Lee Raven

  • von Zizou Corder
  • Aus dem Englischen von Sophie Zeitz
  • dtv Reihe Hanser  Februar 2011   http://www.dtv.de
  • 336 Seiten
  • 8,95 € (D), 9,20 €(A)
  • ISBN  978-3-423-62475-6
  • Kinderbuch ab 11 Jahren
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EIN  BUCHSTÄBLICH  VIELSAGENDES  BUCH

Buchbesprechung von Ulrike Sokul  ©

„Für alle, die schon einmal Schwierigkeiten mit dem Lesen hatten.“

Diese Widmung führt direkt zu Lee Raven, dessen Analphabetismus nur eine von vielen Schwierigkeiten ist, mit denen er zu kämpfen hat. Lee Raven stammt aus einer großen Familie von Kleinkriminellen und schlägt sich in London als Straßenkind und Taschen- dieb durch. Er hält sich von seiner Familie fern, um seinem gewalttätigen Vater aus dem Weg zu gehen. Eigentlich ist er nur Legastheniker und bräuchte etwas mehr geduldige Förderung, aber seine Familie ist nicht gerade das, was man als  bildungsnah bezeich- net. Dennoch ist er ein kluges Kerlchen mit  einer guten Auffassungsgabe, und trotz des diebischen Lebensunterhaltes hat er einen sozialkompetenten Gerechtigkeitssinn und bestiehlt möglichst Leute, die überflüssiges Geld haben.

 „Wären sie gute Menschen, hätten sie etwas davon für Bedürftige gespendet, für arme kleine Straßenkinder wie mich, aber so wie es stand, musste ich mich selbst bedienen. Außerdem ersparte ich ihnen die Kopfschmerzen von dem extra Bier und Schnaps, für das sie das Geld, das ich ihnen abknöpfte, andernfalls ausgegeben hätten. Genau genommen erwies ich sogar der Öffentlichkeit einen Dienst, indem ich den Wohlstand umverteilte und aktiv gegen Trunkenheit in der Öffentlichkeit eintrat.“

Eines Nachts entwendet er die Handtasche einer offensichtlich sehr reichen Frau, deren privaten Leibwächtern er nur knapp entkommt. Er verbringt eine Nacht im Park, und am nächsten Morgen sieht er  zu seinem Schrecken auf der Titelseite der Tageszeitung ein Foto, das ihn inflagranti bei diesem Taschendiebstahl zeigt. Außerdem patrouillieren immer noch Sicherheitskräfte im Stadtviertel.

Lee Raven klingelt beim erstbesten Haus und findet Einlaß beim Antiquar Mister Maggs, der ihn für einen Boten hält. In diesem Haus voller wertvoller Bücher entdeckt Lee Raven ein Garfield-Jahrbuch, das einzige Buch, aus dem seine Mutter ihm und seinen Brüdern früher vorgelesen hat. Eher beiläufig läßt er den Garfield-Band mitgehen und verkrümelt sich im Abwasserkanalsystem der Stadt.

In seinem ungemütlichen Versteck schläft Lee Raven mit dem Garfield-Jahrbuch auf dem Schoß ein und am nächsten Morgen findet er ein in Pergament gebundenes Buch vor. Verwundert berührt er das Buch, das ihm irgendwie lebendig erscheint, schlägt es erwartungsvoll auf, betrachtet buchstabenleere Seiten und hört eine Stimme: Es war einmal…“  sagen.

Das Buch liest ihm die Herkules Sage aus der griechischen Antike vor. Dankbar und begeistert hört Lee Raven außerdem, daß er der erste Mensch ist, dem das Buch aus seinem Geschichtenschatz vorliest. Lee Raven lauscht wissensdurstig der 12000-jährigen Lebensgeschichte des Buches, bei dem es sich um das sagenumwobene Buch des Nebo“  handelt, das jedem, der es aufschlägt, genau die Geschichte schenkt, nach der er sich sehnt.

