Wazn Teez?

  • von Carson Ellis
  • Bilderbuch
  • Deutsche Textfassung von
  • Jess Jochimsen und Anja Schöne
  • Originaltitel: »Du Iz Tak«
  • Nord Süd Verlag  Januar 2017   http://www.nord-sued.com
  • gebunden, Fadenheftung
  • Format: 24,8 x 30 cm
  • 48 Seiten
  • durchgehend farbig illustriert
  • 16,00 € (D), 16,50 € (A), 20,90 sFr.
  • ISBN 978-3-314-10386-5
  • ab 5 Jahren

AN  MIROBELLI  FREUENSCHUH
oder: Insektenparlando

Bilderbuchbesprechung von Ulrike Sokul ©

Dieses ganz besonders phantasiebegabte Bilderbuch ist etwas für sprachliche Feinschmecker, detailverliebte Betrachter und naturverbundene Träumer.

Die amerikanische Illustratorin Carson Ellis hat sich für ihre Bilderbuch- geschichte eine Phantasiesprache ausgedacht, und Jess Jochimsen und Anja Schöne haben diese Kunstsprache ins Phantasiedeutsche „übersetzt“.

Den Bildern kann man zwar auch ohne Text ihre Erzählung ablesen, aber die kleinen Dialoge zwischen den beteiligten Figuren haben natürlich ihren ganz eigenen Reiz, weil man sie sich erst einmal – am besten ausgesprochen-lautmalerisch – aus dem Kontext des Bilderbuchbühnenbildes entschlüsseln muß.

Da wächst ein kleiner grüner Keim aus der Erde und drei Käfer schauen fragend in die Runde: „Wazn teez?“ Ein Käfer antwortet: „Mi mori an Plumpse.“ Und ein anderer fragt: „Wazn fümma Plumpse?“ Und die Antwort darauf lautet: „Mi nanüt.“

Illustration von Carson Ellis © Nord Süd Verlag 2017

Der Keimling wächst in die Höhe, bildet Blätter und Sproßachsen. Die drei Entdecker brauchen „an Sprossel“, um an der Pflanze hochzuklettern. Sie fragen bei der im nahegelegenen Baumstamm wohnenden Larve nach und bekommen von ihr die gewünschte Leiter geliehen.

Von Seite zu Seite wächst die Pflanze; nachts wird sie vom Mond beschienen und von einem Grillenkavalier mit Geigenmelodien erfrischt. Die drei Käferknirpse bauen mit großem Eifer eine Baumhausfestung, die sich über zwei Pflanzenetagen erstreckt.

Illustration von Carson Ellis © Nord Süd Verlag 2017

Doch als eine riesige Spinne diesen Abenteuerspielplatz mit ihrem Netz besetzt, fliehen die Insekten empört und lassen traurig ihre Fühler hängen. Ein vorüberfliegender Vogel schnappt sich die dicke Spinne und beendet die achtbeinige Invasion.

Erleichtert atmen die Käfer und ihre Nachbarinsekten auf. Die Käfer entfernen fein säuberlich die Reste des Spinnennetzes und spielen wieder in ihrer Festung. Die Pflanze wächst und entfaltet im Sommer eine wunderschöne Blüte. Nun endlich erkennen alle Insekten, daß es sich um „an mirobelli Freuenschuh“ handelt, und sie freuen sich offensichtlich sehr darüber.

Der Herbst kommt, die Blüte welkt, der Winter naht, die vergilbte Pflanze neigt sich samt aufgelöster Festung der Erde zu, die Insekten ziehen sich Schals und Mützen an und verabschieden sich in den Winterschlaf.

Schnee bedeckt den verstummten Schauplatz. Im nächsten Frühjahr schmilzt der Schnee, und viele, viele grüne Keimsprößlinge lugen vorwitzig aus der Erde. So kommt ein neues Jahr in Schwung …

Die Zeichnungen von Carson Ellis sind sehr detailreich; neben den drei käferigen Hauptfiguren tummeln sich diverse Insekten (Ameisen, Libellen, Fliegen, Raupen, Larven, Schmetterlinge …), zwei Schnecken und ein Salamander in der Szenerie. Die feingezeichneten, individualisierten Insekten tragen wahlweise Schühchen, Schals, Mützen, Hüte, Brillen, Handtaschen oder Spazierstöcke. Die Illustrationen vermitteln einen zärtlich-neckischen Blick auf Krabbeltiere.

Bei aller Verspieltheit ist gleichwohl der Verlauf der Jahreszeiten an den natürlichen Veränderungen des Ortes sehr präzise ablesbar. Hier wird die kindliche Aufmerksamkeit in wortwörtlich vielerlei Hinsicht angeregt und gefördert. In diesem Bilderbuch gibt es viel zu entdecken und zu entschlüsseln.

