Borst vom Forst

  • Text von Yvonne Hergane
  • Illustrationen von Wiebke Rauers
  • Magellan Verlag    Juli 2017   http://www.magellanverlag.de
  • gebunden
  • Fadengeheftet
  • Format: 24,5 x 30,5 cm
  • 32 Seiten
  • 14,00 € (D), 14,40 € (A)
  • ISBN  978-3-7348-2035-9
  • Bilderbuch ab 4 Jahren

NACH  GEGENTEIL

Bilderbuchbesprechung von Ulrike Sokul ©

Der Frischling Borst vom Forst ist etwas verträumter als seine drei Geschwister und tanzt gerne aus der Reihe. Dabei findet er eines Tages – immer seiner Nase nach – ein längliches Schneckenhaus. Er legt sein Ohr an dieses unbekannte, „fremdschöne“ Schneckenhaus und hört ein Rauschen. Er beschnuppert es und findet unvertraute Düfte, ja, es „riecht nach Gegenteil“, und schon tagträumt sich Borst mit der Schnecke in luftig-schwebende Himmelshöhen und fühlt sich unwiderstehlich angezogen vom geheimnisvollen Herkunftsort der Schnecke.

Illustration: Wiebke Rauers / Text: Yvonne Hergane © Magellan Verlag 2017 (Anklicken vergrößert die Bildansicht!)

Borst Geschwister machen sich lustig über seine Suche nach dem Gegenteil, und seine Mutter sagt, er solle das einfach vergessen. Nach einer schlaflosen, nachdenklichen Nacht, macht sich Borst alleine auf die Suche. Er fragt Wühlmaus, Regenwurm und Ameisen, ob sie wüßten, woher diese Schnecke käme. Keiner weiß etwas, und alle behaupten, so etwas gäbe es im Forst gar nicht. Doch Borst gibt nicht auf, und schließlich weiß eine Seemöwe die richtige Antwort: Es ist eine Seeschnecke, und die kommt aus dem Meer.

Borst kennt das Meer nicht und nennt es daher Mehr. Er folgt der Wegbeschreibung der Möwe bis zum Bach, der am hinteren Ende des Waldes ins Meer mündet. Doch mit dem Schwimmen im Bach klappt es nicht so ganz, tropfnaß und geknickt tapst Borst zurück nach Hause.

Mama Wildschwein „fragt wenig und kopfschüttelt mehr“, und Borst sorgt sich um die Schnecke, die gewiß gerne nach Hause möchte – das kann er ihr nämlich anriechen.

Illustration: Wiebke Rauers / Text: Yvonne Hergane © Magellan Verlag 2017

Am nächsten Morgen erklärt Borst, daß er die Schnecke unbedingt zum „Mehr“ bringen müsse, da sie Heimweh habe. Zu seiner großen Erleichterung sagt seine Mama diesmal, daß sie ihn begleiten werde.

Gesagt –  getan, nach Bachlauf und Wasserfallüberwindung landen die beiden atemlos am Meeresstrand und staunen. Borst verabschiedet sich von der Schnecke und wirft sie ins Meer zurück.

Am Strand im Sand robbt eine Robbe herum. Sie hat eine Eichel gefunden und fragt Borst, wie sie die Eichel, die so fremdschön duftet, nach Gegenteil bringen könne. Da weiß Borst vom Forst selbstverständlich guten Rat …

Die Autorin, Yvonne Hergane, erzählt die Geschichte von „Borst vom Forst“ mit viel sprachlichem Feinsinn, teilweise gereimt, lautmalerisch, wortschöpferisch und stets in warmherzig-poetischen Wendungen kombiniert mit zärtlichem Humor. Das ist keine Textmassenware, sondern Wortmusik mit Mehrsinn.

Die Illustrationen von Wiebke Rauers sind wunderbare Wortwegbegleiter, die dem Text ein einfühlsames und stimmungsvolles Bühnenbild schaffen und der sprachlichen Feinheit der Geschichte auch durch kleine Details Ausdruck geben. Wer aufmerksam schaut, erkennt beispielsweise, daß Borstens Fell eine etwas andere – rötlichere – Färbung aufweist, als das seiner Geschwister.

