HAIKU

Ulrike Sokul ©

Das Haiku ist eine japanische Gedichtform.

Ein deutschsprachiges Haiku besteht aus siebzehn SILBEN, verteilt auf drei Zeilen in der Reihenfolge  5   –  7   –   5.

Die äußere Form des Haiku ist einfach, schlicht und schmucklos, ja: meditativ-leise.

Die strenge Form des Haiku enthält einen Mikrokosmos weniger Worte, der beim achtsamen Mitlesen eine geistig-seelische Flügelspannweite in den unendlichen Augenblick ermöglicht.

Es bleibt viel Luft und Raum, die Poesie reist  –  hier und jetzt  –  mit leichtem Wortgepäck; die Andeutung genügt.

Gerne wird über das Haiku gesagt, daß es „im Ungesagten das Unsagbare sage“…

Auf dieser Seite werde ich gelegentlich ein von mir verfaßtes, der jeweiligen Jahreszeit entsprechendes Haiku „einpflanzen“.

PERSPEKTIVE

Der Flug des Vogels

erhebt mich ins Himmelsblau

so weit und so nah.

Ulrike Sokul ©

ERSCHEINUNG

Im Blätterrascheln

zeigt sich der Weg des Windes

sichtbar unsichtbar.

Ulrike Sokul ©

REZEPT

Achtsam Lauch putzen

gesättigt von grünem Grün

und fließendem Licht.

Ulrike Sokul ©

VERWANDLUNG

Schwarzweißer Granit,

die rosa Ader hindurch –

schlägt ein Herz im Stein ?

Ulrike Sokul ©

LICHTBLICK

Letzter Sonnenglanz

der Himmel darüber tönt

in blauerem Blau

Ulrike Sokul ©

FARBENFREUDE

Bunte Herbstbeeren

erleuchten meine Augen

morgens auf dem Weg

Ulrike Sokul ©

NOCH

Über das Herbstlaub

gehe ich viel langsamer

durch ein kurzes Jahr

Ulrike Sokul ©

EISLAUFEN

Der vereiste Teich

trägt meine scheuen Schritte

nur mein Blick versinkt

Ulrike Sokul ©

BERÜHRUNG

Auf meinem Handschuh

eine zarte Schneeflocke

die mich ganz kurz sieht

Ulrike Sokul ©

GEHEIMNIS

Beim Blick ins Feuer

erglüht mein Herz vor Sehnsucht

unberechenbar

Ulrike Sokul ©

Meine persönlichen Haiku-Lektüreempfehlungen:

ZEN in der Kunst des Dichtens
vonToshimitsu Hasumi
O.W. Barth Verlag 1986
gebunden mit Schutzumschlag
144 Seiten, ca. 12 €
3-502-64271-0

Das erste Buch, das ich zum Thema Haiku gelesen habe und das immernoch mein Lieblingshaikubuch ist: kenntnisreich, klar und tief. Leider vergriffen, da hilft nur antiquarisch suchen und hoffentlich finden.

Vollmond und Zikadenklänge
Japanische Verse und Farben
Vorwort und Übersetzung aus dem Japanischen von Gerolf Coudenhove
Bildauswahl von Werner Speiser
50 Seiten, gebunden
C.Bertelsmann Verlag 1955

Eine sehr gelungene, dem Geist des Haiku gemäße kurze und bündige Einführung in das Thema. Haikubeispiele aus allen Jahreszeiten, stellenweise mit kleinen erhellenden Erläuterungen (eigentlich müßte ich: „Erleiserungen“ schreiben) versehen und mit – thematisch und zeitgemäß – wunderschön harmonierenden japanischen Bildern geschmückt. Ein Buch, das man leicht auf dem Trödelmarkt und in Antiquariaten finden und für kleines Geld erwerben kann.

