Die fliegenden Bücher des Mister Morris Lessmore

  • von William Joyce
  • übersetzt von Hardy Krüger jr.
  • Originaltitel:»The Fantastic Flying Books of Mr. Morris Lessmore«
  • illustriert von William Joyce und Joe Bluhm
  • Boje Verlag       Februar 2013   www.boje-verlag.de
  • gebunden
  • Fadenheftung
  • 56 Seiten
  • ISBN 978-3-414-82344-1
  • 14,99 € (D),  15,50 € (A)
  • Bilderbuch ab 5 Jahren (sowie auch ausdrücklich für erwachsene Bücherliebhaber)

B Ü C H E R B E F L Ü G E L T

Bilderbuchbesprechung von Ulrike Sokul ©

„Die fliegenden Bücher des Mister Morris Lessmore“ beginnen mit einem einladenden Bild bibliophilen Reichtums: Ein sonnenbeschienener Balkon, zwischen hohen, bunten Bücherstapeln steht ein gemütlicher Sessel, auf dem ein junger Mann sitzt und aufmerksam etwas in ein Buch schreibt – so lernen wir Morris Lessmore kennen.

Beim Weiterblättern kommt es zu einem dramatischen Szenenwechsel: Der Himmel ist verdunkelt, ein Wirbelsturm stellt die vertraute Welt auf den Kopf, Morris besitzt nur noch sein Tagebuch und läuft ziellos durch eine Umgebung, die ausschaut wie eine vergilbte Sepiaphotographie.

Zufällig hebt er den Blick zum inzwischen wieder erblauten Himmel und sieht eine schöne junge Dame, die sich, begleitet von vielen fliegenden Büchern, in die Lüfte erhebt. Sie hält die Bücher wie Luftballons an verlängerten Lesebändchen fest, und sie schickt hilfsbereit ein Buch hinunter zu Morris.

Dieses Buch erweist sich recht lebendig und gestisch-gesprächig und führt Morris zu einem schönen Gebäude, in dem zahllose Bücher leben. Morris fühlt sich sogleich zu Hause und lauscht den verheißungsvollen Geschichtenstimmen, die leise aus den Buchseiten flüstern, welche darauf warten, gelesen zu werden.

Doch Morris bleibt nicht nur als Leser im Hause der Bücher, sondern er kümmert sich liebevoll um sie, er repariert beschädigte Exemplare und versucht, sie zu ordnen. Die Ordnung wird von den beweglichen Büchern allerdings immer wieder geändert, da sie sich gerne genreübergreifend  gegenseitig besuchen und austauschen.

Morris versinkt in Geschichten, führt sein persönliches Tagebuch weiter und verleiht Bücher an andere Menschen, die das Bücherhaus aufsuchen. Sein Credo dabei lautet:
„Jede Geschichte ist es wert, erzählt zu werden.“

Tage, Monate, Jahreszeiten, Jahre und Jahrzehnte vergehen, und Morris Lessmore wird alt und müde. Nun kümmern sich die Bücher rührend um ihn und erzählen ihm jede Nacht eine Geschichte. Schließlich schreibt Morris einen letzten Satz in sein Lebenstage-buch und verabschiedet sich dankbar von seinen Bücherfreunden. Getragen von einem fliegenden Bücherschwarm erhebt er sich ins Himmelsblau.

Sein Tagebuch hat Morris Lessmore im Haus der Bücher zurückgelassen, wo es von seinen Bücherfreunden andächtig gehütet wird. Eine Tages erscheint ein Mädchen auf der Türschwelle, und das Tagebuch fliegt zu ihm hin und öffnet sich. Das Kind beginnt, Morris Lessmores Geschichte zu lesen …

So schließt sich der Kreis, in dem sich Geschichten ins Leben fortsetzen und das Leben in Geschichten, wo man zwischen Leseleben und Lebenslese unendlich hin-und-her-blättern kann.

William Joyce und Joe Bluhm haben mit „Die fliegenden Bücher des Mister Morris Lessmore“ ein bücherparadiesisches, phantasievolles Bilderbuch gestaltet, das für Kinder und Erwachsene gleichermaßen ansprechend, ja, beeindruckend ist.

Der Erzähltext erklingt in einer leisen, poetischen Sprache mit feiner Wortempfindsamkeit. Die stimmungsvollen Illustrationen mit ihrer subtilen Farbtönung und „Belichtung“ warten mit vielen liebevollen Details auf. So ist beispielsweise das Bücherhaus aus versteinerten Büchern gebaut, es hat einen umlaufenden Zierfries aus aufgeklappten Stuckbüchern, und Morris Lessmores störrisch-abstehende Hinterkopfhaarsträhne begleitet ihn konsequent durch alle Lebens- und Lesephasen.

Dieses zeitlose Bilderbuch setzt wunderbar sensibel und märchenhaft in Szene, wie man buchstäblich in eine Geschichte hineinspaziert und wie sehr uns Bücher beflügeln.