„Borst vom Forst“ ist ein ganz außergewöhnliches Bilderbuch. Es ist eine kindgemäße, sensible und sprachspielerische Wegbeschreibung, sich eigenwillig und herzensoffen – abseits vom Gewohnten – unbekannte Horizonte und neue Erfahrungen zu erschließen und sich nicht gleich vom ersten Hindernis von seiner Absicht abbringen zu lassen.

Hier entlang zum Buch auf der Verlagswebseite:
https://www.magellanverlag.de/titel/borst-vom-forst/283

Die Autorin:

»Yvonne Hergane, geboren 1968, studierte Germanistik, Anglistik und Buchwissenschaft in Augsburg und München. Seit Mitte der 90er Jahre arbeitet sie als freie Autorin und literarische Übersetzerin, wobei ihre besondere Liebe dem Bilderbuch gehört – das Spiel mit Worten, Lauten und Reimen ist ihre Art Musik zu machen. Einer mehr war 2012 für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert. Nach mehreren kleinen und großen Sprüngen durch die Geografie lebt Yvonne Hergane derzeit mit ihrer Familie nahe der Nordsee.«

Die Illustratorin:

»Wiebke Rauers, geboren 1986, studierte Kommunikationsdesign mit dem Schwerpunkt Illustration in Düsseldorf. Nach ihrem Diplom zog sie nach Berlin und arbeitete dort fünf Jahre als Charakterdesignerin in einem Animationsfilmstudio. 2015 machte sie sich als Illustratorin selbstständig. Seitdem arbeitet sie hauptsächlich an Büchern, Magazinen und Charakterdesigns.«

Querverweis:

Hier entlang zu einem weiteren Kinderbuch, das von Wiebke Rauers feinfühlig und witzig illustriert wurde: https://leselebenszeichen.wordpress.com/2016/10/13/nur-ein-tag/
„Nur ein Tag“, geschrieben von Martin Baltscheit, ist die Geschichte vom warmherzigen Wildschwein und vom feschen Fuchs, die eine kleine, lebensfrohe Eintagsfliege mit einer Notlüge über die kurze Dauer ihres Daseins hinwegtäuschen, und sie führt an einem einzigen Tag durch ein ganzes Leben.

Leselebenszeichen-Datenschutzerklärung: https://leselebenszeichen.wordpress.com/datenschutzerklaerung/

53 Kommentare zu “Borst vom Forst

  1. Was zweifellos stimmt – wenn auch die Freßlust der Geschichte ein baldiges Ende bereitet hätte – ist, dass Schweine, Wildschweine ungemein neugierige Tiere sind. Und sich gerne auch auf weitere Wege machen, mit gebührender Vorsicht auf Neues einlassen.
    Schade, meine sind seit langem zu groß dafür (wobei ich sicher bin, dass sie sich genug Kindlichkeit bewahrt haben, um sich an derlei Geschichten nach wie vor zu erfreuen): wir lieben Schweine! Und sie begeistern immer wieder von Neuem.

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    • Ja, Schweine und Wildschweine sind neugierige und kluge Tiere. In der Realität hätte das kleine Wildschwein die Meereschnecke sehr wahrscheinlich verspeist. Doch in der Bilderbuchwirklichkeit ist die poetische Faszination des Unbekannten für das kleine Wildschwein wichtiger als das Fressen.
      Dieses Bilderbuch eignet sich wegen der feinsinnigen und mehrdeutigen Sprachebenen und wegen der schönen Sprachmelodik auch sehr schön für erwachsene Leser und Betrachter, besonders wenn sie wie in Deiner Familie eine Zuneigung zu Schweinen pflegen.

