Ich und die Menschen, Hörbuch

  • von Matt Haig
  • Übersetzung aus dem Englischen von Sophie Zeitz
  • HÖRBUCH
  • Vollständige Lesung, ca. 8 Stunden, 29 Minuten
  • 1mp3-CD
  • 9,99 € (D),  11,20 € (A), 15,90 sFr.
  • ISBN 978-3-8445-1403-2
  • Sprecher: Christoph Maria Herbst
  • Regie: Oliver Versch
  • Produktion: Der Hörverlag 2013                                      http://www.hoerverlag.de
  • Buchvorlage: dtv premium April 2014
    Ich und die Menschen von Matt Haig

LIEBE   ODER   LOGIK,   DAS   IST   HIER   DIE   FRAGE

Hörbuchbesprechung von Ulrike Sokul ©

Aus Sicht einer außerirdischen Spezies, die als einzige Religion die Mathematik kennt, Gewalt und Gier längst hinter sich gelassen, und Dank überlegener Biotechnologie (Transzellulare Heilung) Unsterblichkeit erlangt hat, sind wir gegenwärtigen Menschen ziemlich unterentwickelt, und unsere Zivilisation erscheint vergleichsweise düster und lebensgefährlich. Das ist auch der Grund, warum der Friede im All bedroht ist, wenn die psychisch so unreife menschliche Gattung weitere mathematische Entdeckungen und in deren Folge technische Fortschritte macht.

Die universellen „Moderatoren“ des Planeten „Vonnandoria“ schicken einen „Geheimagenten“ auf die Erde, um den menschlichen Fortschritt aufzuhalten. Denn ein Mensch, ein Mathematikprofessor namens Andrew Martin, hat eines der größten mathematischen Probleme gelöst: Er hat den Beweis der „ Riemannschen Vermutung“ erbracht.

Dieser mathematische Fortschritt wäre der Schlüssel zu neuen Technologien, die der Menschheit u.a. interstellare Reisen ermöglichen könnten, und das sollte aus Sicht der außerirdischen „Moderatoren“ unbedingt verhindert werden. Die Menschen sind eine so arrogante, aggressive und gierige Spezies, das man nicht tatenlos zusehen kann, wenn sie sich zu noch weitreichenderer Lebensgefährlichkeit entwickeln.

Zunächst ist der außerirdische Besucher eine ganze Weile damit beschäftigt, sich unauffällig in der angenommenen Gestalt des „ausgeschalteten“ Professors Martins, an die für ihn sehr fremden irdischen Bedingungen anzupassen, an die Funktionen des menschlichen Körpers, den Sprachkontext, die rätselhaften Bekleidungscodes und menschlichen Verhaltensweisen anzupassen. Das vollzieht sich nicht ohne amüsante und schmerzliche Mißverständnisse und logische Fehlinterpretationen, weil Menschen selten logisch agieren.

Der Vonnadorianer hat den Auftrag, die Information spurlos zu vernichten und auch eventuelle menschliche Mitwisser unauffällig durch „natürliche“ Todesursachen zu eleminieren. Die erste Nachrichtensendung, die er sich im Fernsehen anschaut, bestätigt seine schlimmsten Vorurteile und Negativeinschätzungen bezüglich der rettungslosen Egozentrik und Geldbesessenheit der menschlichen Wesensart, und er ist vollkommen überzeugt von der Rechtmäßigkeit seiner Mission.

Doch seine Gewissheiten geraten nach und nach ins Wanken. Durch die unvermeidliche zwischenmenschliche Nähe und das Vertrautwerden mit „seiner“ Familie und seinem Hund (Hunde bezeichnet er als „behaarte Hausgötter“), erfährt er die fürsorgliche und liebevolle Seite menschlicher Beziehungen. Er findet Beispiele für Menschen, die nicht nach Geld und Ruhm gieren, er verliebt sich in die Lyrik von Emily Dickinson, er hört unerwartet schöne Musik und entdeckt genießbare Lebensmittel: Erdnußbutter und Tee.

Die Komplexität, Widersprüchlichkeit und absolute Verletzlichkeit der menschlichen Daseinsform löst unerwartet starke Empathie, Faszination und Rührung in ihm aus.

Die Moderatoren, mit denen er in techno-telepathischer Verbindung steht, drängen auf die Erfüllung der Mission und sein Vorschlag, die Menschen näher zu erforschen und mehr über ihre Spezies zu erfahren, wird von ihnen rundweg abgelehnt.

Der Außerirdische wird schließlich entgegen aller Wahrscheinlichkeit und Logik von der Liebe überwältigt und entscheidet sich für ein Leben auf der Erde, abgekoppelt vom vonnadorianischen Kollektiv. Er verzichtet auf seine Unsterblichkeit und läßt sich ganz und gar auf das Leben unter „zweibeinigen Lebensformen von mittelmäßiger Intelligenz“ ein.

