Der Sommernachtsball

  • von Stella Gibbons
  • Aus dem Englischen von Gertrud Wittich
  • DEUTSCHE  ERSTAUSGABE
  • Originaltitel: »Nightingale Wood«
  • MANHATTAN Verlag  2013 http://www.manhattan-verlag.de
  • gebunden mit Schutzumschlag
  • 558 Seiten
  • 18,99 € (D),  19,60 € (A),  25,90  sFr.
  • ISBN 978-3-442-5426-5
  • Dieser amüsante Aschenputtel-Roman ist inzwischen vergriffen. Sie können ihr Leseglück jedoch gerne noch antiquarisch versuchen.

Der Sommernachtsball von Stella Gibbons

WER   KRIEGT   WEN   UND   WARUM

Buchbesprechung von Ulrike Sokul ©

 Der Sommernachtsball“ von Stella Gibbons ist eine vergnügliche Lektüre mit gleichwohl nachdenklichen Seiten. Die englische Originalausgabe erschien in den 1930er-Jahren; bei der nun vorliegenden Übersetzung von Gertrud Wittich handelt es sich um die deutsche Erstausgabe. Vordergründig bekommen wir hier eine Aschenputtelvariante zu lesen:

Liebliches armes Frauchen begegnet auf einem Wohltätigkeits-Sommernachtsball dem begehrtesten, reichsten und charmantesten Männchen, sie tanzen miteinander und fühlen sich zueinander hingezogen. Einen Ball bzw. ein ländliches Gartenfest später kommt es zu einvernehmlichen, heimlichen Küssen.

Ein lästiges Hindernis ist die Tatsache, daß der Herr des Herzens bereits mit einer anderen verlobt ist, aber solche Besitzansprüche lassen dennoch genug Raum für Liebesträume. Nach umfänglichem Herzeleid, Ungewißheiten, Sehnsuchtszerreiß- proben, Tränen, Mißverständnissen, Gewissensfragen und rettenden Wahre-Liebe-Antworten unter dramatischen Begleitumständen wird wunderschön und mit dem standesübergreifenden Segen von Groß- und Kleinbürgertum geheiratet.

In Stella Gibbons Roman ist das Aschenputtelthema die ROMANtische Verpackung für eine scharfsinnige, selbstironisch-sozialkritische Darstellung zwischenmenschlicher Stärken und Schwächen. Die Charaktere werden uns geschminkt und ungeschminkt vorgeführt. Es bleibt uns nichts erspart: keine Dummheit, Selbstgefälligkeit und Eitelkeit, keine männlichen und weiblichen Klischees, aber auch keine echte Herzensöffnung. Die Entwicklung der Figuren bekommt dadurch eine angenehm-desillusionierende, amüsante und zeitlose Glaubwürdigkeit.

Die Einblicke in die hintersten Hinterstübchen ihrer Gedanken (Seite 44) gehören zu den psychologischen Stilmitteln, die diesem Roman einen besonderen und augenzwinkernd- bissigen Reiz verleihen.

Klassenunterschiede bei den Damen werden z.B. durch die Erwähnung der Preisklasse ihrer Gesichtscremes illustriert, was einer anschaulichen und treffenden, sozialbuch- halterischen Bestandsaufnahme gesellschaftlicher und finanzieller Verhältnisse gleichkommt.

Das Aschenputtel, die junge, frisch verwitwete und verarmte Viola Withers, ist auf die Gnade ihrer Schwiegereltern angewiesen. Diese leben zusammen mit zwei überreifen, unverheirateten Töchtern auf einem ländlichen Anwesen in Essex. Der Hausherr ist gehoben-mittelständisch wohlhabend, aber geizig, sein Horizont eher kleinkariert:
„Elf Gänseblümchen, elf unordentliche Gänseblümchen, wuchsen noch immer illegal auf seinem Rasen.“
(Seite 34/35)

Die Schwiegertochter wird im Witherschen Haushalt aufgenommen und mit durch- gefüttert, aber wirklich willkommen ist sie nicht. Schon die Entscheidung des verstorbenen Sohnes, eine „kleine Verkäuferin“ zu heiraten, war den Schwiegereltern unbegreiflich und peinlich; und man unterstellte Viola unmoralische Verführungskünste und parasitäre Absichten.