Japanische Jahreszeiten
Tanka und Haiku aus dreizehn Jahrhunderten
Aus dem Japanischen übertragen von Gerolf Coudenhove
Mit Tuschezeichnungen japanischer Künstler
Manesse Bibliothek der Weltliteratur
in Leinen gebunden, mit Schutzumschlag
404 Seiten, 19,90 €
978-3-7175-1210-3

047_01210_71789_xl.jpg japanische Jahreszeiten

Eine umfangreichere Zusammenstellung von Haikus, geordnet nach den fünf japanischen Jahreszeiten: Neujahr, Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Mit einer kurzen Einführung in die jeweilige Jahreszeit und die im japanischen Kulturraum üblichen Jahreszeitenwörter. Das 14-seitige Nachwort bietet eine komprimierte, schlüssige Miniaturkulturgeschichte des Haiku und der sprachlichen Besonderheiten des Japanischen im Vergleich zum Deutschen und entsprechende Hinweise zu unvermeidlichen Übersetzungskompromissen.

Hier entlang zur NEUAUSGABE und LESEPROBE auf der Verlagswebseite:
https://www.randomhouse.de/Buch/Japanische-Jahreszeiten/Manesse/e474317.rhd

48 Kommentare zu “HAIKU

  1. Unglaubliche Wucht und Tiefe in Deinen fein ziselierten Haiku-Texten. Ich höre z.B. geradezu das Herbstlaub rascheln, durch das ich immer noch gerne gehe und den herbstlichen Duft wahrnehme. Ach ja nebenbei : ich kauf Dir gern ein „r“ vom vereisten Teich. Denn er ist weg, also verreist. Sch… Klimawandel, wo nichteinmal mehr ein Teich anständig zufriert.
    Sei und bleib behütet! Lieben Gruß vom ollen grauen Wolf aus dem Land am Meer.

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    • Hab‘ Dank für Deine Komplimente zu meinen Haikus. Es freut mich, wenn sie so wirken, daß Du das Herbstlaub rascheln hörst …
      Danke auch für Dein aufmerksames Lesen und Aufspüren meines zuviel getippten „r“ in „vereist“. Deine Anmerkungen dazu haben mich amüsiert. Das überflüssige „r“ habe ich gleichwohl diskret entfernt. 😉
      Mit einem herzLICHTen Gutenachtgruß
      Ulrike

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      • Kuhsturm, stramm aus West,
        knattert durch morsches Geäst,
        gibt dem Baum den Rest.

        Heute n8 zieht das Orkantief Zeynep über ganz Norddeutschland, bis zu Dir runter,
        bis auch in Solingen die Klingen klingen.
        Ich hoffe, daß alles gut geht und die Schäden im Rahmen bleiben, daß unsere Rehe auf der Arche Brandshagen nicht durch die Gegend fliegen und auch bei Dir alles an Ort und Stelle bleibt.
        Sei und bleib behütet!
        Lieben Gruß vom ollen, grauen Wolf aus dem Land am Meer.

        P.S.
        Pommern, slawische Besiedlung der Gegend, „po morze“ heißt in den slawischen Sprachen, z.B. Polnisch „am Meer“.

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  2. Die Buchempfehlung ist interessant. Denn tatsächlich können wir im Deutschen ja weder griechisches Versmaß noch ein fernöstliches Gedicht machen noch wiedergeben – da es auf ganz anderer Sprache, so auf Silbenbetonung, die es so im Deutschen nicht gibt, beruht. Alles, was wir hier versuchen, ist eine den Einschränkungen unserer eigenen Sprache geschuldete Annäherung. Was, wenn’s gut gemacht (etwa die großartigen Übersetzungen aus dem griechischen aus der großen Zeit der Klassik, Mannomann, waren die sprachbegabt!). – wie kommen da wohl meine eigenen Haikus (auf meiner Seite) weg?

