Das Buch der Märchen

P I N S E L Z A U B E R

Buchbesprechung von Ulrike Sokul ©

Ein Leben ohne Märchen ist möglich, aber langweilig!

Ich hatte das Glück, daß meine vorlesefreudigen Eltern meinen kindlichen Geist reichlich und vielfältig mit Märchen- und Geschichtenessenzen gewässert haben. So war es ein Freudenfest für mich und mein Kinderherz, wieder einmal tief in Märchenwelten einzutauchen und mich von Worten und Bildern verzaubern zu lassen.

Der Maler Friedrich Hechelmann hat für das vorliegende Buch ein vielseitiges Märchen- potpourri zusammengestellt und illustriert: Zwölf Märchen der Gebrüder Grimm, drei Märchen von Wilhelm Hauff, sechs von Ludwig Bechstein und von Eduard Mörike „Die Historie von der schönen Lau“.

Hechelmann Märchen Seite 258 Wasserlichttreppe

Illustration von Friedrich Hechelmann ©

 

Begleitet von vollkommen märchenhaften und ebenso meditativ-besinn- lichen wie dramatisch-bewegten Illustrationen verläuft man sich gerne in ihren wildromantischen Tiefen, unwegsamen Wäldern, verborgenen Höhlen, duftigen Lüften, glitzerndem Tau, moosigem Leuchten, unauslot- baren Gewässern, schicksalhaften Verwandlungen und geheimnisvollen Seelenräumen. Hier kann man noch träumen, Licht- und Schattengestalten erleben, auf Wunder hoffen und Zauberkräfte entdecken.

Hechelmann Märchen Seite 227 Güldene Lichtung

Illustration Friedrich Hechelmann ©

Hechelmann Märchen Seite 205 Kutsche auf nächtlichem Waldwege

Illustration Friedrich Hechelmann ©

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Zur Kunstauffassung Friedrich Hechelmanns zitiere ich gerne aus der kurzen werkbio- graphischen Notiz, die sich am Ende des Buches findet:

»Über Jahrtausende war die Betrachtung der Natur das große Thema der Malerei. Dass wir dieses Thema heute als niedlich abtun, zeigt unsere Arroganz und Selbstüberheblich- keit, unsere Naturentfremdung«, sagt Friedrich Hechelmann und malt mit seiner ganzen Kraft gegen diese Entwicklung an. Denn seine Kunst lebt aus der Ehrfurcht vor der Schöpfung. «

Hechelmann Märchen Seite 224 Lichtöffnung im Fels

Illustration Friedrich Hechelmann ©

Hechelmann Märchen Seite 240 Nebelsee

Illustration Friedrich Hechelmann ©

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Illustrationen von Friedrich Hechelmann erweisen sich nicht nur als kongeniale Begleitung und künstlerische Übersetzung der Märchentexte in ein sichtbares Medium, sondern sie breiten der eigenen Imagination ein einladendes Bühnenbild voller naturmagischer Anziehungskraft und geheimnisvoller Lebenstiefe: lichtfunkelnd, schattenspielend, ganz elementar und ungezähmt sowie von befreiend-aufatmender Weite und Vielschichtigkeit.

Die zahlreichen, farbigen Illustrationen sind stets ganzseitig, gelegentlich auch doppel- seitig und von sehr guter Druckqualität. Ich habe lediglich ein oder zwei Lesebändchen vermißt, diese hätten der feinen und hochwertigen Märchensammlung gut zu Gesicht gestanden, und praktisch wären sie auch. Vielleicht eine Anregung für die nächste Auflage?

Hechelmann Märchen Seite 18 Kaminfeuer

Illustration Friedrich Hechelmann ©

Hechelmann Märchen Seite 124 Blumenwaldwiese

Illustration Friedrich Hechelmann ©

 

 

 

 

 

Die faszinierenden Bilder Friedrich Hechelmanns erschaffen eine beein- druckend-betörende Märchengestimmtheit, die der zeitlosen Poesie der Märchen entspricht. Ja ich finde sogar, daß die luzide, zwischen Wort und Bild changierende Darstellungsweise den Blick für das Unsichtbare schärft.

