Der Trick

  • Roman
  • von Emanuel Bergmann
  • Diogenes Verlag Februar 2016     www.diogenes.ch
  • in Leinen gebunden mit Schutzumschlag
  • 400 Seiten
  • ISBN 978-3-257-06955-6
  • 22,00 € (D),  22,70 € (A), 30,00 sFr
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ZAUBERSEHNSUCHT  UND  SEHNSUCHTSZAUBER

Buchbesprechung von Ulrike Sokul ©

Im gefühlvoll-nachdenklichen Roman „Der Trick“ erweckt Emanuel Bergmann atmosphärisch und menschkenntnisreich in einer sehr feinen, schönen Sprache faszinierende Charaktere zum Leben und verbindet ihre Lebenskreise miteinander. In diesem Roman geht es um Wahrheit und Lüge, Illusion und Manipulation, Schicksal und Zufall, Grauen und Gnade. Es geht um verlorenes Leben und gewonnenes Leben, um verlorene und wiederge- fundene Liebe und um die Ironie des Schicksals, der man wohl am besten mit Humor begegnet.

Zwischen dem ersten Kapitel mit der Überschrift „Die Welt und wie sie hätte sein sollen“ und dem letzten Kapitel „Die Welt und wie sie ist“ spannt der Autor einen weiten Bogen, der in Prag zu Beginn des 20. Jahrhundert anfängt und in Los Angeles zu Beginn des 21. Jahrhunderts endet.

In Prag, kurz nach dem Ende des Ersten Weltkrieges, wird dem gutmütigen Rabbi Laibl Goldenhirsch von seiner Frau Rifka endlich der langersehnte Sohn geboren. Das Kind, Mosche Goldenhirsch, wird von seinen Eltern innig geliebt, auch von seinem zweiten Vater, der unausgesprochen, der Zeugung des Kindes ein wenig nachgeholfen hat. Doch stumme Geheimnisse und verbotene Liebesgefühle tragen viele Menschen in sich. Laibl Goldenhirsch akzeptiert das Wunder der plötzlichen Empfängnis mit Demut und weiser Dankbarkeit.

Im Alter von fünfzehn Jahren läuft Mosche von zu Hause fort, schließt sich einem Zau- berzirkus an und wird vom Zirkusdirektor, dem „Halbmondmann“, zum Zauberer aus- gebildet. Er verliebt sich in Julia, die Assistentin des Direktors. Nach einem tragischen Unfall verlassen Mosche und Julia den Wanderzirkus und fahren nach Berlin.

Julia verschafft Mosche gefälschte Papiere, die ihn als Perser ausweisen. Mosche stili- siert sich zum „Großen Zabbatini“ und lernt sogar einige Vokabeln Farsi, die er als wohl-klingenden Zauberspruch einsetzt. Zusammen mit seiner Assistentin und Geliebten Julia verfeinert und professionalisiert er die Zaubervorführungen und ergänzt sie um die ge- trickste Kunst des Gedankenlesens. Sie haben großen Erfolg beim Publikum; besonders beliebt ist der Trick „Verschwundene Prinzessin“, für den sie einen speziellen Koffer mit doppeltem Boden und raffinierter Verspiegelung extra haben anfertigen lassen.

Doch Mosche wird verraten, von der Gestapo brutal verhört und mitsamt seinem Zau- berzubehör in das KZ Theresienstadt deportiert. Der dortige Kommandant ist nämlich ein Verehrer von Zabbatini und möchte alle Zaubertricks von ihm lernen. Mosche weiß, daß sein Überleben davon abhängt, wie lange er diesen „kultivierten“ Nazi bei Laune halten kann.

In Los Angeles muß sich der elfjährige Max Cohn schmerzlich darauf einstellen, daß sich seine Eltern scheiden lassen wollen. Er beratschlagt sich mit seinem Schulfreund Joey, dessen Eltern bereits geschieden sind, und seine kindliche Sorge, er könne irgendwie schuld daran sein, daß seine Eltern sich trennen, führt dazu, daß er fieberhaft überlegt, wie er eine neue Annäherung zwischen seinen Eltern herbeiführen könne.