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    • Verbindlichen Dank, liebe Petra,
      für Dein Interesse an meiner HAIKU-Buchempfehlung.
      Deine eigenen Haikus auf Deiner Webseite sind für die geneigte Leserin kaum auffindbar, da Du in Deiner Blogbeitrags-Inhaltsangabenliste keine Verlinkung zu den einzelnen Textbeiträgen eingefügt hast.
      Ich werde mich nicht mühsam durch über fünfzig Beiträge rollen, nur um ein Haiku zu finden. Ich rege an, daß Du Deinem möglichen Lesepublikum durch einfache und übersichtliche Auffindbarkeit der einzelnen Texte etwas mehr entgegenkommst.

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  3. Liebe Ulrike,
    Danke dir für deine Haiku.
    Ich schicke dir hier auch eines:

    Im Abenddunkel
    Funkeln Sterne – es nachtet
    Der Mond singt sein Lied.

    Copyright: Judith Manok-Grundler

    Herzliche Grüße
    Judith

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  4. Viele tolle Haikus und noch schönere Gedichte unter „Lyrik“, liebe Ulrike!
    Herzlichen Dank für deinen Besuch bei LyrikHerz und auch für deine vielen Likes für meine Beiträge! Es freut mich sehr, dass sie dir gefallen.
    Dein Blog ist ziemlich komplex, da braucht man etwas mehr Zeit, bis man alles durchgestöbert hat, aber in der Belletristik-Sparte habe ich bereits einiges gefunden, was mich persönlich anspricht. Vielen Dank für deine Lesetipps und fürs Teilen!

    Liebe Grüße
    Frieda

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    • Verbindlichen Dank, liebe Frieda,
      für Dein Gefallen an meiner Poesie, die auf meiner Buchbesprechungs-Webseite ja ein eher verstecktes Nischendasein lebt. Mein Schreibschwerpunkt liegt zur Zeit bei Rezensionen. Schön, daß Du auch bei meinen Buchbesprechungen etwas für Dich ansprechendes gefunden hast.
      Gerne habe ich bei meinem Leseblätterbesuch bei Dir Sternchen gestreut.
      Verschneite Grüße ❄ ⛄ ❄
      Ulrike

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  5. Es freut mich zu sehen, dass sich Menschen mit Haikus beschäftigen. Es ist zwar mit die bekannteste japanische Dichtform (alle anderen Formen werden den wenigsten etwas sagen), aber dennoch vielen eher unbekannt.
    Im japanischen ist es zwar „einfacher“ Haikus zu schreiben, da man – vereinfacht gesagt – mit weniger Worten mehr ausdrücken kann (im Deutschen z. B. braucht man häufig Artikel, Pronomen und dergleichen), aber umso schöner, dass sich einige daran auch in eigener Sprache versuchen. 🙂

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    • Haikus begleiten mich schon sehr lange, ein Mitschüler machte mich einst (1983) auf diese lyrische Form aufmerksam.
      Im Laufe meines weiteren Lese- und Schreiblebens habe ich mich gerne – aktiv und passiv – mit dieser konZENtrierten Formulierungsform beschäftigt.
      Verbindlichen Dank für Deine zugeneigte Resonanz! 🙂

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  6. Ich mag das Haiku nur, wenn es von der Natur in die Stadt spediert wird; und wer hat das gemacht? Dunnemals und jetzt nicht mehr der Uli Becker, nicht nur zu Silvester etwa so: „Sektkorken knallen / tief in die Augen ein Blick / frohes Neues Ja“. Dem Maro Verlag war er sehr verbunden, und ich hab´ seine Asphaltliteratur gerne im Betrieb geschrieben. Wenn überm illustrierten Antennenwald es heißt „Wie altes Eisen / stehn die Bäume im Park rum, / wenn der Lack ab ist“, dann ist damit alles nicht nur gesagt, sondern wirklich augenblicklich erkannt. Stadt Natur.

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    • Obwohl das Haiku in der mehr oder weniger philosophisch-meditativen Naturbetrachtung WURZELT, steht es jedem gegenwärtigen Poeten frei, es nach subjektivem Gusto in die Stadtlandschaft zu übertragen.
      Gleichwohl schmecken mir die naturverbunden und sozusagen menschenleeren Haikus am besten!

