M E I N L I E B E R S C H W A N
von Ulrike Sokul ©
Viele Jahre bevor der Titel „Darm mit Charme“ die Bestsellerbühne betrat, verlangte eine meiner Kundinnen nach den Titel „Liebe Lunge“. Ich tat alles, was in meiner bibliographischen Macht stand, aber die Datenbank rückte nur die lakonische Rechner-Bemerkung „Kein Suchergebnis“ heraus. Mein Nachhaken, ob es sich um ein schul- medizinisches oder alternativmedizinisches Buch handele oder gar um einen Ratgeber in Heilrichtung „Liebe Deinen Körper, Deine Organe etc…“ wurde verneint.
Die Kundin informierte mich indes darüber, daß „Liebe Lunge“ ein ganz, ganz alter Klassiker sei, sie habe sich aber leider den Verfasser nicht gemerkt. Ich wechselte einen konspirativen Fragezeichenblick mit meiner Auszubildenden, in der vagen Hoffnung, ein jugendlicherer Fingerabdruck könne den Rechner zu präziseren digitalen Geständnissen veranlassen.
Eifrig haute meine Auszubildende in die Tasten, und nun standen wir zu dritt stirnrunzlig-sinnend vor einem Computerbildschirm, dessen Informationsvolumen offenbar kein passendes Buch enthielt.
„Es ist ein Buch zum Film!“ rief die Kundin dann noch hoffnungsvoll aus. Da hatte meine Auszubildende klugen Köpfchens eine Erleuchtung und fragte, ob sie vielleicht diese Nibelungen-Serie meine, die kürzlich über die seichten Untiefen des Privat-TVs geflackert war.
Das war ein sagenhafter Treffer, und mit verhaltenem Schmunzeln konnte ich der Kundin diverse Ausgaben der Nibelungen-Sage sowie des Nibelungen-Liedes anbieten, die sie jedoch alle verschmähte, da sie in Mittelhochdeutsch und/oder mit Übertragung ins heutige Deutsch verfaßt waren und nicht in der Drehbuch-Sprache der Verfilmung.
Doch Umsatz her, Umsatz hin: Meine Auszubildende bekam trotzdem feierlich den Orden „Heldin des Gedankenlesens“ von mir verliehen.
Mein lieber Schwan – jetzt warte ich nonchalant auf die Kundenfrage nach dem Libretto von „Schwanensee“ … Vorbereitung ist alles!
Querverweis:
Und hier folgt der Wegweiser zu meiner ersten Stilblüten-Abschweifung, die Sie sich nicht entgehen lassen sollten: BUCHSTABENSUPPE https://leselebenszeichen.wordpress.com/2014/11/05/abschweifung-nr-1/
Und eine dritte Abschweifung gibt es inzwischen noch dazu: BUCHGESICHTER
https://leselebenszeichen.wordpress.com/2017/04/13/abschweifung-nr-3/
Das ist großartig und verlangt nach mehr. Gewiß hat der eine oder andere Buchhändler hier zusätzlichen Input zu bieten…
Es erinnert auch ein wenig an den geistreich gemeisterten Unfall des Lohengrin – Sängers, der sich nach voreiligem Entzug seines Fahrzeugs zum Publikum wandte und fragte: „Wann geht der nächste Schwan?“
Und gelernt habe ich auch etwas. Das Nibelungenlied ist, gedruckt, ein Buch zum Film! „Will ich euch künden von großer Regisseurs- und Schnittarebeit!“ Wer hätte das gedacht. Oder vielmehr: wahrscheinlich geht es Hektor und Achill nicht anders, ja, es wird noch heißen, Fahrer, kommst du nach Sparta, so künde dorten, du habest uns im Kino gesehn!
Mit allen nur denkbaren Verfälschungen. Die die Weisheit der Alten bis zur Unkenntlichkeit verdrehen.
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…ich habe so gelacht…:-) Wäre aber selbst nie darauf gekommen. Hut ab vor der jungen Dame mit so viel Vorstellungsvermögen.