Sein Vater hat bereits Kisten für seinen Auszug gepackt, denn er wird vorläufig ins Haus seiner Mutter umziehen. Max findet die Aussicht, seinen Vater nun immer bei Omchen besuchen zu müssen, nicht verlockend. Denn Omchen neigt dazu, bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit zu sagen: „Und dafür habe ich die Lager überlebt?“, und Max, der das ohnehin noch nicht so recht begreifen kann, findet das anstrengend.

Max versucht, seinen Vater zum Bleiben zu bewegen, macht ihm eine rührende Liebeserklärung und bietet an, daß er in Zukunft auch immer freiwillig den Hasenkäfig sauber mache.

Der Vater läßt sich nicht umstimmen. Da stolpert Max über einen Umzugskarton. Ein altmodischer Datenträger in einer Papphülle, eine Schallplatte, zieht seine Aufmerksam-keit auf sich. Auf der Plattenhülle sieht man einen eleganten Zauberer mit Zauberstab und kleinem weißen Kaninchen: »Zabbatini: Seine größten Tricks.« Auf der Rückseite steht eine Liste seiner Zauberkunststücke, u.a. »Der Zauber der ewigen Liebe«; Max fragt, ob er die Schallplatte behalten dürfe und faßt einen kindlich-kühnen Plan.

Mit Elan und unter häufiger Überschreitung elterlicher Grenzen sucht Max nach Zabbatini. Er befragt den Inhaber eines Zauberzubehörgeschäfts und erfährt, daß Zabbantini tatsächlich früher im „Castle“, dem größten Cabarett für Zauberkünstler, regelmäßig aufgetreten sei. Doch dies sei lange her, der bescheidene Ruhm längst erloschen, und er wisse nicht, ob Zabbatini überhaupt noch lebe. Er rät Max, in einem bestimmten Altenheim nachzufragen, und Max wird fündig.

Es dauert sehr lange, bis Max den lebensmüden, verlotterten und verarmten Zabbatini überreden kann, noch einmal den „Zauber der ewigen Liebe“ auszuführen. Maxens Hartnäckigkeit, Pfiffigkeit und seine sehnsüchtige Zaubergläubigkeit und Hoffnung rühren den alten Mann, und – zu seinem eigenen größten Erstaunen – findet er den kleinen Jungen sympathisch. Nach zähen Verhandlungen mit Maxens Mutter willigt er ein, auf Maxens bevorstehender Geburtstagsfeier noch einmal im alten Glanze ein junges Publikum zu verzaubern.

Der Große Zabbantini inszeniert einen grandiosen Liebeszauber, und als er seinen farsischen Zauberspruch aufsagt, wird der Zauberer von Maxens Omchen wieder- erkannt … Wir erfahren wer wem sein Leben verdankt, und der kleine Max begreift die wunderbare Gabe des Lebens.

So schließen sich zwei Lebenskreise, und die alte Weisheit von Laibl Goldenhirsch kommt noch einmal zu Wort:

„Allein schon zu leben … ist ein Gebet.“ (Seite 371)

Sehr glaubwürdig und anrührend gelingt Emanuel Bergmann in diesem Buch der Wechsel zwischen der kindlichen und der erwachsenen Perspek- tive sowie die Verschränkung der unterschiedlichen Zeitebenen und die Annäherung beider Erzählstränge und Lebenswege bis zu ihrer endgültigen Kreuzung. Trotz der tragischen historischen Umstände und der damit ver- bundenen schonungslosen, aber im Text nicht überstrapazierten Grausam- keiten und trotz der kindlichen Liebesnot, findet der Autor einen heiter-abgeklärten Erzählton von bewundernswerter, wehmütiger Leichtigkeit und lebensbejahender Herzenswärme.