 

Hier entlang zum Buch auf der Verlagswebseite:
https://www.luebbe.com/de/die-fliegenden-buecher-des-mister-morris-lessmore/id_4071545

Hier entlang zum Kurzfilm »The Fantastic Flying Books of Mr. Morris Lessmore«:

 

Der Autor und Illustrator:

»William Joyce ist ein bekannter amerikanischer Autor, Illustrator und Filmemacher. Vor allem seine Geschichten für Kinder wurden in den USA zu Bestsellern. Seinen größten Erfolg feierte er, als er 2012 für den Kurzfilm »The Fantastic Flying Books of Mr. Morris Lessmore« einen Oscar gewann.«

Der Illustrator:

»Joe Bluhm ist ein preisgekrönter amerikanischer Illustrator, Designer und Karikaturist. Er hat bereits zwei Kunstbücher veröffentlicht. Dies ist sein erstes Bilderbuch.«

 

Leselebenszeichen-Datenschutzerklärung: https://leselebenszeichen.wordpress.com/datenschutzerklaerung/

56 Kommentare zu “Die fliegenden Bücher des Mister Morris Lessmore

  1. Liebe Ulrike,

    was für eine bezaubernde Geschichte. Hier wird ganz deutlich, wie Bücher zu Lebensbegleitern werden können, ihre Geschichten dein Leben bereichern und deinen Horizont erweitern können.

    Das Credo „Jede Geschichte ist es wert, erzählt zu werden.“ gefällt mir besonders.

    Ich hab mir den Kurzfilm eben noch einmal angesehen und er rührt mich immer wieder zu Tränen. Das Buch begegnet mir immer wieder und ich glaube, dass ich es ganz bald vom Wunschzettel befreien und bei mir einziehen lassen muss.

    Herzliche Grüße
    Steffi

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    • Verbindlichen Dank, liebe Steffi,
      für Deine bibliophile Zustimmung.
      Ich pflege ja gelegntlich zu sagen, daß bereits das Wort LekTÜRE buchstäblich den Hinweis einhält, daß man beim Lesen einen Geschichtenraum betritt, bei dem Wechselwirksamkeiten mit dem wirklichen Leben keineswegs ausgeschlossen sind.
      Schön, daß Du Dein Leben nun mit diesem Bücherbuch-Bilderbuch bereichern wirst.
      Herzlich grüßt Ulrike

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  2. Du wirst es nicht glauben, aber Google hat mich auf deinen Artikel verwiesen, als ich verzweifelt in einer Bücherei in Dänemark nach dem Autor des Buchs mit den fliegenden Büchern gesucht habe. 💕 ganz liebe Grüße aus Nordjütland,
    Meermond

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    • Herzlichen Dank für Deine Mitteilung dieser sensationellen Google-Fundsache! 🙂
      Mir ist es bereits bei einigen Titeln aufgefallen, daß sich meine Leselebenszeichen-Beiträge beim Suchmaschinenrang auf der ersten Seite tummeln, manchmal – bei exotischeren Buchtiteln – sogar noch vor der A-Konzernkrake. So wächst der Blogruhm! *freu*hüpf*freu*
      Sonnige Grüße von mir zu Dir

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  3. Hallo Ulrike,

    Bücher leben und wärmen unsere Herzen. Oft geben sie uns sogar mehr als ein persönliches Gespräch. Früher habe ich Bücher noch gezählt, quasi auch aus der quantifizierten Ecke heraus betrachtet. Inzwischen zählt allerdings nur noch Qualität, so dass ich manche Lektüre gerne mehrmals lese.
    Leider bremst das Internet den Lesegenuss gedruckter Bücher etwas aus. Daher schätze ich Ihre Seite sehr. Denn ein Überblick im Buchwald schafft erstmal Ordnung im Kopf.

    An dieser Stelle einmal vielen Dank für Ihre regelmäßige Mühe Ihrer Buchbesprechungen. Aber auch für Ihre positiven Bewertungen meiner Beiträge auf dem oekobeobachter herzlichen Dank. Ihre „gefällt mir“ in dieser Menge haben mich heute sehr gefreut, denn Sie wissen, welche Arbeit in ansprechenden Artikeln steckt. Herzlichen Dank. Ein Ansporn, der mir zeigt, dass ich auf dem richtigen Weg bin.

    Ihnen ein frohes Osterfest und weiterhin gutes Gelingen vom Paul

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    • Lieber Paul,
      verbindlichen Dank für Deine (ich bin einfach so frei und wage das Du 😉 ) wertschätzende Resonanz auf meine Buchbesprechungen.
      Dank meiner naturverbundenen Aufwachsensbedingungen liegen mir ökologische Themen stets nahe am Herzen. Ich habe ja auch eine eigene Blog-Kategorie NATUR & ÖKOLOGIE: https://leselebenszeichen.wordpress.com/category/natur-okologie/ mit Büchern zu diesem Themenkreis, und wenn mir auf anderen Webseiten ähnliche Bio-Wertekategorien begegnen, streue ich gerne lebhaft Sternchen.
      Auf Wiederlesen und herzliche Frühlingsgrüße 🍀 von
      Ulrike