Die beiden Schwägerinnen verkörpern unterschiedliche Frauentypen: Madge ist der sportlich-robuste Kumpeltyp; ihr Sehnen gilt einem eigenen Hund und dessen Erziehung. Tina ist der zarte, empfindsam-nachdenkliche Frauentyp; sie sehnt sich nach Liebes- erfüllung, und sie ist das einzige Familienmitglied, das sich über den Einzug von Viola freut.

Saxon ist der Chauffeur und Gärtner der Withers und der ehrgeizigste, schönste und sympathischste Mann im ganzen Roman.

Aschenputtels Prinz, der attraktive und elegante Victor Spring, entspringt der reichsten und geldadeligsten Familie der Gegend und wohnt – wenn er nicht gerade geschäftlich in London unterwegs ist  –  auf dem benachbarten und deutlich luxuriöseren Anwesen.

Dort leben außer ihm noch seine verwitwete Mutter, die nur hübsches Personal beschäftigt, um ihre Stimmung täglich aufzuhellen, und seine Cousine Hetty, die von den gedankenlosen Vergnügungen ihrer reichen Familie angeödet ist. Cousine Hetty zieht die Gesellschaft von Büchern der Gesellschaft von Menschen vor, und sie liest lieber über Gefühle, als selbst wirkliche Gefühle zu spüren oder Zeuge von Gefühls- ausbrüchen anderer Menschen zu werden.

Phyllis Barlow, die elegante, stilsichere und verwöhnte Verlobte Victor Springs, tanzt von Vergnügen zu Vergnügen und läßt Männer im allgemeinen und Victor Spring im besonderen nach ihrer Pfeife tanzen.

Viola-Aschenputtel-Withers ist jung und schön, aber im Gegensatz zu Phyllis Barlow stilunsicher, warmherzig, intellektuell eher schlicht – ja einfach ganz naiv-romantisch und aufrichtig.

Eine wichtige Nebenfigur ist der alte, rücksichtslos-unbekümmerte Landstreicher Dick Falger, der die Aufgabe erfüllt, unaussprechliche Geheimnisse lautstark auszusprechen. Denn Viola ist nicht die einzige, die sich Liebesskandale und unstandesgemäße Lebens- formen leistet. Parallel zu Violas Liebesdrama reift die Liebesgeschichte von Tina und Saxon, ein willkommener Tratschstoff im ansonsten ereignislosen Landleben.

Zum allseitigen Happy-End gibt es eine feierliche Märchenhochzeit, die der Autorin als Kulisse dient, um alle Figuren und Hochzeitsgäste noch einmal Revue passieren zu lassen und den zukünftigen Fortgang der familiären Beziehungen im Zeitraffer weiterzuerzählen.

Das snobistische Schlußwort überlasse ich gerne Lady Dovewood :

„Was für ein nettes Mädchen, diese Viola, nicht aus der obersten Schublade, natürlich, aber was kann man heutzutage schon erwarten…“  (Seite 540)

Die Autorin:

»Stella Dorothea Gibbons, 1902 in London geboren und 1989 in London verstorben, besuchte die North London Collegiate School und studierte Journalismus am University College in London. Sie arbeitete für diverse Zeitungen und Zeitschriften, bevor sie sich ganz dem Schreiben von Büchern widmete. Ihre erste Veröffentlichung im Jahr 1930 war eine Gedicht- sammlung unter dem Titel »The Mountain Beast«. 1932 erschien ihr erster und zugleich bekanntester Roman »Cold Comfort Farm«. 1938 erschien  »Der Sommernachtsball«  unter dem Originaltitel »Nightingale Wood«.«

PS:
Dieser amüsante Aschenputtel-Roman ist inzwischen vergriffen. Sie können ihr Leseglück jedoch gerne noch antiquarisch versuchen.

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