 

Hier entlang zum Buch und zur LESEPROBE auf der Verlagswebseite:
https://www.diogenes.ch/leser/titel/emanuel-bergmann/der-trick-9783257069556.html

Der Autor:

»Emanuel Bergmann, geboren 1972 in Saarbrücken, ging nach dem Abitur nach Los Angeles, um dort Film und Journalismus zu studieren. Er war viele Jahre lang für verschiedene Filmstudios, Produktionsfirmen und Verlage in den USA und Deutschland tätig. Derzeit unterrichtet er Deutsch, übersetzt Bücher und schreibt Artikel für diverse deutsche Medien. ›Der Trick‹ ist sein erster Roman.«

 

Und nachfolgend noch das Hörbuch zum Buch:                    Der-Trick-gesprochen-von-Stefan-Kaminski-9783257803686

Der Trick
von Emmanuel Bergmann
Hörbuch      
Ungekürzte Lesung
von Stefan Kaminski
Diogenes Verlag Februar 2016
8 CDs, 9 Std. 43 Min.
978-3-257-80368-6
26.00€ (D), 29.20 € (A),  sFr 35.00

Hier geht es zur Hörprobe und zu weiteren Buchinformationen auf der Verlagswebseite:
https://www.diogenes.ch/leser/titel/emanuel-bergmann/der-trick-9783257069556.html

 

 

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28 Kommentare zu “Der Trick

  1. Liebe Ulrike, da ist sie nun, die langersehnte Buchbesprechung. Vielen Dank dafür! Ich wollte das Buch ja schon vorher lesen, nun will ich es noch mehr als vorher. Glücklicherweise fiel mir gleich noch mein uneingelöster Buchgutschein ein… wie praktisch. Du hast, wie gewohnt, sehr schöne Worte gefunden, um das Buch zu präsentieren. Und da ich nach meinem Urlaub in der Toscana auch gerade selbst voller Zaubersehnsucht bin, gibt es jetzt kein Halten mehr! 🙂 Ich hoffe sehr, es geht Dir gut. Und ich frage mich, ob die vielen Kinderbuchbesprechungen möglicherweise etwas mit Deiner privaten Situation zu tun haben. Aber das ist nicht der Raum hier dafür bei einem Kommentar, vielleicht lieber auf E-Mail-Niveau, falls Du antworten magst. Allerherzlichste Grüße vom Ehepfau (übrigens habe ich mittlerweile einen wunderschönen Orchideenstab von Lauschaer-Glas mit einem Pfau, um mal die Werbetrommel an ungewohnter Stelle zu rühren.)

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    • Lieben Dank für Deinen Buchbesprechungsbegeisterungsausbruch! 🙂

      Bezüglich Deiner privaten Fragen, werde ich Dir demnächst per E-Post antworten. Da ich – u.a. auch wegen des Trauerfalles – einen ziemlichen E-Poststau im Postfach habe, kann es aber noch etwas dauern.
      Vielleicht schreibe ich auch einen Serienbrief 😉 .

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  2. Er verließ gleich nach dem Abitur seine Heimatstadt…
    Bei mir war es nicht ganz so früh, aber auch die gleiche Stadt *g*

    Deine Rezension macht sehr neugierig auf dieses Erstlingswerk. Da sollte ich mich doch mal trauen, diesen zauberhaften Roman eines Saarländers zu lesen *lächel*
    Der Inhalt könnte mir gefallen und es handelt im Zirkusmilieu, wie ein anderes zauberhaftes Buch, das ich vor kurzem gelesen habe. Das müßte ein gutes Omen sein.

    Liebe Grüße von Bruni

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  3. … Wortbögen, Blumenbögen, Regenbögen… ein Trick, nein ein Wunder für jeden erschwinglich im geschmackvollem Paperback und traumsicher formuliert vorgestellt von dir Ulrike… wer kann da schon geradlinig bleiben… 😉

