Miss Sharp macht Urlaub

  • Der zweite Fall für die skurrile Rentner-WG von Sunset Hall
  • von Leonie Swann
  • Hörbuch
  • leicht gekürzte Lesung von
  • Anna Thalbach
  • der Hörverlag, Juli 2022 www.hoerverlag.de
  • Laufzeit: 8 Stunden, 40 Min.
  • 1 mp3-CD in Papp-Klappschuber
  • 22,00 € (D), 22,70 € (A), 30,90 sFr.
  • ISBN 978-3-8445-4528-9

Miss Sharp macht Urlaub von Leonie Swann

SCHÖNHEIT  SCHÜTZT  VOR  MORDEN  NICHT

Hörbuchrezension von Ulrike Sokul ©

Wie bereits im ersten Kriminalfall der rostig-rüstigen Rentner-WG von Sunset Hall bietet auch der neue Fall eine komplexe, verschlungene Handlung, die uns mit mehreren  Ver-dächtigen und falschen Spuren abwechslungsreich und unterhaltsam beschäftigt. Um sich mit den sechs WG-Bewohnern (Agnes Sharp, Bernadette, Charlie, Edwina, Winston und dem Marschall) näher vertraut zu machen, empfehle ich einen Blick in meine Rezension des ersten Falles „Mord in Sunset Hall“ Mord in Sunset Hall , wo ich die eigenwilligen Damen und Herren im einzelnen vorstelle. Erwähnenswert ist zudem noch die im ersten Band verstorbene WG-Bewohnerin Lillith, deren Asche in einer Kaffeedose in Sunset Hall aufbewahrt wird und mit der Edwina nach wie vor gerne Zwiesprache hält.

Es ist Winter und bitterkalt; in der Senioren-WG Sunset Hall ist die Heizung ausgefallen, und eine Reparatur ist frühestens in zwei Wochen möglich. Dies sind ungemütliche Aus-sichten. Da trifft es sich gut, daß Edwina, wohlbekannt aus dem ersten Band als wach-same Hüterin der Hausschildkröte Hettie und der Asche Lilliths, bei einem Preisaus- schreiben eine Reise  nach „Eden“, einem Ökoluxus-Romantikhotel in Cornwall, gewonnen hat.

Denn alle WG-Bewohner sind sich einig, daß man Edwina keinesfalls alleine und unbe- aufsichtigt verreisen lassen könne. Edwina ist zwar dank Yoga die gelenkigste und körperlich fitteste von allen, aber geistig lebt sie gewissermaßen in einer Parallelwelt, in der ihr einstiger Beruf als Geheimagentin nach wie vor eine eigenwillige Perspektive auf aktuelle Geschehnisse garantiert. Edwinas sehr ausgeprägte Tierliebe führt zudem manchmal zur Vernachlässigung normaler menschlicher Prioritäten.

Kurzentschlossen lädt die mondäne Charlie, wohlbekannt aus dem vorherigen Fall als eleganter WG-Neuzugang, alle WG-Bewohner ein, diese Reise nach Eden gemeinsam zu unternehmen. Denn dank zahlreicher verflossener Ehemänner ist Charlie nicht ganz unbetucht und kann sich eine solche Großzügigkeit leisten.

So reisen die älteren Leutchen wenig später nach Cornwall an die Küste, wo das Hotel ziemlich abgelegen, nahe an den Klippen gebaut liegt und mit spektakulärem Meeres- blick aufwartet. Die beiden Herren, der militärische Marschall und der besonnene Winston, beide Kavaliere alter Schule, teilen sich ein Doppelzimmer, und die vier Damen belegen zwei weitere Doppelzimmer.

Zwischen Champagnerfrühstück, wahrlich bio-vollwertköstlichen – wenn auch nicht immer ganz gebißverträglichen – Fünf-Gänge-Menüs, üppig ausgestatteter Hotelbar, Aroma-Massagen, Farbtherapie, Meditation, Schwimmgymnastik und diversen krea- tiven Beschäftigungsangeboten können sich die alten Damen und Herren gut ent- spannen und beiläufig noch die zu Rohkost und körperlicher Ertüchtigung verurteilte „Entschlackungsgruppe“ bedauern. Denn außer dem genüßlichen Romantik-Angebot kann man auch ein eher asketisches Gesundheits-Angebot buchen.