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    • Ach, lieber Lu,
      ich bin zur Zeit in keinem aktiven poetischen Seinszustande, da bitte ich Dich, mit mir Geduld haben zu wollen.
      Gleichwohl freut mich Deine anhängliche Nachfrage.
      Herzensgruß von mir an Dich 🙂

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      • Das klingt nicht so wirklich schön, liebe verehrte Poetin…

        gleichwohl werde ich ausharren voller Geduld, sogar ad infinitum, wenn es denn so sein muss 🙂

        Sehr herzlich, dein Lufreund

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  7. Mit dem Thema habe ich mich vor Jahren auch einmal beschäftigt. Wie schön, hier bei Dir wieder einmal daran erinnert zu werden und Deine kleinen Schätze zu lesen. Liebe Grüße San

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  8. Nur einen Stern für all diese Kleinode vergeben zu können fühlt sich gar nicht angemessen an. Schon gar nicht und überhaupt und im Speziellen nicht bei einer Jemandin, welche in nächtlichen Blogflügen ihre Sterntalerschürze so grosszügig leert.
    Danke dafür.

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    • Jeder Stern hat seinen eigenen Glanz und auch einzeln freue ich mich daran. Meine lyrischen Saiten finden auf meiner Webseite ja eher im verborgenen Seitenkämmerchen statt. Mein Schreibschwerpunkt befindet sich zur Zeit bei Buchbesprechungen, die dann auch deutlich „prominenter“ von mir präsentiert werden.
      Gerne habe ich auf meinem nachtaktiven Blogstreifzug Sternchen bei Dir gestreut – für Kommentare war ich schon zu müde.
      Danke für Deine freundliche Resonanz. 🙂

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  9. Ich habe Deine Haikus entdeckt, zauberhaft! Das macht mir Lust, selber einen zu versuchen:

    Kirschblüten öffnen
    Sich an blattlosen Zweigen
    Frühling platzt ins Haus

    Ist das ein `echter` oder nicht? Bin gespannt. Inspiriert haben mich die Kirschbaumzweige, die wir Mitte Dezember ins Haus geholt haben. Kurz nach Weihnachten haben sich die ersten Blüten geöffnet.

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    • Danke für Dein Interesse und Deine poetische Neugier.
      Dein Haiku hält sich an die strenge Silbenzahl, beschreibt eine Naturbetrachtung und ruft eine Jahreszeitenstimmung hervor …
      Ich finde, es ist ein Haiku. Echtheitszertifikate dürfen eigentlich nur Japaner ausstellen 😉
      Eine gute Anleitung für besonders haikumäßige Haikus ist der feine Leitsatz des Schriftstellers Manfred Hausmann (1889 – 1986), der unter dem weiblichen Pseudonym Toyotama Tsuno Haikus veröffentlicht hat und folgende Zeile schrieb:
      „Im Ungesagten das Unsagbare sagen.“

      Blütenblättrige Grüße von Ulrike 🙂

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      • Ermutigt durch Deine warmen Worte probiere ich es weiter… 🙂

        Zweiter tastender Versuch:

        VORFRÜHLING
        Kirschblüten öffnen
        sich an laublosen Zweigen
        Frühling schwebt im Raum

        Täuscht mich mein Gefühl oder klingt es so haikumäßiger, weil leiser und schwebender?

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  10. Liebe Ulrike, danke für Deine Haikus.
    Diese kleine Form verbindet mich mit einer lieben Freundin, die mir von unterwegs immer mal eines schickt und mir zeigt, dass sie an mich denkt.
    Ich selbst bin mehr der Elfchen- und Zevenaar-Typ, aber ich übe. Darum heute noch keines von mir.
    Herzlich, Birgit

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Sie dürfen gerne ein Wörtchen mitreden, wenn's konveniert!