Eine Muschel für Romy

  • von Tanya Stewner
  • Bilder von Martina Hoffmann
  • durchgehend farbig illustriert
  • Fischer KJB, Februar 2014   http://www.fischerverlage.de
  • gebunden, Fadenheftung
  • 68 Seiten
  • 12,99 € (D), 13,40 € (A)
  • ISBN 978-3-596-85626-8
  • ab 8 Jahren
    Eine Muschel für Romy

H E R Z E N S B I L D U N G

Buchbesprechung von Ulrike Sokul ©

Eine kleine Geschichte mit großer Lebensweisheit – kindgemäß und unaufdringlich erzählt und möglicherweise sogar selbst erlebt.

Romy und Nika, die seit drei Tagen beste Freundinnen sind, lassen auf den Schafswiesen hinter dem Deich Romys roten Drachen fliegen. Doch Romy hält den Drachen an solch kurzer Leine, daß er gar nicht richtig hochsteigen kann. Nika möchte dem Drachen mehr Leine lassen, doch Romy befürchtet, daß sie dann die Kontrolle über ihn verliert und er sich vielleicht sogar losreißt und wegfliegt. Darüber geraten die beiden Freundinnen in Streit, und schließlich empört sich Romy darüber, daß Nika wütend wird, obwohl sie doch beste Freundinnen sind. Daraufhin kündigt ihr Nika die Freundschaft und wendet sich ab.

Am nächsten Tag sitzt Romy alleine und traurig am Strand und fragt sich verzweifelt, ob sie überhaupt jemand mag. Sie beobachtet eine Frau, die singend Muschelschalen sammelt und diese wieder ins Meer zurückwirft. Freundlich geht die Frau auf Romy zu, stellt sich als Mara vor, und als sie empathisch bemerkt, daß Romy traurig ausschaue, erzählt Romy davon, wie enttäuscht sie von Nika sei, die doch versprochen habe, für immer ihre beste Freundin zu sein.

Mara zeigt Romy eine schöne Muschelschale, die sie vorhin am Strand gefunden hat, und Romy fragt, ob sie die Muschel haben dürfe. Sie bekommt die Muschel unter der Bedingung, daß sie die Muschel später wieder ins Meer zurückwirft. Romy findet das zwar seltsam, stimmt jedoch zu, da sie unbedingt die Muschel haben möchte, und Mara verabschiedet sich mit einem Augenzwinkern.

Romy beschließt, sich nie mehr von dieser schillernden Muschel zu trennen, sie will sie an einem Band um den Hals tragen, damit sie sie nicht verliert. Doch bei dem Versuch, mit der Schere ein Loch in die Schale zu bohren, um sie auf ein Band aufzufädeln, zerbricht die Muschel in viele kleine Scherben.

In der Schule verteilt Romy Einladungskarten zu ihrem baldigen Geburtstag, und Nika sagt ihr genervt vor allen anderen Kindern, daß sie nicht zu ihrer Feier komme. Romy ist ganz niedergeschlagen.

Zufällig trifft sie Mara wieder und gesteht ihr, was sie mit der Muschel gemacht hat. Mara schenkt ihr wieder eine Muschel, die noch viel schöner ist als die erste, und wieder knüpft sie die Bedingung daran, daß Romy sie insMeer zurückwerfen solle. Als Romy fragt, warum sie die Muschel denn nicht behalten solle, bekommt sie folgende Erklärung von Mara: „Die Dinge, die man besonders liebhat, darf man nicht festhalten. Man muss sie loslassen, damit sie frei sein können.“ Das ist eine harte Nuß für Romy, aber sie denkt ernsthaft darüber nach und wirft die Muschel später ins Meer.

Einen Tag nach der Loslaßübung spricht Romy Nika an und sagt, daß es ihr leid täte, sie immer so bedrängt zu haben, und ob sie nicht einfach mal wieder den Drachen fliegen lassen sollten, und zwar ganz hoch. Erleichtert stimmt Nika zu, sie laufen zum Deich und lassen den Drachen steigen. Romy läßt die Leine so locker wie noch nie, und der Drache steigt höher als je zuvor, er reißt sich los und fliegt davon.

Romy bleibt locker und bewundert lächelnd die einmalige Augenblicksschönheit des freifliegenden Drachen und Nika schließt sich Romys Sichtweise an. Beiläufig sagt Nika anschließend: „Ich komme übrigens zu deinem Geburtstag.“ Und Romy fühlt sich plötzlich, als könne sie fliegen …

Tanya Stewner beschreibt sehr einfühlsam, verständnisvoll und punktgenau die kindliche Unsicherheit und Zuneigungsbedürftigkeit sowie die keimende und wachsende Selbsterkenntnis der kleinen Romy. Romys Verhalten ist zunächst von ihren Verlustängsten bestimmt. Sie fordert Garantien und Versprechen ein, die den freien Fluß zwischenmenschlichen Miteinanders beschweren und blockieren und exakt das Gegenteil des Ersehnten bewirken. Die freundlich-geheimnisvolle Mara schenkt ihr liebevolle Aufmerksamkeit, heilsame Anregungen, eine reifere Perspektive und fördert so achtsam ihre Herzensbildung.

