- Illustriert von Käthi Bhend
- Nord Süd Verlag, September 2014 www.nord-sued.com
- gebunden, Fadenheftung
- 32 Seiten
- Format: 27 x 18,60 cm
- 15,99 € (D), 16,50 € (A), 22,90 sFr.
- ISBN 973-3-314-10252-3
- Bilderbuch ab 5 Jahren aufwärts
V E R S T E C K S P I E L E R I S C H
Bilderbuchbesprechung von Ulrike Sokul ©
„Der goldene Schlüssel Nr. 2“ ist ein rätselhaftes Bilderbuch, das sich nur dem geduldigen und verweilenden Betrachter erschließt. Dann jedoch entfaltet es seinen eigenwilligen, wildromantischen Reiz und versteckspielerischen Tiefsinn.
Das letzte Märchen in der Sammlung der Gebrüder Grimm hat ein offenes Ende. Dieses Märchen heißt „Der goldene Schlüssel“, und es handelt von einem armen Jungen, der einen goldenen Schlüssel findet und dazu auch ein eisernes Kästchen, in das der Schlüssel paßt. Das Märchen endet damit, daß der Junge den Schlüssel einmal herum- dreht und wir mit der Bemerkung zurückgelassen werden, daß wir warten müßten, bis er den Deckel geöffnet habe, um zu erfahren, „was für wunderbare Sachen in dem Kästchen lagen“.
Nun bleibt es der eigenen Imagination überlassen, was sich in solch einem Zauberkäst- chen wohl oder übel befinden mag. Die Illustratorin Käthi Bhend zeigt uns in ihrem Bilderbuch, was sie darin gefunden hat. Öffnen wir also – anstelle des Kästchens – das Buch:
Auf den ersten Seiten betreten wir eine herbstblättrige, neblige Landschaft.
„Zur Herbstzeit, als alles im Nebel versunken lag, wollte die kleine alte Frau mit ihrer großen grauen Katze die Sonne suchen. Sie schloss das Haus ab und versteckte den Schlüssel unter dem Blumentopf. Auf dem Weg wollte sie Frau Flora besuchen im Schloss.“
Diesen drei einleitenden Sätzen folgen doppelseitige Panoramabilder, die ganz ohne Worte auskommen und vielschichtige Deutungsspielräume eröffnen.
Wir sehen, wie die alte Frau im Schloß freundlich von Frau Flora empfangen wird und einen goldenen Schlüssel überreicht bekommt. Ein Tor öffnet sich, und die alte Frau tritt hinaus. Frau Flora, die eine Fee zu sein scheint, schwingt lächelnd ihren Zauberstab, und die alte Frau verwandelt sich in ein junges Mädchen.
Auf den folgenden Seiten durchschreitet sie, begleitet von ihrer großen grauen Katze, eine geheimnisvolle Landschaft, trifft auf einige wegweisende Tiere und findet in einer stürmischen Nacht ein leuchtend buntes, zeltförmiges Kästchen. Sie schließt das Kästchen mit dem goldenen Schlüssel auf, und zauberhaft erweitert es sich zu einem großen, hellerleuchtete Zelt, in dem sie und ihre Weggefährten festlich miteinander speisen. Frau Flora ist auch dabei und schwingt diesmal einen Kochlöffel.
Das Mädchen tritt aus dem gastlichen Zelt hinaus in eine verschneite Landschaft, sie trägt ein Kästchen mit sich, das wie ein Globus auf drei Sputnikbeinchen aussieht. Zum Abschied dreht sie sich winkend nach Frau Flora um, und diese schwingt wieder ihren Zauberstab. So wird das Mädchen wieder zur kleinen alten Frau, die schließlich wieder im Schloß bei Frau Flora ankommt, den goldenen Schlüssel zurückgibt und gemütlich bei Kaffee (oder Tee?) und Kuchen von ihrer Reise erzählt.
Anschließend macht sich die kleine alte Frau mit Katze und Kästchen wieder auf den Weg durch den Schnee nach Hause. Vielleicht geht sie aber auch in den Himmel, und läßt das Kästchen im Schnee liegen, damit es von dem Jungen aus dem Märchen der Gebrüder Grimm wiedergefunden werde – das bleibt ein offenes Geheimnis.
Die Illustrationen von Käthi Bhend sind von großer naturmagischer Anziehungskraft. Ich bin vollkommen hingerissen von den geheimnisvollen Pflanzendickichten, verborgenen Gesichtern, durchscheinenden, ineinander verwobenen imaginativen Bildern und winzigen Details, die erst beim wiederholten Betrachten in Erscheinung treten.
