Die Flüsse von London

  • Band 1 der neuen übersinnlichen Krimi-Serie mit Peter Grant
  • von Ben Aaronovitch
  • Originaltitel: »Rivers of London«
  • Deutsch von Karlheinz Dürr
  • DTV Verlag,  Januar 2012  http://www.dtv.de
  • 464 Seiten
  • 10,95 € (D)
  • ISBN 978-3-423-21341-7
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DAS  GEWISSE  MAGISCHE  ETWAS  Nr.1

Buchbesprechung von Ulrike Sokul ©

Nehmen Sie sich Zeit für eine ausführliche, aufregende, kriminalistische, übersinnliche und witzige Reise durch London! Unser Reiseführer ist Peter Grant, ein junger Police Constable von gemischt ethnischer Herkunft, der sich nach Aussage seiner attraktiven und pfiffigen Kollegin Lesley May durchaus als Obama-Double bewerben könnte.

Peter Grant bewacht zusammen mit Lesley May einen abgesperrten Tatort am Covent Garden. Hier wurde in der Nacht ein Leichnam entdeckt, der einen auffällig großen Abstand zu seinem Kopf aufwies. Kurz: Er wurde geköpft.

Peter Grant steht frierend in der Säulenvorhalle der St.Paul’s Kirche, die auch „Schau- spielerkirche“ genannt wird; aus Langeweile sowie aus persönlicher architektonisch-historischer Neugier liest er sich eine dort befindliche Informationstafel durch und läßt uns in einem netten Plauderton an seinen Erkenntnissen über die lokale Geschichte teilhaben.

Während Lesley Kaffee holen geht, taucht zwischen den Säulen plötzlich ein altertüm- lich gekleideter Mann auf, der sich als Augenzeuge des Mordes zu erkennen gibt. PC Grant fragt zunächst vorschriftsmäßig die Personaldaten ab, und dabei stellt sich der Zeuge namens Nicholas Wallpenny als Geist heraus.

Doch davon professionell unbeeindruckt, läßt sich Peter den Tathergang beschreiben und nimmt staunend zur Kenntnis, daß der Geisterzeuge, darauf besteht, daß der Mörder etwas Unheimliches hatte und  „sein Gesicht wechseln“  konnte.

Als Lesley mit dem Kaffe zurückkommt, verschwindet Nicholas natürlich bzw. überna- türlich und Peter beschließt, seine unheimliche Erfahrung erst einmal für sich zu behalten.

Am nächsten Abend spaziert er am Portikus der St.Paul’s Kirche herum und hofft vergeblich auf das Wiedererscheinen von Nicholas Wallpenny. Stattdessen spricht ihn ein eleganter Herr mit silberknaufigem Gehstock an, und auf seine Frage, was er denn hier so treibe, antwortet Peter spontan und wahrheitsgemäß, er sei auf Geisterjagd. So lernt er seinen zukünftigen Vorgesetzten Detective Chief Inspector Thomas Nightingale kennen.

Nightingale ist der letzte Zauberer Englands und leitet eine Spezialabteilung, die  –  ein wenig inoffiziell und relativ geheim  – dafür zuständig ist, in Kriminalfällen mit sozu- sagen magischen Fingerabdrücken zu ermitteln. PC Grant wird der erste Auszubildende seit fünfzig Jahren für diese vom Aussterben bedrohte Berufsgattung, die zudem ein belächeltes Außenseiterdasein in der bürokratischen Hierarchie der Metropolitan Police fristet.

Was macht es schon, daß die Zauberlehrlingsausbildung zehn Jahre dauert, die Sprachen Latein, Griechisch, Arabisch und technisches Deutsch gelernt werden müssen, und es langer und intensiver Übungen sowie millimeter- genauer geistiger Disziplin bedarf, um auch nur ein kleines Werlicht zu erzeugen, wenn man als Dienstwagen einen „Jaguar Mark 2 mit  XK6-Motor und 3,8 Litern Hubraum“ fahren darf?

Und auch die unverhofften Gelegenheiten, mit wunderschönen, gefährlich-verführerischen Themseflußgöttinnen und Nixen zu flirten, können einem die Polizeiarbeit schon versüßen.