Die farbigen, ganz- und doppelseitigen Illustrationen von Martina Hoffmann begleiten den Text harmonisch und stimmungsvoll.

 

PS:
Ich würde der kleinen Romy folgenden Spruch ins Poesiealbum schreiben:

»Wer eine Freude an sich fesseln möchte,
stutzt dem Leben die Flügel;
aber wer die Freude küßt,
wie sie ihm zufliegt,
lebt wie im Sonnenaufgang der Unendlichkeit.«

– William Blake-

 

Die Autorin:

»Tanya Stewner wurde 1974 im Bergischen Land geboren. Sie begann bereits mit zehn Jahren, Geschichten zu schreiben, und widmet sich inzwischen ganz der Schriftstellerei. Sie lebt mit ihrem Mann und ihrer Tochter Mailena in Wuppertal. Bei FISCHER sind von ihr bereits die Kinderbuchreihe über die Tier-Dolmetscherin Liliane Susewind und die Trilogie über die Elfe Hummelbi erschienen.«
Weitere Informationen auf der Webseite der Autorin: http://tanyastewner.de/

Die Illustratorin:

»Martina Hoffmann, geboren 1979, ist freischaffende Illustratorin. Ihre Bilderwelten zieren Magazine, Plakate, Plattenhüllen und Kinderbücher. Seit 2005 erscheinen alljährlich ihre beliebten Kalender für Mädchen und Jungen im Eigenverlag. Martina Hoffmann lebt und arbeitet in Berlin.«
Weitere Informationen auf ihrer Webseite: http://www.stiftundpapier.de/

 

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30 Kommentare zu “Eine Muschel für Romy

  1. Welch eine schöne Erzählung! Es ist so schwierig, das Loslassen, für Große und Kleine. Jeden Tag will es geübt sein. So manchem wird schmerzhaft entrissen, was er lieb hatte und nie nie nie loslassen wollte. Und dann geschieht es und er fällt ins schwarze Loch.

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  2. Das klingt wie ein schönes, zauberhaftes Buch für das Kind in mir, das nur zu gerne Muscheln am Meer gesammelt hätte, aber die Eltern leider niemals dorthin führten…

    Ich sammel nicht vieles, aber als Erwachsener immer schon sehr gerne und immer noch diese schillernden Muscheln wie im Buch so fein beschrieben…

    Und als kleine Übung im Loslassen profitieren immer einige Leute anschließend von meiner Sammellust 🙂

    Herzlichen Dank, liebe Ulrike, für diese erneut traumschöne Buchbesprechung,
    liebe Grüße zur Nacht vom Lu

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    • Lieber Lu,
      eine Muschelsammlerin bin ich durchaus auch und einige besonders schöne Exemplare schmücken mein Badezimmer.
      Gleichwohl bin ich großzügig im Weitergeben …
      Danke für Dein muschelschillerndes Lob!
      Herzlich grüßt Ulrike 🙂

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  3. Weiter gefasst geht es für mich auch darum Veränderungen anzunehmen, die zunächst Angst machen, weil wir so sehr am Gewohnten hängen. Loslassen können bedeutet auch Vertrautes, Liebgewonnenes aufs Spiel zu setzen. Veränderung gehört zum Leben und bringt Entwicklung, eröffnet neue Spielräume. Mutig ja sagen, ohne zu hadern, sich einlassen, Chancen sehen und ergreifen,…so wünsche ich es mir. In der Realität fällt das oft schwer, seufz!

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  4. Wieder mal ein tolles Kinderbuch, das man sofort lesen möchte, liebe Ulrike

    Diese Lebensweisheit hat es in sich. Nein, kein Buch nur für Kinder, oh nein, sondern auch eines für Menschen, die gerne die Kontrolle über andere haben und beleidigt sind, wenn sie merken, wie diese Kontrolle unterlaufen wird.
    Sie werden im Laufe der Zeit zu Außenseitern und vergessen, was echte Lebensfreude ist.

    Das, was man liebt loslassen, damit es zurückkommen kann – freiwillig und freudig

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  5. Liebe Ulrike, wieder hast Du ein besonderes Buch gefunden.
    Irgendwie ist es eine Lebensberatung fuer Kinder. Es ist auch ein Buch, ueber das man sich genial mit dem Kind unterhalten kann. Diese mag ich persoenlich am liebsten.
    Liebe loslassende freiheitsliebende Gruesse, Ann

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