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  2. „Borst vom Forst“? Ich empfehle „Frerk, du Zwerg!“
    Das Buch ist nur auf den ersten Blick völlig anders gelagert. Wenn man genauer hinschaut, tauchen auch viele von „Borsts“ Inhalten wieder auf, vom Kinderleben bis zum Sprachspiel.

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  3. Und gleich zwei neue Bücher für die Kinderbuchecke im Regal 🙂 Ich werde jetzt nicht alles kaufen (hier liegt noch genug, was gelesen werden will), aber das hört sich sehr süß an. Wenn es mir mal über den Weg laufen sollte…Borst vom Forst, allein der Titel, herrlich. Danke für deine zauberschöne Rezension 🙂 Herzensgrüße von mir

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  4. Zärtlicher Humor, schreibst Du, und was ich sehe und lese, gefällt mir ausnehmend gut, denn zärtlicher Humor zieht mich magisch an und Borst mit seiner Suche nach dem Gegenteil ist so recht nach meinem Herzen, liebe Ulrike.
    Ein Bilderbuch, das wirklich außergewöhnlich ist und es scheint mir tatsächlich außergewöhnlich gut zu sein

    Lächelnde liebe Grüße von Bruni

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    • Liebe Bruni,
      da sind wir uns mal wieder ganz einig,
      zärtlicher Humor ist unwiderstehlich anziehend und ein weiter Herzenshorizont, wie ihn Borst so vorbildlich zeigt, ebenfalls.
      Herzensdank für Dein harmonisches Echo! 🙂

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      • Seine Suche nach dem Gegenteil …göttlich! Eine Sekunde ist man verblüfft und dann kommt die Erleuchtung *lächel*

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  5. Das klingt nach einer ganz entzückenden Geschichte. Sehr liebevoll gemacht! Abgesehen von den schönen Illustrationen, kommt sie ganz offensichtlich in einem fantasievollen und dabei gleichzeitig fast poetischen Sprachstil daher. Ohne gekünstelt zu wirken, aber auch, ohne bieder zu sein. Lebendig! Man hat auch automatisch ein Lächeln auf den Lippen. Borst vom Forst. Sehr schön! 😀 Ein munterer, neugieriger, sympathisch eigenwilliger Frischling unterwegs.
    Das ist definitiv ein Buch, dass ich mir für meine kleine Enkelin merken werde, Ulrike.

    LG Michèle

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    • Liebe Michèle,
      es freut mich, daß Du die verspielte Sprachmusik, die illustrativ-heitere Darstellung und die Herzensqualitäten des Borst vom Forst wahrnimmst und wertschätzt.
      Deine Enkelin wird die Bekanntschaft mit Borst vom Forst gewiß genießen, wenn Du ihn ihr vorlesen wirst.
      Herzliche Grüße von mir an Dich!

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  6. Wie schön geschrieben! Ohne es zu merken ist Borst ganz unvoreingenommen und frisch auf seiner Reise zum „Meer“ vielmehr auf dem Weg zu seinem ganz persönlichen „Mehr“. Was für ein schönes Vorbild – nicht nur für Kinder…

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  7. Schon die großen, offenen Kulleraugen machen Borst sehr sympatisch. Und dass er seine Ziele auch bei Misserfolgen nicht aufgibt, macht ihn zudem zu einem Vorbild – zu einem sympatischen Vorbild. Was kann es besseres geben.

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  8. Oh, mein inneres Kind fühlt sich total angesprochen von den feinsinnigen Malereien und Wortspielereien. Zum Reinlegen in Mehr-Sand und Wald-Geborgenheit! Ein Kuschelbuch für alle kleinen und großen Lebens-Abenteurer. Die wachen dann am nächsten Morgen beschwingt auf und brechen zu neuen Horizonten auf. Das brauchen wir in unserer Welt, gell?!

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  9. Das Eintagsfliegenbuch habe ich noch in Erinnerung! Und gerade bin ich ein bisschen traurig für meine buchbegeisterten Zwillinge, dass deutsche Büchereien so weit weg sind.

