- von Lena Avanzini
- Titelbild und Illustrationen
- von Joëlle Tourlonias
- Obelisk Verlag 2013 http://www.obelisk-verlag.at
- 144 Seiten, gebunden
- 11,95 €
- ISBN 978-3-85197-705-9
- ab 10 Jahren
SEI FREUNDLICH ZU ALLEN LEBEWESEN
Buchbesprechung von Ulrike Sokul ©
Wir Menschen leben in Wohngemeinschaft mit allerlei Krabbeltierchen, die sich zwar meist bemühen, für uns möglichst unsichtbar zu bleiben, z.B. indem sie sehr winzig oder nachtaktiv sind oder sich ausgezeichnet verstecken, aber gänzlich entgehen sie unserer Aufmerksamkeit nicht. Die menschliche Toleranzschwelle gegenüber diesen Mitessern und Untermietern reicht von freundlich-entspannt bis hygiene-hysterisch-feindlich.
Ich begegne den ein, zwei Silberfischchen, denen ich manchmal des Nachts auf meinen Badezimmerfliesen über den Weg laufe, mit respektvoller Gelassenheit; weiß ich doch, daß diese Winzlinge unseren Planeten schon ein paar Milliönchen Jahre länger bewohnen als die Menschheit.
Hugo, der kleine, tapfere Held in Lena Avanzinis „schabenteuerlicher“ Geschichte, ist ein belesener Silberfischjüngling mit ausgesucht höflichen Umgangsformen, der wegen zu großer Luftrockenheit aus der Städtischen Bibliothek ausziehen muß. Nach einem gefährlichen Weg durch diverse Abflußrohre kommt er in einer Badewanne an, die praktischerweise einen feinen Riß im Porzellan hat, so daß er herauskrabbeln kann.
Erschöpft landet er auf dem gefliesten Fußboden und stürzt sich hungrig auf das dortige Büfett: Hautschuppen und Haare. Dort findet ihn Bianca, ein Silberfischmädchen, und nach anfänglich futterneidischem Geplänkel lädt sie ihn zu sich nach Hause ein. In dieser Silberfisch-Kleinfamilienwohnung, die sich hinter einem Bodenriß befindet, lernt Hugo Biancas Vater, ihre heilkundige große Schwester und ihren kleinen Bruder Paulchen kennen. Sie wollen gerade Paulchens erste Häutung feiern und bereiten ein Würfelzucker-Fondue zu. Hugo wird herzlich aufgenommen und umfühlert.
Seine Gastfamilie klärt ihn über die günstigen Lebensbedingungen im Haushalt dieser Menschen auf, die sich nicht feindlich gegenüber ihren mehrbeinigen Untermietern verhalten. Die kleine Tochter des Hauses streut sogar manchmal extra Zuckerkrümel auf den Boden und empfindet keinen Abscheu, wenn sie gelegentlich ein Silberfischchen zu sehen bekommt.
Hugo, der in Menschenkunde immer nur von der tödlichen Gefahr dieser zweibeinigen Riesenspezies gehört hat, ist überrascht und erfreut. Nicht alle Menschen sind böse und insektentödlich, da kann man sich doch endlich mal entspannen.
In der Küche gibt es eine Schule für die Insektenkinder mit einer ganz außerge- wöhnlichen Lehrerin, einer vegetarischen Spinne, die Frau Merian heißt. In dieser Menschenwohnung leben u.a. noch zwei Grillen, einige Asseln, eine Motte, diverse Eintagsfliegen, Blattläuse und Staubläuse in friedlicher Koexistenz miteinander.
Neugierig und wagemutig beobachten Hugo und Bianca das Menschenmädchen im Schlaf, und da Hugo lesen kann, liest er Bianca vor, was das Menschenmädchen in ihr Tagebuch geschrieben hat. So erfahren sie, daß das Mädchen ihre verstorbene Mutter vermißt und sich wegen der neuen Frau, die ihr Vater kennengelernt hat, Sorgen macht.
Die Sorgen sind nicht nur aus menschlicher, sondern auch aus insektischer Sicht berechtigt. Diese Frau zieht schließlich ein und putzfimmelt durchs Haus, so daß kaum ein Hautschüppchen mehr übrig bleibt, sie tritt und schlägt nach jedem Mehrbeiner, der ihr über den Weg läuft, und das Schlimmste ist: Sie hat einen Termin mit einem Kammerjäger vereinbart.
Weiterhin erfahren die Silberfischchen aus dem Tagebuch, daß die neue Menschenfrau sich auch als Stiefmutter ziemlich giftig verhält und die Stieftochter in ein Internat abschieben will.
Doch man soll kleine Menschen und winzige Insekten niemals unterschätzen. Wenn alle zusammenhalten, kann man sich erfolgreich wehren und Wahrheiten ans Licht bringen, die eine befreiende Wirkung für alle Beteiligten ermöglichen.
