Ein Weihnachtstraum (Friedrich Hechelmann)

  • gemalt von Friedrich Hechelmann
  • auf Textbasis des Märchens „Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern“
  • von Hans Christian Andersen
  • nacherzählt von Elisabeth Borchers und
  • bearbeitet von Johannes Thiele
  • Thiele Verlag, Oktober 2014 www.thiele-verlag.com
  • Format: 30,0 x 23,0 cm
  • 48 Seiten
  • gebunden
  • mit Fadenheftung und Goldprägung
  • durchgehend vierfarbig gedruckt
  • 20,00 € (D), 20,60 € (A)
  • ISBN 978-3-85179-146-4
  • Bilderbuch für Erwachsene und große Kinder ab 10 Jahren

T R A U M W A N D E L N

Bilderbuchbesprechung von Ulrike Sokul ©

Das bekannte Märchen „Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern“ von Hans Christian Andersen wird hier in der Nacherzählung von Elisabeth Borchers und in der Bearbeitung von Johannes Thiele etwas anders als gewohnt erzählt.

Zunächst spielt die Haupthandlung nicht wie bei Andersen am Silvester- abend, sondern am Weihnachtsabend, und das kleine Mädchen namens Marie befindet sich in der Stadt auf der Suche nach einem Arzt für die Großmutter, die an diesem Tage nicht aufwachen wollte, und nicht auf der vergeblichen Suche nach Käufern für seine Zündhölzchen. Da Marie den Arzt, der gerade mit der Kutsche abfährt, verpaßt und auch keine Zuflucht in der Kirche findet, hockt sie sich in einen Winkel der Kirchenmauer und entzündet nach und nach die Streichhölzer aus ihrer Schürzentasche, die ihr verschiedene Visionen eröffnen.

Illustration von Friedrich Hechelmann © Thiele Verlag 2014 „Ein Weihnachtstraum“

So erscheinen liebliche Frühlingsszenen und Rückblicke auf Augenblicke der Geborgenheit, die sie mit der Großmutter erlebte, und sie erkennt auch, daß die Großmutter inzwischen gestorben und auf dem Weg in den Himmel ist. Die Großmutter winkt freundlich und vertraut, und Marie will der Großmutter folgen. Schließlich hört Marie eine feine Musik und sieht ein Licht, das nicht wie ihre Streichholzflämmchen wieder und wieder erlischt, und da nimmt sie die Großmutter zärtlich bei der Hand, und beide steigen auf einer Treppe aus Licht in den Himmel. Zurück im Schnee bleibt nur Maries Puppe, die vielleicht von einem anderen Kind gefunden und aufgenommen werden wird.

Illustration von Friedrich Hechelmann © Thiele Verlag 2014 „Ein Weihnachtstraum“

Dieses Bilderbuch lebt ganz eindeutig von den faszinierenden, geheimnis- voll-vielschichtigen, buchstäblich phantastischen, romantisch-anheimeln- den Illustrationen, die dem geneigten Betrachter Einblick in eine märchenhaft-mystische Daseinsdimension gewähren.

Besonders hervorzuheben sind die bewundernswerten Lichteffekte von Friedrich Hechelmanns Zeichenkunst. So finden wir in diesen Bildern großartige Jahreszeitenstimmungen, eine beeindruckende Naturkulisse und eine spannende Kombination aus Präzision und absichtlicher Verschwom- menheit. Diese Bilder inszenieren gekonnt die changierende Vermischung von Zeitebenen, von Sehnsucht und Erinnerung, Diesseits und Jenseits, kindlicher Einsamkeit und Verlassenheit und Wunderhoffnung.

Illustration von Friedrich Hechelmann © Thiele Verlag 2014 „Ein Weihnachtstraum“

Für kleine Kinder würde ich dieses Bilderbuch eher nicht empfehlen, außer mit einer angemessenen familiären und erklärenden Begleitung. Empfehlenswert erscheint mir das Bilderbuch indes für große Kinder ab 10 Jahren und für Erwachsene mit malerisch-musisch-mystischer Neigung.