Zu diesem sichtbar-unsichtbaren zeichnerischen Versteckspiel paßt gut, daß über die Buchseiten, die Buchstaben eines von Dorothea Viehmann* überlieferten Liedanfangs verstreut sind, die, wenn man sie gefunden und eingesammelt hat, das Märchen um einen stimmigen Ausklangsvers ergänzen.
Nein – ich nehme Ihnen die Sucharbeit und die Findefreude jetzt nicht ab: Wer es wissen will, darf mit eigenen Augen schauen und lesen sowie offenen Herzens eigenen Deutungsregungen nachspüren.
(Anklicken vergrößert die Bilderansicht)
Hier entlang zum Buch auf der Verlagswebseite:
Die Illustratorin:
»Käthi Bhend, geboren 1942 in Olten. Sie wurde u.a. mit dem Premio Grafico der Internationalen Kinderbuchmesse Bologna ausgezeichnet und erhielt im selben Jahr den Schweizer Jugendbuchpreis. Mit »Einer, der nichts merkte« ist der Künstlerin eine hochgelobte Walser-Interpretation gelungen.
Käthi Bhends Leidenschaft gilt der Literatur, Kunst und Musik und nicht zuletzt der Gartenarbeit. Heute lebt sie in Heiden.«
PS:
* »Dorothea Viehmann (geborene Katharina Dorothea Pierson, * 8. November 1755 in Rengershausen, heute ein Stadtteil von Baunatal; † 17. November 1815) war eine der wichtigsten Quellen für die Märchensammlungen der Brüder Grimm. Dorothea Viehmanns Erzählungen veröffentlichten die Brüder Grimm vor allem im zweiten Band ihrer Kinder- und Hausmärchen.« ( aus Wikipedia : http://de.wikipedia.org/wiki/Dorothea_Viehmann )
Liegt bei mir auf dem Nachtschrank. 😊
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Liebende Ulrike
Mir träumte oder war ich wach denn je
Das der Junge oder war ichs selbst
Ein Mädchen gar fürwahr
Das Kästchen eben hat geöffnet
Darin ein Herz von Mitgefühl gemacht
Und eine Rose duftend frei von Dornen
Wie aller Reichtum ist in uns verborgen
Seit Alters her auf Ewigkeit bedacht
danke
Dir den Segen des Schlüssels ohne Schoss
Joaquim von Schlüsselblume
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…eine feine Buchbesprechung, die mich jetzt gerade angeregt hat, doch noch ein Weihnachtsgeschenk zu kaufen…Danke!
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Ich danke herzlich für das Kompliment und wünsche Dir zauberhaften Genuß beim Betrachten der ganz besonderen Bildersprache Käthi Bhends. 🙂
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Rätselhaft, fantastisch, wunderbar – deine Buchbeschreibungen machen Lust auf mehr, danke dafür! 🙂
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Danke für Deine Begeisterung! 🙂
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Oa, total schön!
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Das klingt sehr schön
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Wundervoll sind deine Buchbesprechungen, liebe Ulrike, es kommt mir so vor, als würdest du in den Büchern leben, bevor du über sie schreibst…toll 🙂
Liebe Grüße vom Lu
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Lieber Lu,
da hast Du mich sehr gut erkannt. Ich lasse mich TIEF auf „meine“ Bücher ein und lasse meinen Eindrücken beim Lesen, Schauen und Hören (bei Hörbüchern) sowie meinen anschließenden Beschreibungen RAUM zum lebendigen WACHSEN. Oft ist es so, daß DAS SCHREIBEN SCHREIBT und weniger mein „ICH“…
Indes freue ich mich natürlich, daß meine Worte Dich so gut erreichen, und ich danke Dir von Herzen für Deine Zustimmung.
Beflügelte Grüße von Ulrike
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Ich lasse mich eigentlich auch tief auf meine Bücher ein, liebe Ulrike, vergrabe mich förmlich in ihren, doch könnte ich niemals auf eine solch großartige Weise darüber schreiben…
da hast du schon eine ganz besondere Gabe, denke ich 🙂
Liebe Morgengrüße vom Lu
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Herzlichen DANK, lieber Lu, für Deine Begeisterung für meine Buchbesprechungen. Meine „GABE“ habe ich, da ich Buchhändlerin bin, lange, lange Zeit mündlich üben und verfeinern können – der schriftliche Ausdruck ist dann sozusagen die KRÖNUNG 😉
Gutenachtgruß!
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