Mir gefällt es sehr, daß in dieser Geschichte nicht die typischen tierischen Niedlichkeitskandidaten auftreten, sondern Insekten. Die Autorin schildert die vielbeinigen Gestalten, ihre individuellen Charakterzüge, ihr soziales Miteinander und ihre natürlichen Lebensbedürfnisse und Überlebenssorgen sehr sympathisch und empathieweckend. Die Handlung ist abwechslungsreich, flott und spannend und wird in einem humorvollen, zartironischen Tonfall mit viel kreativem Wortwitz erzählt.
Die Illustrationen und warmherzig-lustigen Insektenportraits von Joelle Tourlonias sind eine gelungene und harmonische Zugabe zum Text.
Den Rat, den Hugo von seiner Mutter mit auf den Lebensweg bekommen hat: „Sei freundlich zu allen Lebewesen!“, können sich große und kleine Menschen ruhig hinter die Ohren schreiben. Doch das tun sie gewiß alle gerne, nachdem sie Hugo und seine Mitsilberfische durch all die Freuden, Schrecken und Abenteuer des Haushaltsinsektenlebens begleitet haben.
Die Autorin:
»Lena Avanzini lebt als Musikpädagogin und Autorin in Innsbruck. Im Jahr 2012 veröffentlichte sie „Tod in Innsbruck“, für den sie 2012 mit dem Glauserpreis für das beste Krimidebüt ausgezeichnet wurde. Wenn sie nicht an neuen Romanen schreibt oder mit Schülern ein Hühnchen rupft, bewundert sie die Berge. Meistens jedoch von unten.« http://www.lena-avanzini.at
Die Illustratorin:
»Joëlle Tourlonias, geboren 1985 in Hanau, hat Visuelle Kommunikation mit Schwerpunkt Illustration und Malerei an der Bauhaus Universität Weimar studiert. 2009 machte sie sich selbständig und zeichnet, malt, lebt und liebt seitdem in Düsseldorf.«
http://joelletourlonias.blogspot.co.at/
Das klingt so schön, dass ich das Buch gerade für einen zehnjährigen Jungen bestellt habe. Danke für den Tipp und die schöne Rezension.
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Es freut mich, lieber Stefan, daß Dir dieses feine Kinderbuch gerade in Deine Schenkabsicht paßte.
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Diese kleinen Bewohner kommen mir auch sehr bekannt vor 😀 Schön, dass es dieses Buch gibt, das regt die Phantasie an und ist für Kinder bestimmt auch sehr schön!
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Was für eine Völkerverständigung! Köstlich!
Achtsamkeit weckend, nachdenklich und nachsichtig machend… obwohl ich gerade viele Stiche/Bisse? von meinem naturnahen Urlaub mitgebracht habe. Tja, so ist das nun einmal, wenn man sich in ihrem Reich aufhält… Ich mag sie trotzdem. Immerhin essen wir ja auch an toten Tieren herum. Die Kleinstwesen landen tröstlicherweise nicht auf dem Speiseteller. Aus der Wohnung trage ich sie freundlich hinaus und mit manchen gibt es friedliche Coexistenz… alle Spinnen heißen bei mir Esmeralda, da tut sich mein Gehirn leichter…
Danke für die vergnügliche Vorverkostung der Lektüre!
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Wie nett von Dir, mit diplomatischem Vokabular zu kommentieren: „VÖLKERVERSTÄNDIGUNG“ gefällt mir sehr gut.
Ich esse übrigens schon lange keine Tiere mehr, außer vielleicht absichtlos eine gelegentlich in meinem Salat verirrte Blattlaus 😉
Die achtbeinigen Krabbler wohnen bei mir auch zur Untermiete, nur ab einer gewißen Übergröße heißt es: „Ab in den Garten!“
Esmeralda finde ich einen sehr trefflichen Spinnennamen 😉
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Sehr schön!
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Mein Verständnis für all die verschiedenen Tierchen im Haus ist nach dieser wunderbaren Vorstellung eindeutig gestiegen! Danke
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Z I R P ❤
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Was für eine liebevolle Buchbesprechung für ein träumerisch- erzieherisches Buch… verzeih, ich kann nicht allen Flöhen Namen geben, die die Tiere im Moment anschleppen, dafür ist mein Gedächtnis zu schlecht 😉
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Du könntest sie nummerieren 😉
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In der Tat… Zahlen entsprechen mehr meinem Ordnungssystem ;-D
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„Seid umfühlert, Millionen!“, möchte man ausrufen nach der Lektüre dieses Plädoyers für die kleinen Bies … äh, also all die netten Vielbeiner und – flügler, die unseren Haushalt durch ihre Anwesenheit bereichern. Ich geh‘ gleich mal Zucker ausstreuen! Echt jetzt!
🙂
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Nun, dies wird sich wohl versüßend auf Dein Insektenkarma auswirken.
Vielleicht verschonen Dich dann sogar die Mückinnen. 😉
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Eine schöne Idee für eine Geschichte mit sehr sympathischen Zeichnungen. Da bekommt man auch Silberfischchen gern! Liebe Grüße Erika
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Stimmt, liebe Erika, ich spreche meine Silberfischchen inzwischen auch schon mit Namen an 😉
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