So wurden denn auch die vorzüglich passenden Zeilen von Novalis als Vorwort gewählt:

»Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren
Sind Schlüssel aller Kreaturen,
Wenn die so singen oder küssen
Mehr als die Tiefgelehrten wissen,
Wenn sich die Welt ins freie Leben
Und in die Welt wird zurückbegeben,
Wenn dann sich wieder Licht und Schatten
Zu echter Klarheit werden gatten
Und man in Märchen und Gedichten
erkennt die ewgen Weltgeschichten,
Dann fliegt vor Einem geheimen Wort
Das ganze verkehrte Wesen fort.«

– Novalis –

 

Hechelmann Märchen Seite 55 Kaskadenbrunnen

Illustration Friedrich Hechelmann ©

Der Illustrator:

»Friedrich Hechelmann illustrierte 1972 sein erstes – und noch immer lieferbares – Märchenbuch Zwerg Nase. Zahlreiche preisgekrönte Buchillustrationen folgten, außerdem Ausstellungen, Bühnenbilder, Filme und Publikationen. Der Künstler lebt und arbeitet im Allgäu. Mit der ständigen Ausstellung seiner Werke in der Kunsthalle im Schloss Isny  https://kunsthalle-schloss-isny.de/ hat er seinem großen, begeisterten Anhängerkreis ein lebendiges künstlerisches Forum geschaffen. Zuletzt unter anderem veröffentlicht: Geisterritter (Illustration des Buches von Cornelia Funke), im Thiele Verlag Ein Weihnachtstraum (2014) und Ein Sommernachtstraum (2014).«  www.hechelmann.de

Hier entlang zum Buch auf der Verlagswebseite:
https://www.thiele-verlag.com/buch/das-buch-der-m%C3%A4rchen-sonderausgabe

 

Das Buch der Märchen (HECHELMANN)

 

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73 Kommentare zu “Das Buch der Märchen

  1. Hat dies auf magictatsch rebloggt und kommentierte:
    Wer diese Rezension liest, spürt die Verzauberung, der man beim Anblick von Friedrich Hechelmanns Märchenillustrationen erliegen muss. Auf den ersten Blick wirken die Bilder fast düster. Doch lässt man sich darauf ein, entfalten die Bilder eine Sogwirkung, die uns in jene Intimität spüren lassen, die wir als Kinder während der familiären Märchenstunden genossen. MICH hat Ulrike überzeugt, vielen Dank für die Empfehlung 🙂

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    • Verbindlichen Dank, liebe Tatjana,
      für Dein zugeneigtes Weitersagen meiner Märchenbuchempfehlung auf Deiner Webseite! :mrgreen:
      Die Illustrationen Friedrich Hechelmanns sind tiefgründig und vielschichtig und keineswegs verniedlichend gesüßt, dadurch finden die lichten und schattigen Märchenfacetten eine angemessene Entsprechung.
      Kennst Du den tschechischen Illustrator Jiří Trnka (1912 – 1969)
      https://de.wikipedia.org/wiki/Ji%C5%99%C3%AD_Trnka ? Ich habe noch immer die von ihm illustrierte Ausgabe der Andersens Märchen von 1968, die meine Mutter einst für mich gekauft hat, als ich vier Jahre alt war. Jiří Trnkas Illustrationen sind ebenfalls nicht lieblich, sondern ebenso herb- elementar wie wild-romantisch und auch teilweise unheimlich. Doch gerade deswegen habe ich mich als Kind gerne und lange der Betrachtung dieser hintergründigen Märchenbühnenbilder hingegeben.