Zudem bekommt Peter nette neue Kollegen, von deren Existenz er zuvor noch nicht einmal geahnt hat, wie zum Beispiel den auf Kryptopathologie spezialisierten Dr. Walid, der Peter gleich zum Kennenlernen einen Gehirnquerschnitt serviert, an dem man die Schäden besichtigen kann, die der falsche übermäßige oder unfreiwillige Gebrauch von Magie anrichtet.

Wohn- und Studiensitz der magischen Spezialeinheit ist das Folly, die  „offizielle Residenz der englischen Magie seit 1775“. Das Folly ist ein vornehmes Haus mit Eingangshalle, zahl- reichen Gästezimmern, verschiedenen Speisezimmern, einem rechteckigen Innenhof, einem Salon, drei Bibliotheken (nach Sprachen geordnet) und einem magischen Übungs- labor; denn hier wird die Magie als Wissenschaft betrieben und sehr ernst genommen.

Und dann wäre da noch das unheimlich-schöne, fast lautlose Hausmädchen Molly, ein vorläufig nicht näher definiertes „Geschöpf der Nacht“, mit sehr spitzen Zähnen.

Selbstverständlich gibt es zauberhafte Schutzvorrichtungen, die das Haus vor unbe- fugten Eindringlingen und Kräften magisch abschirmen. Die moderne Informations- logistik, die zusammen mit Peter ins Folly einzieht (Internetanschluß, Computer und Flachbildfernseher), muß aus diesem Grund in der ehemaligen Remise untergebracht werden, da eine Breitbandkabelverlegung den Schutzwall beeinträchtigen würde.

Überhaupt hat die Anwendung magischer Energie den Nachteil, elektronische Geräte, die über einen Akkubetrieb laufen, „auszuschalten“   –  durch Zerbröselung der Mikroprozessoren zu Sand.

Der Zauberlehrling PC Peter Grant arbeitet zusammen mit seinem Meister DCI Nightingale und dem normalen Ermittlungsteam weiter an der Lösung des Mordfalles von Covent Garden. Sie finden durch magische und konventionelle Methoden recht schnell den Mörder – allerdings ist der auch schon tot, und zwar eindeutig nicht getötet durch Waffengewalt, sondern durch die Anwendung eines Zauberspruches, der das Aussehen eines Menschen verändert und den betroffenen Menschen nach Abzug der magischen Energie wortwörtlich verformt und tödlich verwundet zurückläßt.

Jemand (ein rachdurstiger Geist?, ein Schwarzmagier?) benutzt eindeutig magische Kräfte, manipuliert unschuldige Menschen und führt mit ihnen ein grausames Puppenspiel auf. Wie soll man da noch Lateinvokabeln und magische Formen üben, wenn sich die Ereignisse dermaßen überstürzen und man nebenbei noch als diplo- matischer Vermittler zwischen zerstrittenen Flußgöttern (Mutter Themse und Vater Themse) zu fungieren hat?

Peter hat es wahrlich nicht leicht, und dann wird auch noch Nightingale angeschossen, und alles hängt von den Fähigkeiten und dem Spürsinn unseres unerfahrenen Zauber- lehrlings ab – das wird richtig dramatisch und rasend spannend und kann nur magisch ausgehen. Aber was tut man als treuer Zauberlehrling und Krimimalbeamter nicht alles, um den Ruf des eigenen Meisters und das Leben seiner Kollegin Lesley zu rettenein bi(ss)chen Blut muß Peter dafür schon opfern…

Der Autor, Ben Aaronovitch, der u.a. auch Drehbücher für die englische TV-Kultserie ›Doctor Who‹ verfaßt hat, verbindet in „Die Flüsse von London“ eine komplexe Krimi- handlung mit einer liebevoll-kritischen Betrachtung der Stadtentwicklung Londons, er spart nicht mit ironischen Beschreibungen moderner Architekturver- sündigungen und amüsiert uns auch ganz allgemein mit witzigen und treffsicheren Bemerkungen zu menschlichen Schwächen und Eitelkeiten.