 

Hier entlang zum Buch auf der Verlagswebseite:
https://www.thiele-verlag.com/buch/ein-weihnachtstraum

 

Der Illustrator:

»Friedrich Hechelmann (1948 in Isny im Allgäu geboren) studierte an der Akademie der Bildenden Künste Wien und war Meisterschüler bei Rudolf Hausner. 1972 illustrierte er sein erstes – und noch immer lieferbares – Märchenbuch Zwerg Nase. Zahlreiche preisge-krönte Buchillustrationen folgten, außerdem Ausstellungen, Bühnenbilder, Filme und Pub-likationen im In- und Ausland: Neben Illustrationen zu romantischen Märchen zählen die Bildbände zu Shakespeares Sommernachtstraum und Ovids Orpheus und Eurydike zu seinen größten Erfolgen. Der Künstler lebt und arbeitet im Allgäu. Mit der ständigen Ausstellung seiner Werke in der Kunsthalle im Schloss Isny https://kunsthalle-schloss-isny.de/ hat er seinem großen, begeisterten Anhängerkreis ein lebendiges künstlerisches Forum geschaffen. Zuletzt unter anderem veröffentlicht: Das große Buch der Feen und Elfen (2004), Decamerone (2004), Die Bibel (2006), Momo (2009) und Die Rückkehr der Engel (2010) und Geisterritter (Illustration des Buches von Cornelia Funke).« Besuchen Sie Friedrich Hechelmann auf seiner Webseite: www.hechelmann.de

Querverweis:

Hier entlang zu einer von Friedrich Hechelmann illustrierten Märchensammlung „Das Buch der Märchen“, die ein vielseitiges Märchenpotpourri enthält: Zwölf Märchen der Gebrüder Grimm, drei Märchen von Wilhelm Hauff, sechs von Ludwig Bechstein und von Eduard Mörike „Die Historie von der schönen Lau“.

Das Buch der Märchen

Hier entlang zu Friedrich Hechelmanns Buch „Manolito“:

Manolito


Mit seinem Roman-Debüt „Manolito“ erzählt Friedrich Hechelmann in Wort und Bild ein modernes Märchen über die Bedrohung der Natur und des Lebens durch menschliche Herzenskälte und Profitgier und über eine mögliche Bewußtseinswende durch heilsame, naturgeistige Lebenskräfte. „Manolito“ ist ein leseleichter, gleichwohl substanzieller und inspirierender Märchen-Roman für kleine und große Menschen, denen die Natur am Herzen liegt.

 

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40 Kommentare zu “Ein Weihnachtstraum (Friedrich Hechelmann)

  1. Ich glaube schon, dass Kinder die Schönheit der Bilder erspüren können. Die Geschichte halte ich für sensible Kinder als grenzwertig. Zumindest wenn ein Todesfall eines Großelternteils ansteht oder in zeitlichem Zusammenhang steht. Ansonsten bin ich auch begeistert. Liebe Grüße , Barbara

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    • Herzlichen Dank, liebe Barbara,
      für Deine mütterlich- und großmütterlich vorleseerfahrene Einschätzung der Wirkung, die Hechelmanns Bildersprache auf Kinder haben kann.
      In unmittelbarer akuter familiärer Todesnähe würde ich dieses Märchen auch nicht anbieten, zumal in dieser Geschichte das Kind seiner Großmutter sehnsüchtig „nachstirbt“.
      Aber zu anderen Zeiten kann man Kindern durchaus auch solche ernstere Bilderbuchkost servieren.
      Gutenachtgruß von mir für Dich!

