihnen die über 2000 Seiten der ersten fünf Thursday Next Bücher an kurzweiligem, kultivierten Lese- und Schmunzelgenuß bieten können.
PS:
Klassikerkenntnisse sind von Vorteil und erhöhen das Vergnügen an den zahllosen gewitzten Anspielungen und Bezügen. Die neue graphische Titelbildgestaltung der Thursday Next Reihe mit je einem schwarzen Scherenschnitt eines englischen Klassikers vor leuchtend farbigem Hintergrund und mit farbenfrohen Prägedruckbuchstaben ist auffällig anders und wird somit dem Inhalt der Bücher durchaus gerecht.
Hier entlang zu den Romanen und LESEPROBEN auf der DTV-Verlagswebseite:
Band 1: Der Fall Jane Eyre https://www.dtv.de/buch/jasper-fforde-der-fall-jane-eyre-21293/
Band 2: In einem anderen Buch https://www.dtv.de/buch/jasper-fforde-in-einem-anderen-buch-21294/
Band 3: Im Brunnen der Manuskripte https://www.dtv.de/buch/jasper-fforde-im-brunnen-der-manuskripte-21295/
Band 4: Es ist was faul https://www.dtv.de/buch/jasper-fforde-es-ist-was-faul-21296/
Band 5: Irgendwo ganz anders https://www.dtv.de/buch/jasper-fforde-irgendwo-ganz-anders-21297/
PPS:
Wie die Zeit vergeht … 😉
Meine Rezension zum sechsten und letzten Band der Thursday-Next-Serie: WO IST THURSDAY NEXT finden Sie unter diesem Link: https://leselebenszeichen.wordpress.com/2013/07/03/wo-ist-thursday-next/
DER AUTOR:
»Jasper Fforde ist Waliser(daher das markante doppelte F!) und wurde 1961 geboren. Seine Romane schrieb er 14 Jahre lang neben seiner Arbeit als Kameramann bei verschiedenen Filmproduktionen. Er ist einer der intelligentesten, witzigsten und hintergründigsten Autoren der Fantasy. Nach 76 Ablehnungen erschien im Jahre 2001 der erste Band der Abenteuer von Thursday Next. Inzwischen hat die Reihe weltweit Kultstatus erlangt, und Jasper Fforde wurde aufgrund seiner literarischen Verdienste zum zeitweiligen Ehren-Bürgermeister von Swindon ernannt.« Weitere Informationen: http://www.jasperfforde.com