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  2. Liebe Ulrike,
    schön, wieder einmal auf deine Seite zu schauen! Die Atmosphäre ist hier wunderbar!
    Sowohl durch die Poesie deiner Sprache, die Bücher, die du auswählst als auch die Leute, die du damit in Bann ziehst.
    So habe ich eben auch all die wunderbaren, begeisterten Kommentare gelesen und deine einfühlsamen Antworten mit solch einzigartig-schimmernden Grüßen !!!
    Ach, wie oft stand ich früher vor Hechelmanns Bildern, tief versunken in sein blaugrün leuchtendes Reich!!! Aus diesen Zeiten habe ich auch noch „Ein Weihnachtsmärchen“ von ihm mit traumhaften Bildern, das dem „Kleinen Mädchen mit den Schwefelhölzern“ nachempfunden ist und ebenso das betörende Buch „Wandlungen“.
    Damals stellte Hechelmann in einer alten Villa aus. Man musste zum Eingang durch ein Tor und dann einen parkähnlichen, von Bäumen beschatteten Weg in die Ausstellungsräume gehen. Es war dort bereits Hechelmannreich für mich… Im Isnyer Schloss ist nun alles viel größer..

    Ich muss mal wieder hin!
    Dank für deine verzaubernde Besprechung!
    Dank auch für deine Likes!
    Herzlich,
    Petra

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    • Liebe Petra,
      ich DANKE Dir sehr für Deine beflügelnde Herzensresonanz und Deine inhaltliche und stilistische Wertschätzung meiner Websaite!
      Über die ausdrücklich freundliche, geistreiche, heitere, harmonisch-ergänzende und zugewandte Kommentarkultur meines Blogspublikums freue ich mich jeden Tag.
      Meine erste Begegnung mit den Bildern von Friedrich Hechelmann hatte ich 1984 während meiner Buchhändlerausbildung mit dem Buch PLUMPS-O-MOTO, ein Märchen von James Clavell, das Hechelmann wunderbar illustriert hat.
      Gewiß sind die Bilder im Original noch viel ausstrahlender, und es wäre mir ein lohnendes Reiseziel, seine Ausstellung im Schloß Isny zu besichtigen…
      Musische Grüße von Ulrike

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  3. Märchenhaft schön – dein ganzer Beitrag! Ich finde das Zitat von F. Hechelmann, das du aufführst, so passend, dass Naturdarstellungen in Ehrfurcht an die Schöpfung entstehen sollen. Alles, was in dieser Ehrfurcht entsteht, ist keine Verniedlichung… Und hier in deiner Buchvorstellung lädt das Zusammenspiel von Text und Bild einfach zum Träumen ein!
    Liebe Ulrike, ich wünsche dir ein schönes Wochenende und grüße ganz herzlich!
    Marlis

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  4. Ach…, MÄRCHEN, für alle, die Kleinen und die Größeren, wie wunderschön.

    Und dann die Illustrationen, wie aus der Wunschkiste, Träume auf Papier gepinselt, die alleine schon beim Blättern die Fantasie anregen und sie zum Träumen bringen.
    Also eindeutig ein Traumbuch und ich eile zum meinem alten Traumbuch ( -teppich hätte ich jetzt fast geschrieben) aus Kindertagen, einer Ausgabe (auch wie bei Dir) aus dem vergangenen Jahrhundert *g*, aber ich finde leider keine Angabe über den Zeichner, seine Werke trage ich immer bei mir – in meinem Kopf (mit was ist ein Kopf nur vollgestopft 🙂 )

    Eigentlich bin ich eingedeckt mit Märchen (fast *lach*), aber die Bechstein-Märchen kenne ich kaum, nur natürlich den kleinen Däumling, den ich nie vergessen konnte, weil er gar zu schön war.