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    • Vielen Dank für Deine lebhafte Hechelmann-Begeisterung!
      Der Inhaber, der Buchhandlung, in der ich (von 1983 bis 1986) ausgebildet wurde, hat mir den Erstkontakt mit Hechelmann Bildern und Büchern verschafft, und wir haben auch immer seine fantastischen großen Kalender verkauft. Leider gibt es schon seit Jahren keine Hechelmann-Kunstkalender mehr, obwohl ich mir durchaus vorstellen kann, daß sie gut ankämen.
      Doch so, kann man immerhin mit einem schönen Bilderbilderbuch vorlieb nehmen. 🙂

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  2. Liebe Ulrike !
    Deine Altersempfehlung in Ehren … doch welche/r Zehnjährige interessiert sich tatsächlich für Märchen und/oder kann bereits mit Abstand die Gemälde als solche wahrnehmen ? In diesem Alter kommt manfrau in die Haupt- oder Realschule und der Großteil beginnt, sich für BRAVO oder Kiddy Contest und Sciene Fiction oder Weltmeisterschaften zu interessieren, schätze ich … 😉

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    • Also, ich wäre ein solches zehnjähriges Kind gewesen, das sich für Märchen und Gemälde begeistert und tatsächlich auch für Science Fiction. 😉
      Ich war nämlich nie ein Massenmitläuferwesen und habe immer meine sehr individuellen und auch unkonventionellen Interessen gepflegt.
      Es könnte sein, daß ein solcher Weg heutzutage für Kinder schwieriger zu beschreiten ist, da uniforme Konformitätserwartungen und Modewellenprägungen inzwischen noch weiter verbreitet sind, als zur Zeit meiner Kindheit und Jugend.
      Gleichwohl schließe ich das Vorkommen einzigartiger Kinder auch in der Gegenwart keineswegs aus, und für solche Kinder kommt dann ein von Friedrich Hechelmann illustriertes mystisches Märchen eher in Frage als BRAVO und narzistische Wettbewerbsspielchen.

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      • So gesehen hast du recht: Minderheiten müssen speziell gefördert werden, besonders in einer Individualität verdummend-kanalisierenden Einheitsbrei-Zeit. Kein Einwand 😉
        Nebenbei: hast du K.H.Scheer damals gelesen, als es nur ein paar wenige Bücher von ihm gab, bevor sein Erfolgsthema nach ‚Bastei-Roman‘ expandierte – auch andere SF-Autoren ?

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      • Lieben Dank für Deinen verständnisvollen Nichteinwand. 😉
        K. H. Scheer habe ich damals nicht gelesen, da ich als Kind Science Fiction nur in filmischer Dosierung (Raumschiff Enterprise) eingenommen habe. Als Jugendliche las ich dann Ray Bradbury und Stanislaw Lem.

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      • Nebenbei: ich hab das Buch auf den Bestellzettel geschrieben, den ich am Montag in der Buchhandlung abgeben werde. Eigentlich ist mein Budget bereits dermaßen überstrapaziert, daß ich Geld aus der Planung für Jänner abzweigen muß – doch wer weiß, ob ich in diesem Leben noch einen Abstecher ins Schloß Isny machen werde können, also so gesehen … Danke für den Hinweis, er erscheint mir wichtig – gerade für Menschen, die sich von solchen Bildern gefangennehmen lassen können.

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      • Für einen solchen musischen Genuß kann man guten Gewissens einmal das Budget überziehen. Immerhin ist das Buch wesentlich erschwinglicher und zeitsparender als eine Reise nach Schloß Isny. Und wenn sich die Fasziantion hält, kann man immernoch einen schönen kleinen Reiseausflug zu den Originalbildern auf die Wunschliste setzen.

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  3. Ich auch: Auch mich faszinieren speziell die Zeichnungen, die du zeigst. Ich habe die Geschichte als Kind gelesen, und ich weiß, dass lange darüber nachgedacht habe. Ich muss mal schauen, ob ich das Buch irgendwo finde. Danke dir!
    Herzlichen Morgenkaffeegruß 😁😼🌠🌲☕🍪👍

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    • Hab‘ Dank für Deine Rückmeldung!
      Das Originalmärchen von Andersen ist tatsächlich sehr sozialkritisch, dieser Aspekt spielt in der vorliegenden, nacherzählten Version nicht ausdrücklich mit. Hier geht es deutlich mehr um den Daseinswechsel vom Dies- zum Jenseits.
      Herzlicher Abendgrünteeschalengruß
      🎶 ❄🎄 ⛄ 🎄 ❄ 🎶