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      • Liebe Ulrike,
        herzlichen Dank für Deine ausführliche Antwort. Das „Du“ ist okay. Ich selbst habe mich dazu nicht überredet.
        Du interessierst Dich also auch für Naturschutz und Ökologie. Damit fahren wir auf dem gleichen Gleis. Das freut mich sehr und bildet sicherlich die eine oder andere zukünftige Gesprächsgrundlage. Die Themen dieser Kategorie gehen ins Unermessliche. Hier den Spreu vom Weizen zu trennen, bleibt eine ständige Herausforderung, um die Leser in den einzelnen Kategorien unter „Aktuelles zu …“ wertvolle Quellen anzubieten.
        Aber auch meine zweite (belletristische) Seite, das schreibstueberl, lockt mich zur Kreativität. Denn neben dem Umweltschutz brennen mir noch manch andere kritische Themen auf der Tastatur.
        So wünsche ich Dir noch viele reichhaltige Erkenntnisse und Informationen auf meiner Seite.
        Ich freue mich auf unseren nächsten Kontakt und wünsche Dir einen sonnigen Ostermontag.
        Paul

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  4. Eine originelle Idee, die Bücher nicht einfach sinn- und planlos vom Winde verwehen zu lassen, sondern das dramatische Wirbelsturmereignis zum Auftakt eines eigenlebendigen Bücherdaseins zu machen. Vor allem ist es eine Idee, die vielfältige bücherspezifische Assoziationen weckt. Man kann vom Inhalt eines Buches beflügelt oder gar wirbelsturmähnlich mitgerissen werden. Aber auch Autoren erleben das ja immer wieder, dass ihre Figuren oder Geschichten eine Eigendynamik entwickeln, der sie sich nicht widersetzen können.
    Es ist schon erstaunlich, was für Bücher dir immer wieder zufliegen. Wobei du, wie ich dich kenne, den Büchern beim Zufliegen ja durchaus unterstützend zur Seite stehst und ihnen sozusagen unter die Flügel greifst. 🙂

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  5. Damit hast Du mal wieder ein Buch eines amerikanischen Schriftstellers vorgestellt, von dem ich nie gehört hatte, liebe Ulrike. Danach werde ich im Original suchen. Hört sich nach einem Riesenlesevergnügen an! Danke für den Tipp.
    Herzlichst,
    Tanja

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    • Liebe Tanja,
      die Originalausgabe ist bei Atheneum Books for Young Readers erschienen, einem Imprint von Simon & Schuster Children’s Publishing Division, NY, 2012.
      Für mich war William Joyce auch eine Neuentdeckung, ich bin durch den Kurzfilm auf das Bilderbuch aufmerksam geworden.
      Herzlichen Dank für Dein lebhaft-interessiertes Leseecho. :mrgreen:

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  6. Wieder ein Leckerbissen Deiner Schreib-und Erzählkunst! Wie du es schaffst, die Stimmung eines Buchs zu transportieren, ist phantastisch. Es erhebt mich gerade in meine Abenteuer im Lese-Himmel. 😉 Vielen Dank, liebe Ulrike!!

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  7. Herzlichen Dank für Deine Rezension. Bücher über Bücher, insbesondere solche, die Büchern eine „Seele“ geben, finde ich einfach Klasse. Deine Beschreibung erinnerte mich auch gleich an „Die Stadt der träumenden Bücher“ vom Walter Moers. Einfach toll 🙂

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  8. Ich wußte schon immer, daß die Bücher leben, liebe Ulrike *lächel* und ich glaube, meine besuchen sich auch immer gegenseitig … Ich gönne ihnen ihre kleinen Ausflüge *g*
    Was für ein zauberhafter kleiner Film.

    Liebe Grüße von Bruni

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  9. Liebe Ulrike,

    danke für diesen Hinweis und den Link zu dem bezaubernden Film.

    Bei der Gelegenheit muss ich auch gleich die angenehme Pflicht erfüllen, dich von meinem Liebsten zu grüßen, der die Lektüre von Schamis „Erzähler der Nacht“ sehr genossen hat, das ich ihm nach deiner Rezension geschenkt habe.

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    • Verbindlichen Dank, liebe Ule,
      für Dein lebhaftes Lese- und Betrachtungsinteresse.
      Sage Deinem Liebsten herzlichen Dank für seine Grüße und sein Wohlgefallen an der Lektüre von Rafik Schamis „Erzähler der Nacht“. 🙂
      Frühlingsluftige Grüße von mir an Euch Beide

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  10. Hallo Ulrike.
    Ich habe mir den Kurzfilm angesehen. Vielen lieben Dank dafür. 😊
    Der Mann hat ein reiches es und doch armes Leben geführt. Reich an Literatur und die Liebe dazu. Arm an erfülltes Leben mit Mitmenschen.

    Du hast recht, dieses Buch ist für Kinder wie für Erwachsenen geeignet. Ich würde es mir holen.

    LG, Nati

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    • Liebe Nati,
      herzlichen Dank für Deine ausführliche Aufmerksamkeit und Deine Betrachtung des Kurzfilms.
      Ja, Mister Morris Lessmore widmet sein Leben deutlich mehr den Büchern als den Mitmenschen, aber immerhin vermittelt er gerne zwischen Büchern und Menschen. 🙂

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