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  4. Deine Rezension hat mich gleich doppelt neugierig gemacht. Einerseits natürlich auf den Autor (von dem ich noch niemals nichts gehört habe) und sein ganz offensichtlich bemerkenswertes Erstlingswerk. Es würde mich nicht wundern, wenn Emanuel Bergmann in absehbarer (und ergo auch für ein altes Haus wie mich noch erlebbarer) Zeit zu den ganz großen Namen der deutschsprachigen Literatur zählen würde. Die Geschichte scheint so geschickt und vielschichtig verwoben, dass man unwillkürlich „Klassiker“ denkt und sich vergewissern muss, ob es sich denn wahrhaftig um ein neues und nicht etwa ein neu aufgelegtes Buch handle (was ja, nebenbei bemerkt, kein Makel wäre).
    Und die zweite Neugiererregung betrifft den Verlag. Nicht, dass mir der Diogenes-Verlag gänzlich unbekannt wäre. Im Gegenteil. Diogenes gehört zu den Verlagen, die es in meiner literarischen Erlebenswelt „schon immer“ gegeben hat. Und das Verlagsprogramm ist von Umfang und Bandbreite her ganz unglaublich. Was mich aber heute besonders beschäftigt hat: Ist Diogenes tatsächlich noch immer ein eigenständiger Verlag? Oder hat ein Mediengigant den Verlag längst „gefressen“ und das Label „Diogenes“ behalten, weil es sich gut verkauft? Und, siehe da, Diogenes ist tatsächlich auch heute noch ein eigenständiges Verlagshaus. Und diese Tatsache scheint mir ebenso erfreulich und bemerkenswert wie das von dir hier vorgestellte Buch. 🙂

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    • Leseliebreizenden Dank für Deinen ausführlichen Kommentar.
      Emanuel Bergmann, der für mich ebenfalls Leseneuland war, ist meiner Ansicht nach ein vielversprechender Autor. Wenn ihn die Muse weiterhin so innig küßt, lohnt sich wohl die Vorfreude auf weitere Werke aus seiner Feder (oder Taste?)…

      Deine Sorge der Diogenes Verlag könne von einem großen Verlagskonzerfisch gefressen worden sein, finde ich ganz rührend und auch nicht unberechtigt – zumal es in der Schweiz seit 2007 leider keine Buchpreisbindung mehr gibt.Tatsächlich ist Diogenes noch immer ein „freies“ eigenständiges Verlagshaus, wie Du ganz richtig bemerkt hast. Und solange es Bücher gibt, möge dies auch so bleiben! 🙂

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      • Nachdem Emanuel Bergmann ja beruflich bereits ein paar andere Sachen gemacht hat, könnte/dürfte es ja durchaus sein, dass er durch seinen Romanerstling auf den belletristischen Geschmack gekommen ist. 🙂
        Die Sorge um den Diogenes-Verlag ist ja zudem auch deshalb nicht abwegig, weil ja auch im Buchhandel weitgehend diese gigantomanischen Supermachtstrukturen bestehen. Und diese Wüstenlandschaften sind ja nun nicht das optimale Biotop für unabhängige Verlage. Vielleicht sind aber neue Medien wie E-Bücher hier sogar hilfreich. Denn es könnte durchaus sein, dass eine zwar nicht riesige aber zuverlässige Kundschaft bewusst auf Qualitätsliteratur statt standardisiertes Lesefutter setzt. D.h. die Großen balgen sich um die Kundschaft der Massenware – und die Unabhängigen besetzen ihre ganz spezifischen Nischen.

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  5. Zu diesem Buch habe ich nun schon so viele begeisterte Stimmen von Bloggern vernommen, deren Urteil ich blind traue – nun reihst du dich mit deinem Beitrag mit dazu ein… Ich glaube, ich werde langfristig um diesen Roman wirklich nicht herum kommen. Danke dir und den anderen Bloggern, die die Lesefreude über jede Seite des Romans anschließend in so ansteckende Blogbeiträge packen können 🙂

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    • Ausnahmsweise singe ich mal mit im Bloggerlesebegeisterungschor für Emanuel Bergmann. 😉
      Bestseller ignoriere ich kleiner Snob ja häufig, aber die Leseprobe hat mich sprachlich und inhaltlich so sehr angesprochen, daß ich gerne das ganze Buch verschmökert habe.
      Ich kann ich Dich nur dazu ermutigen, diesen Roman zu lesen. Danke für Dein Interesse und Dein Lob zur Rezension.

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  6. Das klingt schön, liebe Ulrike, und nach einem für mich maßgeschneiderten Erstlingswerk eines interessanten Menschens,

    und fast alles von Diogenes mag ich sowieso…

    Gleich mal rüber zum Osiander nachgucken gehen…

    Dankeschön für deinen Tipp!!

    Herzliche Sommergrüße vom Lu

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Sie dürfen gerne ein Wörtchen mitreden, wenn's konveniert!