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Herzlichen Dank für Deine erfreute Resonanz, liebe Tanja.
Ja, die Lösung solcher Kundenwunschrätsel erfordert ein hohes Maß an Quer-und-um- die-Ecke-Denken und Sprachgefühl. Das wächst mit der Berufserfahrung, doch es gelingt auch schon in der Ausbildungszeit.
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Du könntest wahrscheinlich ganze Bücher mit solchen Anekdoten füllen. Oder Blogposts! 🙂
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Hahaha! Auf so einen bizarren Einfall muss jemand erst kommen. Und ich hätte, offen gesagt, nie im Leben erraten, dass die Nibelungen gemeint sein könnten. 😀
Da hat die Dame wirklich den Vogel abgeschossen. Vielleicht gar einen Schwan, wie bei Parsifal? 😉
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Tja, wer mit Kunden kommuniziert, braucht kaum noch Kabarett.
Und finde mal einen schönen Bildband vom berühmten Maler Tausendsassa – da kommt Freude auf! 🙂
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Da gehört aber bestimmt oft auch einiges an Selbstbeherrschung dazu, um nicht einfach hemmungslos zu lachen?
Hm. Mein Vorschlag wäre: Zehn Bildbände von Hundertwasser (damit die Rechnung irgendwie aufgeht) – und als kundenfreundliche Zugabe eine CD mit der 8. Symphonie (Symphonie der Tausend) von Mahler… 😉
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Solange man den Kunden nicht aus, sondern anlacht und möglichst charmant auf die Wortverirrungen hinweist, findet man meist zu einvernehmlichem Miteinander.
Dein Buchverkaufsvorschlag ist ganz schön geschäftstüchtig, aber wenn es eine kostenlose ZUGABE gibt, können viele Kunden nicht mehr widerstehen. So gehen ja auch Handyverträge und Abonnements wie warme Semmeln weg. 😉
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Und es kommt bestimmt auch auf die Kunden an. Ist jemand in Sauertopfhausen beheimatet, ist oft auch mit Charme kein Blumentopf zu gewinnen. Aber oft kann der Aha!-Moment für alle Beteiligten eine Humor-Sternstunde sein. 🙂
Stimmt. Gratis zieht oft – obwohl es im Endeffekt ganz schön teuer werden kann…
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Hehehe, sehr unterhaltsam. Ich wäre nicht draufgekommen.
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Freut mich, lieber Holger, daß ich Dich unterhalten konnte.
Ja, die teleempathischen Herausforderungen des buchhändlerischen Alltags sind nicht zu unterschätzen. 🙂
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Nach solch einer Anekdote glaube ich das sofort, liebe Ulrike.
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„Mein lieber Schwan“ – köstlich! Ich las den Beitrag allerdings aus Eigeninteresse, wegen des Titels. Hab einen Roman (bzw „Mythistorima – also „Mythenerzählung“, das griechische Wort für Roman) übern Schwan verfasst, 700 Seiten (!) bisher, brauchst aber nicht nachzuforschen, er ist unveröffentlicht. Vielleicht stelle ich Teile davon mal ins Netz, dann sag ich dir Bescheid. Beste Grüße aus Griechenland!
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Wenn Du eine mythologische Besprechung von mir lesen magst, kannst hier hereinblättern: https://leselebenszeichen.wordpress.com/2015/03/18/die-alte-gottin-und-ihre-pflanzen/
Hab‘ DANK für Deinen Lesebesuch.
Gutenachtgruß 🙂
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Herrjeee … jetzt habe ich das halbe Dorf wachgemacht mit meinem lauten Lacher. Seitdem bin ich still und rätsle über eine hübsche Anfrage zu Schwanensee….
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Danke für die amüsante Anekdote! Ich finde es immer wieder erstaunlich, mit welch absurden Fragen Buchhändler ständig konfrontiert werden. Da muss man manchmal wirklich extrem um die Ecke denken, um auf den Wunschtitel des Kunden zu kommen.