Als Bilderbuchvorleser hat man – zur angenehmen Abwechslung vom leichten Vorleseeinerlei – eine deutlich achtsamere  Vorlesekonzentration zu meistern. Man kann sich ausgiebig und wiederholt damit beschäftigen und vergnüglich an der Übersetzung der Phantasiesprache herumpuzzeln. Kinder werden diese „Fremdsprache“ witzig finden und sie bei entsprechender Neigung vielleicht sogar gerne weiterspinnen und mit eigenen Worterfindungen anreichern.

Also, machen Sie sich schon mal auf unerhörte „mirobellische“, wortspielerische Nebenwirkungen gefaßt!

 

Hier entlang zum Buch und zur LESEPROEB auf der Verlagswebseite:
https://nord-sued.com/programm/wazn-teez/

 

Die Autorin und Illustratorin:

»Carson Ellis, geboren 1975, lebt mit ihrem Mann, dem Folkmusiker Colin Meloy, in Portland. Mit ihm zusammen hat sie die Trilogie „Wildwood Chronicles“ veröffentlicht. Bei Nord-Süd erschien bereits ihr erstes, viel gelobtes Bilderbuch „Zuhause“. «

Die Übersetzer:

»Jess Jochimsen, 1970 in München geboren, lebt als Autor und Kabarettist in Freiburg. Seit 1992 tritt er auf allen bekannten deutschsprachigen Bühnen auf. Im Frühjahr 2017 erscheint bei DTV sein neuer Roman „Abschlussball“.«

»Anja Schöne, 1978 in Krefeld geboren, ist als Theaterregisseurin und Autorin tätig.«

Leselebenszeichen-Datenschutzerklärung: https://leselebenszeichen.wordpress.com/datenschutzerklaerung/

 

42 Kommentare zu “Wazn Teez?

  1. Scheint mir ein feinfantastischspielerischfreudiges splebich, ach, nein,*lach*, ein fein bebildertes Sprachfantasieblüten treibendes Büchlein zu sein. Wäre schon wieder mal eine Überlegung wert.
    Ob es meinem siebenjährigen Enkelchen gefallen würde, weiß ich aber nicht so recht.
    Er ist zur Zeit ein eifriger Lego Star Wars – Bauherr 🙂

    Herzlichst Bruni

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    • Danke, liebe Bruni,
      für Dein heiteres Echo auf meine Buchbesprechung.
      Die enkeltaugliche Lego-Star-Wars-Kompatibilität von „Wazn Teez?“ wage ich nicht einzuschätzen.
      Doch ich bin davon überzeugt, daß Du Deine Sprachfreude an diesem Bilderbuch haben wirst. 🙂
      Herzensgruß auch von mir an Dich

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    • Nette Assoziation von Dir, liebe Michi!
      Bei Walter Moers‘ Fönig werden jedoch nur die Buchstaben K und F systematisch vertauscht, bei diesem Bilderbuch hingegen sind die Wörter komplett erfunden.
      Danke für Deine Resonanz! 🙂

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  2. Das ist ein ganz zauberhaftes Buch und eine liebreizende Rezi liebe Ulrike. Es erinnert mich an die vielen niedlichen Begriffe, welche mein Sohn und ich in uneren Kindertagen benutzt haben wie, Kaseballe (Kasperle), Mokolotive (Lokomotive) oder Maschgetti statt Spaghetti 🙂

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    • Herzlichen Dank, lieber Arno,
      für Deine liebreizende Zustimmung zu Form und Motiv meiner Rezension.
      Ich glaube, daß in jeder Familie einige niedliche Spezialvokabeln aus dem Kindermunde wachsen, und die besonders amüsanten Wortschöpfungen bleiben in Erinnerung und werden sozusagen-wortwörtlich tradiert und weitergesagt – wie man ja an den von Dir genannten Beispielen gut ablesen kann. 🙂

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  3. Ich glaube, Kinder werden dieses Buch super finden. Mein Sohn spricht im Moment mit sichtlicher Freude alle möglichen Fantasiekombinationen nach, die ich mir für unsere Katze ausdenke: z.B. Gina-Plina, Mullepulle. Daran sieht man, finde ich, dass Sprache allerzuerst Freude an den Lauten ist.

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  4. Vielen Dank für diese Buchbesprechung! Gerade neulich viel mein Blick auf dieses Buch. Leider hatte ich in dem Moment keine Zeit für ein genauere Betrachtung. Nur die spontane Verwunderung blieb… Schön also, auf diesem Weg einen besseren Einblick (und auch Lust auf das Buch) bekommen zu haben! 🙂

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  5. Ich habe mir gerade den Band in Originalsprache von der Bibliothek bestellt, freue mich darauf. Es wäre danach auch sehr interessant, die deutsche Fassung zu lesen und zu vergleichen. Vielleicht bei meinem nächsten Deutschlandbesuch!