    Danke für diese wundervolle neuerliche Traumvorgabe, liebe Ulrike.
    Da fällt mir ein, ich habe vor nun schon vielen Jahren (2007) mal einige Worte über Märchen geschrieben und sie Zaubernacht genannt.
    Hier sind sie aufgehoben http://wortbehagen.de/index.php/search/einzelgedicht/zaubernacht/

    Märchenhaft beeindruckte Grüße von Bruni

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  5. Märchen: Sie handeln vom Lebensweg des Menschens. Innere Entwicklung wird erzählt als äusseres Geschehen, als ein Weg,eine Bewegung, die eher Spirale als Gerade ist. Wir Menschen-Kinder brauchen Märchen, weil Märchen uns Mut machen, unsere Hoffnung wecken und uns zur Güte anstiften. Märchen dafür haben einige Völker Sibiriens den schönen Namen „Ohrenlicht„. Vom Licht, das uns über die Ohren aufgeht

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  6. WOW was für ein Traum diese Bilder, bestimmt Balsam für innere Kinder und geschundene Erwachsenenseelen, Danke für den Tip, das brauch ich ganz ganz dringend. Für die miesen Nächte. Bücher retten einen einfach immer wieder.

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  7. Ist ein Leben ohne Märchen wirklich möglich? Das ist wohl ein Märchen! Es sei denn, man würde den Begriff ‚Leben‘ zur Unkenntlichkeit verzerren.
    Die Illustrationen von Friedrich Hechelmann sind nicht nur atemberaubend schön. Sie scheinen mir auch die Essenz des Märchenhaften hervorragend widerzuspiegeln. Diese Vereinigung unserer sichtbaren und ansatzweise fassbaren Welt (die wir gerne als real bezeichnen) mit jenen Lebens(t)räumen, die im Grunde der Dinge nicht weniger wirklich sind, nur weil wir sie nicht so ohne weiteres mit unseren genormten Alltagsetiketten bekleben können. Diese Bilder holen uns in unserer vertrauten Welt ab – aber gleichzeitig deuten sie deutlich an, dass da noch mehr ist. Ein Meer an Mehr…
    Danke für die Vorstellung dieses märchenhaften Buches. 🙂

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  8. Bei dem Maler muss ich unbedingt noch vorbeischauen, liebe Ulrike, aber ich danke dir schon jetzt für das Ausgraben dieses Buches … ich habe schon lange nicht mehr so spontan „Muss ich haben“ gedacht – auch der Bilder wegen. Ich weiß gar nicht, in welchem ich am liebsten wäre …
    Liebe Grüße
    Christiane, sehr begeistert

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  9. Endlich einmal ein Kinderbuch mit anspruchsvollen Illustrationen zum Träumen… dazu Märchen, für mich die perfekte Kombination… ich entschuldige mich schon einmal vorsorglich, falls es davon schon jede Menge Bücher gibt… an mir gingen sie vorbei. LG Ann

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    • Liebe Belana,
      ICH habe zu danken für Deinen interessiert-einfühlsamen Lese- und Betrachtungsbesuch.
      Und ich finde ebenfalls, daß die vielschichtigen Illustrationen auch ohne Textbegleitung „sprechen“ – wenn man/frau über Phantasie verfügt. 🙂

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  10. Hat dies auf Schreiben beflügelt ! rebloggt und kommentierte:
    Mit Märchen sind wir in der Schreibtherapie Archetypen und Stellvertretern auf der Spur. Welche Märchen haben mich als Kind besonders beschäftigt? Was sind die wichtigsten Situationen in diesen Märchen? Welches Symbol schwingt nach dem Lesen in mir?

    Für diese Art Prozesse gefallen mir die Bilder von Friedrich Hechelmann, die Ulrike Sokul in ihrem lesenswerten Blog ‚Leselebenszeichen‘ vorstellt, extrem gut. Sie eröffnen Seelenräume der Protagonisten – und eigene. Anschauen und inspriieren lassen!

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    • Es will mir scheinen, werte Susanne,
      Du habest großes Wohlgefallen an meinen sekundärliterarischen Tugenden und der Bildersprache meiner Websaite.
      Märchenverliebte Grüße von Ulrike 🙂

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