Seine Figurenzeichnung sowohl für körperliche wie für übersinnliche Personen und Wesen ist sehr prägnant, lebhaft und knackig. Die Handlung beginnt gemächlich, der Autor gibt uns die Gelegenheit, mit den Charak- teren und der besonderen Kulisse angenehm vertraut zu werden, und steigert sich dann mit quecksilbriger Eleganz zu äußerster Spannung.

Im letzten Kapitel finden auch brav alle Handlungsfäden zu einem sinnvollen Ende, und es wird schon ein neues Fädchen angedeutet, das wahrscheinlich/hoffentlich der Vorbote für den zweiten Band mit unserem magischen Ermittler Peter Grant ist.

Ich jedenfalls bin SEHR gespannt auf weitere magieverdächtige Fälle!

Hier entlang zum Buch und zur LESEPORBE auf der Verlagswebseite:
https://www.dtv.de/buch/ben-aaronovitch-die-fluesse-von-london-21341/

Der DTV-Verlag hat den Peter-Grant-Krimis außerdem eine eigene Webseite eingerichtet:
https://www.dtv.de/special-ben-aaronovitch-urban-fantasy/startseite/c-184

Der Autor:

»Ben Aaronovitch wurde in London geboren und lebt auch heute noch dort. Wenn er gerade keine Romane oder Fernsehdrehbücher schreibt (er hat u.a. Drehbücher zu der englischen TV-Kultserie „Doctor Who“ verfasst), arbeitet er als Buchhändler.«

Und hier geht es zu Peter Grants nachfolgenden magieverdächtigen Fällen:

Band 1: DIE FLÜSSE VON LONDON Die Flüsse von London
Band 2: SCHWARZER MOND ÜBER SOHO Schwarzer Mond über Soho
Band 3: EIN WISPERN UNTER BAKER STREET Ein Wispern unter Baker Street
Band 4: DER BÖSE ORT Der böse Ort
Band 5: FINGERHUT-SOMMER Fingerhut-Sommer
Band 6: DER GALGEN VON TYBURN Der Galgen von Tyburn
Band 7: DIE GLOCKE VON WHITECHAPEL Die Glocke von Whitechapel
Band 8: EIN WEISSER SCHWAN IN TABERNACLE STREET
Ein weißer Schwan in Tabernacle Street
Band 9: DIE SILBERKAMMER IN DER CHANCERY LANE
Die Silberkammer in der Chancery Lane

Hier entlang zu einer kurzen Peter-Grant-Geschichte, etwas außerhalb der Reihe:
GEISTER AUF DER METROPOLITAN LINE/Eine Peter-Grant-Story
Geister auf der Metropolitan Line
Hier entlang zu Ben Aaronovitchs Schreibausflug in deutsche Gefilde:
DER OKTOBERMANN/Eine Tobi-Winter-Story Der Oktobermann
Hier entlang zu einer Peter-Grant-Kurzgeschichten-Sammlung: 
DER GEIST IN DER BRITISH LIBRARY UND ANDERE GESCHICHTEN AUS DEM FOLLY
Der Geist in der British Library
Hier entlang zu einer Abzweigungsgeschichte mit Peter Grants magisch hochbegabter Cousine Abigail und vielen sprechenden Füchsen:
DIE FÜCHSE VON HAMPSTEAD HEATH/Eine Abigail-Kamara-Story
Die Füchse von Hampstead Heath

 

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27 Kommentare zu “Die Flüsse von London

  1. Hach, klingt das gut, was ich hier finde, liebe Ulrike!
    Band Nr. 1 scheint auf jeden Fall lesenswert zu sein. Ich brauche dringend nach schwieriger Lektüre etwas Leichtes, Entspannnendes und magisch Anziehendes 🙂
    Hier scheint es zu sein.
    Ganz herzlich, Bruni

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    • Liebe Bruni,
      „Die Flüsse von London“ ist eine mitreißende Lektüre mit einer fabelhaften Kombination aus modernen und magischen Komponenten. Ben Aaronovitch serviert hier eine raffinierte magische Mischung, in der sich Überraschungs-, Gänsehaut- und Schmunzeleffekte angenehm abwechseln.
      Nachtaktive Grüße von mir zu Dir 🙂