Matt Haigs Roman „Ich und die Menschen“ hat Herz und Verstand, er ist anregend, klug, lebendig, mitfühlend, weise und lustig. Die Perspektive des äußerst vernunftbetonten und logisch wahrnehmenden Außerirdischen ermöglicht eine sehr pointierte und scharfsinnige Betrachtungsweise unserer gegenwärtigen Zivilisation. Seine gesell- schaftskritischen Anmerkungen und Infragestellungen sind wahrlich angemessen und witzig.

Der Schauspieler Christoph Maria Herbst spricht und spielt den Außerirdischen mit stimmlicher Vielschichtigkeit. Die Entwicklung von abwertender Überheblichkeit zu teilnahmsvoller Betroffenheit wird von ihm sehr präzise dargestellt. Am Anfang noch mit etwas tonloser, fast sprachfremdelnder Distanz und sachlich-kühlem Duktus, erwärmt sich die außerirdische Stimmlage langsam mit erwachender Emotionalität, Begeisterung und Lebhaftigkeit.

Aber auch alle anderen Rollen (sogar die weiblichen) gelingen Christoph Maria Herbst ausgesprochen gut und überzeugend.

PS:
Der Außerirdische in dieser Geschichte bemerkt bezüglich des „numerischen Begriffs- vermögens der Menschen“ charmant: „- Ihre Nerven waren der Mathematik einfach nicht gewachsen.“
Das trifft auf mich persönlich ganz gewiß zu,
trotzdem erkläre ich in groben Zügen für alle unmathematischen Leser, worum es sich bei der Riemannschen Vermutung handelt.

Es geht um die ORDNUNG der PRIMZAHLEN:
Der deutsche Mathematiker Bernhard Riemann konnte 1859 beweisen, daß es – für die ersten circa hundertausend Primzahlen – ein Muster für die scheinbar willkürliche Verteilung der Primzahlen gibt. Was der Menschheit bzw. der Mathematik nach wie vor fehlt, ist ein Beweis, der für alle Primzahlen gültig ist.

Alles klar? Ist doch gar nicht so schwer, es sei denn, Sie wissen auch nicht, was eine Primzahl ist. Aber so pessimistisch will ich jetzt nicht sein – was sollen denn die Außerirdischen von uns denken?

Im Hörbuch werden die Primzahlen und die Riemannsche Vermutung im Abschnitt Nr. 25 anschaulich erläutert.

Querverweis:

Wer eine ausführliche Inhaltsangabe und einige Zitate lesen möchte, kann ergänzend meine BUCHbesprechung zu „Ich und die Menschen“ aufrufen: https://leselebenszeichen.wordpress.com/2014/04/01/ich-und-die-menschen/

Der Sprecher:

»Christoph Maria Herbst, 1966 in Wuppertal geboren, absolvierte eine Ausbildung als Bankkaufmann, bevor er sich für die Schauspielerei entschied. Es folgten Theaterengagements und Fernsehauftritte, u.a. bei Anke Engelkes Ladykracher, wofür er seinen ersten Deutschen Comedypreis als bester Nebendarsteller erhielt. Für seine Titelrolle in Stromberg wurde er u.a. mit dem Adolf-Grimme-Preis und dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet. Christoph Maria Herbst las für den Hörverlag bereits Josh Bazells Schneller als der Tod sowie Einmal durch die Hölle und zurück

Der Autor:

»Matt Haig wurde 1975 in Sheffield geboren und lebte für einige Zeit abwechselnd in London und auf Ibiza. Er arbeitete als freier Journalist für diverse Tages- und Wochenzeitungen, unter anderem für den Guardian, die Sunday Times und den Independent. 2004 erschien in England sein erstes Buch, Für immer, euer Prince, das dort zu einem Bestseller avancierte. Inzwischen hat Matt Haig mehrere Romane sowie Kinderbücher veröffentlicht. Der Autor lebt in York.«

 

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3 Kommentare zu “Ich und die Menschen, Hörbuch

  1. Liebe Ulrike, den Roman habe ich mit großem Interesse gelesen, natürlich auch wegen der mathematischen Eskapaden des Autors…

    Ich hatte auch auf die Lösung der Riemannschen Vermutung gehofft, aber natürlich vergeblich *g*

    Lohnt sich das Hörbuch, wenn ich das Buch schon (gelesen) habe?!

    Liebe Abendgrüße vom Lu

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    • Lieber Lu,
      ich finde eines von beiden genügt.
      Christoph Maria Herbst verstimmlicht zwar sehr „anhörlich“ die emotionale Erwärmung des Außerirdischen, aber inhaltlich ist der Text gleichbleibend.
      Ich freue mich, daß Du meiner Buchempfehlung gefolgt bist 🙂
      AbendLICHTE Grüße von Ulrike

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      • Das bin ich in diesem Fall natürlich besonders gerne, da hier der Mathematik auch mal in einem feinen Liebes-Alien-Roman eine Chance gegeben wurde, liebe Ulrike, und Matt Haig ist die Integration gut gelungen…
        Herzliche Grüße zur Nacht vom lesenden Lu

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