Wie man aus „Nibelungen“ „Liebe Lunge“ machen kann (va.da die Serie gesehen wurde und die Kundin 1) wusste, dass es nicht um die Lunge geht und 2) im Vorspann ja den Titel lesen konnte), ist mir aber wirklich ein Rätsel.
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Liebe Kathrin,
schön, mal wieder von Dir zu lesehören!
Mir macht dieses Rätsellösen Spaß, und ich lasse mich auf die sprachlichen Besonderheiten der Kundschaft möglichst einfühlsam ein.
Doch finde mal eine diplomatische Antwort auf die Frage nach einem „STADTPLAN von der Sahara“ – da ist dann echt Feierabend, und ich verkniff mir mühsam die Frage nach der Höhe des Lichtschutzfaktors.
Sonnige Grüße
Ulrike
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Herrlich! Wunderbar, solche amüsanten Geschichten zum Start in den Tag zu lesen. Doch es ist kaum zu glauben, dass solche Fragen tatsächlich gestellt werden. Ich wüsste ehrlich gesagt nicht, wie ich darauf reagieren sollte. Ich müsste mir vermutlich ein Lachen verkneifen. Aber wie reagiert man, ohne den Kunden zu beleidigen oder ihm das Gefühl zu geben, als sei man inkompetent (ich kann mir vorstellen, dass der ein oder andere Kunde dann eher an den Buchhändlern als an sich selbst zweifelt)?
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Bei Kunden mit der Fähigkeit zur Selbstironie entspinnt sich oft ein amüsanter Fortsetzungsdialog. Für die Humorkompatibilität der Kunden entwickelt frau im Laufe der Berufserfahrung entsprechendes Fingerspitzengefühl.
Bei weniger humorbegabten Kunden hilft einfach entgegenkommendes Umfragen und Zugewandtheit. Arroganz auf Seiten des Buchhändlers ist kontraproduktiv, und Überheblichkeit von Kundenseite lassen wir gelassen abperlen. Klar kommt es vor, daß sich Kunden als die besseren Buchhändler aufspielen, aber darauf ist Lächeln die beste Antwort.
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Feiner Dyalog von euch beiden! 🙂
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liebe Ulrike, das ist ja ein allerfeinster Kracher! köstlich, und immer sehr gerne mehr davon, ich sammel übrigens grad nette literaturbloggerinnenblogs…liebe grüsse sabine
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Liebe Sabine,
herzlichen DANK für Deinen Applaus!
Und was machst Du dann mit Deiner Literaturbloggerinnen-Sammlung, empfiehst Du sie „höheren Orts“ weiter oder kommen sie in Deine Blog-Vitrine?
Neugierige Grüße
Ulrike
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ich denk sie kommen mal in einen ollen printtext, ganz altmodisch, damit die schrumpfende zeitungslesende menschheit erfährt, wo man heutzutage noch gute literaturbesprechungen und tipps herkriegt, oder?
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Für mich sind das erfreuliche AUSSICHTEN, denn erstens bin ich hoffnungsvoll altmodisch bzw. modeunabhängig und zweitens erhöhen solche multiplikatorischen Hinweise den Leserradius und führen zu weiteren Blogabonnenten. Und das wollen wir doch alle: LESEN UND GELESEN WERDEN!
Mit verbindlicher Empfehlung und sonnigen Grüßen 🙂
Ulrike
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yep!
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Liebe Ulrike,
Liebe Lunge ist klasse. Ich bin Bibliothekar, da ist man sowas ja auch gewohnt (ich hatte da mal dieses gelben Buch mit den grünen Streifen), aber Liebe Lunge für Nibelungen ist einfach grosses Kino, wie man heute so hübsch hässlich sagt. Und Deine Azubine hat absolut Perspektive in dem Job.
Liebe Grüsse und Danke für die amüsante Geschichte.
Kai
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Lieber Kai,
es freut mich, daß ich Dir ein Lesevergnügen bereiten konnte.
Nachtaktive Grüße
Ulrike
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