    Zauberhaft ausgesucht.
    Herzliche Grüße,
    Meermond

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    • Vielen Dank für Deine begeisterte Rückmeldung, liebe Meermondin,
      und Deine gute Bucherinnerung an „Nur ein Tag“!
      Für Deine standortbedingte räumliche Entfernung von deutschen Büchereien weiß ich leider auch keine Überbrückung.
      Vielleicht hilft ein Bilderbuch-Wunschzettel, den eventuelle Besucher aus Deutschland mitbringselmäßig erfüllen könnten …
      Herzensgruß von mir zu Dir!

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    • Dieses Bilderbuch ist niedlich und tiefsinnig und fördert spielerisch ebenso die Sprachsensibilität wie die Offenheit für „fremdschöne“ Entdeckungen des Gegenteils.
      Lieben Dank für Deine Resonanz!

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      • Die Sprachschöpfungen sind auch so wahrhaftig. Kinder bilden ja oft eigene Worte, die ihr Empfinden ausdrücken. Ich erinnere mich z. B. bei meinen Kindern an „müzelig“, das so viel gemütlicher klang als „gemütlich, zwei Holzteile der Werkbank, die Kelleko und Bunk waren, Kelleko eckig und rot, Bunk rund, dick und blau. Dann gab es noch einen Freund, der „zalkig“ war, etwas abweisend mit wechselhaftem, nicht greifbarem Gemüt.

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      • Oh ja, Kinder sind oft wesentlich sprachempfindsamer und erfinden oder konstruieren tolle Neuwörter.
        Die von Dir aufgezählten kindlichen Wortschöpfungen finde ich sehr zielgenau und niedlich, besonders „müzelig“ und „zalkig“. *gg*

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  10. In allerfeinster Wort- und Bildpoesie bekommt der Ausdruck „Frischling“ hier eine wohltuend neue Dimension. Sich frisch und unbeirrt auf einen Weg begeben, der vom Herzen als richtig und wichtig erkannt wurde – wenn Kinder diese Erfahrung beizeiten leben und erleben dürfen, haben sie ein Kleinod in ihrem Lebenserfahrungsrucksack, das seinesgleichen sucht. Leider ist es ja doch oft so, dass NORMal sein allzu hoch im Kurs steht und Kinder früh darauf dressiert werden, möglichst flink den ausgetrampelten Pfaden zu folgen. Ein Lebens-Weg sieht anders aus – und dieses Buch scheint mir dabei ein wertvoller Weg-Weiser zu sein (in des Wortes vollständiger Bedeutung, dass nämlich weise zu sein habe, wer den Weg weisen will).
    Die Illustratorin habe ich von einem meiner Lieblingsbücher – das ich auf dieser Saite kennenlernen durfte – in allerbester Erinnerung. 🙂
    Irgendwie erinnert mich diese Geschichte übrigens an ein sinnreiches Gedicht, das auf der folgenden Seite sowohl im Original, als auch in zwei Übersetzungen zu finden ist:

    wo chiemte mer hi?

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    • Verbindlichen Dank für Deinen wortwendig-zustimmenden Kommentar.
      Oh ja, die Bezeichnung Frischling darf hier wohlweißlich mit frischer Lebensoffenheit und tapferer Eigenwilligkeit übersetzt werden. Und dieses Bilderbuch erfüllt gut und spielerisch den Anspruch eines weisen Weg-Weisers.
      Das feine Gedicht, auf das Dein Link hinweist, paßt ganz wunderbar zu „Borst vom Forst“. Hab‘ auch Dank für diese treffliche poetische Zugabe! 🙂

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    • Was für eine schöne, naturverbundene Erfahrung Du mit echten Frischlingen gemacht hast, liebe Susanne.
      Da kann ich ja kaum mitreden, angesichts meiner bilderbuchig-papiernen Wildschweinerfahrung.
      Vielen Dank für Deine harmonische Resonanz!

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Sie dürfen gerne ein Wörtchen mitreden, wenn's konveniert!