Agnes Sharp, die auf mehrstimmigen Wunsch ihrer WG-Mitglieder neuerdings mit einem modernen Hörgerät ausgestattet ist, entwickelt in Anbetracht zuvorkommender Bedie-nung, fließendem warmen Wasser, harmonisch geschwungener Holzmöbel, indirekter Beleuchtung, kulinarischen Köstlichkeiten und Meeresrauschen endlich ein zaghaftes Urlaubsgefühl. Sie sitzt in der behaglichen Sea-Lounge und genießt die schöne Aussicht auf das Meer. Beiläufig beobachtet sie zwei mit grellbunten Kapuzenjacken bekleidete Personen, die den hoteleigenen Klippenpfad entlang gehen. Plötzlich ist nur noch eine Person da, und obwohl Agnes nicht sehen konnte, was mit der zweiten Person geschehen ist, erwacht sofort ihr kriminalistischer Instinkt.

Während Agnes und ihre Freunde mit ersten vorsichtigen Nachforschungen beginnen, muß sich die blinde Bernadette damit arrangieren, daß ihr im Hotel Jack, ein Mann aus ihrer dunklen Vergangenheit, freundlich, ja, buchstäblich romantisch wiederbegegnet. Das Problem ist nur, daß Jack ein professioneller Auftragskiller war und sie nicht sicher sein kann, ob er sich schon im Ruhestand befindet, zumal sich dem ersten Mord schnell weitere, allerdings eher unprofessionell ausgeführte Morde anschließen.

Auch diverse mehr oder weniger seltsame Hotelgäste, wie der junge Video-Blogger Mojo, die weiße Witwe und der wahllos charmante Howard Hope geraten in Mordverdacht. Besonders erheiternd sind in diesem Zusammenhang die situationskomischen Mißver-ständnisse bei den Begegnungen zwischen Edwina und Mojo – hier stiften alleine das generationsbedingt unterschiedliche Vokabular sowie die Differenz zwischen virtuellem und analogem Wirklichkeitsbezug viel Verwirrung.

Edwina findet im Hotel-Schwimmbad eine unterkühlte, weiße Schlange, eine noch junge Boa mit dem Namen „Oberon“. Keine Frage, daß sie das liebenswürdige Tier adoptiert und damit  lebhafte Zimmergenossinnen-Komplikationen auslöst. Denn Charlie ist nicht so schlangenaffin wie Edwina und tauscht das Zimmer mit Agnes, die weniger empfind-lich auf die Anwesenheit der hübschen Würgeschlange mit den zitronengelben Augen reagiert.

Wie es in Leonie Swanns Romanen üblich ist, kommt selbstverständlich auch die spezielle Schlangenperspektive Oberons zu Wort und trägt interessante Mosaik- steinchen zum Gesamtbild bei…

Dieser Kriminalroman lebt von der ebenso charakterstarken wie originellen Figuren- zeichnung und von den raffinierten Szenenwechseln, welche die unterschiedlichen Perspektiven auf  das Geschehen dramaturgisch spannend verknüpfen. Die liebenswert selbstironische Thematisierung der altersbedingten Hindernisse und Verlangsamungen nebst Vergeßlichkeiten, Mittagsschlafbedürfnissen, klagenden Hüften, verlegten Lesebrillen und  akustischen Verzerrungen von Hörgeräten ist auf respektvolle Weise amüsant, zumal die Verletzlichkeiten und Wehmütigkeiten des Alters auch mit den unzweifelhaften Stärken von Lebenserfahrung, altersmilder Gelassenheit sowie abgeklärtem schwarzen Humor ausgeglichen werden. 

Anna Thalbach vorleseschauspielert dieses Hörbuch ausgesprochen vielstimmig. Sie ver-
leiht jedem Charakter mit bewundernswert vielsaitigem Nuancenreichtum eine unver-wechselbare eigene Note und Klangfarbe. Die glamouröse Charlie würde dies mit ihrem berühmten Ausruf: „F A – B E L – H A F T!“ kommentieren, und dem kann ich mich nur begeistert anschließen.

Hier entlang zum HÖRBUCH und zur Hörprobe auf der Verlagswebseite:
https://www.penguinrandomhouse.de/Hoerbuch-MP3/Miss-Sharp-macht-Urlaub/Leonie-Swann/der-Hoerverlag/e601690.rhd

Hier entlang zur BUCHAUSGABE beim Goldmann Verlag:
https://www.penguinrandomhouse.de/Buch/Miss-Sharp-macht-Urlaub/Leonie-Swann/Goldmann/e581717.rhd

Die Autorin:

»Leonie Swann wurde 1975 in der Nähe von München geboren. Sie studierte Philosophie, Psychologie und Englische Literaturwissenschaft in München und Berlin. Mit ihren ersten beiden Romanen »Glennkill« und »Garou« gelang ihr auf Anhieb ein sensationeller Erfolg: Beide Bücher standen monatelang ganz oben auf den Bestsellerlisten und wurden bisher in 25 Sprachen übersetzt. Leonie Swann lebt heute umzingelt von Efeu und Blauregen in England.«

Die Sprecherin:

»Anna Thalbach, geboren 1973 in Ostberlin, Tochter der Schauspielerin Katharina Thalbach, stand bereits als Sechsjährige gemeinsam mit ihrer Mutter vor der Kamera. Sie wurde zunächst durch verschiedene Kino- und Fernsehrollen bekannt, bevor sie sich dem Theater zuwandte. Begründung: Sie sei es leid, nur als „Gesichtsverleiherin“ gefragt zu sein. Anna Thalbach arbeitet neben der Schauspielerei erfolgreich als bildende Künstlerin und Audio- sprecherin. Sie hat u.a. „Nijura“ von Jenny-Mai Nuyen sowie „Die Nebel von Avalon“ und „Die Wälder von Albion“ von Marion Zimmer Bradley vorgelesen. Anna Thalbach liest so eindrucksvoll, dass die Geschichten beim Hören geradezu bildlich werden.«

Leselebenszeichen-Datenschutzerklärung: https://leselebenszeichen.wordpress.com/datenschutzerklaerung/

27 Kommentare zu “Miss Sharp macht Urlaub

  1. Das klingt interessant. Miss Maple als Kurzgras mähende und mehrfach mäh sagende Detektivin ist mir ja vertraut, wenngleich ich Probleme hatte, mir kluge Schafe vorzustellen, insbesondere in der Interaktion mit den durchgeknallten Ziegen (die man ja gern zu einer Schafherde stellt, damit diese eben nicht so kopflos reagieren). Mal sehen.

    Gefällt 2 Personen

    • Vielen Dank für Dein Leseinteresse.
      Mir gefallen die neueren Krimis von Leonie Swann besser als ihre ersten beiden Schafskrimis, auf die Du in Deinem Kommentar anspielst, obwohl auch diese über tierischen Charme verfügen.

      Like

      • Zwischen den Schafsdetektiven und der detektivischen Senioren-WG ist auch noch „GRAY“ GRAY erschienen.

        „Gray“ von Leonie Swann ist ein vergnüglicher und sehr tiereinfühlsamer Krimi, in dem ein zwangsneurotischer Dozent für Anthropologie zusammen mit einem sprechenden Graupapagei – amateurhaft und gleichwohl erfolgreich – den tödlichen Unfall eines Studenten als Mord entlarvt und aufklärt.

        Like

  2. Endlich eine aufklärende Nachricht ! Nachdem ich von diesen wundervollen Menschen (…auf mehrstimmigen Wunsch ihrer WG-Mitglieder neuerdings mit einem modernen Hörgerät ausgestattet…) erfuhr, habe ich umgehend bei Miss Sharp angefragt, ob sie nicht noch ein Zimmerchen für mich hätte mit der Begründung, ich fühlte mich so eng verbunden mit dem Zeitgeist welcher in der Villa vorherrscht („Rauchen und Enkelkinder sind strengstens verboten“) und habe zur Sichheit auf ‚im Notfall auch die Besenkammer‘ plädiert – mein Hang zu Minimalismus ist -seit Kurzem so manchem Leser auch hierorts- bekannt. Leider erhielt ich bisher bloß eine knappe, hinhaltende Antwort, nun kenne ich den Grund dafür: wer sich intensiv mit Reisevorbereitungen beschäftigt, beschäftigen muß, und außerdem klempnerarische Probleme wälzt, hat keine Zeit, sich über ein ‚Danach‘ Gedanken zu machen, Dritte betreffend – schon dessenthalben nicht, weil man nicht wissen kann, ob eine probeweise Aufnahme -auch als eine solche der Verfügbarkeit einer adäquaten Wohnmöglichkeit- überhaupt in Frage käme bzw man nicht im Mindesten voraussagen kann, ob in absehbarer Zeit neben der Kaffeedose eine vllt Suppenschüssel mit Deckel zu stehen käme…
    Dein begeistertes Plädoyer für die Sprechvielfalt der ehemaligen Gesichtsverleiherin enthält durchaus Überzeugungskraft; doch wo sollte ich diesen modern gefaßten Ohrwurm anhören ? Selbst in meinem Automobil habe ich bloß ein Radio mit Cassette (es war serienmäßig eingebaut) …
    Zudem bin und bleibe ich Haptiker; allenfalls so lange, als mir meine Augen mittels Korrekturbrille die Möglichkeit dazu schenken – und meine neue Buchhandlung, deren Inhaber (ein kompromißloser Fan und Vertreiber des Rollabuches) ein skurriler Buchhändlerhaudegen vergangener Zeiten und bereits jenseits der 80 ist (wobei sein Laden mich bei jedem Besuch an einen ganz bestimmten, halbexistenten in Athen erinnert), den freut’s – stets besonders dann, wenn ich literarische Kleinode zu bestellen in Auftrag gebe … 😉