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  4. Das ist wieder ein besonderes Zauberbuch, das du hier aus dem Bücherfeenhut zauberst. 🙂 Diese Bilder sind ganz faszinierend. Und ich denke, dass die Illustrationen auch unabhängig von der Geschichte zum fantasiereisenden Eintauchen einladen. Was die erzählte Geschichte angeht, würde ich es eher auch nicht für ratsam halten, kleine Kinder damit zu vorlesefüttern. 😉 Es setzt sicher die Fähigkeit des Kindes voraus, sich damit intensiver gedanklich auseinanderzusetzen. [Wobei das letztlich dann wiederum die Fähigkeit der Erwachsenen voraussetzt, mit Gedankengängen und Fragen des Kindes klarzukommen. Also für beide Seiten eine Herausforderung, was ja allerdings bei Eltern-Kind-Beziehungen durchaus zum täglichen Brot gehört. 😉 ]

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    • Vielen Dank für Deine harmonische Resonanz und Deine weisen Bemerkungen zum Lesefütterungsalter! 🙂
      Ja, solche ungesüßt-vielschichtigen Bilder und auch die lebensernste Substanz dieses Märchens sollten Kindern mit behutsamer elterlicher Begleitung angeboten werden. Ich denke, mit Kindern ab 10 Jahren dürfte dies bekömmlicher und kommunikativ leichter vonstatten gehen als mit Kleinkindern. 🙂

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  5. Möge die Welt täglich ein wenig verzauberter werden… fällt mir spontan bei den Traumbildern des wunderbaren Künstlers ein, liebe Ulrike, mögen viele Menschen ihre Talente aus der inneren Mottenkiste holen und Lichter in die verdunkelte Welt senden, damit sie uns den Weg ins Herz leuchten, herzlichst Iris

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    • Deinen Zeilen, liebe Iris,
      kann ich nur zustimmen.
      Die Belichtung des Herzens und die entsprechende Erweiterung des Liebeslichtkegels zum Wohle aller Wesen sind hochaktuell!
      Herzensgruß von mir zu Dir
      ❄ 🎶 💖 🎶 ❄

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    • Liebe Gerda,
      hab‘ Dank für Deine aufmerksame Resonanz!
      Meiner Erfahrung nach finden Kinder „unkindliche“ und „ungesüßte“ Illustrationen meist durchaus interessant und spannend.
      Meine Mutter hatte mir beispielsweise, als ich vier Jahre alt war, ein Andersen Märchenbuch mit Illustrationen von Jiřri Trnka https://de.wikipedia.org/wiki/Ji%C5%99%C3%AD_Trnka gekauft.
      Die Illustrationen sind künstlerisch hochwertig und stellenweise auch etwas unheimlich, aber ich war gleichwohl schon als kleines Kind sehr angetan von der atmosphärischen Vielschichtigkeit und Ästhetik seiner Bilder.
      Es wird also, wie bei erwachsenen Betrachtern, unterschiedliche Reaktionen auf solche Illustrationen geben.

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    • Ich empfinde die Bilder nicht als unheimlich. Sie laden mich eher ein zu entdecken, was sich hinter dem (mystischen) Nebel an diesem augenscheinlich außergewöhnlichen Tag verbirgt, der für viele offenbar eine Bedrohung darstellt… so funktionierte ich bereits im Volksschulalter.
      Im Alter von 5 oder 6 sah ich einen (realistischen) Film (keinen gezeichneten von z.B. Jiří Trnka) zum Thema, der mich lehrte, daß Märchen (wobei nach meiner Erinnerung ich mich niemals mit Figuren identifizierte, sondern die Erzählungen eben ‚Märchen‘ waren) manches Mal nur scheinbar oder teilweise märchenhaft sind, sondern auch das eigene Leben kosten könnten und der Drache, also die Bösewichte bzw. die an meinem eigenen Schicksal Uninteressierten, weiterleben dürfen.
      Ein prägender Schock und eine gute Erklärung, wie die Welt tatsächlich ist – und funktioniert 😉 … kann man Kindern nicht früh genug schonend und zur Seite stehend beibringen. Wer keinen Beistand erhält, lernt später, die meisten autodidaktisch ohne Unterstützung, manche leider nie…

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