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      • Das klingt ganz so, wie ich es mir vorgestellt hatte, liebe Ulrike!
        Ich danke Dir sehr fürs Vorstellen.
        Liebe Gutenachtgrüße an Dich

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  2. Hier greife ich kräftig zurück in die Vergangenheit, liebe Ulrike, aber ein bisschen in der Zeit herumzustöbern macht auch Spaß. Deine Rezension des siebten Bandes der Peter Grant Krimis hat mich nach Band 1 schauen lassen, und den lese ich gerade mit viel Genuss. Obwohl ich weder Phantasy noch Science Fiction üblicherweise besonders reizvoll finde, habe ich mich hier (mal wieder) durch deine Buchbesprechung verleiten lassen, was ich noch nie bereut habe. Auch diesmal nicht. Danke ☺

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    • Liebe Ule,
      ich freue mich immer, wenn auch Besprechungen aus dem Archiv Lesebesuch bekommen. Denn Bücher haben schließlich kein Mindesthaltbarkeitsdatum und verderben nicht, nur weil es sie schon eine Weile gibt.
      Es ehrt meine Empfehlungsverführungskraft, daß ich Dich zu einem Genre hinlenken konnte, daß Dich sonst nicht anspricht. Wenn Du diese Lektüre fortsetzt, steht Dir noch seitenweise Lesegenuß mit vielen magieverdächtigen Fällen bevor.
      Herzlichen Dank für Deine Lesetreue und Dein Vertrauen. 🙂

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  3. Ich habe gerade herausgefunden, daß ich mir die englische Originalversion dieses Buches in meiner hiesigen Bibliothek ausleihen kann! Ich lese generell lieber in der Originalsprache, wenn ich ihrer denn mächtig bin. Also muß ich nicht bis zu meinem nächsten Deutschlandbesuch warten! 😊

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    • Gewissermaßen nimmst Du mir den Kommentar aus dem Mund, denn eigentlich wollte ich Dir schon antworten, daß Du ja zum Original leichten Zugriff hast. Ich war bloß noch nicht dazu gekommen, weil ich das ganze Wochenende gearbeitet habe.
      In der Originalversion ist wahrscheinlich der Wortwitz, der Ben Aaronovitchs Schreibstil auszeichnet, noch ausgeprägter. Manche Wortspiele und Sprachanspielungen lassen sich einfach nicht übersetzen.
      Also wünsche ich Dir nun viel Vergnügen mit Peter Grant und der magischen Seite Londons. :mrgreen:

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      • Hallo Ulrike,
        Dir habe ich zu verdanken, dass ich den Samstag und Sonntag mit meiner Nase in diesem Buch verbracht habe. Das ist allerdings ein Kompliment. Ich hätte dieses Buch ohne Deine Rezension wahrscheinlich nie gelesen, und ich bin Dir dankbar, daß Du meinen Horizont erweitert hast. Trotz der sehr graphischen Beschreibungen der grausamen körperlichen Verletzungen, fand ich die Idee hinter der Serie intelligent, lustig und unterhaltsam, und habe nebenbei auf leichte Art noch einiges über Londons Geschichte gelernt. Such jetzt nach Band 2 der Serie… 🙂

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      • Liebe Tanja,
        es freut mich, daß Dir der Einstieg in die Peter-Grant-Reihe gefallen hat. Es stimmt, daß dieser erste Band verhältnismäßig blutrünstig ist. Ich kann Dir jedoch versichern, daß die Folgebände diesbezüglich etwas milder sind.
        Die dramaturgische Ausarbeitung der zauberhaften Grundidee finde ich sehr gut und weitgehend amüsant gelungen.
        Viel Vergnügen mit dem zweiten Band … 🙂

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    • Es fängt gemächlich an und wird dann immer rasanter und auch ziemlich blutrünstig. Für mich waren einige Szenen gerade noch so an der Grenze des Leseerträglichen. Denn ich bin eigentlich bei Krimis nur Miss Marple gewöhnt. 😉

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