„Lieber Junge! Ich wurde aus dem Lehm geformt, aus dem der Mensch erschaffen wurde! Der Gott, der Adam das Leben eingehaucht hat, hat auch mir das Leben eingehaucht! Der Gott, der die Schrift erfunden hat, hat sie auf mir erfunden!“

Das „Buch des Nebo“ verwandelte sich von der Tontafel zum Papyrus, vom Papyrus zum Pergament, und bei Bedarf kann es sich auch in jede erwünschte Buchgestalt der Neuzeit verwandeln. Der biographische bzw. libriographische Weg begann mit der Erschaffung des Buches in Mesopo- tamien, setzte sich im alten Ägypten fort, wo es den Brand der Bibliothek von Alexandria überlebte, es überstand auch die Bücherverbrennungen des Christentums und erlebte seitdem wechselhafte Aufenthalte bei einge- weihten und uneingeweihten Büchersammlern.

Lee Raven findet im „Buch des Nebo“ einen Freund und Vaterersatz und will es unbe- dingt behalten und vor der machtgierigen Nigella Lurch beschützen. Nigella Lurch ist zufällig die Frau, die er um ihre Handtasche erleichtert hat und sie ist mit gnadenloser Geschäftstüchtigkeit hinter dem Buch her, um es für ihre schriftstellerischen Ambitionen auszuschlachten.

Janaki, die Pflegetochter des Buchhändlers Mister Maggs, verfolgt ebenfalls Lee Ravens Spur, wird jedoch, nachdem ihm einer seiner großen Brüder wegen der ausgesetzten hohen Belohnung das Buch abgenommen hat, zur seiner Verbündeten bei der Befreiung des Buches aus Nigella Lurchs Besitz.

Sie retten das Buch und sind wieder auf der Flucht und dann sorgt das Buch – durch eine ganz neue Verwandlung – für die Rettung der Kinder und die Vernichtung der Verfolger.

„Frau!“ donnerte Nebo mit mächtiger Stimme. „Du lächerlicher Mensch! Ich gehöre Dir nicht und werde Dir nie gehören! Ich bin nicht käuflich! Weder Geld noch Gier können die Früchte, die ich schenke, ernten!“

Die Geschichte wird abwechselnd aus der Sicht Lee Ravens, Mister Maggs‘‚ Janakis, des Buches und Nigella Lurchs erzählt und jeder Charakter kommt mit seinem eigenen Sprachstil zu Wort.

Lee Raven verbindet, durch die mythische Figur des „Buches des Nebo“ eine spannende äußere Handlung mit einer nicht minder spannenden Vermittlung von Schriftkulturgeschichte. Über die Abenteuergeschichte hinaus regt es sehr sympathisch dazu an, den geistigen Reichtum der Menschheit zu erkennen und wertzuschätzen.

„Nebo gab der Menschheit das Mittel, sich an alles zu erinnern, das sie je gelernt hatten, und ihr Wissen weiterzugeben, von Generation zu Generation, und die Weisheit der Vorfahren weiterzuentwickeln.“

Eine  wortwörtliche Buchbegegnung, die Lesefolgen haben kann.

Leider, leider ist dieses Buch inzwischen vergriffen, aber Sie können es vielleicht auf antiquarischem Wege noch erjagen.

 

Die Autorinnen:

»Zizou Corder ist ein Synonym für die 1960 geborene Schriftstellerin Lousia Young und ihre Tochter Isabel Adomakoh. Mit der „Lionboy„-Trilogie schrieben die beiden einen Bestseller, der in 35 Länder verkauft wurde.«

 

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7 Kommentare zu “Lee Raven

  1. Liebe Ulrike!
    Das MUSS ich lesen, glaube ich, sogar wenn es nur halb so schön und spannend ist, wie du es beschreibst. Die Bücherhallen haben es!
    Über die „Lionboy“-Geschichten weißt du nichts, oder?
    Liebe lesegierige Grüße
    Christiane

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