    Gefällt 1 Person

    • Es ist keineswegs leicht, in Sunset Hall als Mitbewohner eingelassen zu werden. Bewerber werden zunächst umfassend und auch geheimdienstlich (Winston und Edwina haben da noch alte intakte Kontakte und der Marschall ist SEHR gewieft in Internetrecherchen) überprüft, bevor sie auch nur in Erwägung gezogen werden.
      Außerdem bist Du, lieber Olpo, in den Augen von Miss Sharp & Co noch ein Jungspund und alleine Dein zartes Alter – ich kann es nicht schonender formulieren – schließt Dich aus dieser speziellen Wohngemeinschaft aus. 😉 Dein Buchhändlerhaudegen hingegen würde wohl eher Aufnahme in Sunset Hall finden als Du.
      Wenn das mp3-Format nicht mit Deinen altmodischen 😉 Abspielgeräten kompatibel ist, kannst Du Dich also stattdessen getrost der haptischen Lektüre des Buches widmen.

      Gefällt 2 Personen

      • „…der haptischen Lektüre des Buches widmen.“
        Genau dies schwebt mir vor, bezüglicher Nachschub wird vermutlich am kommenden Freitag im Laden des aussichtsreicheren Sunset Hall Anwärters vorrätig sein. Und über mein nahezu jungenhaftes Alter sprechen wir hierorts besser nicht 😉

        Gefällt 1 Person

  3. Da ich den ersten Band schon gelesen habe, liebe Ulrike, bin ich natürlich auf weitere Geschichten aus dieser etwas anderen SeniorenWG sehr gespannt 🙂
    Eine Lektüre, die zum Schmunzeln und Amüsieren und selbstverständlich auch zum Grübeln und Nachdenken einlädt 🙂
    Liebe Grüße in die Nacht von Bruni

    Gefällt 1 Person

    • Vielen Dank, liebe Bruni, für Deine zustimmende Rückmeldung und Deine ausdrückliche Lesefortsetzungswilligkeit. 🙂
      Die Kriminalromane von Leonie Swann und besonders ihre Serie mit den WG-Mitgliedern von Sunset Hall bieten stets eine gelungene Kombination aus geistreichem Amüsement, komplexer spannender Erzähldramaturgie und starken Charakteren.
      Gutenachtgruß von mir zu Dir 🙂

      Gefällt 1 Person

  4. Irgendwie beschleicht mich das Gefühl, dass die Autorin genau solche (oder zumindest sehr ähnliche) Menschen kennt, wie das „Personal,“ mit dem sie ihre Romane bevölkert. Denn so einen bunten „Haufen“ kann sich wohl niemand einfach nur so ausdenken… 😉
    Wie du dir vorstellen kannst, stolpere ich einmal mehr über dieses „leicht gekürzt.“ Wobei die Hörprobe durchaus einladend klingt. Letztlich stellt sich aber ohnehin die Frage, ob so eine Kürzung unbedingt ein Nachteil sein muss? Viele Manuskripte gewinnen ja sehr dadurch, dass sie – teils erheblich – gekürzt werden. Da ist es ja durchaus denkbar, dass auch das gedruckte Buch noch ein wenig Abspeckpotential hat, ohne dass es gleich ans Eingemachte geht.
    Mit einem ungekürzten Abendgruß 🐻

    Gefällt 5 Personen

    • Verbindlichen Dank für Deine zugeneigte Resonanz.
      Ja, es könnte durchaus sein, daß die Autorin ähnliche Menschen kennt, wie die, welche sie als Romancharaktere beschreibt. Auf jeden Fall verfügt sie über eine beachtliche Einfühlung in ältere Herr- und Dameschaften. 😉
      Beim Belauschen des Hörbuches sind mir keine Handlungs- oder Anschlußlücken aufgefallen, also sind die Kürzungen wirklich nur geringfügig.
      Mit einem ungekürzten Gutenachtgruß von mir zu Dir 😀

      Gefällt 4 Personen

Hinterlasse eine Antwort zu Ulrike Sokul Antwort abbrechen