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      • Das Buch war heute bereits da, und ich habe es gelesen. Die Zeichnungen sind wunderbar und charmant, aber ich muss gestehen, dass es mir nicht so leicht fiel, diese erfundene Sprache zu verstehen. Vielleicht ist es einfacher für Kinder.

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      • Vielleicht ist es für deutsche Muttersprachler schwieriger, eine englische Phantasiesprache zu entziffern.
        Bei der deutschen Version wußte ich noch einer guten Weile, welche Worte „Auf Wiedersehen“, „ich“, „wir“, „unsere“, „Ja“ usw. bedeuten.

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  6. Teez ne smielbewekkende Overbereuschung. En Bildlichkeizblattgebundel im Gekrabbeltiirlespraak. 🙂
    Die Sprache dürfte wohl nicht immer ganz einfach zu entschlüsseln sein (und ihre Struktur hat sich mir aus den Beispielen bisher nicht erschlossen). Dennoch erscheint mir das recht untragisch – denn die detailreichen Bilder sind ja sehr erzählfreudig. So etwa beim Bild mit der achtäugigen Spinne. Da erzählt die Körpersprache der einzelnen Protagonisten bereits eine eigene Geschichte. Und erst die ganzen feinen Details. Die Ahnengalerie in der guten Stube der pfeifenrauchenden Larve. Das „Hütchen“ (wie nennt man das eigentlich?) einer Eichel auf dem Kamin. Die Käferpiratenflagge. Bereits die Bilderentdeckungsreise kann für große (!) und kleine Kinder ein Abenteuer sein.
    Eine feine Entdeckung, liebe Bücherfee, die bei mir einen unstillbaren Appetit auf Käfer und Larven weckt. 🙂
    [Nicht böse gucken! Nur bilderbüchlich gesprochen, selbstredend.]

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    • Hab‘ Dank für Deine smielbewekkende, wortmitspielerische Resonanz! 🙂
      Ja, die Sprachstruktur erschließt sich erst bei der wiederholten Betrachtung des ganzen Bilderbuches.
      Doch selbst ohne Textentschlüsselung sprechen die Bilder, die lustigen Details und die ausdrückliche Körpersprache der Charaktere eine deutliche Sprache, das hast Du richtig erkannt.
      Die Ahnengalerie der Larve finde ich auch sensationell.
      Das Hütchen der Eichelfrucht heißt, umgangssprachlich Hütchen oder Kappe bzw. Eichelhütchen. Der botanische Fachbegriff dafür ist jedoch FRUCHTBECHER. 🙂
      Es freut mich sehr, daß Du Dir die Käfer und Larven bilderbüchlich auf der Zunge zergehen lassen magst! :mrgreen:

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      • Bei meiner chronischen Bildungsresistenz wird sich mir die krabbeltierische Standardsprache wohl nie zur Gänze erschließen. Also behelfe ich mir weiterhin mit meinem smielbewekkenden Gletscherflohdialekt. 😉
        Die Detailvielfalt der Bilder ist wirklich überragend. Sogar ein Beispiel von Mimikry findet sich auf dem Rücken des traurigsten aller Käfer.
        Fruchtbecher lautet also der bürgerliche Name des Hütchens. Vielen Dank für diese Information. 🙂

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  7. Das ist ein Buch ganz nach meinem Gusto. Ich hätte schon Riesenspass es vorzulesen. Für meine doch eher sachlichen Jungs wäre das Buch nie etwas gewesen, sie hätten das Buch umtauschen wollen 😉 Wenn die Kleine größer wird, ist es sicher ein Buch für uns. Im Grunde sprichst sie gerade auch so. Tüss, Mma :-))

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    • Liebes Sternchen,
      an diesem Bilderbuch hatte ich köstliche Entdeckerfreude. Ich war und bin fasziniert davon, wie sich mir nach und nach nicht nur aus dem Bildkontext, sondern auch aus der Systematik der verwendeteten Sprachstruktur die wörtliche Bedeutung der Phantasiesprache erschloß. 🙂

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    • Danke für Dein lebhaftes und anwendungsinteressiertes Echo, liebe Dorothee. 🙂
      Dieses Bilderbuch ist sehr sprachschöpferisch. Ich denke, es „funktioniert“ für Grundschulkinder erst, wenn sie schon Lesen gelernt haben. In der Leselernphase könnte es eher Verwirrung stiften.

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Sie dürfen gerne ein Wörtchen mitreden, wenn's konveniert!